Artikel 36 der chinesischen Verfassung, die 1982 verabschiedet und 2018 zuletzt geändert wurde, besagt: „Die Bürger der Volksrepublik China genießen die Freiheit des religiösen Glaubens. Kein staatliches Organ, keine öffentliche Organisation oder Einzelperson darf die Bürger zwingen, an irgendeine Religion zu glauben oder nicht zu glauben; noch dürfen sie Bürger, die an eine Religion glauben oder nicht glauben, benachteiligen.“
Gemäß Artikel 36 schützt der Staat „normale religiöse Aktivitäten“. Während keine Definition dessen erfolgt, was „normal“ bedeutet, wird der Gebrauch von Religion für „Aktivitäten, welche die öffentliche Ordnung stören, die Gesundheit der Bürger beeinträchtigen oder in das staatliche Bildungssystem eingreifen“ ausdrücklich untersagt. Darüber hinaus dürfen religiöse Einrichtungen und Angelegenheiten „keiner ausländischen Herrschaft unterworfen“ sein.
In der Praxis schützt Artikel 36 lediglich die fünf in China offiziell anerkannten religiösen Traditionen – den Buddhismus, Daoismus, Islam, Protestantismus und Katholizismus – und zwar unter der Voraussetzung, dass sie innerhalb der von den sieben staatlich genehmigten „patriotischen Vereinigungen“ regulierten Strukturen agieren. Außerhalb dieses staatlich kontrollierten Systems ist die Religionsausübung rechtswidrig und wird seit nunmehr 70 Jahren in unterschiedlichem Maße bestraft, unterdrückt und verfolgt.
Am 1. Februar 2018 traten die neuen „Vorschriften für religiöse Angelegenheiten“ in Kraft, die gegenüber der bisherigen Fassung aus dem Jahr 2005 noch restriktiver sind. So dürfen sich Gläubige beispielsweise nur noch an zugelassenen Orten versammeln und insgesamt „wird die Kontrolle über religiöse Aktivitäten weiter verschärft“. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass „Religionsgemeinschaften, religiöse Schulen, Orte der Religionsausübung und religiöse Angelegenheiten nicht von ausländischen Kräften kontrolliert“ werden. Zudem legen die neuen Vorschriften fest, dass Religion die nationale Sicherheit nicht gefährden darf. Und es sind weitere Einschränkungen für die Kommunikation religiöser Inhalte sowie für die Arbeit religiöser Schulen und Wohltätigkeitseinrichtungen vorgesehen.
Seit März 2018 ist anstelle des Staatlichen Amtes für Religiöse Angelegenheiten (SARA) die Abteilung für Arbeit der Einheitsfront, ein Organ der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), für religiöse Angelegenheiten zuständig. Seitdem unterstehen religiöse Angelegenheiten unmittelbar der Kontrolle der KPCh.
Im April 2018 gab die chinesische Regierung ein neues Weißbuch mit dem Titel „Chinas Politik und Maßnahmen zum Schutz der Religionsfreiheit“ heraus. Demnach wird religiösen Organisationen eine „aktive Begleitung“ gewährt, um ihnen die „Anpassung an die sozialistische Gesellschaft“ zu erleichtern. Ausländer dürfen an religiösen Aktivitäten nur teilnehmen, wenn sie „autorisiert“ sind.
Artikel 27 des chinesischen Gesetzes über die Nationale Sicherheit betrifft ebenfalls die Religions- und Glaubensfreiheit. Das Gesetz wurde vom ehemaligen Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Seid al-Hussein, wegen seines „außerordentlich umfassenden Geltungsbereichs“ und der vagen Formulierungen kritisiert, die „weiteren Beschränkungen der Rechte und Freiheiten der Bürger Chinas und einer noch strengeren Kontrolle der Zivilgesellschaft Tür und Tor öffnen“.
Andere Bestimmungen, die Auswirkungen auf die Religions- und Glaubensfreiheit haben können, sind u. a. das „Dokument Nr. 9“ (oder: „Kommuniqué über den gegenwärtigen Stand der ideologischen Sphäre“), das vom Zentralkomitee der KPCh im April 2013 intern herausgegeben wurde sowie ein neues Gesetz über ausländische Nichtregierungsorganisationen (NGOs), das 2016 verabschiedet wurde. Im Dokument Nr. 9 wird erläutert, dass „westliche“ Werte sowie die konstitutionelle Demokratie und die freien Medien nach westlichem Vorbild im Widerspruch zu den Werten der KPCh stehen. Des Weiteren seien Petitionen oder Aufrufe zum Schutz der Menschenrechte das Werk „westlicher antichinesischer Mächte“. Das neue NGO-Gesetz trat im Januar 2017 in Kraft und verleiht den Behörden die Befugnis, die Arbeit ausländischer Organisationen im Land einzuschränken. Zudem begrenzt es die Möglichkeiten einheimischer Organisationen, sich Finanzmittel aus dem Ausland zu beschaffen und mit ausländischen Organisationen zusammenzuarbeiten. Ausländische NGOs wiederum müssen nachweisen, dass sie von einer staatlichen chinesischen Organisation unterstützt werden. Des Weiteren müssen sie sich polizeilich registrieren und vom Amt für Öffentliche Sicherheit überwachen lassen. Ausländer oder Angehörige ausländischer Organisationen, die verdächtigt werden, an Aktivitäten beteiligt zu sein, die der „Spaltung des Staates, der Beschädigung der nationalen Einheit oder der Untergrabung der Staatsmacht“ dienen, können in Haft genommen, an der Ausreise gehindert oder ausgewiesen werden.
Im April 2016 hielt Staatspräsident Xi Jinping mit hochrangigen Vertretern der KPCh eine Konferenz zum Thema Religion ab. In seiner Ansprache sagte er, dass sich Religionsgemeinschaften „an die Führung der Kommunistischen Partei Chinas halten“ müssten. Ferner müssten Parteimitglieder „unnachgiebige marxistische Atheisten“ sein, die „entschlossen Vorkehrungen treffen gegen Unterwanderungen aus dem Ausland mit religiösen Mitteln“. Der Direktor der Staatlichen Verwaltung für religiöse Angelegenheiten Chinas erklärte auf einem Seminar, das die Sinisierung des Christentums zum Thema hatte, dass die chinesische christliche Theologie mit dem Weg des Landes zum Sozialismus vereinbar sein sollte.
Im September 2018 trafen der Vatikan und China ein vorläufiges Abkommen über die Ernennung von Bischöfen, das zunächst zwei Jahre gültig war. Da es sich um ein vorläufiges Abkommen und nicht um einen formellen Vertrag handelt, ist der Text geheim. Man geht jedoch davon aus, dass es der chinesischen Regierung das Recht einräumt, Kandidaten für die Ernennung zu Bischöfen zu empfehlen, die dann vom Vatikan bestätigt werden. Im September 2020 wurde eine Verlängerung des chinesisch-vatikanischen Abkommens beschlossen.
Im Berichtszeitraum haben die chinesischen Behörden ihr Durchgreifen gegen alle religiösen Minderheiten deutlich verschärft. Am 10. November 2020 veröffentlichte das Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center seinen Jahresbericht, in dem es globale Muster in Bezug auf Einschränkungen der Religionsfreiheit abbildet. Von allen 198 Ländern und Territorien, die in der Studie untersucht wurden, erreichte China auf dem Government Restrictions Index (GRI, Index staatlicher Restriktionen) die höchste Punktzahl.
Religionsfeindliche Unterdrückung nimmt in China vielfältige Formen an und betrifft zahlreiche Gruppen. Die erheblichsten Verstöße gegen die Religionsfreiheit sind gegen die Uiguren und weitere überwiegend muslimische Gemeinschaften im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang (kurz: Xinjiang) gerichtet. Dort haben die staatlichen Übergriffe mittlerweile ein solches Ausmaß erreicht, dass immer mehr Experten von einem „Völkermord“ sprechen. Schätzungen zufolge sind in Xinjiang mittlerweile zwischen 900.000 und 1,8 Mio. Uiguren, Kasachen, Kirgisen und Angehörige anderer muslimischer Gemeinschaften in über 1.300 Umerziehungslagern interniert. Zivilisten wurden verhaftet und in Lager geschickt, weil sie ihre religiöse Frömmigkeit zum Ausdruck brachten, indem sie z. B. lange Bärte trugen, keinen Alkohol tranken oder Verhaltensweisen an den Tag legten, die nach Auffassung der Behörden auf „religiösen Extremismus“ hindeuteten. Es gibt Berichte über weitverbreitete und systematische Folterungen, katastrophale Verhältnisse, sexuelle Gewalt und Zwangsarbeit. In Teilen Xinjiangs wurde eine Kampagne zur Zwangssterilisation uigurischer Frauen durchgeführt. Darüber hinaus haben die chinesischen Behörden Tausende Moscheen, muslimische Friedhöfe und islamische Bildungseinrichtungen beschädigt, zerstört oder geschlossen.
Im Jahr 2019 veröffentlichte die New York Times geleakte Dokumente (die sogenannten „Xinjiang Papers“ oder „China Cables“), aus denen hervorgeht, dass „Xi Jinping selbst die Basis für die Anwendung rigoroser Vorgehensweisen in der Region schuf, indem er Beamte in einer Reihe vertraulicher Ansprachen anwies, ‚absolut keine Gnade‘ zu zeigen“.
In Tibet ist der Buddhismus weiterhin im Visier der Behörden und wird unterdrückt. Gesetze wurden erlassen, um „die nächste Reinkarnation“ des Dalai Lama und weiterer bedeutender tibetischer Lamas zu kontrollieren. Ordensleute, die sich weigerten, den Dalai Lama zu denunzieren, wurden aus ihren Klöstern vertrieben, inhaftiert und gefoltert. Der Besitz oder das Zeigen von Bildern des Dalai Lama gilt als Verbrechen und wird mit zunehmender Härte bestraft, religiöse Feste werden überwacht und eingeschränkt. Im Jahr 2019 wurden bis zu 6.000 Ordensmänner und -frauen vertrieben, als die Behörden ihre Wohnstätten im tibetisch-buddhistischen Zentrum Yachen Gar in der Provinz Sichuan abrissen. Im April 2019 ordneten die Behörden an, dass die buddhistische Akademie Larung Gar keine neuen Studenten mehr aufnehmen dürfe.
Auch Christen (katholische wie protestantische) bleiben in China nicht von schweren Verletzungen der Religionsfreiheit verschont. Tausende Kreuze wurden zerstört, viele Kirchen abgerissen oder geschlossen und christliche Geistliche inhaftiert. Laut einer Erklärung, die 500 Hauskirchenleiter im November 2019 unterzeichneten, ließen die Behörden Kreuze von Gebäuden entfernen, zwangen Gemeinden, die chinesische Flagge zu hissen und patriotische Lieder zu singen, und untersagten Minderjährigen den Kirchenbesuch.
In staatlich kontrollierten Kirchen wurden Christen gezwungen, Banner der KPCh neben oder anstelle von religiösen Symbolen anzubringen oder Porträts von Xi Jinping neben oder anstelle von Bildnissen Christi und der Jungfrau Maria aufzuhängen. Außerhalb und innerhalb von Kirchen wurden Überwachungskameras angebracht, mit denen die Gläubigen gefilmt werden.
Im Dezember 2018 wurden über 100 Mitglieder der protestantischen Hauskirche Early Rain Covenant Church in Chengdu festgenommen. Ihr Pastor Wang Yi und seine Frau Jiang Rong wurden der „Anstiftung zur Subversion“ beschuldigt. Am 26. Dezember 2019 wurde Pastor Wang in einer nicht-öffentlichen Gerichtsverhandlung zu neun Jahren Haft verurteilt. In einer seiner Predigten hatte er gesagt, dass das Regime einen „Krieg gegen die Seele“ führe.
Nach Auffassung von Ying Fuk Tsang, Direktor des Christlichen Studienzentrums für chinesische Religion und Kultur an der Chinesischen Universität Hongkong, verfolgt die Regierung mit ihrem Vorgehen nicht das Ziel, Religionen gänzlich auszurotten. Vielmehr versuche Präsident Xi Jinping, „eine neue Ordnung für die Religion zu schaffen und ihre rasante Entwicklung zu unterdrücken. [Die Regierung] beabsichtigt, den ‚religiösen Markt‘ insgesamt zu regulieren.“
Im November 2019 gaben die chinesischen Behörden Pläne für eine „umfassende Evaluierung existierender religiöser Klassiker“ bekannt. Auf diesem Weg sollten Inhalte identifiziert werden, die „nicht dem Fortschritt der Zeit entsprechen“. Berichten zufolge bedeutet dies konkret, dass China plant, die Bibel und den Koran neu zu übersetzen, so dass sie „sozialistische Werte widerspiegeln“. Die Entscheidung war das Ergebnis einer Sitzung des Ausschusses für ethnische und religiöse Angelegenheiten, der beim Nationalen Komitee der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes unter seinem Vorsitzenden Wang Yang angesiedelt ist.
Im Januar 2019 erschien ein Artikel in The Guardian, in dem es hieß, eines der Ziele, das die Regierung mit ihrem Arbeitsplan zur „Förderung des chinesischen Christentums“ für den Zeitraum 2018 bis 2022 verfolge, sei eine „Gedankenreform“. So werde z. B. eine „Neuübersetzung und Kommentierung“ der Bibel gefordert, um Gemeinsamkeiten mit dem Sozialismus ausfindig zu machen und ein „korrektes Verständnis“ des Textes durchzusetzen. Dr. Eva Pils, Professorin für Recht am Londoner King's College, sagte dazu: „Vor zehn Jahren konnten wir noch sagen, dass es die Partei nicht wirklich interessierte, was die Menschen im Inneren glaubten. Xi Jinpings Reaktion ist viel invasiver und stellt in gewisser Weise eine Rückkehr zu den Versuchen der Mao-Ära dar, die Herzen und Köpfe zu kontrollieren.”
Das am 22. September 2018 unterzeichnete vorläufige Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Volksrepublik China trat im Oktober 2020 für weitere zwei Jahre in Kraft. Diese diplomatische Maßnahme – die in erster Linie als pastorale Bemühung zu verstehen ist, die Beziehungen mit Peking hinsichtlich der Ernennung von Bischöfen zu ordnen – bewegt sich in klaren Grenzen: Laut dem Kommuniqué zum ersten Abkommen sind „direkte diplomatische Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und China, der rechtliche Status der Katholischen Kirche in China oder die Beziehungen zwischen dem Klerus und den Behörden des Landes“ nicht sein Gegenstand, sondern es befasst sich ausschließlich mit dem Verfahren zur Ernennung von Bischöfen.
In diesem Rahmen hat es laut Erzbischof Paul Richard Gallagher, Sekretär des Vatikans für die Beziehungen zu den Staaten, einige Früchte getragen: „Die Tatsache, dass es uns gelungen ist, zum ersten Mal seit den 1950er Jahren alle Bischöfe Chinas in Gemeinschaft mit dem Heiligen Vater zu bringen, und dass die chinesischen Behörden dem Papst ein bescheidenes Mitspracherecht bei der Ernennung von Bischöfen, aber letztlich das letzte Wort zugestehen, ist ziemlich bemerkenswert.“
Ungeachtet des begrenzten Geltungsbereichs des Abkommens und der pastoralen Früchte, die es getragen haben mag, bleiben Bedenken hinsichtlich seiner tatsächlichen Anwendung vor Ort bestehen. Darüber hinaus werfen die sich rapide verschlechternden Bedingungen für die Religionsfreiheit in China einen Schatten auf die Vereinbarung.
In den zwei Jahren, die auf die erste Unterzeichnung des vorläufigen Abkommens folgten, wurde der Untergrundklerus ermutigt, sich der staatlich kontrollierten Chinesischen Katholisch-Patriotischen Vereinigung (KPV) anzuschließen. Viele Geistliche lehnten dies jedoch aufgrund von „doktrinalen Konflikten zwischen der kirchlichen Lehre und den Regeln der KPV“ ab – und bekamen die Folgen zu spüren. Am 1. September 2020 wurden in der Provinz Jiangxi Priester, die sich weigerten, der KPV beizutreten, unter Hausarrest gestellt. Darüber hinaus wurde ihnen untersagt, „jedwede religiöse Aktivität in ihrer Eigenschaft als Geistliche auszuüben“. In Anerkennung des zuvor geschilderten Gewissenskonflikts akzeptierte der Vatikan, dass manche Geistliche sich gegen einen Beitritt zur KPV entschieden.
Auch die Inhaber höherer Ämter in der katholischen Hierarchie sind in China nicht gegen Schikanen und Verhaftungen gefeit.
Der Bischof von Baoding, James Su Zhimin, hat insgesamt 40 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht und wurde zuletzt im Jahr 2003 gesehen; sein derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Im Juli 2020 war sein Verschwinden Thema einer US-Kongressanhörung, die der Abgeordnete Chris Smith unter dem Titel „Wo ist Bischof Su?“ leitete.
Am 9. November 2018 wurde der Bischof von Wenzhou, Peter Shao Zhumin, zum fünften Mal innerhalb von zwei Jahren festgenommen. Am 23. November 2018 kam er wieder auf freien Fuß, ist aber weiterhin Schikanen ausgesetzt. Pater Zhang Guilin und Pater Wang Zhong aus der Diözese Chongli-Xiwanzi wurden Ende 2018 verhaftet; über ihren Verbleib ist weiterhin nichts bekannt.
Im Januar 2020 wurde der ehemalige Bischof von Mindong, Vincent Guo Xijin (der bereits zum Weihbischof degradiert worden war, um Platz für einen von Peking ernannten Bischof zu machen), Opfer einer Zwangsräumung, nachdem die Behörden die Schließung seiner Residenz angeordnet hatten. Danach war der 61-jährige Prälat obdachlos und übernachtete im Eingang seines Kirchenbüros. Erst nach einem internationalen Aufschrei durfte er in seine Wohnung zurückkehren, die allerdings nicht mehr an die Versorgungsunternehmen angeschlossen war. Am 4. Oktober 2020 gab Bischof Guo seinen Rücktritt bekannt.
Im Juni 2020 wurde der 70-jährige Augustiner Cui Tai, Bischof-Koadjutor der Untergrundkirche in Xuanhua, erneut festgenommen. Seit 13 Jahren hat er immer wieder längere Zeiträume in Haft verbracht.
Auch in Hongkong ist die Religionsfreiheit nun gefährdet; bis vor Kurzem wurde sie hier noch geachtet. Am 30. Juni 2020 erlegte der Nationale Volkskongress der Sonderverwaltungszone jedoch ein neues „Gesetz zur Nationalen Sicherheit“ auf, das „in nur 15 Minuten von dem 162-köpfigen Komitee einstimmig beschlossen wurde“. Die Definition der Straftatbestände ist weit gefasst: „Das Gesetz verhindert und bestraft Handlungen und Aktivitäten des Separatismus, der Subversion, des Terrorismus und der Kollaboration mit ausländischen Kräften, die die nationale Sicherheit gefährden“, so AsiaNews. Amnesty International bezeichnete das Gesetz als „den größten Verrat an den Menschenrechten in der jüngeren Geschichte der Stadt“.
Mit dem Sicherheitsgesetz werden die Grundfreiheiten in Hongkong de facto abgeschafft – und es hat bereits erste Auswirkungen auf die Religionsfreiheit. Kardinal John Tong, Apostolischer Administrator der Diözese Hongkong, erteilte allen Priestern die Anweisung, in Predigten „auf ihre Sprache zu achten“ sowie Äußerungen zu vermeiden, die politisch provokant sein könnten.
Im Dezember 2020 führte die Polizei eine Razzia in der protestantischen Good Neighbour North District-Kirche durch. Parallel dazu ließen die Behörden das Bankkonto der Kirche sowie die Konten des Pastors Roy Chan und seiner Ehefrau einfrieren. Die Gemeinde hatte sich während der Proteste gegen ein geplantes Auslieferungsgesetz im Jahr 2019 für die Demonstranten eingesetzt und humanitäre Hilfe geleistet.
Seit Inkrafttreten des neuen Sicherheitsgesetzes sind u. a. katholische Journalisten, politische Aktivisten und Geschäftsleute mit dem Vorwurf der Volksverhetzung verhaftet worden. Unter den prominenten inhaftierten Aktivisten der Demokratiebewegung sind einige Christen, z. B. der Protestant Joshua Wong sowie die ehemalige Studentenführerin Agnes Chow und der Medienmagnat Jimmy Lai, beides Katholiken. Letzterer wurde im Rahmen eines Projekts zur Unterstützung religiöser Gewissensgefangener von Jonnie Moore, Mitglied der US Commission on International Religious Freedom (USCIRF; US-Kommission für internationale Religionsfreiheit), „adoptiert“.
Die wahrscheinlich größte spirituelle Gemeinschaft in China, die unter systematischer Verfolgung leidet, ist die Falun-Gong-Bewegung. Falun Gong knüpft an die buddhistische Tradition an und steht in China auf der Liste der verbotenen religiösen Bewegungen, der sogenannten Xie Jiao („heterodoxe Lehren“, gelegentlich auch als „üble Sekten“ übersetzt). Im Jahr 2019 wurden Tausende Menschen verhaftet, weil sie Falun-Gong-Meditationsübungen praktiziert hatten.
Im Jahr 2019 kam das sogenannte China-Tribunal (eine unabhängige Vereinigung von Menschenrechtsanwälten unter dem Vorsitz des britischen Kronanwalts Sir Geoffrey Nice), das sich mit Vorwürfen der erzwungenen Organentnahme bei Gewissensgefangenen befasst hatte, „ohne begründete Zweifel“ zu dem Schluss, „dass erzwungene Organentnahme seit Jahren in ganz China in erheblichem Umfang vonstattengeht und dass Falun-Gong-Praktizierende eine – und wahrscheinlich die hauptsächliche – Quelle für die Versorgung mit Organen sind“.
Eine weitere Begleiterscheinung des harten Vorgehens der chinesischen Regierung gegen die Menschenrechte, einschließlich der religiösen Rechte, ist die Unterdrückung von Menschenrechtsaktivisten im Allgemeinen und von Menschenrechtsanwälten im Besonderen. Viele von ihnen sind entweder selbst Christen oder vertreten Menschen, die in Kontexten verhaftet wurden, in denen die Religionsfreiheit eine Rolle spielt. Im Jahr 2015 starteten die Behörden eine großangelegte Verhaftungswelle, während der „über 300 Menschenrechtsanwälte und -aktivisten sowie ihre Kollegen und Familienangehörigen verhört, festgenommen und in einigen Fällen inhaftiert worden oder verschwunden sind“. Noch heute sind die meisten von ihnen in irgendeiner Form inhaftiert oder haben ein Berufsverbot erhalten.
Anlass zur Sorge und hochproblematisch für die Religionsfreiheit ist auch die Omnipräsenz hochentwickelter Sicherheitskameras, die mit Gesichtserkennungstechnologie ausgestattet sind und der Kontrolle der Bevölkerung dienen. Maßnahmen, die zunächst zur Überwachung der mehrheitlich muslimischen Uiguren in der Unruheprovinz Xinjiang eingesetzt wurden, halten mittlerweile im ganzen Land Einzug und machen China zu einem Überwachungsstaat mit 1,4 Milliarden Einwohnern.
Die Covid-19-Pandemie, die Anfang 2020 ausbrach, hat die Problematik noch verschärft: Die Auswirkungen auf die Menschenrechtslage in China (einschließlich der Religions- und Glaubensfreiheit) sind beachtlich – insbesondere im Hinblick auf den Einsatz moderner Technologie. In der Tat „wird ein Großteil der Gesichtserkennungstechnologie, die im Kampf gegen das Coronavirus verwendet wurde, bereits zur Überwachung von Kirchen- und Moscheebesuchen genutzt. Neue Apps haben noch mehr Daten über das tägliche Leben der chinesischen Bürger gesammelt. Besonders besorgniserregend ist, dass das ‚Ampelsystem‘, welches Personen entsprechend ihrem Risikostatus in Bezug auf die Verbreitung von Covid-19 eine Farbe zuweist und im Gegenzug anzeigt, ob sie sich frei bewegen dürfen, auch dazu verwendet werden könnte, die Bewegungsfreiheit von Individuen einzuschränken, die von der Regierung als ‚heikel‘ eingestuft werden, wie z. B. Religionsanhänger oder Menschenrechtsverteidiger.“
In China ist die Religionsfreiheit aktuell den gravierendsten Einschnitten seit der Kulturrevolution ausgesetzt. Im Sinne der Schaffung eines Überwachungsstaats wird die Politikgestaltung zunehmend zentralisiert, die Unterdrückung intensiver und großflächiger und die Technologie ausgefeilter. Unter der derzeitigen Führung von Xi Jinping werden die Perspektiven für die Religionsfreiheit – und für die Menschenrechte im weiteren Sinne – immer düsterer. Da keine wesentliche politische Liberalisierung in Sicht ist, ist davon auszugehen, dass Unterdrückung und Verfolgung sich fortsetzen und durch den Einsatz moderner Technologie künftig sogar noch stärker um sich greifen und das Leben der Menschen bestimmen werden.