Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Die Verfassung des Südsudan wurde seit seiner Gründung nicht geändert. Ursprünglich sollten bis zum 9. Juli 2015 nationale Wahlen abgehalten werden, die ersten seit der Unabhängigkeit vom Sudan im Jahr 2011. Im Anschluss daran sollte ein Verfassungsprozess stattfinden, jedoch wartet das Land immer noch auf diese Wahlen, die nun für 2024 geplant sind.
In Artikel 8 der geltenden Interimsverfassung der Republik Südsudan, die am 9. Juli 2011 ratifiziert und in den Jahren 2013 und 2015 geändert wurde, ist die Trennung von Kirche und Staat verankert; darüber hinaus wird die Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften garantiert und erklärt, dass Religion nicht als Instrument der Spaltung eingesetzt werden darf.
Gemäß Artikel 14 sind alle Menschen „vor dem Gesetz gleich und haben Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrer ethnischen Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer Sprache, ihrem religiösen Glauben, ihrer politischen Überzeugung, dem Geburtsort, ihrem Wohnort oder ihrer sozialen Stellung“.
Artikel 23 definiert die religiösen Rechte im Lande.
Generell herrscht in der südsudanesischen Gesellschaft ein hohes Maß an Offenheit gegenüber Religion. Christliche und muslimische Gruppen beteiligen sich an gemeinsamen Initiativen, und religiöse Gemeinschaften können sich beim Ministerium für humanitäre Angelegenheiten über die Kommission für Nothilfe und Rehabilitation registrieren lassen. Bei den meisten öffentlichen Veranstaltungen werden Gebete von christlichen und muslimischen Vertretern verlesen, und die Regierung stellt in der Regel eine Übersetzung vom Englischen ins Arabische zur Verfügung.
Mehrere religiöse Gruppen sind außerdem in staatlichen Institutionen vertreten. Präsident Kiir Mayardit ist Katholik, während Sheikh Juma Saaed Ali, ein hochrangiger Berater für religiöse Angelegenheiten, ein Vertreter der islamischen Gemeinschaft des Südsudan ist.
Religionsunterricht ist zwar nicht verpflichtend, aber „in den Lehrplänen der öffentlichen Sekundarschulen und Universitäten enthalten“, wobei die Schüler zwischen Kursen zum Christentum oder Islam wählen können. Private Schulen in religiöser Trägerschaft können die Inhalte des Religionsunterrichts frei gestalten.
Vorkommnisse und aktuelle Entwicklungen
Am 9. Juli 2021 wurde der 10. Jahrestag der Unabhängigkeit des Südsudan begangen. Nach 22 Jahren Krieg mit dem Norden wurden die ersten zwei Jahre der freudigen Unabhängigkeit durch Gewalt zwischen den Volksgruppen und dem Bürgerkrieg überschattet. Heute gibt es zwar ein Friedensabkommen, aber die Zukunft des jungen Staates ist nach wie vor ungewiss. In einem Bericht vom Juli 2021 erklärte die Nichtregierungsorganisation Médecins Sans Frontières (MSF, Ärzte ohne Grenzen): „Heute sind schätzungsweise 8,3 Millionen Menschen – mehr als zwei Drittel der Bevölkerung – dringend auf humanitäre Hilfe und Schutz angewiesen. In der bislang größten Flüchtlingskrise Afrikas sind zurzeit 2,2 Millionen Südsudanesen in den Nachbarländern untergebracht. Mehr als 1,6 Millionen Menschen gelten nach wie vor als Binnenvertriebene.”
Auch das instabile Gesundheitssystem steht unter Druck und ist nicht in der Lage, den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden. Tod, Vertreibung, Krankheit und psychischen Traumata bestimmt das Leben vieler Menschen im Südsudan. MSF berichtet, dass „täglich drei bis fünf Kinder in verschiedenen Flüchtlingslagern und Schutzzonen für Zivilisten an vermeidbaren Krankheiten wie Malaria sterben“.
Die Achtung der Menschenrechte bleibt weiterhin gefährdet. Ein am 31. März 2021 von der Menschenrechtsabteilung der UN-Mission im Südsudan veröffentlichter Jahresbericht über Gewalt gegen Zivilisten dokumentiert „die Tötung von 2421 Zivilisten in 2020, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr“. Laut Bericht beschränkte sich die Gewalt auf bestimmte Regionen und involvierte hauptsächlich lokale Milizen. In einem Bericht von Human Rights Watch vom 9. Juli 2021 werden Faktoren wie „aus dem Krieg herrührende Missstände und der Streit um Land, Vieh und Weideland“ genannt, die dazu geführt haben, dass „hunderttausende Menschen getötet oder vertrieben wurden“, dass „die Gewalt zwischen den Gemeinschaften zugenommen hat“ und dass „politische und militärische Entscheidungsträger die Gewalt noch verstärkt haben, indem sie den Gemeinschaften Waffen geliefert haben“.
Angesichts der Besorgnis über die Regierung und die politische Elite des Südsudan, wobei Sicherheitskräfte ebenfalls der Menschenrechtsverletzungen verdächtigt werden, sind religiöse Vertreter oft die einzigen gesellschaftlichen Akteure, die über die notwendige glaubwürdige moralische Autorität verfügen, um Gewalttaten und Ungerechtigkeiten anzuprangern. Diese beinahe prophetische Rolle gefährdet oft die persönliche Sicherheit der religiösen Vertreter, die ihre Meinung kundtun.
Am 16. Mai 2021 wurden bei einem Angriff auf das nördliche Dorf Dungob Alei 13 Menschen getötet und acht verletzt. Erzbischof Justin Badi-Arama rief zum Gebet auf und sagte, dass „das Dorf von sudanesischen Milizionären barbarisch angegriffen wurde“. Obwohl die Identität der Täter nicht bekannt ist, wies die Episkopalkirche des Südsudan darauf hin, dass die Diözese Abyei in „einem Gebiet liegt, das islamischen Übergriffen ausgesetzt ist, gefolgt von Schikanen, Einschüchterungen und häufigen Angriffen durch arabisch-islamische Milizen“.
Im Juni 2021 wurden vier Kirchenmitglieder, darunter ein Pastor und ein Kind, von Männern in Uniform im Bezirk Lainya im Bundesstaat Zentral-Äquatoria getötet. Erzbischof Paul Yugusuk von der Inneren Provinz der Episkopalkirche des Südsudan im Bundesstaat Zentral-Äquatoria erklärte, Pastor Comas Kwaje Matayo sei zusammen mit drei Gemeindemitgliedern entführt worden, als er den Sonntagsgottesdienst leitete. Alle vier wurden später getötet.
Am 16. August 2021 überfielen unbekannte Angreifer auf einer Autobahn in der Nähe der Hauptstadt Dschuba einen mit römisch-katholischen Gläubigen besetzten Personenwagen und töteten fünf Menschen, darunter zwei katholische Nonnen, die Schwestern Mary Abbud und Regina Robe. Die Pilger befanden sich auf dem Rückweg von der Pfarrei Loa, wo zuvor Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen der Kirche stattgefunden hatten.
Am 31. Dezember 2021 meldete Erzbischof Paul Yugusuk, dass drei Soldaten der South Sudan People's Defence Forces (südsudanesische Streitkräfte, kurz SSPDF) „Christen zwangen Alkohol zu trinken, Zivilisten ausraubten und fünf Männer in eine Hütte trieben, bevor sie diese im Bezirk Lainya an Heiligabend anzündeten“. Zwar konnten die fünf Männer aus der brennenden Hütte entkommen, jedoch wurden drei Frauen entführt und fünfzehn Gemeindemitglieder verletzt. Der Bischof sagte: „Werte Regierung und Streitkräfte, dies ist eine Zeit des Friedens, die Zeit des Weihnachtsfestes; da erwartet man nicht, dass Christen gezwungen werden, Alkohol zu trinken und in eine Hütte gesperrt und verbrannt werden.“
Im Januar 2022 verübten islamistische Extremisten einen Anschlag auf eine christliche Gemeinde in dem Dorf Yith Pabol. Bei dem Vorfall wurden 28 Menschen getötet und 57 Häuser niedergebrannt. Am 6. Januar erklärte Bischof Joseph Mamer Manot, dass „es zu Massenvertreibung gekommen ist und die humanitäre Lage besorgniserregend ist, da Nahrungsmittel und anderes Eigentum in Schutt und Asche gelegt wurden und die Überlebenden keinen Zugang zu Unterkünften, Lebensmitteln und sauberem Trinkwasser haben“. Noch in derselben Woche wurde ein ähnlicher Anschlag im Nachbardorf Miodol gemeldet, bei dem vier Menschen ums Leben kamen.
Am 14. Februar wurden bei einem Angriff auf den Aneet-Markt ein Kirchenältester getötet und mehrere religiöse Gebäude zerstört. Unter anderem wurden Gebäude der Pfingstkirche und der Evangelisch-Presbyterianischen Kirche des Sudan (Sudan Presbyterian Evangelical Church, SPEC) sowie eine örtliche Moschee zerstört. Darüber hinaus kam es zu Beschädigungen an Gebäuden der Episkopalkirche und der katholischen Kirche. Der Stamm der Tuj Ajakjch, die den Angriff auf die Stadt Aneet ausgeübt hat, behauptete, dass diese ihnen gehöre, und forderte alle Bewohner auf, die Stadt zu verlassen.
Am 27. Februar wurden zwei Leiter der sudanesischen Kirche Christi (Sudanese Church of Christ, SCOC) verhaftet. Das Kirchenmitglied Dalman Hassan erklärte, dass „den Christen ‚Feindseligkeit gegenüber dem Islam‘ vorgeworfen wurde, weil sie am muslimischen Gebetstag in der Moschee Gottesdienste abhielten“, und dass die „strenggläubigen Muslime die Kirche auch beschuldigten, Kinder mit Lebensmitteln zu versorgen, um sie für das Christentum zu gewinnen, und ihr Land für das Gotteshaus wegzunehmen“. Beide Christen wurden innerhalb von 24 Stunden nach ihrer Verhaftung freigelassen.
Nach wiederholten Verzögerungen aufgrund von Sicherheitsbedenken war der Besuch von Papst Franziskus im Südsudan für den 5. bis 7. Juli 2022 geplant. Der Nuntius erklärte: „Papst Franziskus ist die Versöhnung sehr wichtig, da sie den Weg ebnet für Gerechtigkeit. Ich denke, er will als Brücke zwischen den gegnerischen Parteien im Südsudan dienen, um die Menschen zusammenzubringen.“ Am 10. Juni 2022 verschob der Papst seine Afrikareise jedoch erneut aufgrund starker Knieschmerzen, wobei er klarstellte: „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“ Der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, sagte über die gemeinsame Reise, er bete für Papst Franziskus, seinen „geliebten Bruder“: „Ich teile die Enttäuschung darüber, dass unsere Reise in den Südsudan abgesagt werden musste.“ Welby fügte hinzu: „Meine Gedanken sind bei den Menschen im Südsudan, ihre Herausforderungen und ihre Hoffnung auf Frieden, und ich hoffe, dass ich eines Tages diese historische Reise unternehmen kann.“
Am 2. Juli, dem Tag, an dem die Apostolische Reise beginnen sollte, schickte Papst Franziskus eine Videobotschaft sowohl in die Demokratische Republik Kongo als auch in die Republik Südsudan, um sein tiefes Bedauern auszudrücken: „Der Herr kennt das Ausmaß meines Bedauerns darüber, dass ich gezwungen bin, diesen lang ersehnten und lang erwarteten Besuch zu verschieben. Verlieren wir nicht den Glauben, sondern hegen wir die Hoffnung, uns so bald wie möglich zu treffen.“
Vom 1. bis zum 8. Juli 2022 reiste Pietro Kardinal Parolin, der Staatssekretär des Heiligen Stuhls, als Vertreter des Papstes nach Südsudan. Während seines Besuchs fanden Treffen mit Binnenvertriebenen und Betroffenen der Überschwemmungen in Bentiu im Bundesstaat Unity statt. Daneben ging er weiteren pastoralen und politischen Verpflichtungen nach. Kardinal Parolin wurde auf den höchsten Regierungsebenen empfangen: Der Präsident der Republik Südsudan, die Vizepräsidenten, andere Regierungsvertreter und Vertreter der verschiedenen christlichen und muslimischen Religionsgemeinschaften des Landes waren unter den Tausenden, die an der gemeinsamen heiligen Messe teilnahmen. Kardinal Parolin betonte die Bedeutung der Stabilität des erneuerten Friedensabkommens (Revitalized Peace Agreement), das im Februar 2023 ausläuft und bisher noch nicht in Kraft getreten ist. Präsident Salva Kiir äußerte dazu: „Ich sagte Nein zu neuen Kriegen. Die Menschen haben die Entwicklungen vielleicht nicht gesehen, aber sie haben das Schweigen der Waffen gehört.“
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Obwohl eine Einheitsregierung gebildet wurde, die offiziellen Waffenstillstände anhalten, mehrere Friedensverträge geschlossen wurden und die Bemühungen, den Friedensprozess voranzutreiben, vielversprechend sind, ist die Lage für die Zivilbevölkerung vor Ort nach wie vor katastrophal und die Gewalt im Land weiterhin spürbar. Allein zwischen August und Dezember 2022 wurden „mindestens 166 Zivilisten getötet und 237 verletzt [...], da sich die Konflikte zwischen bewaffneten Kräften und rivalisierenden Milizen in der Region verschärft haben. Über 20 000 Menschen wurden vertrieben [...]. Berichten zufolge wurde wahllos auf Zivilisten geschossen.“
Da die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Christen sind, standen die gegen Anhänger des Christentums verübten Gewalttaten weniger im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit als mit anderen Aspekten. Dennoch wurden in den von der islamischen Unterwanderung betroffenen nördlichen Regionen Angriffe von islamistischen Extremisten verzeichnet. Die Achtung der Religionsfreiheit im Land sollte weiterhin beobachtet werden.