REGIONALE ANALYSE
Festland-Asien
Zur Region Festland-Asien werden Ostasien, die koreanische Halbinsel, das südostasiatische Festland und der indische Subkontinent sowie die großen Inselstaaten in unmittelbarer Nähe zu den asiatischen Küsten (Japan, Taiwan und Sri Lanka) gerechnet. Einerseits liegen in dieser bevölkerungsreichen und strategisch wichtigen Region Länder wie China, Nordkorea und Myanmar, in denen derzeit einige der schwerwiegendsten Verstöße gegen die Religionsfreiheit weltweit zu verzeichnen sind; andererseits können sich mehrere Staaten – insbesondere Japan, Taiwan und Südkorea – eines robusten und stabilen Schutzes der Religionsfreiheit rühmen, der verfassungsrechtlichen und kulturellen Rückhalt genießt.
Mehrere Staaten in Festland-Asien sind weiterhin marxistische Einparteiendiktaturen. Dem größten dieser Länder, China, mit seiner Bevölkerung von 1,4 Mrd. Menschen, gebührt die zweifelhafte Ehre, über eine der allgegenwärtigsten und effektivsten staatlichen Maschinerien zur Kontrolle der Religion zu verfügen, die derzeit auf der Welt in Betrieb sind. Laut dem jüngsten Bericht des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center zu globalen Einschränkungen der Religionsfreiheit, der im November 2020 erschien, erreicht China auf dem Government Restrictions Index (GRI; Index staatlicher Restriktionen) 9,3 von 10 möglichen Punkten – der höchste Wert im weltweiten Vergleich der Studie.[1] Mit einer Kombination aus Massenüberwachung, einem Sozialkreditsystem, das individuelles Verhalten unter die Lupe nimmt und sanktioniert, und brutalem Vorgehen gegen religiöse und ethnische Gemeinschaften, die der Abtrünnigkeit verdächtigt werden, ist die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) eine Klasse für sich, wenn es darum geht, die Religionsfreiheit zu ersticken. Wie der Länderbericht China aufzeigt, ist die KPCh nur noch brutaler geworden, seit Xi Jinping 2013 das Präsidentenamt antrat; die Masseninternierung von über einer Million ethnischer Uiguren in der Provinz Xinjiang und die erzwungene Teilnahme dieser überwiegend muslimischen Menschen an sogenannten „Deradikalisierungsprogrammen“ seit 2017 sprechen in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache.[2]
Weitere Regime in Festland-Asien mit ähnlichen marxistisch geprägten Ideologien und Mechanismen der Religionskontrolle gibt es in Nordkorea, Vietnam und Laos. Wie die Länderberichte belegen, betreibt Nordkorea gegenüber der Religion eine Vernichtungspolitik, die sogar noch einschneidender ist als die der KPCh. Vietnam und Laos hingegen sind dabei, bescheidene und schrittweise Reformen durchzuführen, die zumindest staatlich registrierten Religionsgemeinschaften etwas mehr Freiheit einräumen, was den Besitz von Eigentum und die Religionsausübung angeht. Nichtregistrierte Gemeinschaften, vor allem unabhängige Buddhisten in Vietnam und evangelische Protestanten in Laos, sind jedoch weiterhin beträchtlichen Schikanen und Diskriminierungen ausgesetzt, insbesondere auf kommunaler Ebene.
Abgesehen von den religiösen Einschränkungen, die marxistische Diktaturen „von oben“ auferlegen, stellt ein ethnoreligiöser Nationalismus „von unten“ die Religionsfreiheit in Festland-Asien vor eine ernste Herausforderung. Während eine methodische, staatlich geförderte Religionskontrolle im Allgemeinen nur in autokratischen Kontexten wie den kommunistisch regierten Staaten China und Nordkorea möglich ist, greifen die Flammen des ethnoreligiösen Nationalismus dort besonders zerstörerisch um sich, wo sie vom Sauerstoff demokratischer Kontroversen und der Mobilisierung der Bevölkerung genährt werden. Beispiele für solche demokratischen oder halbwegs demokratischen Kontexte, die den Aufstieg eines religiösen Nationalismus der Mehrheit begünstigen, sind Indien und Nepal (beide mehrheitlich hinduistisch) sowie die mehrheitlich buddhistischen Staaten Sri Lanka, Myanmar, Thailand und – in abgeschwächter Ausprägung – Bhutan (siehe Länderberichte).
Mit einer Bevölkerung von fast 1,4 Mrd. Menschen ist Indien sowohl die größte Demokratie der Welt als auch das Land mit der weltweit größten und virulentesten Bewegung des religiösen Nationalismus. Seit den 1990er Jahren ist die indische Wahlkampfpolitik von mehr Konkurrenz geprägt, und eine wachsende Zahl von Indern fühlt sich von der hindu-nationalistischen Botschaft angesprochen, der zufolge Indiens Kultur und nationale Identität ihrem Wesen nach hinduistisch sind. Die hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP; Indische Volkspartei) erreichte bei den Parlamentswahlen 2014 und 2019 jeweils die absolute Mehrheit. Durch diese Erfolge ermutigt, hat die BJP ihr kulturell-nationalistisches Programm in einer Weise vorangetrieben, dass die Religionsfreiheit und weitere grundlegende bürgerliche Freiheiten untergraben werden und Muslime und Christen – besonders auf kommunaler Ebene – ins Visier genommen werden, sobald es um Themen wie das Schlachten von Kühen oder Konversion geht.[3] Gemäß der oben erwähnten Pew-Studie zu globalen Einschränkungen der Religionsfreiheit aus dem November 2020 erreicht Indien „den höchsten Grad an gesellschaftlicher Feindseligkeit – nicht nur unter den bevölkerungsreichsten Ländern, sondern unter allen 198 Ländern der Studie“ und erzielt auf dem Social Hostilities Index (SHI; Index gesellschaftlicher Feindseligkeit) 9,6 von 10 möglichen Punkten.[4] Die Vermutung, dass der auf Exklusivismus beruhende religiöse Nationalismus in Festland-Asien Schule machen könnte, liegt nahe, da auch das mehrheitlich von Hindus bewohnte Nepal vor Kurzem eine Verfassung und ein Strafgesetzbuch verabschiedet hat, durch die Missionierung verboten und nicht-hinduistische Gemeinschaften und Organisationen ausgegrenzt werden.[5]
Des Weiteren haben zahlreiche Länder mit buddhistischer Bevölkerungsmehrheit, allen voran Sri Lanka, Myanmar und Thailand, den Aufstieg extremistischer ethnoreligiöser Führer und Organisationen erlebt, die einen ähnlich minderheitenfeindlichen Hass verbreiten (siehe Länderberichte). Beispielhaft seien hier die Bewegung „969“ und die Buddha Dhamma Parahita-Stiftung in Myanmar sowie Bodu Bala Sena in Sri Lanka genannt. Derartige Gruppen sind mitverantwortlich dafür, dass muslimische Minderheiten sowohl in Myanmar als auch in Sri Lanka verstärkt angegriffen wurden, wobei der in mehreren Phasen verlaufende Völkermord an den überwiegend muslimischen Rohingya in Myanmars Rakhine-Staat im Zeitraum 2016-2017 das bei Weitem ungeheuerlichste Beispiel ist.[6] Im Kachin-Staat wurden auch auf Christen und Hindus gezielte Anschläge verübt.[7] Unterdessen haben in Sri Lanka eindeutige Siege der Sri Lanka Podujana Peramuna (SLPP; „Sri Lanka-Volksfront“) bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2019 und 2020 dazu geführt, dass nun eine politische Partei, deren Kurs ein singhalesisch-buddhistischer Nationalismus und deren Einstellung religiösen Minderheiten gegenüber feindselig ist, in dem Inselstaat den Ton angibt.
Eine weitere Bedrohung für die Religionsfreiheit in der Region stellt der transnationale islamistische Extremismus dar. Der mit Abstand verheerendste einzelne Gewaltakt der letzten Jahre, der die christliche Gemeinschaft traf, war ein islamistisches Selbstmordattentat in Sri Lanka am Ostersonntag, dem 21. April 2019, bei dem drei Kirchen und drei Hotels in Colombo angegriffen und 267 Menschen getötet sowie etwa 500 verletzt wurden.[8] Antimuslimische Rhetorik und Gewalt vonseiten buddhistischer Extremisten, die seit dem Ende des Bürgerkriegs im Jahr 2009 stetig zugenommen hat, hat offenbar bei der Radikalisierung der Täter eine Rolle gespielt.[9] Der islamistische Terroranschlag selbst wiederum trug erheblich dazu bei, dass der extremistisch-buddhistische Nationalismus im Land geschürt wurde und ebnete den Weg für die massiven Wahlsiege der singhalesisch-buddhistischen Nationalisten Ende 2019 und Mitte 2020.[10]
Die Ereignisse in Sri Lanka veranschaulichen, wie die größten Bedrohungen für die Religionsfreiheit in Festland-Asien – nämlich religiös-autokratische Herrschaft, Nationalismus und islamistischer Extremismus – nicht nur jeweils für sich betrachtet gefährlich sind, sondern sich darüber hinaus in einem zerstörerischen Kreislauf gegenseitig verstärken. Auch bei den Angriffen auf die Uiguren in China geht ein ausgeprägter Han-chinesischer Nationalismus eine Verbindung mit dem Verlangen ein, nach einer Serie von Terroranschlägen von radikalen Uiguren auf ethnische Chinesen in der Provinz Xinjiang im Zeitraum 2009-2016 „zurückzuschlagen“.[11] Da es starke Anzeichen dafür gibt, dass Autoritarismus, ethnischer und religiöser Nationalismus und Dschihadismus allesamt weiter zunehmen und sich in ganz Festland-Asien gegenseitig verstärken werden, wird dieser Teufelskreis in den kommenden Jahren wahrscheinlich noch teuflischer werden – mit verhängnisvollen Folgen für die Religionsfreiheit.
Quellen
[1] "In 2018, Government Restrictions on Religion Reach Highest Level Globally in More Than a Decade", Pew Research Center, 10. November 2020; https://www.pewforum.org/2020/11/10/in-2018-government-restrictions-on-religion-reach-highest-level-globally-in-more-than-a-decade/
[2] "China’s Repression of Uyghurs in Xinjiang", Council on Foreign Relations, 1. März 2021, https://www.cfr.org/backgrounder/chinas-repression-uyghurs-xinjiang
[3] “India: Vigilante “cow protection” groups attack minorities,” Human Rights Watch, 18. Februar 2019; https://www.hrw.org/news/2019/02/18/india-vigilante-cow-protection-groups-attack-minorities
[4] "Government restrictions on religion around the world reached new record in 2018", Pew Research Center, 10. November 2020; https://www.pewresearch.org/fact-tank/2020/11/10/government-restrictions-on-religion-around-the-world-reached-new-record-in-2018/
[5] "Nepalese party wants to refound the Hindu state. Concern for Christians", AsiaNews, 28. Februar 2019; http://www.asianews.it/news-en/Nepalese-party-wants-to-refound-the-Hindu-state.-Concern-for-Christians-46377.html
[6] "Genocide Against the Burmese Rohingya", Hearing of the House Committee on Foreign Affairs on "Genocide Against Burmese Rohingya, reliefweb, 16. Juli 2020; https://reliefweb.int/report/myanmar/genocide-against-burmese-rohingya
[7] “Burmese military bombs village and kills seven civilians,” Christian Solidarity Worldwide (CSW), 9. April 2020, https://www.csw.org.uk/2020/04/09/press/4614/article.htm
[8] “Sri Lanka attacks: What we know about the Easter bombings,” BBC News, 28. April 2019, https://www.bbc.com/news/world-asia-48010697 (abgerufen am 30. Oktober 2020).
[9] "Buddhist Militancy Rises Again in Sri Lanka", by Alan Keenan, International Crisis Group, 7. März 2018; https://www.crisisgroup.org/asia/south-asia/sri-lanka/buddhist-militancy-rises-again-sri-lanka
[10] "Buddhist nationalists claim victory in Sri Lankan election", AP News, 27. November 2019; https://apnews.com/article/bf051a4b2673484f8460131a7500b0ec
[11] "Five dead after 'terror attack,' explosion in China's Xinjiang", Radio Free Asia, 29. Dezember 2016; https://www.refworld.org/docid/58f9ca3013.html