Mädchen und Frauen, die religiösen Minderheiten angehören, werden in Pakistan nach wie vor Opfer von Zwangskonvertierungen und Zwangsverheiratungen. Jedes Jahr gibt es eine erheblichen Anzahl dieser Fälle. Mit Unterstützung des internationalen katholischen Hilfswerks Aid to the Church in Need (ACN) kämpft die Nationale Katholische Kommission für Gerechtigkeit und Frieden (NCJP) in Lahore nun dafür, das Unrechtsmuster zu durchbrechen, nach dem minderjährige Mädchen oder Frauen entführt, vergewaltigt, gewaltsam von ihrem Glauben abgebracht und mit ihren Entführern verheiratet werden.
Der Fall von Anna Chand, den die NCJP meldete, ist ein brutales Beispiel. Das christliche Mädchen, das erst drei Jahre alt war, wurde vom Ehemann der Direktorin ihrer Schule in Raiwind, Lahore, grausam vergewaltigt. Die von UNICEF finanzierte Schule wurde im Haus von Muhammad Saleem mit etwa 30 regulären Schülern betrieben und diente abends auch als Madrassa.
„Anna befindet sich seitdem in einer schweren psychischen Krise und in einem ständigen Zustand emotionalen Leids, während ihre Familie um Gerechtigkeit kämpft“, sagt Merab Arif, Kommunikationskoordinatorin von NCJP.
Dieses Drama betrifft zwar Mädchen aus allen Religionsgemeinschaften, doch sind christliche und hinduistische Mädchen oder solche, die anderen religiösen Minderheiten angehören, besonders gefährdet, da sie kaum sozialen und rechtlichen Rückhalt haben und gezielt zum Islam zwangsbekehrt werden.
Pakistan hat sowohl den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte unterzeichnet als auch das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau ratifiziert, in dem die Kinderehe ausdrücklich verboten ist. Das Land hat auch die UN-Kinderrechtskonvention (KRK) ratifiziert, in der ein Kind als Person unter 18 Jahren definiert ist. Artikel neun der KRK schützt das Recht der Kinder, nicht gegen ihren Willen von ihren Eltern getrennt zu werden. In Artikel 14 der KRK heißt es weiter, dass die Vertragsparteien das Recht der Kinder auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit achten müssen. Auch die pakistanische Verfassung garantiert die Religionsfreiheit.
„Äußerlich betrachtet ist alles in Ordnung, aber leider stoßen die Familien der betroffenen Mädchen in vielen Fällen auf eine ablehnende Polizeiverwaltung, wenn sie versuchen, einen ersten Informationsbericht über die Entführung oder Vergewaltigung einzureichen“, erklärt Merab Arif. „Die örtliche Polizeistation weigert sich oft einfach, eine Anzeige aufzunehmen. Selbst in den Fällen, in denen es den Eltern gelingt, Anzeige zu erstatten, gelingt es der Polizei oft nicht, das Mädchen zu retten. Außerdem wird oft den Eltern die Konvertierungsbescheinigung zusammen mit der Heiratsurkunde ausgehändigt, bevor sie das Kind zurückbekommen. Und wenn der Fall vor Gericht kommt, zögern die Gerichte ebenfalls, die Mädchen zu schützen, angeblich aufgrund des Drucks gewalttätiger Mobs.“
Aus diesen Gründen und mit der Unterstützung des Hilfswerkes ACN entwickelt die NJCP ein ehrgeiziges Programm zum Schutz von Mädchen aus Minderheitengemeinschaften in Pakistan. Das Programm setzt sich für echte Veränderungen und eine strengere Gesetzgebung ein. Die NJCP hat nun 15 Empfehlungen für die pakistanische Regierung vorgelegt, damit diese angemessene Maßnahmen im Kampf gegen die Zwangsbekehrung und Zwangsverheiratung von Mädchen und Frauen ergreift.
Zu den Empfehlungen gehören beispielsweise eine Polizeireform, um die Reaktionszeiten bei mutmaßlichen Entführungen zu verkürzen; eine Schulung der Polizei, um betrügerische Ehen und Konversionszertifikate zu erkennen; die Einrichtung von Helplines für eine einfache und sichere Berichterstattung und sofortige Hilfe, einschließlich Rechtsbeistand, für die Mädchen und ihre Familien; die Überarbeitung des Gesetzes zur Bekämpfung von Zwangsbekehrungen, das am 13. Oktober 2021 vom Parlamentsausschuss abgelehnt wurde; oder die Aufnahme des Konzepts der „Zwangsbekehrung“ in den nationalen Rechtsrahmen, um die Gesetzgebung zu erleichtern.
Die vollständige Liste der Empfehlungen kann hier nachgelesen werden: Protection and Safeguard of Minority Girls and Women
„Mädchen, die religiösen Minderheiten angehören, sind einem hohen Risiko an sexueller Gewalt und Missbrauch ausgesetzt. Und nicht nur das: Durch Früh- und Zwangsverheiratung werden sie auch ihres Grundrechts auf Bildung, Gesundheit und Religionsfreiheit beraubt. Minderjährige brauchen den Schutz des Gesetzes und die Fürsorge ihrer Familien. Die pakistanische Regierung sollte alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um dem Drama dieser Mädchen ein Ende zu setzen“, fordert Arif.