Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Sudans Verfassung von 2019 wurde von der 2019 bis 2021 amtierenden Übergangsregierung verabschiedet. Darin wird in Artikel 4, Absatz 1 anerkannt, dass Menschen aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen nicht diskriminiert werden dürfen. Laut Artikel 43 ist der Staat zum Schutz dieses Rechts auf Nichtdiskriminierung verpflichtet. In Artikel 56 ist die „Religions- und Kultusfreiheit“ festgeschrieben. So hat jeder das Recht, den Glauben frei auszuüben und kann niemand gezwungen werden, zu einem anderen Glauben zu wechseln oder Rituale zu praktizieren, die „den eigenen Überzeugungen widersprechen“. Artikel 66 zufolge können alle ethnischen und kulturellen Gemeinschaften ihre eigene Kultur ausüben und frei entfalten. Die Mitglieder der verschiedenen Gemeinschaften haben das Recht, ihren Glauben zu praktizieren, ihre eigene Sprache zu verwenden, ihren religiösen Überzeugungen und ihren Bräuchen zu folgen und ihre Kinder im Sinne der eigenen Kulturen und Bräuche zu erziehen.
Vor Einführung der Verfassung von 2019 führte die massive staatliche Verfolgung religiöser Minderheiten allerdings dazu, dass Tausende von Christen, Juden und sonstigen nicht muslimischen Gläubigen das Land verließen. Auch hatte dies zur Folge, dass 2011 der Südsudan als mehrheitlich christliches Land gegründet wurde.
2019 schaffte die Übergangsregierung unter der Führung von Premierminister Abdalla Hamdok das Gesetz zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ab. Dieses Gesetz diente der Vorgängerregierung zur Unterdrückung von Menschen, die mit der staatlichen Auslegung des sunnitischen Islam nicht einverstanden waren. Im Juli 2020 verabschiedete die Regierung das Gesetz über Grundrechte und -freiheiten, wodurch das Apostasie-Gesetz aufgehoben wurde. Mit dem neuen Gesetz wurden Auspeitschungen als Strafe für Blasphemie abgeschafft, Verstümmelungen der weiblichen Genitalien verboten und Nichtmuslimen das Recht gegeben, Alkohol zu trinken. Auch wurde dadurch das Vormundschaftsgesetz außer Kraft gesetzt, demzufolge Frauen für Auslandsreisen mit ihren Kindern die Erlaubnis eines männlichen Vormunds benötigten.
Die Tatsache, dass die Übergangsregierung neue Bestimmungen einführte und mit bewaffneten Gruppierungen in Kontakt trat, bestärkte die Hoffnung auf Stabilität. Im Oktober 2020 wurde eine Friedensvereinbarung von der Regierung und einigen Gruppierungen unterzeichnet. 2021 wurde dafür gesorgt, dass ehemals marginalisierte Gemeinschaften stärker an der Regierung beteiligt wurden. Obwohl im März 2021 ein weiteres Friedensabkommen mit bewaffneten Gruppierungen getroffen wurde, lehnte die Sudanesische Volksbefreiungsbewegung-Nord (SPLM-N) eine Unterzeichnung ab. Für ein Ende der bewaffneten Konflikte forderte sie die Trennung von Staat und Religion.
Im April 2021 wurden von der Übergangsregierung Gesetze verabschiedet, die nicht islamischen Banken die Möglichkeit gaben, ausländische Investoren zu gewinnen und sich in die Weltwirtschaft erneut zu integrieren. Im August 2021 wurde der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs Karim Khan in die sudanesische Hauptstadt Khartum eingeladen, um Maßnahmen der Übergangsjustiz in Verbindung mit dem Völkermord in Darfur zu erörtern. Insbesondere sollten der ehemalige Präsident al-Baschir und seine Gefolgsleute für ihre Verbrechen gegen religiöse Minderheiten, die zu den Opfern des damaligen Regimes gehörten, vor Gericht gebracht werden.
Ende 2020 versuchte die Regierung, die Lehrpläne für den schulischen Religionsunterricht so zu ändern, dass nicht muslimische Schüler weniger diskriminiert werden. Damit sollte eine Rückkehr religiöser Minderheiten in den Sudan erreicht werden. Dieses Vorhaben wurde im Januar 2021 von allen Seiten kritisiert. Omar al-Garrai, der Leiter des Nationalen Zentrums für Lehrpläne und Bildungsforschung, erhielt Morddrohungen, nachdem einige Imame ihn öffentlich als „Ungläubigen“ bezeichnet hatten. Als al-Garrai daraufhin seinen Rücktritt erklärte, galt die Initiative als gescheitert. Die Lehrpläne an Sudans Schulen blieben unverändert bestehen.
Vorkommnisse und aktuelle Entwicklungen
Nach monatelangen Aufständen, die im Dezember 2018 ihren Anfang nahmen, markiert der Regierungswechsel im September 2019 einen Wendepunkt in der sudanesischen Menschenrechtspolitik. Dies hatte auch positive Auswirkungen auf die Religionsfreiheit. So wurde der erste Weihnachtstag wieder als gesetzlicher Feiertag eingeführt und eine Christin zum Mitglied des übergangsweise regierenden Souveränen Rats bestellt. Außerdem entschuldigte sich Sudans (muslimischer) Minister für religiöse Angelegenheiten Nasr al-Din Mufreh bei einer Pressekonferenz an Weihnachten dafür, dass Christen im Sudan in der Vergangenheit verfolgt wurden.
Im September 2020 wurde der Sudan per Verfassung zu einem säkularen Staat erklärt und das Ende der 30-jährigen islamischen Herrschaft eingeläutet. Die Zivilregierung des Landes wurde international dafür anerkannt, dass sie die Religionsfreiheit förderte, den Islam als Staatreligion abschaffte und die Todesstrafe für Apostasie aufhob. Die sudanesischen Christen bewerteten diese Entwicklung, mit der sich ihre Regierung von den Diskriminierungen des Al-Baschir-Regimes distanzierte, sehr positiv. Al-Baschir hatte bereits 2011 erklärt, dass er nach der Abspaltung des mehrheitlich christlichen Südsudans eine „hundertprozentige“ islamische Verfassung einführen wolle.
Der Liberalisierungsprozess fand im Sudan ein jähes Ende, als General Abdel Fattah al-Burhan am 25. Oktober 2021 die Regierung durch einen Militärputsch unter seine Kontrolle brachte. Trotz zahlreicher Proteste und einer Verurteilung durch die internationale Gemeinschaft kam es unter dem Militär zu willkürlichen Verhaftungen im ganzen Land. In dem Bestreben, die unter der demokratischen Vorgängerregierung erzielten Fortschritte wieder rückgängig zu machen, wurden höhere Beamte ernannt, die dem ehemaligen Al-Baschir-Regime nahestanden.
Während der Amtszeit al-Baschirs wurde die Religions- und Glaubensfreiheit in erster Linie vom Staat und seinen Behörden verletzt. Doch fanden in der Zeit vor dem Staatsstreich im Oktober 2021 zunehmend Verstöße durch nicht staatliche Akteure statt, die nicht ordnungsgemäß untersucht wurden. Die Täter mussten sich dabei nur in seltenen Fällen vor Gericht verantworten. Grund für die nicht staatlichen Verletzungen der Religions- und Glaubensfreiheit könnte der Umstand sein, dass „die Mitglieder des früheren Al-Baschir-Regimes und die ehemals regierende Nationale Kongresspartei NCP an der Übergangsregierung nicht beteiligt wurden und deshalb Spannungen im Land schürten“.
Dabei kam es unter anderem zu den folgenden Vorkommnissen:
Im August 2020 brannte ein Gebäude der Sudanesischen Kirche Christi (SCOC) in der Stadt Omdurman ab. Als sich das Gebäude im Mai 2021 im Wiederaufbau befand, forderte ein örtlicher Staatsanwalt die Verantwortlichen der Kirche dazu auf, den Bau zu stoppen. Obwohl die Kirchenleitung argumentierte, dass das Gebäude auf öffentlichem Grund stehe und somit unter eine andere Zuständigkeit falle, wurde dieses am Morgen des 27. Mai abgerissen.
Am 2. Juli 2021 wurde Boutros Badawi, ein christlicher Aktivist und Berater des sudanesischen Ministers für religiöse Angelegenheiten, in Khartum von bewaffneten Männern tätlich und verbal angegriffen. Ein Sprecher von Christian Solidarity Worldwide (Christliche Solidarität Weltweit) erklärte dazu: „Ein Angreifer richtete auf Herrn Badawis Kopf eine Pistole und drohte, ihn zu töten, wenn er weiterhin von beschlagnahmtem Eigentum der Kirche erzähle oder die Probleme in Verbindung mit Ausschüssen der Presbyterianisch-evangelischen Kirche im Sudan zur Sprache bringt.“
Als Mitglieder der Sudanesischen Kirche Christi am 21. Februar 2022 bei einer örtlichen, von zahlreichen christlichen Gemeinschaften genutzten Kirche eintrafen, fanden sie an der Kirchentür eine Anordnung, die von der im Viertel tätigen Jugendvereinigung unterzeichnet war. Darin wurden alle religiösen Aktivitäten verboten und bei Nichteinhaltung mit rechtlichen Schritten gedroht. Laut Quellen von Christian Solidarity Worldwide „sei die Anordnung von Extremisten und nicht von der örtlichen Vereinigung angebracht worden. Die Mitglieder der Jugendvereinigung würden mit Christen in Frieden leben und seien gegen Extremismus.” Obwohl Kirchenmitglieder am 27. Februar die Kirche mit einem Vorhängeschloss verriegelt vorfanden, verschafften sie sich Zutritt und begannen mit der Abhaltung einer kurzen Gebetsandacht. Die Andacht wurde von der Polizei unterbrochen, die den Gläubigen zwar erlaubte, ihre Andacht zu Ende zu bringen, die Kirchenverantwortlichen aber verhaftete. Die Männer wurden zur Polizeistation gebracht und dort mehrere Stunden lang verhört, bevor sie ohne Anklage freigelassen wurden. Nach der Freilassung trafen sich die Kirchenvertreter mit dem lokal zuständigen Beamten […] und forderten ihn auf einzugreifen. Dieser entgegnete, in einer solchen Situation machtlos zu sein.
Am 10. April wurde ein Gottesdienst der Sudanesischen Kirche Christi im Bundesstaat Al-Dschazira von einem Unbekannten gestört. Dieser griff den Priester und Kirchenmitglieder an, die dadurch teilweise Verletzungen erlitten. Zwei weitere Männer, die sich dem Angreifer angeschlossen hatten, zerstörten Möbel und zerrissen Bibeln. Als der Kirchenvertreter und die anderen Betroffenen Strafanzeige erstatten wollten, wurden sie von der Polizei mit der Begründung abgewiesen, dass dies die Situation nur noch verschlimmern würde. Am 17. April (Ostersonntag) wurden der Angreifer und der Priester vor Gericht wegen Störung des Friedens angeklagt.
Das sudanesische Gesetz zur Bekämpfung von Apostasie wurde 2019 abgeschafft. Doch diese Reform droht wie viele andere Initiativen durch den Militärputsch im Oktober 2021 zu scheitern. Am 22. und 28. Juni 2022 wurden vier Christen in einer Baptistenkirche in Westsudan verhaftet, weil sie angeblich gegen das Apostasie-Gesetz verstoßen hatten. Während die Gläubigen bei der ersten Verhaftung noch am selben Tag freikamen, mussten sie nach der Festnahme am 28. Juni bis zum 5. Juli in Haft verbringen.
Einige Fälle von Apostasie werden immer noch vor Gericht gestellt. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist der Fall von Nada und Hamouda, die 2016 als Muslime die Ehe schlossen. Nachdem Hamouda 2018 zum Christentum konvertiert war, konnte Nadas Familie erreichen, dass ein Schariagericht die Ehe auflöste. Im Jahr 2020 wurde Apostasie entkriminalisiert, und 2021 konvertierte auch Nada zum Christentum. Daraufhin kehrte sie zu ihrem Ehemann zurück. Nadas Bruder nahm dies zum Anlass, die beiden wegen Ehebruchs anzuzeigen. Der Fall ist weiterhin anhängig, und sollten Nada und Hamouda für schuldig befunden werden, drohen ihnen jeweils 100 Peitschenhiebe. Für Hamouda könnte dies zudem bedeuten, dass er ein Jahr im Exil verbringen muss.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Im September 2020 wurde der Sudan nach 30-jähriger islamischer Herrschaft per Verfassung zum säkularen Staat erklärt. Der Generalsekretär der sudanesischen Bischofskonferenz Peter Suleiman begrüßte diese Entwicklung und erklärte, dass das sudanesische Volk nun „seinen unterschiedlichen religiösen Überzeugungen ohne Furcht nachgehen könne“.
Ein Jahr später kehrte jedoch ein autoritäres Regime und die damit verbundene Angst zurück. Die 2022 von Widerstandsbewegungen gegen das Militärregime organisierten Demonstrationen im Großraum Khartum eskalierten. Die gewaltsam vorgehenden Sicherheitskräfte haben Berichten zufolge 50 Demonstrierende getötet.
Anlässlich seiner Weihnachts- und Neujahrsansprache im Januar 2022 erklärte Bischof Yunan Tombe Trille Kuku Andali, Vorsitzender der Bischofskonferenz im Sudan und Südsudan: „Der von allen ersehnte neue Sudan funktioniert nur dann, wenn alle Sudanesen, die stolz auf ihre Herkunft sind, ohne hasserfülltes Stammesdenken oder Rassismus an einem Strang ziehen. Dies gilt für das Militär ebenso wie für die Zivilbevölkerung.” Der Bischof rief daraufhin alle Christen dazu auf, für alle Menschen, auch für die Machthaber, zu beten, „damit ein ruhiges Leben in Hingabe und Würde möglich sei“. Die Perspektiven für die Religionsfreiheit im Sudan sind negativ.