Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Die Gewissensfreiheit ist in der Verfassung Tadschikistans verankert. Zugleich wird sie durch das 2009 erlassene Religionsgesetz erheblich eingeschränkt, denn dieses Gesetz verbietet Aktivitäten nicht registrierter religiöser Gruppen sowie privaten Religionsunterricht und Missionstätigkeit. Das Religionsgesetz räumt der hanafitischen Rechtsschule einen Sonderstatus ein, verleiht dem Staat aber auch weitreichende Befugnisse, in religiöse Angelegenheiten und in die Ausübung des islamischen Glaubens einzugreifen. Demnach ist der Staat berechtigt, Imame zu ernennen, den Inhalt von Predigten vorzugeben und religiöse Schriften zu zensieren. Gemäß dem 2011 erlassenen Gesetz über die elterliche Verantwortung ist es Minderjährigen untersagt, an religiösen Aktivitäten teilzunehmen.
Im August 2021 trat ein Gesetz in Kraft, das tadschikischen Männern die Möglichkeit gibt, gegen Zahlung von umgerechnet etwa 2.200 US-Dollar eine einmonatige Militärausbildung anstelle der zwei Jahre dauernden Wehrpflicht zu absolvieren. Für Zeugen Jehovas stellt dies keine Alternative zum obligatorischen Militärdienst dar, den sie aus Gewissensgründen verweigern.
Ab Oktober 2021 befasste sich das tadschikische Parlament mit Änderungen des Strafrechts, die dann am 23. Dezember beschlossen wurden. Gemäß den neuen Vorschriften gilt das unerlaubte Erteilen von Religionsunterricht, auch online, nicht mehr wie bisher als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat, die mit einer Geldstrafe von bis zu 76.000 Somoni (etwa 6.800 US-Dollar) oder einer Haftstrafe von bis zu 3 Jahren geahndet werden kann. Im Dezember 2021 wurden mit einer Änderung von Paragraf 474 des Verwaltungsgesetzes die Strafen für Verstöße gegen das Religionsgesetz im Durchschnitt verdoppelt.
Vorfälle und aktuelle Entwicklungen
Tadschikistan wird seit 1992 von Präsident Emomalij Rahmon regiert, seit 1994 als Präsident. Der Staat setzt sich intern gegen oppositionelle Gruppen (insbesondere die verbotene Islamische Partei der Wiedergeburt Tadschikistans – IRPT) zur Wehr und sieht sich von extremistischen Gruppen aus den Nachbarstaaten China, Usbekistan, Kirgisistan und Afghanistan bedroht.
Das Thema Religion war in Tadschikistan schon immer umstritten. Nach dem Austritt aus der Sowjetunion im Jahr 1991 kam es 1992 zu einem Bürgerkrieg, der 1997 damit endete, dass der Machthaber Rahmon eine Allianz aus Islamisten, lokalen ethnischen Minderheiten und Liberalen niederschlug.
1999 und 2003 setzte die Regierung unter Rahmon weitreichende Gesetzesmaßnahmen zur Terrorismusbekämpfung um. Die vage formulierten Rechtsvorschriften wurden genutzt, um die Opposition zu unterdrücken, hatten aber auch Auswirkungen auf die Religionsfreiheit. Im März 2016 stellte der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye, fest: „Besonders beunruhigend ist die Tatsache, dass die Begriffe ‚Extremismus‘ und ‚Terrorismus‘ in den Rechtsvorschriften zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus nicht klar definiert sind. Die bestehenden Vorschriften räumen dem Generalstaatsanwalt einen großen Ermessensspielraum ein, und die Gerichte haben kaum Möglichkeiten zu verhindern, dass diese Bestimmungen auch auf Parteien und Verbände angewendet werden.“
Am 2. Januar 2018 stimmte Präsident Rahmon einer Änderung des Religionsgesetzes von 2009 zu, die darauf abzielte, die Mitgliedschaft in extremistischen Organisationen einzuschränken. Als extremistisch gelten unter anderem Organisationen, deren Bestreben es ist, das Land zu destabilisieren, die verfassungsmäßige Ordnung zu untergraben, die Macht zu ergreifen und religiösen Hass zu schüren. In der Liste der staatlich verbotenen Organisationen sind unter anderem die Muslimbruderschaft und salafistische Bewegungen aufgeführt, die beschuldigt werden, mit terroristischen Mitteln politische Ziele zu verfolgen. Den Salafisten wird außerdem vorgeworfen, dass sie keine anderen Richtungen des Islam wie die Schia und den Sufismus anerkennen und eine potenzielle Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellen. Nach Meinung des tadschikischen Rates der Ulema sind salafistische Ansichten nicht mit der traditionellen Auslegung des Glaubens vereinbar und puritanische Lehren für Tadschikistan nicht angemessen.
2018 kam es in Tadschikistan zu einem Terroranschlag auf Touristen, zu dem sich die islamistische Terrorgruppe IS bekannte. Am 19. Mai 2019 kamen bei einem Gefängnisaufstand in Wahdat 29 Gefangene und 3 Wachleute ums Leben. Auch für diesen Vorfall erklärte sich der IS verantwortlich. Seit die Taliban im benachbarten Afghanistan im August 2021 die Macht übernahmen, hat in Tadschikistan die Furcht vor extremistischen Bedrohungen zugenommen.
Der Staat hat über den Rat der Ulema und den Ausschuss für Religiöse Angelegenheiten großen Einfluss auf die Religionsausübung. Es obliegt ihm, Imame und Geistliche zu ernennen und Moscheen zu genehmigen. Zudem sieht er Altersbeschränkungen für die Pilgerreise nach Mekka vor und verbietet die öffentliche Zurschaustellung des Glaubens, zum Beispiel durch das Tragen des Hidschab.
Im Vorfeld der 146. Sitzung des UN-Menschenrechtsausschusses und der Prüfung des Staatenberichts von Tadschikistan reichten die Nichtregierungsorganisationen Khoma und Article 19 im Juni 2019 in Bezug auf Paragraf 3 des Gesetzes zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus eine Beschwerde ein, in der es heißt: „… als extremistisch werden auch Aktivitäten eingestuft, die Bürger aufgrund ihrer Religion, ihrer sozialen Stellung, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Nationalität oder ihrer religiösen oder sprachlichen Identität ausschließen, bevorzugen oder benachteiligen, sowie die ‚Beschädigung nationaler Interessen’ und die ‚Untergrabung der Sicherheit der Republik Tadschikistan‘.“
Im Januar 2020 trat ein neues Gesetz zur Bekämpfung von Extremismus in Kraft, das den Behörden weitreichende Befugnisse zur Beschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung einräumt. Muslime, die extremistischen Gruppierungen zugerechnet werden, wurden zu Haftstrafen verurteilt.
Im April 2021 wurden 119 Menschen wegen Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft zu Haftstrafen von bis zu 23 Jahren verurteilt.
Am 4. Juni 2021 wurde der Imam Mahmadsodyk Sayidov zu 5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, weil er mit dem Herausgeber der verbotenen Website Isloh.net zusammengearbeitet haben soll. Außerdem soll er sich geweigert haben, eine durch den Staatlichen Ausschuss für Religiöse Angelegenheiten vorgegebene Predigt zu halten.
Im Juli 2021 wurden 14 Einwohner der Provinz Sughd wegen Mitgliedschaft in einer salafistischen Gruppierung zu mehr als 5 Jahren Haft verurteilt. Die Angeklagten gaben an, dass ihre Geständnisse unter Folter erzwungen wurden.
Mehrfach wurde berichtet, dass Frauen auf der Straße von Behördenvertretern angehalten und aufgefordert wurden, ihre islamische Kopfbedeckung abzunehmen. Im Juli 2021 wurde mehreren Frauen, die den Hidschab trugen, der Zutritt zu Schulen und Krankenhäusern verweigert.
Das seit 2016 geltende Verbot von religiösen Privatschulen (und des Religionsunterrichts über das Internet) wurde durch die Änderung des Strafrechts am 6. Oktober 2021 verschärft. Im Zeitraum von 2019 bis September 2021 ermittelten die tadschikischen Behörden 1.833 Fälle von rechtswidrigem Religionsunterricht. Der erste Stellvertretende Vorsitzende des Staatlichen Sicherheitsausschusses, Nusratullo Mirzoyev, erklärte in seinem Bericht: „95 % der jungen Menschen, die Gruppierungen und Organisationen mit radikalen Tendenzen beitreten, wurden in religiösen Privatschulen unterrichtet.“ Im zweiten Halbjahr 2021 wurden 10 tadschikische Kinder, die eine Religionsschule in Bangladesch besuchten, zwangsweise in ihre Heimat zurückgebracht.
Auch Angehörige von Regierungskritikern müssen mit Bestrafung rechnen. Shohida Mamadjonowa, die Mutter des in Deutschland lebenden Bloggers Sherzod Mamadjonov (Schersod Mamadschonow), der die tadschikische Regierung wegen ihrer restriktiven Haltung gegenüber praktizierenden Muslimen kritisiert, wurde im April 2022 wegen extremistischer Tendenzen zu 6 Jahren Haft verurteilt.
Ende Mai 2022 setzte der Vorsitzende des Staatlichen Ausschusses für Religiöse Angelegenheiten, Sulaymon Davlatzoda, führende Vertreter der protestantischen Kirchen davon in Kenntnis, dass künftig keine neuen Kirchen mehr registriert werden.
Im Gegensatz zu den protestantischen Kirchen, die sich mit Beschränkungen konfrontiert sehen, können traditionelle Gemeinschaften wie die Katholische Kirche ohne übermäßige Einmischung des Staats wirken. Im Juni 2021 feierte die katholische Gemeinde, die aus rund einhundert Gläubigen besteht, die Eröffnung des ersten Klosters des kontemplativen Lebens in Tadschikistan, das dem heiligen Johannes Paul II. geweiht ist.
Nicht traditionelle Gemeinschaften können ihren Glauben nur unter erschwerten Bedingungen ausüben. Dies gilt insbesondere für die Zeugen Jehovas, die 2007 verboten wurden. Shamil Khakimov, ein Angehöriger dieser Glaubensgemeinschaft, der 2019 wegen des Schürens von religiösem Hass festgenommen wurde, durfte im September 2021 nicht an der Beerdigung seines Sohnes teilnehmen und bleibt trotz gesundheitlicher Probleme in Haft. Rustamjon Norov, ebenfalls ein inhaftierter Zeuge Jehovas, wurde durch den Präsidenten begnadigt und kam am 21. September 2021 frei. Er war Anfang 2021 zu 3 Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er den Militärdienst verweigert hatte.
Im Juni 2021 legten Rechtsanwälte dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein Dossier vor, in dem die tadschikische Regierung beschuldigt wird, bei der rechtswidrigen Rückführung uigurischer Flüchtlinge mit China zusammenzuarbeiten. Demnach würde sie es zulassen, dass chinesische Uiguren auf ihrem Staatsgebiet von chinesischen Staatsbediensteten aufgegriffen und nach China zurückgeführt werden.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Tadschikistan ist das ärmste Land Zentralasiens. Die vergangenen Jahre waren von wirtschaftlichen Herausforderungen, Terroranschlägen und der ständigen Furcht vor in- und ausländischen Extremisten geprägt. Der Staat reagierte darauf mit einer Verschärfung der Gesetze und einer weiteren Beschränkung des Rechts auf Religionsfreiheit. Die Machtübernahme der Taliban im benachbarten Afghanistan hat die Angst vor einem Überschwappen der extremistischen Gewalt nochmals verstärkt und dient als Rechtfertigung für die Verschärfung der Rechtsvorschriften. In Anbetracht der Tatsache, dass das religiöse Leben in nahezu all seinen Ausprägungen nach wie vor unterdrückt wird, besteht insbesondere für die Anhänger „nicht traditioneller“ Glaubensrichtungen kaum Aussicht auf eine baldige Besserung der Lage.