REGIONALE ANALYSE
Maritimes Asien
Zur Region Maritimes Asien werden die Malaiische Halbinsel, der Malaiische Archipel, Australien, Neuseeland und die zahlreichen kleinen Inselstaaten der indopazifischen Region gezählt. Religiöse Verfolgung trägt wesentlich zu Konflikten und Instabilität in diesem strategisch wichtigen Gebiet bei und ihr bei Weitem wichtigster Motor ist der militante Islamismus, der im Bündnis mit einer staatlichen Macht agieren kann oder auch von nichtstaatlichen Akteure und Bewegungen befeuert wird.
Diese auf eine islamistische Ideologie zurückzuführende Unterdrückung der Religionsfreiheit kann in der gesamten Region beobachtet werden, doch die extremsten Beispiele sind Malaysia und die Malediven (siehe Länderberichte). Während der radikale Islamismus in Malaysia selten gewaltsame Formen annimmt, setzt die Regierung sowohl auf Bundes- als auch auf Gliedstaatenebene eine rigide islamische Orthodoxie durch und bedient sich dazu eines Systems der Regulierung von Religionsgemeinschaften, das zu den einschneidendsten der Welt gehört. Als Wahldemokratie praktiziert Malaysia einen ethnoreligiösen Majoritarismus, der die religiösen Grundfreiheiten der muslimischen, ethnisch-malaiischen Mehrheit sowie der buddhistischen, hinduistischen und christlichen Minderheiten (überwiegend ethnische Chinesen und Inder) radikal einschränkt. Die Angehörigen der malaiisch-muslimischen Mehrheit haben im Grunde keine Religionsfreiheit, da der Staat die Art des Islam, an den sie glauben und den sie praktizieren müssen (eine bestimmte Schule des sunnitischen Islam) festlegt und vorschreibt, wodurch eine Konversion von dieser Form des Islam äußerst schwierig ist. Gleichzeitig erlegt der Staat den religiösen und ethnischen Minderheiten im Land rücksichtslos zahlreiche Einschränkungen auf. So dürfen z. B. Nicht-Muslime in Veröffentlichungen nicht das Wort „Allah“ für Gott gebrauchen[1] und die Missionierung malaiischer Muslime durch Nicht-Muslime ist strengstens verboten und strafbar. Mit dem Zusammenbruch einer kurzlebigen Reformregierung und der Rückkehr zu einer Hardliner-Regierung im Februar 2020 sind jegliche Aussichten auf eine Verbesserung der Bedingungen für die Religionsfreiheit geschwunden. In diesem Klima rief der ehemalige malaysische Premierminister Mahathir Mohamad im Oktober 2020 auf Twitter die Muslime der Welt dazu auf, „Millionen Franzosen zu töten“, um sich für die Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Mohammed in der französischen Zeitschrift Charlie Hebdo zu rächen.[2]
Der kleine Inselstaat der Malediven, südlich von Indien im Indischen Ozean gelegen, ist fest im Griff der staatlich verordneten islamischen Orthodoxie einerseits und eines nichtstaatlichen islamistischen Extremismus andererseits. Als eines der religiös repressivsten Länder der Welt schreiben die Malediven formell vor, dass die Bürger dem sunnitischen Islam anhängen müssen und verbieten jegliche nicht-muslimische Glaubensäußerung in der Öffentlichkeit; diese Regel gilt selbst für Touristen. Wie der Länderbericht zeigt, haben die Malediven seit dem Ende einer 30-jährigen Diktatur im Jahr 2008 zwar einige Fortschritte in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gemacht; doch hat das Land bisher weitgehend bei der Aufgabe versagt, dem gefährlichen Anstieg des dschihadistischen Extremismus Einhalt zu gebieten. Islamisten haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um demokratische Reformen aufzuhalten. Es ist ihnen dabei sogar gelungen, die Regierung derart unter Druck zu setzen, dass sie die einflussreichste Menschenrechts-NGO der Malediven Ende 2019 aufgelöst hat.[3]
Auch in mehreren anderen Staaten im Maritimen Asien sind die gravierenden Folgen des Islamismus für die Religionsfreiheit sichtbar. In Indonesien (dem mit Abstand bevölkerungsreichsten Land der Region und der größten muslimischen Nation der Welt) haben militante Islamisten, die mit Gruppen wie der Front Pembela Islam (FPI, Front der Islam-Verteidiger) verbunden sind und sich gegen die offizielle Pancasila-Ideologie der religiösen Toleranz in Indonesien stellen, weiterhin mit einigen kommunalen Regierungsbeamten zusammengearbeitet, um Gotteshäuser religiöser Minderheiten zu schließen. Besonders aufsehenerregend war allerdings ihr Zusammenschluss mit Geschäftsleuten und politischen Eliten,[4] um den christlichen, chinesisch-stämmigen Gouverneur von Jakarta, Basuki Tjahaja Purnama (bekannt unter seinem Spitznamen „Ahok“), zu stürzen. Nachdem Ahok im Jahr 2017 eine Wahlniederlage erlitten hatte, musste er eine zweijährige Haftstrafe wegen Blasphemie verbüßen und wurde im Januar 2019 freigelassen.[5] Auch auf den mehrheitlich katholischen Philippinen befeuert nichtstaatlicher Islamismus die gewalttätige Militanz der Terrororganisation Abu Sayyaf auf der großen, mehrheitlich muslimischen Südinsel Mindanao. Unterdessen hat das kleine Sultanat Brunei Darussalam im Berichtszeitraum ebenfalls Schritte zur Umsetzung einer kompromissloseren islamischen Ideologie unternommen. Im April 2019 führte Brunei ein Scharia-Strafgesetzbuch ein,[6] welches die Diffamierung des Propheten Mohammed, Apostasie und sogar Missionierungen unter Nicht-Muslimen verbietet und Strafen wie das Auspeitschen oder den Tod durch Steinigung vorsieht (siehe Länderberichte).
Zumindest in einigen wesentlichen Aspekten weicht Indonesien von dem Muster einer fortschreitenden Islamisierung und Radikalisierung ab, das heute in vielen Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit vorherrscht – sei es im Maritimen Asien, in Festland-Asien oder anderswo. Denn in Indonesien stehen den Anzeichen islamistischer Aktivität einige positive Trends im rechtlichen, politischen und religiösen Bereich gegenüber, die sich besonders in den letzten drei Jahren entwickelt haben. So wurde etwa mit einem weithin bejubelten Urteil des Verfassungsgerichts im Jahr 2017 der Schutz der Religionsfreiheit und der Zugang zu staatlichen Mittel auf indigene spirituelle Gemeinschaften ausgeweitet, die keiner der sechs offiziell im Land anerkannten Religionen angehören.[7] Des Weiteren konnte die Welle der islamistischen Mobilisierung, die Ahok zu Fall brachte, die Wahl des gemäßigten Präsidenten Joko Widodo im April 2019 nicht verhindern. Tatsächlich hat die Zurschaustellung islamistischer Macht in der Ahok-Affäre führende Persönlichkeiten in den Bereichen Politik und Religion dazu gebracht, Indonesiens politische und kulturelle Tradition der religiösen Toleranz zu stärken. Die Nahdlatul Ulama (NU; „Wiedererwachen der Gelehrten“) zum Beispiel, die größte zivilgesellschaftliche Bewegung des Landes und mit rund 90 Mio. Mitgliedern die größte islamische Organisation der Welt, verfolgt eine nationale und globale Kampagne, um Elemente der islamischen Orthodoxie, die den dschihadistischen Extremismus und religiöse Intoleranz gegenüber Nicht-Muslimen begünstigt haben, neu zu kontextualisieren. Ende Oktober 2020 empfing die NU den US-amerikanischen Außenminister Mike Pompeo in Jakarta, um das gemeinsame Engagement für Religionsfreiheit und unveräußerliche Menschenrechte zum Ausdruck zu bringen.[8]
Ermutigend ist außerdem, dass viele Länder der Region Maritimes Asien zu den religiös freiesten und friedlichsten der Welt gehören. Dazu zählen die großen Staaten Australien und Neuseeland, die mehrheitlich christlichen Staaten Papua-Neuguinea und Timor-Leste sowie die pazifischen Mikrostaaten Vanuatu, Samoa, Kiribati, Tonga, Mikronesien, Marshallinseln, Palau, Tuvalu, Nauru, Fidschi und Salomonen (siehe Länderberichte). Doch sind auch diese Länder nicht vor ernsthaften Herausforderungen gefeit: Das bemerkenswerteste Beispiel hierfür war sicherlich der Terroranschlag im neuseeländischen Christchurch, den ein australischer „White Supremacy“-Anhänger im März 2019 auf zwei Moscheen verübte, wo die Menschen sich zum Freitagsgebet versammelt hatten; bei dem Attentat wurden 51 Menschen getötet und mehr als 40 verletzt.[9] Darüber hinaus liegen Berichte über die Diskriminierung muslimischer Minderheiten in Australien, Papua-Neuguinea, Timor-Leste und auf den Marshallinseln vor. Vor allem Australien sieht sich anhaltender Kritik ausgesetzt – sowohl wegen mangelnder Offenheit gegenüber Menschen aus ganz Asien, die vor religiöser Verfolgung fliehen und Zuflucht suchen, als auch angesichts des Versagens, angemessene Einrichtungen für Asylsuchende zur Verfügung zu stellen.[10]
Quellen
[1] “Freedom of religion after the Catholic Herald,” Kairos Research Center, September 2014, http://www.krisispraxis.com/wp-content/uploads/2014/09/Freedom-of-Religion-after-the-Catholic-Herald.pdf (abgerufen am 19. Oktober 2020).
[2] "Muslims 'have the right to kill millions of French people', Malaysia's former PM says after church terror attack in Nice - as Scott Morrison slams 'abhorrent' comments", Daily Mail, 29. Oktober 2020; https://www.dailymail.co.uk/news/article-8893671/Muslims-right-kill-millions-French-people-Malaysias-former-PM-says.html
[3] "Maldives: NGO closure shows repression hasn’t gone away", Amnesty International, 5. November 2019; https://www.amnesty.org/en/latest/news/2019/11/maldives-ngo-closure-shows-repression-hasnt-gone-away/
[4] "Why hundreds of thousands of Muslims rallied against the Jakarta governor", The Conversation, 9. November 2016; https://theconversation.com/why-hundreds-of-thousands-of-muslims-rallied-against-the-jakarta-governor-68351
[5] "Ahok: Former Jakarta governor released early from prison", BBC News, 24. Januar 2019; https://www.bbc.com/news/world-asia-46982779
[6] "Brunei | Enforcement of Syariah Laws in Brunei Darussalam", ZICO Law, 7. Juni 2019; https://www.zicolaw.com/resources/alerts/brunei-enforcement-of-syariah-laws-in-brunei-darussalam/
[7] "Indonesian court rules in favor of religious freedom", Christian Science Monitor, 7. November 2017; https://www.csmonitor.com/World/Asia-Pacific/2017/1107/Indonesian-court-rules-in-favor-of-religious-freedom
[8] "Pompeo Says China 'Gravest Threat to Future of Religious Freedom'", VOA, 29. Oktober 2020; https://www.voanews.com/east-asia-pacific/pompeo-says-china-gravest-threat-future-religious-freedom
[9] "Christchurch shootings leave 50 people dead after attacks on mosques, as it happened", ABC News, 15. März 2019; https://www.abc.net.au/news/2019-03-15/christchurch-shooting-multiple-fatalities-mosque-new-zealand/10904416
[10] "Australia's offshore detention is unlawful, says international criminal court prosecutor", The Guardian, 15. Februar 2020; https://www.theguardian.com/australia-news/2020/feb/15/australias-offshore-detention-is-unlawful-says-international-criminal-court-prosecutorional-criminal-court-prosecutor