Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Die Präambel zur ungarischen Verfassung trägt der Bedeutung des Christentums in der Geschichte des Landes Rechnung: „Wir sind stolz darauf, dass unser König, St. Stephanus, vor tausend Jahren den ungarischen Staat auf solidem Boden errichtet und unser Land zu einem Teil des christlichen Europas gemacht hat.“ In der Präambel wird zudem „die Rolle des Christentums bei der Wahrung der nationalen Identität“ anerkannt. Die Artikel der Verfassung von 2011, die mit der Religionsfreiheit im Zusammenhang stehen, wurden 2016 geändert. In Artikel VII, Absatz 1 ist der Grundsatz der Religionsfreiheit verankert. Er nimmt Bezug auf Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Des Weiteren ist gemäß Artikel VII, Absatz 3 die Trennung von Kirche und Staat vorgesehen. Zugleich wird hierin auf die Bedeutung ihrer Zusammenarbeit bei „gemeinschaftlichen Zielen“ hingewiesen.
Die im Jahr 2020 geänderte Verfassung sieht in Artikel XVI vor, dass „das Recht der Kinder auf eine Identität im Einklang mit ihrem Geschlecht bei der Geburt“ geschützt und ihre Erziehung „im Sinne der Werte, die in unserer Verfassung und in der christlichen Kultur unseres Landes verankert sind,“ gewährleistet wird.
2018 wurden das umstrittene Kirchengesetz reformiert und Kategorien für die Anmeldung von Glaubensgemeinschaften bei ungarischen Gerichten festgelegt. Während 14 religiöse Organisationen infolge des reformierten Gesetzes ihren rechtlichen Status beibehalten konnten, wurde er mehr als 300 Religionsgemeinschaften aberkannt. Nach dem neuen Kirchengesetz gibt es die folgenden vier Kategorien: etablierte, registrierte oder gelistete Glaubensgemeinschaften sowie die allgemeinere Kategorie mit der Bezeichnung „religiöse Verbände“. Zu den 32 etablierten Glaubensgemeinschaften gehören die meisten christlichen Kirchen (wie die Katholische, die Evangelische und die Orthodoxe Kirche), jüdische Gemeinschaften und andere Weltreligionen (z. B. der Buddhismus, der Islam und der Hinduismus). Die als etabliert anerkannten Glaubensgemeinschaften erhalten für ihre gemeinnützige Arbeit erhebliche staatliche Zuschüsse. Seit 2020 können Steuerzahler 1 % ihrer Einkommensteuerabgaben einer Religionsgemeinschaft zukommen lassen, die unter eine der vier Kategorien fällt.
Laut Kirchengesetz kann der Staat mit eingetragenen Religionsgemeinschaften Verträge abschließen. Mit etablierten Kirchen können auf der Grundlage ihrer geschichtlichen Relevanz, ihrer sozialen Akzeptanz und Bedeutung sowie ihrer sozialen Verantwortung umfassende Verträge mit Gesetzescharakter geschlossen werden. Neben staatlichen Verträgen mit dem Heiligen Stuhl über die Finanzierung öffentlicher Dienste und religiöser Tätigkeiten bilden Vergleichsvereinbarungen aufgrund der Beschlagnahme von Eigentum während der kommunistischen Ära die Grundlage für formale Abkommen mit anderen Religionsgemeinschaften im Land, darunter die Reformierte Kirche in Ungarn, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Ungarn, der Verband der Jüdischen Glaubensgemeinschaften Ungarns (Mazsihisz) und vier orthodoxe Kirchen.
Schüler an staatlichen Schulen müssen in den ersten acht Schuljahren eine Stunde pro Woche am Religions- oder Ethikunterricht teilnehmen. Eltern können dabei entscheiden, ob Religionsunterricht im Sinne einer etablierten Glaubensgemeinschaft oder Ethikunterricht von den Lehrkräften der staatlichen Schulen erteilt wird. Auf Antrag von Eltern oder Schülern können Religionsgemeinschaften, die nicht als etablierte Glaubensgemeinschaft eingestuft sind, Religionsunterricht anbieten, doch sind sie dazu nicht verpflichtet. Ferner kann eine Glaubensgemeinschaft die Leitung einer öffentlichen Schule übernehmen, „wenn mehr als 50 % der Eltern und erwachsenen Schüler der entsprechenden Schule eine Petition unterzeichnen und das Ministerium für Humankapazitäten diesem Schritt zustimmt“. Bei einer Genehmigung erhält die Schule weiterhin Finanzhilfen vom Staat. Von 2021 bis 2022 wurden 19,6 % der Grund- und Sekundarschulen kirchlich betrieben.
In Ungarn werden bestimmte religionsfeindliche Handlungen strafrechtlich verfolgt. Auf religiös motivierte Angriffe und Gewalthandlungen gegen Geistliche steht eine Freiheitsstrafe von ein bis fünf Jahren. Geplante Gewalthandlungen, die sich gegen Mitglieder von Religionsgemeinschaften richten, gelten als Vergehen und werden mit einer Haftstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet. Bei der Verleumdung des Holocaust, des Völkermords und von anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von den Nationalsozialisten oder dem kommunistischen Regime verübt wurden, werden Haftstrafen von bis zu drei Jahren verhängt. Ferner wird das Tragen eines Nazisymbols oder eines Symbols der Pfeilkreuzler (einer ehemaligen ungarischen Partei, die mit den Nationalsozialisten verbündet war) mit bis zu 90 Tagen Haft bestraft.
Vorkommnisse und aktuelle Entwicklungen
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa verzeichnete in ihrem Jahresbericht 2021 zehn antisemitische Hassverbrechen in Ungarn. Bei den Straftaten handelte es sich um Bedrohungen und gewaltsame Angriffe. Bei einem Vorfall wurden Juden, die der Eröffnung einer neuen Synagoge beiwohnten, bedroht, bespuckt und mit einem Baseballschläger attackiert.
Im Jahr 2007 hatte Ungarn die Zahlung von 21 Millionen US-Dollar an ungarische Holocaust-Überlebende im In- und Ausland über einen Zeitraum von fünf Jahren zugesagt. Diese Zahlungen galten als Teilentschädigung für die im Zweiten Weltkrieg beschlagnahmten jüdischen Vermögenswerte ohne Erben, die als solche nicht eingefordert wurden, und sollten auf spätere Zahlungen angerechnet werden. In einem Schreiben an die World Jewish Restitution Organization (Jüdische Weltorganisation für die Restitution von Vermögenswerten, WJRO) erklärte Ungarn 2021, dass die Entschädigungsansprüche abgegolten seien und es „nicht mehr möglich sei, Entschädigungsleistungen für verlassenes jüdisches Eigentum, sei es in Ungarn oder im Ausland, zu erbringen“. Berichten zufolge stimmte Ungarn Ende 2022 zu, den Entschädigungsumfang von Experten prüfen zu lassen.
Während einer 2023 abgehaltenen Veranstaltung für jüdische Führungskräfte und Akademiker in Ungarn erklärte der israelische Botschafter in Budapest, dass „Ungarn und Italien die sichersten Orte für Juden seien“.
Bei einem Brandanschlag auf eine griechisch-orthodoxe Kirche im März 2021 wurden Kirchenbänke in Brand gesetzt und eine Ikone mit brennbaren Chemikalien besprüht.
Mit einer im April 2020 veröffentlichten Karikatur wurde Ungarns Oberste Amtsärztin Cecilia Müller dafür kritisiert, dass sie nach Meinung einiger Menschen versuchte, die Zahl der Toten während der Covid-19-Pandemie herunterzuspielen. In der Karikatur steht die Ärztin vor Jesus am Kreuz und sagt: „Seine Grunderkrankung ist schuld an der Sucht [bzw. am Tod].“ (Hintergrund für diese Darstellung ist die Tatsache, dass Cecilia Müller stets ein goldenes Kreuz am Hals trägt.) Als Antwort darauf reichte der Abgeordnete der Christlich-Demokratischen Volkspartei Imre Vejkey Klage wegen eines Verstoßes gegen Artikel IX, Absatz 5 der Verfassung ein. Dieser besagt, dass die freie Meinungsäußerung die Würde einer Glaubensgemeinschaft nicht verletzen darf. Das zunächst gefällte Gerichtsurteil, dem zufolge das Christentum durch die Karikatur nicht verspottet werde, löste eine gemeinsame Erklärung der Katholischen Bischofskonferenz in Ungarn aus. Im Anschluss daran stellte das Gericht im Juni 2021 fest, dass die Würde des Klägers durch die Karikatur verletzt worden sei. Die Zeitung, in der die Karikatur erschienen war, wurde „zur Zahlung von 1.140 Euro an Imre Vejkey, zur Erstattung der Gerichtskosten und zur Veröffentlichung einer Entschuldigung auf der Titelseite“ verurteilt.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
In Ungarns Verfassung und Gesetzgebung werden christliche Werte und das christliche Erbe eindeutig hochgehalten. Aber auch religiöse Minderheiten können in Ungarn ihren religiösen Bräuchen weiterhin ungehindert nachgehen. Deshalb bleiben die Perspektiven für die Religionsfreiheit positiv.