In einem Interview mit dem kolumbianischen Büro des Internationalen Hilfswerks Aid to the Church in Need spricht die im vergangenen Oktober in Mali freigelassene Ordensschwester Gloria Cecilia Narváez über ihre missionarische Arbeit, ihre Gefangenschaft und den Ruf dazu, ein lebendiges Zeugnis zu sein. Nachfolgend finden Sie eine Zusammenfassung ihres ausführlichen Berichts.
Schwester Gloria empfängt ACN im Kloster in Pasto, Kolumbien, ihrer Heimatregion. Dort ist sie Ende November angekommen, um ihre Familie zu treffen und ihren Genesungsprozess abzuschließen. Sie erzählt uns von ihrer größten Leidenschaft: der Mission in Afrika. „Die Franziskanerinnen der Unbefleckten Jungfrau Maria sind seit mehr als 25 Jahren in Mali. Eines unserer Hauptanliegen ist die Förderung von Frauen, insbesondere die Alphabetisierung, denn in diesem Land gibt es praktisch keine Bildung für Frauen.“ Die Schwestern bringen den Frauen auch grundlegende landwirtschaftliche und nähtechnische Fertigkeiten bei, damit sie allmählich unabhängiger werden und sich selbst finanziell tragen können.
Die kolumbianische Ordensfrau berichtet, dass die Ordensschwestern mit Hilfe von Fachleuten aus dem Gesundheitswesen Mütter und Väter in der Schwangerschaftsvorsorge unterwiesen haben. Diese Arbeit habe eine solche positive Wirkung auf die Männer gehabt, „dass sie uns sogar um Hilfe baten, damit wir ihnen einige Hausarbeiten beibringen. So könnten sie sich um ihre kleinen Kinder kümmern, wenn ihre Frauen nicht mehr da wären.“
Denn in Mali sowie in anderen afrikanischen Ländern ist die Müttersterblichkeit – der Tod bei der Geburt oder wenige Tage danach – hoch. „Die Väter vertrauten uns die Betreuung der Babys an. Das taten wir gerne, aber wir verpflichteten sie, sich um ihre Kinder zu kümmern, sie häufig zu besuchen und Zeit mit ihnen zu verbringen“, erklärt die kolumbianische Missionarin. Dank der Arbeit der Schwestern wurde ein Band der gemeinsamen Verantwortung geknüpft.
Nächstenliebe, ohne auf die Uhr zu schauen
In der malischen Kultur gibt es keine Eile. Die Menschen schauen nicht auf die Uhr. Die Franziskanerinnen der Unbefleckten Jungfrau Maria haben dies perfekt umgesetzt, indem sie sich Zeit nahmen und bereit waren, den Menschen zuzuhören und mit ihnen zu reden. Sie empfingen sie zu jeder Tages- und Nachtzeit, hörten ihnen zu, versuchten, ihnen bei ihren Problemen zu helfen und beizubringen, wie man mit den kleinen Wehwehchen der Kinder umgeht. Sie veranstalteten sogar Abende mit Theater-, Gesangs- und Tanzaufführungen, an denen auch einige muslimische Dorfvorsteher teilnahmen. In Mali sind etwa 90 % der Bevölkerung Muslime. Schwester Gloria lebte im Norden des Landes. „Es gab keine verschlossenen Tore, keine Mauern“, sagt Schwester Gloria. Die Familien nahmen sie in ihren Häusern auf und teilten ihr Essen mit ihnen. Zum Beispiel wurden sie zum Abschluss des Ramadans zum Feiern in ihre Häuser eingeladen, und sie standen sich immer sehr nahe, erinnert sie sich im Gespräch mit ACN.
Sei still, damit Gott Dich verteidigt
Während ihrer langen Gefangenschaft, in der sie schwere Misshandlungen erlitt, hatte sie Zeit, über viele Dinge nachzudenken, über ihr Leben als Ordensfrau, über ihre Arbeit als Missionarin. Ihr gelang es, ihre Entführung als echte Chance zu begreifen. „Es ist eine Gelegenheit, die Gott mir gibt, um mein Leben zu sehen, wie ich Ihm antworte … eine Art Exodus.“
In der Abgeschiedenheit begleitete sie ebenfalls das Beispiel des heiligen Franz von Assisi mit dem Gebet des Friedens, der vollkommenen Freude und dem Segen für alle. Selbst wenn sie misshandelt wurde, dachte sie an den Heiligen: „Betrachte dies als eine Gnade“.
Jeder neue Tag stellte eine weitere Gelegenheit dar, Gott für das Leben zu danken, inmitten von so vielen Schwierigkeiten und Gefahren. „Wie könnte ich dich nicht loben, segnen und dir danken, mein Gott, weil du mich angesichts von Beleidigungen und Misshandlungen mit Frieden erfüllt hast?“ Sie sei für jede noch so kleine Sache dankbar gewesen, sagt sie im Gespräch mit ACN.
Im Angesicht des Leidens habe sie oft an die Lehren der Ordensgründerin, der seligen Maria Caridad Brader, gedacht: „Sei still, damit Gott dich verteidigt“, sowie an die Worte ihrer Mutter Rosa Argoty: „Sei immer gelassen, Gloria, sei immer gelassen“. Das Familienerbe sei so stark in ihr, dass ihr bei ihrer Entführung ein weiteres Wort ihrer Mutter geholfen habe, Gelassenheit zu bewahren: „Wenn jemand ein Streichholz ist, sei Du keine Kerze“. Den Satz habe sie als einfache Hommage an ihre im letzten Jahr verstorbene Mutter häufig wiederholt.
Selbst wenn sie grundlos oder nur deshalb geschlagen wurde, weil sie ihre Gebete verrichtete, sagte sie im Stillen: „Mein Gott, es ist hart, angekettet zu sein und geschlagen zu werden, aber ich lebe diesen Augenblick so, wie Du ihn mir schenkst … Und trotz allem möchte ich nicht, dass einer dieser Herren (ihre Entführer) zu Schaden kommt.“
Manchmal habe sie das Bedürfnis gehabt, sich ein wenig aus dem Lager zurückzuziehen, in dem sie gefangen gehalten wurde, um den Allmächtigen laut zu preisen. Sie habe dies getan und einige Psalmen sowie einige Gebete des Heiligen Franziskus rezitiert.
Einmal wurde einer der Gruppenführer, der sie bewachte, wütend. Er brachte sie ins Lager zurück, schlug sie und beschimpfte sie und Gott: „Mal sehen, ob dieser dein Gott dich hier rausholt“. Mit gebrochener Stimme erzählt Schwester Gloria: „Er sagte es mit sehr starken, sehr hässlichen Worten zu mir… Meine Seele war erschüttert von dem, was er sagte. Die anderen Wachen lachten sich über diese Beleidigungen kaputt. Ich ging auf ihn zu und sagte ihm ernsthaft: ‚Hören Sie, Chef, haben Sie bitte mehr Respekt vor unserem Gott; er ist der Schöpfer, und es tut mir wirklich sehr weh, dass Sie so über ihn reden’.“ Daraufhin hätten sich die Entführer angestarrt, als wären sie von der Kraft dieser einfachen, aber eindringlichen Klage berührt, und einer von ihnen habe gesagt: „Sie hat recht, rede nicht weiter so über ihren Gott“. Sie seien verstummt.
Die Ordensfrau ist sich sicher, dass Gott oder die allerseligste Jungfrau Maria in mindestens fünf Augenblicken konkret eingriffen, um sie zu schützen. So zum Beispiel, als eine große Schlange den Ort, an dem sie schlief, mehrmals umkreiste, ohne sich ihr zu nähern. Oder als ein sehr großer, stämmiger Wachmann sich plötzlich vor einen anderen stellte, der ihr die Pulsadern aufschneiden wollte.
Religionsfreiheit als Zeichen des Glaubens
Sie wurde zusammen mit einer Muslimin und einer Protestantin gefangen gehalten. In ihrer Arbeit als Missionarin hat Schwester Gloria Toleranz und Respekt für andere gelebt. Sie ist sich darüber im Klaren, dass dies für das Ergebnis ihrer Arbeit von wesentlicher Bedeutung ist: „Wenn wir die Freiheit des anderen respektieren, seine Religion zu leben, dann können wir den gleichen Respekt erhalten“.
Ein solcher Respekt wurde ihr jedoch bei ihrer Entführung nicht zuteil. Ihre Gefangenschaft sei eine Gelegenheit gewesen, ihren Glauben mutig zu bekennen, erklärt sie gegenüber ACN. „Sie verlangten von mir, dass ich Sätze aus muslimischen Gebeten nachspreche und islamische Kleidung trage. Aber ich habe immer wieder betont, dass ich im katholischen Glauben geboren und in dieser Religion aufgewachsen bin, und dass ich das um keinen Preis tauschen würde, selbst wenn es mich das Leben kosten würde“, wie es bei mehreren Gelegenheiten beinahe der Fall gewesen wäre.
„Aber mehr als mit Worten müssen wir den Glauben mit dem Zeugnis des Lebens verteidigen. Wir sind dazu berufen, Zeugen unseres Glaubens zu sein“. In diesem Zusammenhang erinnert sie daran, dass ihr kürzlich ein malischer Priester sagte, dass der Glaube seiner Gemeinde dank ihres Beispiels gewachsen und gestärkt worden sei.
Als habe die Zuneigung vieler Menschen vier Jahre und acht Monate lang eine Pause gemacht, erhält Schwester Gloria jetzt überall Zuwendung, wo sie hingeht, als Zeichen der Zärtlichkeit Gottes durch die Menschen. Wenn sie durch die Gänge des Klosters geht, in dem sie in Kolumbien zur Ordensfrau ausgebildet wurde, spürt sie, dass die Liebe, die sie von den Menschen empfängt, von grundlegender Bedeutung für die schrittweise Wiederherstellung ihres inneren Friedens ist. Mit dem eindringlichen Zeugnis ihres Glaubens ruft sie dazu auf, „beständig zu sein, weiter zu beten und nicht müde zu werden“.
Schließlich zögert die Schwester mit der ruhigen Stimme und dem gelassenen Blick keinen Augenblick, wenn sie sagt, dass sie so bald wie möglich wieder in die Mission gehen möchte – „nach Afrika oder wohin Gott will“. Denn sie glaubt, dass sie dazu berufen ist, auf alle Bedürfnisse ihrer leidenden Brüder und Schwestern einzugehen und „ihre Gemeinden zu einem Stückchen Himmel zu machen“ – so wie ihre Gründerin, die selige Caridad, es betonte.