Nowosibirsk: „Schwester, kommen Sie bald wieder“.

Erkrankt sind die Wenigsten; vom Lockdown und den wirtschaftlichen Folgen aber sind alle betroffen, die in der westsibirischen Millionenstadt Nowosibirsk leben – vor allem natürlich die, die schon vorher zu den Marginalisierten der Gesellschaft gehörten: Arme, Arbeitslose, alte Menschen, Kinder aus sozialschwachen Familien. Dies sind diejenigen, die jetzt ganz besonders im Fokus der Ordensschwestern der römisch-katholischen Diözese der Verklärung in Nowosibirsk stehen. Sie berichten dem Hilfswerk Aid to the Church in Need über ihre Herausforderungen in Zeiten der Pandemie.

Den ersten bestätigten Fall von Covid-19 hat Russland bereits am 20. Januar des Jahres verzeichnet. Etwas über eine halbe Million Erkrankungen, 7478 Todesfälle und eine vermutlich um Etliches höhere Dunkelziffer (Stand 17. Juni) sind seither registriert und haben das Land in den Lockdown geführt, der erst langsam wieder gelockert wird. Zentrum der Krise ist Moskau, aber auch in Sibirien breitet sich die Krankheit aus, wenn auch in geringerem Ausmaß. Allein im Stadtgebiet von Nowosibirsk wurden 4604 Coronafälle gemeldet, 62 Menschen starben.

Auch ohne die Pandemie ist die Arbeit dieser Schwestern eine Herkulesaufgabe. Die deutschstämmige Vinzentinerin Schwester Theresa Witschling fasst es so: „Russland – Sibirien; das ist ein Land, das die Menschen ‚ein Haus ohne Dach‘ nennen. Ein Land, das in seiner Geschichte ungezählte Verbannte und Zwangsumgesiedelte aufgenommen hat. Viele von ihnen sind den Märtyrertod gestorben. Sie starben an Hunger, unmenschlicher Fronarbeit, Kälte. Der lange kalte Winter und die kurzen heißen Sommer machen sofort klar: Hier lebt es sich schwer.“

Etwa eine Million Menschen mit katholischen, meist ukrainischen, polnischen oder deutschen, Wurzeln leben in der Diözese der Verklärung in Westsibirien – auf einer Fläche von 2 Millionen Quadratkilometern. Um die 40 Priester betreuen 70 Gemeinden. Riesige Entfernungen müssen sie dabei zurücklegen. Ohne die Hilfe von Ordensfrauen wäre die pastorale Betreuung der verstreut lebenden Gläubigen gar nicht denkbar.

Deshalb ist Schwester Theresa 2015 zusammen mit zwei Mitschwestern trotz der unwirtlichen Bedingungen nach Sibirien gekommen. Seither betreuen die Vinzentinerinnen in Slawgorod, südwestlich von Nowosibirsk, ein staatliches und ein kirchliches Kinderzentrum. „Die meisten der Kinder hier kommen aus schwierigen, sozialschwachen Familien, in denen es an elterlicher Fürsorge fehlt. Gleich ob beide Eltern den ganzen Tag für wenig Lohn arbeiten, oder ob ein Elternteil monatelang im Ausland arbeitet, um das Überleben der Familie zu sichern, immer bleiben die Kinder viel zu häufig sich selbst überlassen.“ Die Schwestern machen mit ihnen Hausaufgaben, bieten verschiedene kulturelle Projekte an und sorgen sie dafür, dass hundert Kindern ein Schulmittagessen bezahlt wird, häufig die einzige warme Mahlzeit des Tages ein. Darüber hinaus zweimal jährlich – im Sommer und im Winter – laden sie die Kinder zu „Ferien mit Gott“.

Mit der Pandemie hat sich all das geändert. „Unsere Tätigkeit hier ist jetzt komplizierter geworden. Viele Menschen haben ihre Arbeit verloren oder zumindest das Gehalt gekürzt bekommen. Sie klopfen bei uns an und bitten um Hilfe, wenigstens ein Stück Brot für die Kinder.“

Die Schwestern haben begonnen, Masken zu nähen, da wie überall in der Region nicht genügend Schutzmasken zur Verfügung stehen, und verteilen sie an ihre Schützlinge. Vor allem die Obdachlosen der Stadt lieben die Schwestern. „All diese Menschen haben ihre schmerzhaften Erinnerungen und seelischen Verletzungen. Sie kommen nicht nur wegen materieller Hilfe zu uns. Sie sind einfach dankbar für ein bisschen Herzlichkeit und Wärme.“ Es ist aber nicht nur das, was Menschen Trost und Hoffnung gibt: „Wir danken Gott dafür, dass wir jeden Tag die Möglichkeit haben die Eucharistie zu feiern. Als Antwort auf die Pandemie halten wir täglich Anbetung. An deren Ende geht der Priester mit der Monstranz auf die Straße und segnet mit den Heiligen Gaben Gemeinde und Stadt.“

Ordensfrauen in Russland an der Seite der Marginalisierten in der Coronakrise.
Ordensfrauen in Russland an der Seite der Marginalisierten in der Coronakrise.

Entfernungen überwinden

In Surgut, 1000 Kilometer Luftlinie nördlich von Nowosibirsk, sind zwei polnische Engelsschwestern leibhaftige Engel für die 140 Obdachlosen in einem Heim zur sozialen Rehabilitierung sind. Sie organisieren Kleider- und Lebensmittelsammlungen in der Pfarrei. Das ist gerade jetzt in der schwierigen Zeit überlebenswichtig.

Die Gemeinschaft kam 2011 zum ersten Mal nach Surgut, seit 2015 sind sie ständig hier, um die Pastoralarbeit in der St. Josefsgemeinde zu unterstützen. Nur hier gibt es eine “richtige” Kirche. Dank der Initiative und der Großzügigkeit einiger Gläubiger konnten aber auch in Nojabrsk, 320 Kilometer von Surgut entfernt, und im 190 Kilometer entfernten Kogalym Kapellen in Privathäusern eingerichtet werden. Hierher fahren die Schwestern in Begleitung eines Priesters regelmäßig alle zwei Wochen – in normalen Zeiten. „Wichtig ist die persönliche Beziehung zu den Gläubigen,“ stellt Schwester Tereza Jakubowska fest und träumt von weiteren Kapellen überall da, wo in der Region Katholiken wohnen. Wichtiger denn je, und umso schmerzlicher vermisst, wird daher die Möglichkeit an Gottesdiensten teilzunehmen. Deshalb übertragen die Engelsschwestern in Surgut wie viele andere Gemeinden auch täglich live die Heilige Messe und senden einen geistlichen Impuls für den Tag. „So bleiben wir in Kontakt.“

Das versucht auch Schwester Aljona Alakschowa aus der Bethanien-Gemeinschaft, die in Ischim seit 20 Jahren mit einer Mitschwester ihren Dienst in der Pfarrei der Göttlichen Barmherzigkeit versieht. „Katholiken gibt es hier wenige, und die leben verstreut in den Dörfern der Umgebung. Wenn sie mit dem Bus zu den Sonn- und Feiertagsgottesdiensten kommen, dann nehmen sie lange Wartezeiten in Kauf, bis sie am späten Nachmittag wieder zurückfahren können. Diese Wartezeit verkürzen wir ihnen, indem wir sie bei uns bewirten und mit ihnen sprechen. Es gibt keine bessere Möglichkeit, die Menschen der Gemeinde kennenzulernen“, bekräftigt Schwester Aljona. “In Zeiten des Coronavirus ist alles schwierig geworden. Die öffentlichen Verkehrsmittel fahren noch seltener, private Sammeltaxis kommen unregelmäßig und halten sich selten an den Fahrplan. So ist es für uns schwer geworden, Kranke zu besuchen, alleinstehenden, alten Menschen Einkäufe und Medikamente vorbeizubringen.” Die Gottesdienste müssen nun ohne Gläubige stattfinden. Aber Not macht erfinderisch: Die Schwestern haben jetzt eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet, die die Gemeinde vernetzt und auf dem Laufenden hält. So werden auch die Links zu Livestream-Gottesdiensten verbreitet.

Mit den Schwierigkeiten im Lockdown kämpfen alle Schwesterngemeinschaften des Bistums. Die Elisabethschwestern in Nowosibirsk vermissen die Besuche bei den Gemeindemitgliedern: „Durch unsere regelmäßigen Besuche waren wir zu Freunden geworden. Oft sagten sie uns beim Abschied: ‚Verlassen Sie mich nicht, Schwester. Kommen Sie bitte wieder!‘.“ Da hilft das gute alte Telefon. Damit halten auch die Elisabethschwestern in Nowosibirsk Kontakt mit all denen, die noch nicht im weltweiten Netz zuhause sind. Vor allem mit den älteren Menschen, die unter der Selbstisolierung (social distancing) besonders leiden.

Wie die meisten Kongregationen haben auch die Dienerinnen des Herrn und der Jungfrau von Matara in Omsk ihre pädagogische Tätigkeit ganz in die virtuelle Welt verlegt. Sie unterrichten Katechese per Videokonferenz, drehen mit einigen Jugendlichen sogar aufmunternde kleine Videos und entwickeln auf der Ebene ihrer Ordensprovinz eine rege Unterrichtstätigkeit, die weit über den Kreis Omsk hinausgeht. „Damit wollen wir die Jugendlichen auch in Coronazeiten dazu anregen über Gottes Wort nachzudenken. Wir beten, dass sogar diese nach menschlichem Ermessen schlimme Zeit, uns und alle Menschen dazu bringt, im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu Gott und dem Nächsten zu wachsen,“ erläutert Mutter Maria Glum.

Gebet: das stärkste Heilmittel

Die Karmelitinnen in Nowosibirsk, die einzige kontemplative Gemeinschaft der Diözese, setzen der Pandemie das Stärkste entgegen, das wir als Christen haben – das Gebet. Die Schwestern Teresamaria, Christina und Agnija schreiben: „Wir beten um die Heilung der Erkrankten, Trost für die Leidenden, Hilfe für das medizinische Personal und Schutz vor Ansteckung für die vulnerabelsten Personengruppen. Wir schließen in unsere Gebete auch die Wissenschaftler ein, die an der Entwicklung von Medikamenten und einem Impfstoff gegen das Virus arbeiten und vergessen nicht die Regierenden, die weitreichende sozio-ökonomische Probleme lösen müssen. Mit Dankbarkeit für die Hilfe, die wir von Ihnen empfangen, bringen wir dem Herrn unser Gebet immer auch für ACN und seine Wohltäter dar.“

ACN-International fördert alle 68 Schwestern an 18 Orten der Diözese der Verklärung in Nowosibirsk. Für die Schwestern wäre es nicht nur eine Enttäuschung, sondern eine Katastrophe“, wenn diese Hilfe ausbliebe, bestätigt der Ortsbischof Msgr. Joseph Werth – das gilt umso mehr in dieser Krise, wo auch die Kollekten in den Gemeinden ausbleiben.

Ebenso unterstützt ACN seit vielen Jahrzehnten die Schwesterngemeinschaften der anderen drei römisch-katholischen Bistümer Russlands in Moskau, Irkutsk und Saratow mit Ausbildungs- und Existenzhilfe, beim Bau und der Renovierung von Schwesternhäusern und bei der Beschaffung von Transportmitteln.

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