VENEZUELA: „Die Menschen hungern nach Gott“

Zehn Jahre nach ihrer Gründung wird die Siedlung „Hugo Chávez“ nun eine Pfarrkirche haben

Ciudad Chávez ist ein Viertel in der venezolanischen Gemeinde Vargas, in der Diözese La Guaira, nur wenige Kilometer vom internationalen Flughafen Maiquetía entfernt. Die Wohnsiedlung wurde 2013 im Rahmen der Projekte errichtet, die zum Sozialprogramm des damaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez gehörten. Im Rahmen des Regierungsprogramms „Große Aufgabe Wohnungsraum Venezuela“ entstanden rund 6000 Wohnungen für mehr als 20 000 Menschen.

Feier zum 158. Jahrestag der Geburt des seligen José Gregorio Hernández
Feier zum 158. Jahrestag der Geburt des seligen José Gregorio Hernández

Obwohl das Stadtviertel ursprünglich als ein neues Nowa Huta, ein Ort ohne Gott, konzipiert war, wird zehn Jahre nach seiner Gründung dort die erste Kirche geweiht. Die venezolanische Regierung hat mehr als 35 solcher Großwohnsiedlungen errichtet, aber Ciudad Chávez ist die erste, die eine Pfarrkirche beherbergen wird. „Christus sollte in dieser Siedlung nicht präsent sein. Das war die ursprüngliche Absicht. Doch zehn Jahre später wird Gott inkarniert sein und unter uns leben“, sagte der Salesianer Raúl Biord, seit 2014 Bischof von La Guaira, in einem Interview mit dem Hilfswerk Aid to the Church in Need (ACN).

Der Bischof zitierte Dostojewski: „Kein Mensch kann ohne Gott leben. Wenn er nicht an Gott glaubt, schafft er sich selbst einen Götzen, um ihn anzubeten“, und fügt hinzu: „Die Gründung dieser Pfarrei hat eine große Bedeutung. Die Religion kann nicht aus dem Leben der Menschen verbannt werden. Der Mensch ist nicht nur Materie, er ist Leib und Seele. Reiner Materialismus verarmt den Menschen.“

In einem Land, in dem es viele Spannungen zwischen Regierung und Kirche gibt, gab es natürlich Herausforderungen. „Manche mögen uns vorwerfen, dass wir ein Projekt durchführen, das von der Regierung unterstützt wird, aber die Gemeinde feiert bereits seit zehn Jahren Gottesdienste auf der Straße unter freiem Himmel. Die Menschen haben sich eine Kirche gewünscht, in der sie sich versammeln können. Als Bischof bin ich in erster Linie Seelsorger, und 20 000 Seelen können nicht ohne geistige Nahrung bleiben“, sagte Bischof Biord gegenüber ACN, einer der Organisationen, die den Bau unterstützt haben.

Glaube überwindet politische Positionen

Manche nennen die Kirche das neue Nowa Huta, in Bezug auf die Kirche Arka Pana („Arche des Herrn“), ein Beispiel für den Widerstand des polnischen Volkes gegen die kommunistische Tyrannei im Bestreben um Religionsfreiheit.

Der Widerstand wurde vom damaligen Kardinal von Krakau, Karol Wojtyla, dem späteren Heiligen Johannes Paul II., angeführt. ACN unterstützte auch dieses Projekt zwischen 1967 und 1977.

Obwohl die Schaffung von Städten ohne die Präsenz der Kirche Erinnerungen an den damaligen sowjetischen Versuch weckt, verlief die Geschichte in Ciudad Chávez ganz anders. In Polen stellte sich die sowjetische Regierung aggressiv gegen das Projekt, dessen Fertigstellung fast zwanzig Jahre dauerte, neun davon allein für die Baugenehmigung. „Wir haben von vielen Seiten Unterstützung erhalten, um den Bau zu ermöglichen. Der Glaube überwindet politische Positionen und vereint Menschen, die unterschiedliche Ansichten haben“, betonte Bischof Biord.

Bischof Raul Biord während der Feier des Heiligen Petrus und Paulus
Bischof Raul Biord während der Feier des Heiligen Petrus und Paulus

„Unter den Regierungsvertretern gibt es mehr oder weniger militante Atheisten, aber nicht alle sind so. Ich habe auch Christen getroffen, die ihren Glauben mit Überzeugung leben. Konkret sind wir hier auf keinerlei Hindernisse gestoßen, im Gegenteil, sie haben uns sehr unterstützt. Für mich ist es ein Wunder, dass wir es geschafft haben, die Kirche in so kurzer Zeit zu bauen. Trotz der Schwierigkeiten im Land – der wirtschaftlichen Lage, der Materialknappheit, der möglichen Uneinigkeiten und Probleme, die der Bau hätte verursachen können – wurde er in fünfzehn Monaten fertig gestellt. Ich dachte, es würde viel länger dauern. Es war ein Wunder Gottes, dass wir viele Menschen mit unterschiedlichen Ansichten einbeziehen konnten“, betonte Bischof Biord.

Erster Wallfahrtsort für den seligen José Gregorio Hernández

Die Pfarrkirche, die dem heiligen Oscar Arnulfo Romero, dem salvadorianischen Märtyrerbischof, geweiht ist, wird auch ein Diözesanheiligtum sein, das dem venezolanischen Seligen José Gregorio Hernández, bekannt als „Arzt der Armen“, gewidmet ist.  Die Kirche wird Reliquien von beiden aufbewahren. Nach dem Vorbild dieser beiden Zeugnisse der Hingabe und des Dienstes an den Bedürftigsten und Verlassensten der Gesellschaft wird die neue Pfarrei eine Suppenküche und ein Bildungszentrum haben, um die Gemeinschaft zu fördern. Eine Idee, die der Bischof in einem Land wie Venezuela, „wo die soziale Spaltung in der Gesellschaft so groß ist“, für sehr wichtig hält.

Es wird das erste von Grund auf neu gebaute Heiligtum des Landes sein, das José Gregorio gewidmet ist, der am 30. April 2021 in Caracas seliggesprochen wurde. Das Heiligtum ist groß, denn es soll   viele Pilger willkommen heißen. In der Mitte des Kirchenbodens befindet sich eine Abbildung des typischen Huts des Laienarztes, eines der dekorativen Elemente des Baus, die alle von lokalen Künstlern angefertigt wurden. Auch die Glasfenster und Bilder stammen von venezolanischen Künstlern. Ein dreieinhalb Meter hoher auferstandener Jesus Christus nimmt den zentralen Platz in der Kirche ein, „um die Christuszentriertheit zu unterstreichen; der Tabernakel symbolisiert die ganze Welt, die vom Kreuz und der Eucharistie in der Mitte umarmt wird“, betont Bischof Biord.

106 Kinder in der Erstkommunion- und Firmvorbereitung

Das Projekt Ciudad Chávez wurde dank der bedeutenden Unterstützung der nationalen und regionalen Regierung, privater Wohltäter, Hilfswerken wie ACN und der örtlichen Gemeinde ermöglicht. Ohne die Beteiligung der Bewohner der Siedlung, die diese Kirche unbedingt wollten, wäre nichts möglich gewesen.

Viele Gläubige haben sich von Anfang an für das Projekt eingesetzt und ständig dafür gebetet, dass es Wirklichkeit wird. Und es gab bereits eine wichtige pastorale Aktivität, obwohl es noch keine Pfarrei gab: „Im August 2022 wurde eine Volksmission mit 73 Jugendlichen aus der Diözesanpastoral durchgeführt. Jetzt werden die 106 Kinder der Katechese eine schöne Kirche haben, in der sie ihre Erstkommunion und ihre Firmung empfangen können“, freut sich Bischof Biord.

Bischof Raúl Biord Castillo mit Gemeindemitgliedern der Quasi-Pfarrei Oscar Arnulfo Romero in La Guaira
Bischof Raúl Biord Castillo mit Gemeindemitgliedern der Quasi-Pfarrei Oscar Arnulfo Romero in La Guaira

„Es ist die erste Pfarrkirche, die in Venezuela in staatlichen Wohnsiedlungen gebaut wurde. Sie soll ein solides Gebäude sein, das lange hält, soll aber gleichzeitig die Volksfrömmigkeit und das Gebet fördern. Sie ist Gott gewidmet und wurde aus Liebe und mit Liebe gebaut“. Es mag paradox erscheinen, eine Kirche in einem Land zu bauen, das so sehr unter der Wirtschaftskrise leidet, aber der Bischof erklärt: „Die Kirche, das Gotteshaus, ist ein sehr wichtiger Ort für uns Venezolaner. Sie ist ein Ort der Begegnung und des gemeinschaftlichen Zusammenkommens. In einer säkularisierten Welt wie der westlichen kann das schwer zu verstehen sein, aber hier brauchen die Menschen diesen Ort des Gebets, um den Glauben und die Hoffnung zu stärken. Außerdem wächst die Zahl der Gläubigen. Die Menschen hungern nach Gott.“

„Seit ich das Bischofsamt übernommen habe, wurden neun Kirchen gebaut, einige davon sind sehr klein, aber alle wurden von den Gemeinden sehnlichst gewünscht“, und er fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: „Das mag viel erscheinen, aber eigentlich müssten wir noch drei oder vier weitere bauen. Helfen Sie uns!“

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