Am 16. April brachen Kämpfe zwischen der sudanesischen Armee und den Rapid Security Forces (RSF), einer legalisierten paramilitärischen Gruppe im Sudan, aus.
Die Armee agiert unter dem Befehl des jetzigen Präsidenten, General Abdel Fattah al-Burhan, während die RSF vom Vizepräsidenten Mohammed Hamdan Dagalo alias Hemedti geführt werden.
Bereits am ersten Tag der Kämpfe behauptete die RSF, die Kontrolle über den Präsidentenpalast sowie drei Flughäfen, darunter den Flughafen der Hauptstadt Khartum, übernommen zu haben. Allerdings kann aktuell nicht von einem Sieg der RSF gesprochen werden. Stattdessen weitet sich der Kampf immer weiter aus und nach Medienangaben hat bereits fast 300 Tote und über 3000 Verletzte gefordert.
Kinga von Schierstaedt, koordinierende Projektreferentin für ACN in Afrika und Verantwortliche für Projekte im Sudan, spricht mit Maria Lozano über die Lage im Land und die Folgen des Konfliktes.
Was berichten deine Kontaktpersonen über die Lage in der Hauptstadt?
Ich habe gerade mit einem Projektpartner telefoniert, der im Norden von Khartum ist, unweit von einem Ort, an dem sich die Rapid Support Forces verschanzt haben. Während des Telefonats konnte ich die Schüsse im Hintergrund hören. Er sagt, die Straßen seien leer, wie in einer Geisterstadt: Es fahren keine Autos, man sieht keine Menschen und hört keine Stimmen in der Nachbarschaft.
Unser Projektpartner und seine Mitbewohner können auch nicht mehr aus dem Haus, bzw. trauen sie sich nicht mehr hinaus. Weil aber keiner darauf vorbereitet war, haben sie keinen großen Vorrat an Lebensmitteln gekauft; und wenn sie welche, würde es ihnen aber auch nicht lange helfen, denn das Stromnetzwerk ist zusammengebrochen und somit funktioniert der Kühlschrank nur dann, wenn sie den Generator mit dem knappen Dieselvorrat für eine kurze Zeit anmachen. Schlimmer als der Lebensmittel- sei der Wassermangel. Da es kein fließendes Wasser mehr gibt, müssen sie mit einer Pumpe das Wasser aus einem Brunnen schöpfen, das eigentlich nur dazu dient, den Garten zu gießen und auf jeden Fall abgekocht werden muss. Tagsüber kann es momentan bis zu über 40°C im Schatten werden.
Immer wieder fliegen Flugzeuge des Militärs über sie hinweg, um die verschanzten RSF anzugreifen und so fürchte sein unsere Ansprechpartner, dass die Bomben auch sie treffen könnten.
Was sind die Ziele des Putsches?
Es handelt sich um einen Putschversuch von Vizepräsident Hemedti, um Präsident al-Burhan zu stürzen und ist gleichzeitig der Gipfel einer latenten Spannung, die seit dem Staatsstreich im Oktober 2021 herrschte. Bei dem Staatsstreich hatten beide die nach der Absetzung des Diktators Umar al-Baschir im April 2019 eingesetzte Übergangsregierung gestürzt.
Eigentlich es geht nicht um Ideologien, sondern darum, wie und mit wem regiert werden soll, um Interessen, Macht, Reichtum und die Integration der RSF. Hemedti betrachtet seine RSF als entscheidend für die Sicherheit des Landes und fordert mehr Macht. Die Verhandlungen über die Aufnahme dieser paramilitärischen Gruppe in die Armee sind ein Stolperstein zwischen den beiden. Al-Burhans Entscheidung, die RSF-Truppen in verschiedene Gebiete des Landes zu verlegen, da er Hemedti als Gefahr für seine Macht sieht, war der letzte Funke, der zum Ausbruch des Putschs führte.
Aber es gibt ein weiteres wichtiges Motiv. Der Sudan ist Afrikas drittgrößter Produzent an Gold, und Hemedti besitzt Goldminen im Norden des Landes. Nach Medienreporten gehen von dort jährlich bis zu 16 Milliarden Dollar in die Vereinigten Arabischen Emirate. Hemedti hat mit Gold sein Geschäft gemacht. Gold sichert seine Macht und eines seiner Interessen. Gleichzeitig hat auch die Armee eine Unmenge an Immobilien und Geschäften aller Art, die sie ungerne einer zivilen Regierung übergeben möchte.
Sind denn die Kämpfe auf die Hauptstadt beschränkt? Sind sie lokal, oder droht die Ausweitung auf einen Bürgerkrieg im ganzen Land?
Neben der Hauptstadt, wo die Kämpfe derzeit am stärksten sind, gibt es auch Konfrontationen in Merowe, El Obeid und in der Gegend von Darfur. In El Obeid finden schwere Kämpfe statt, der Platz vor der Kathedrale wurde zu einem Schlachtfeld der beiden Fronten, da sich direkt nebenan ein Camp der RSF befindet. Am Donnerstag fielen zwei große Sprengsätze in das Gelände, einer zerschmetterte die Fenster der Kathedrale. Das anliegende Pfarrhaus wurde zerstört. Gott sei Dank ist dem Priester aber nichts passiert.
Die Gefahr der Ausweitung besteht immer, denn es geht um einen Machtkampf und die Fronten sind sehr verhärtet. Ich habe mit einem unserer Projektpartner in Kosti, im Süden des Landes an der Grenze zum Südsudan, gesprochen. Da ist die Lage momentan noch ruhig.
Wie ist denn die Lage für die katholische Kirche? Ist sie auch davon betroffen, in ihrer Arbeit in irgendeiner Form eingeschränkt?
Die katholische Kirche im Sudan ist sehr klein, etwa 95% der Bevölkerung ist muslimisch. Da es kein ideologischer oder religiöser Konflikt ist, sind alle Bürger gleich betroffen. Gläubige, Priester und Ordensleute können nicht aus ihren Häusern. Die heilige Messe am Sonntag ist ausgefallen, die Priester feiern die tägliche Messe nicht mehr in der Kirche. Das Glaubensleben findet in den Krisenzonen nur mehr im Haus statt.
Was sind denn absehbare Folgen?
Einer unserer Projektpartner hat es so ausgedrückt: „Ich habe das Gefühl, es wird immer dunkler im Sudan.“ Das Land war vorher schon in einer verzweifelten wirtschaftlichen Lage: eine enorme Inflation und keine Liquidität. Der Konflikt lässt die Preise noch mehr steigen, während die Menschen kein Geld haben.
Oft sind ja Flüchtlingswellen die Folge von bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Zeichnet sich so etwas schon ab?
Viele Menschen verlassen die Gebiete innerhalb der Städte, in denen geschossen wird. Außerdem haben sie teilweise weder Strom noch Wasser, das sie zum Überleben brauchen, also flüchten sie zu Verwandten oder Bekannten, meist außerhalb der Stadt. Noch haben wir keine Nachrichten von großen Flüchtlingswellen oder auch Flüchtlingscamps, aber es gibt auf jeden Fall eine Flucht aus den Städten heraus.
Besteht denn noch die Chance, diesen Konflikt einzudämmen, und wer könnte da Einfluss nehmen?
Die Fronten sind momentan unglaublich verhärtet. Unsere Kontaktpersonen sagen, wenn nicht eine der Gruppen nachgibt oder siegt, dann glauben sie leider nicht an eine schnelle Beendigung des Konflikts. Da kann man also nur hoffen, dass die Vernunft siegt und natürlich auch beten. Wir sollten beten, dass eine Regierung im Sudan an die Macht kommt, die Gerechtigkeit und Frieden sucht. Das ist, worum uns alle unsere Kontakte bitten. Sie sagen uns, dass wir zurzeit mit materieller Hilfe nicht helfen können. ‚Das Einzige, was uns jetzt Kraft geben kann, ist, wenn wir uns vom Gebet getragen wissen‘, sagten sie mir.