Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Die Religionsfreiheit ist in der Verfassung der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka verankert. Die Verfassung sieht keine Vorzugsbehandlung auf Grundlage der Religion vor. Laut Artikel 10 „hat jede Person das Recht auf Freiheit der Gedanken, des Gewissens und der Religion, einschließlich der Freiheit, die eigene Religion oder Weltanschauung frei zu wählen oder anzunehmen“. Artikel 12 Abschnitt 2 besagt, dass „kein Bürger aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Sprache, Kaste, des Geschlechts, der politischen Gesinnung, des Geburtsortes oder anderer vergleichbarer Gründe benachteiligt werden darf“. Laut Artikel 14 hat jeder Bürger das Recht, „seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekennen“. Artikel 15 legt „Einschränkungen für die Ausübung der in Artikel 14 festgeschriebenen Grundrechte“ fest, wenn dies „im Interesse der ethnischen und religiösen Harmonie oder im Zusammenhang mit parlamentarischen Vorrechten, Missachtung des Gerichts, Diffamierung, Anstiftung zu Straftaten oder der nationalen Wirtschaft steht“.
Sri Lanka ist eines von etwa 80 Ländern, in denen das Strafgesetzbuch noch Blasphemie-Paragraphen enthält. Artikel 291A lautet: „Gibt eine Person mit der Absicht, das religiöse Empfinden einer anderen Person zu verletzen, in Hörweite dieser Person Äußerungen oder Laute von sich, oder macht sie in Sichtweite der anderen Person entsprechende Gesten oder positioniert in dieser Absicht Objekte, wird dies mit einer Haftstrafe von bis zu einem Jahr, einer Geldbuße oder beidem geahndet.“ Artikel 291B besagt: „Wer böswillig und bewusst die religiösen Gefühle einer Gruppe von Menschen durch Wort, Schrift oder sichtbare Darstellungen beleidigt oder versucht, die Religion oder Weltanschauung dieser Gruppe zu verunglimpfen, dem droht eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren, eine Geldbuße oder beides.“
Andere Gesetze, die sich auf die Meinungs- und Religionsfreiheit auswirken, sind etwa das Gesetz zur Terrorismusprävention, das besagt, dass „sich strafbar macht, wer durch Äußerungen in Wort und Schrift, durch Symbole oder sichtbare Darstellungen oder auf sonstige Weise Gewalttaten oder religiösen, ethnischen oder sozialen Unfrieden oder Feindseligkeit zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, Ethnien oder Glaubensgemeinschaften auslöst oder versucht auszulösen“. Laut der Nichtregierungsorganisation „End Blasphemy Laws“ steht das Gesetz in der Kritik, „weil es eingesetzt wird, um gezielt gegen Minderheiten, Regierungskritiker, Journalisten und politische Gegner vorzugehen“.
Darüber hinaus sind die Verfassungsänderungen von 1972 besonders hervorzuheben, die dem Buddhismus im Land einen privilegierten Status einräumen. Denn wenngleich die Artikel 10 und 14allen Bürgern Freiheitsrechte zusichern, heißt es in Artikel 9: „Die Republik Sri Lanka räumt dem Buddhismus Vorrang ein und betrachtet es als Pflicht des Staates, die Buddha Sasana (buddhistische Lehren, Praktiken und Doktrin) zu schützen und zu fördern“.
Vorkommnisse und aktuelle Entwicklungen
Ungeachtet des Schutzes der Religionsfreiheit durch Artikel 14 der Verfassung führt die verfassungsgemäße Vorrangstellung des Buddhismus gegenüber anderen Religionen in der zutiefst religiösen Gesellschaft des Landes zu wachsender Spannung und Spaltung. Sri Lanka erlebt derzeit eine Phase eines zunehmenden ethno-religiösen Nationalismus. Das Versagen mehrerer aufeinander folgender Regierungen, auf die begründete und immer größere Unzufriedenheit religiöser und ethnischer Minderheiten im Land einzugehen, droht nun, das Land in eine längere Phase religiöser Unterdrückung und Konflikte zu stürzen.
Erschwerend kommt hinzu, dass das Land die schwerste politische und wirtschaftliche Krise seit 1948 durchlebt. Am 31. August 2021 erklärte der damalige Präsident Gotabaya Rajapaksa den Notstand, nachdem die Privatbanken des Landes Importe aus dem Ausland nicht mehr finanzieren konnten und es in der Folge zu Lebensmittelknappheiten kam. Am 1. April 2022 wurde erneut der Notstand ausgerufen, nachdem Protestierende aufgrund anhaltender Stromausfälle und der Knappheit lebenswichtiger Güter den Rücktritt des Präsidenten gefordert hatten. Am nächsten Tag wurde eine 36-stündige Ausgangssperre verhängt; die Regierung blockierte den Zugang zu den sozialen Medien. Am 3. April, wurde die Sperrung der sozialen Medien aufgehoben. Die Mehrheit der Kabinettsmitglieder erklärten ihren Rücktritt, wodurch Präsident Gotabaya Rajapaksa und Premierminister Mahinda Rajapaksa weitgehend isoliert waren. Die Ausgangssperre wurde am 4. April aufgehoben, doch die Proteste und Unruhen hielten an. Am 5. April verlor Präsident Gotabaya Rajapaksa die Mehrheit im Parlament, was das Ende des Notstands bedeutete.
Am 9. April 2022 besetzte eine Gruppe parteiloser Demonstranten das Galle Face Green, einen 500 m langen Grünstreifen in Colombo, und errichteten ein Camp mit dem Namen „GotaGoGama“ (frei übersetzt das „Gota geh heim!“-Camp), das noch bis Mitte August an dieser Stelle bestand. Am 12. April gab die Regierung bekannt, dass man die Auslandsschulden des Landes in Höhe von 51 Milliarden Dollar nicht begleichen könne und wandte sich zwecks eines Schuldenerlasses und einer Umstrukturierung an den internationalen Währungsfonds (IWF), mit dem am 1. September 2022 ein Abkommen über 48 Monate geschlossen werden konnte.
Nachdem bei einem Angriff eines regierungstreuen Mobs auf regierungskritische Protestierende am 9. Mai 2022 neun Todesopfer und hunderte von Verletzten zu beklagen waren, trat Premierminister Mahinda Rajapaksa schließlich zurück, und Ranil Wickremesinghe übernahm das Amt des Premiers. Im Juni erklärte die UN, dass Sri Lanka von einer katastrophalen humanitären Krise bedroht sei.
Am 9. Juli 2022 stürmten circa 100.000 Demonstranten das Haus von Präsident Gotabaya Rajapaksa und setzten den Sitz des Premierministers in Brand. Daraufhin trat auch Präsident Gotabaya Rajapaksa am 13. Juli von seinem Amt zurück und flüchtete auf die Malediven. Premierminister Wickremesinghe wurde zum amtierenden Präsidenten und griff zum Auftakt seiner Amtszeit hart gegen die Protestierenden durch: Hunderte von Sicherheitskräften kamen am Camp der Demonstranten zum Einsatz, das schließlich am 10. August gewaltsam aufgelöst wurde.
Mitte September 2022 befand sich Sri Lanka nach wie vor in einer tiefen wirtschaftlichen Krise und kämpfte mit einer Inflationsrate von 70,2 Prozent und einem Anstieg der Lebensmittelpreise um 84,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Obwohl sich Sri Lanka des gesetzlichen Schutzes der Religionsfreiheit rühmt, nehmen soziale Intoleranz und religiös motivierte Gewalt im Land zu. Diese Entwicklung ist besorgniserregend – immerhin hatte Sri Lanka es erst vor gut zehn Jahren geschafft, einen jahrzehntelangen ethnischen Konflikt, der sich zu einem 30 Jahre andauernden, zerstörerischen Bürgerkrieg ausgewachsen hatte, hinter sich zu lassen.
Inzwischen wächst die Zahl buddhistisch-nationalistischer Organisationen im Land, die zeitgleich extremistischer werden und an Einfluss gewinnen. Sämtliche nicht-buddhistischen Gemeinschaften und Institutionen werden von den Anhängern dieser Organisationen als unerwünschte Fremde auf Sri Lanka angesehen.
Zu den Organisationen, die eine buddhistische Vorherrschaft propagieren, gehören Bodu Bala Sena („Buddhistische Streitmacht“, BBS), Ravana Balava („Macht von Ravana“), Sinhala Ravana („Echo von Sinhala“), und Sinhale Jathika Balamuluwa („Nationale Streitkraft Sinhala“). Die bekannteste buddhistisch-nationalistische Organisation ist die BBS. Ihr Anführer ist der buddhistische Mönch Galagoda Aththe Gnanasara, dessen Hetzreden schon mehrfach Auslöser von Angriffen auf die Gotteshäuser und Geschäfte religiöser Minderheiten waren.
Die BBS nutzt für die Verbreitung von Hassbotschaften häufig soziale Medien wie Facebook und nimmt dabei insbesondere Muslime ins Visier. Die stark expandierenden Organisationen sind eine Bedrohung für die gemeinsame nationale Identität der Einwohner Sri Lankas und provozieren zudem extremistische Reaktionen muslimischer und hinduistischer Minderheiten.
Während buddhistische Hardliner die Vorherrschaft ihrer Glaubensrichtung erreichen wollen, verbreitet sich auch der militante tamilische Hinduismus auf beunruhigende Weise: Im Norden und Osten Sri Lankas ist die Organisation Siva Senai, eine radikale hinduistisch-tamilische Gruppe, aktiv. Radikale Gruppen wie Siva Senai könnten sich zum Minderheiten-Pendant der Mehrheitsorganisationen wie BBS entwickeln und eine sich gegenseitig anheizende, sektiererische Rivalität in Gang setzen.
Das Risiko, dass Siva Senai militanter und schlagkräftiger wird, ist hoch, da die Gruppe von aufstrebenden hinduistisch-nationalistischen Bewegungen wie Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) in Indien unterstützt wird. Militante hinduistische Tamilengruppen sind besonders im Distrikt Batticaloa im Osten Sri Lankas aktiv, wo sie bereits zahlreiche Angriffe auf Christen organisiert haben.
Die zunehmende Diskriminierung von Minderheiten durch staatliche und nichtstaatliche Akteure, sowie eine seit dem Ende des Bürgerkriegs weit verbreitete Feindseligkeit haben auch auf muslimischer Seite zu einer Radikalisierung beigetragen. Diese Gefahr wurde bei den Anschlägen vom Ostersonntag 2019 besonders sichtbar: Die Attentäter waren Einzelpersonen, die angeblich mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung standen.
Die Zunahme derartiger Angriffe ist ein extremes Beispiel für die lange Geschichte religiöser Gewalt in Sri Lanka. In den vergangenen Jahren kam es wiederholt zu Ausschreitungen gegen die christlichen und muslimischen Minderheiten, bei denen gezielt Einzelpersonen, ihre Häuser und Geschäfte angegriffen wurden. Die unten aufgeführten Vorfälle sind beispielhaft dafür.
Im Januar 2021 befanden sich Christen unter den Bürgern, die eine Petition gegen eine Verordnung des Gesundheitsministeriums unterzeichnet hatten. Die Verordnung schrieb die Einäscherung Verstorbener vor, bei denen Covid-19 als Todesursache festgestellt oder vermutet wurde. Schwester Noël Christeen Fernando von den Barmherzigen Schwestern von Jesus und Maria war eine der Unterzeichnerinnen der Petition. Sie erklärte: „Unsere Führung beraubt uns aller unserer Rechte, von der Geburt bis zum Tod.“
Von muslimischer Seite wurde ebenfalls eine Reihe von Protesten organisiert, da der Islam die Einäscherung verbietet. Die Proteste erfuhren große Solidarität. Obwohl die katholische Kirche die Einäscherung Verstorbener gestattet, insbesondere in Zeiten einer Pandemie, gilt die Beerdigung des Leichnams als vorzuziehen, so wie es auch bei anderen christlichen Glaubensgemeinschaften der Fall ist. Kardinal Malcom Ranjith rief die Katholiken im Lande dennoch dazu auf, der Regierungsvorschrift zu entsprechen.
Am 18. März 2021 wurde die Mutter einer Pastorin der Calvary Church in Padukka in ihrer Wohnung von der Kriminalpolizei aufgesucht und über die religiöse Tätigkeit ihrer Tochter befragt. Die Beamten forderten auch Kontaktdaten der Tochter und des Schwiegersohns.
Im September 2021 verweigerte ein Beamter einer Familie die christliche Bestattung einer Verwandten auf dem öffentlichen Friedhof von Karukkamunai mit der Begründung, dass es sich um einen Hindu-Friedhof handele und deshalb dort keine christlichen Riten vollzogen werden könnten. Die Frau konnte letztlich dort bestattet werden, allerdings mit einer hinduistischen Zeremonie.
Am 8. Oktober 2021 erklärte eine Vertreterin der anglikanischen Church of Ceylon, dass „man die Verschlechterung der Menschenrechtslage in Sri Lanka mit wachsender Besorgnis verfolge“. Die anglikanische Kirche legte der 48. Sitzung des UN-Menschenrechtsrats einen Bericht vor, in dem vor der Bevorzugung der singhalesischen buddhistischen Mehrheit durch die staatliche Politik gewarnt wird. In dem Bericht wird die im Zuge der Pandemie als Maßnahme zum Gesundheitsschutz eingeführte Einäscherungspflicht als Affront sowohl gegen Christen als auch gegen Muslime bezeichnet. Ebenso wird im UN-Bericht auf die mangelnde Bereitschaft der Regierung hingewiesen, die Bombenattentate vom Ostersonntag 2019 zu untersuchen.
In einem Bericht von Amnesty International vom 18. Oktober 2021 wird die Zunahme der Gewalt gegen Muslime seit 2013 thematisiert und die Regierung aufgefordert, „[...] diesen beängstigenden Trend umzukehren und ihrer Pflicht nachzukommen, Muslime vor weiteren Angriffen zu schützen, Täter zur Rechenschaft zu ziehen und einer Regierungspolitik ein Ende zu setzen, die dazu dient, die Gemeinschaft der Muslime anzugreifen, zu bedrängen und zu diskriminieren.“
Im November 2021 hatten eine Reihe srilankischer Bischöfe von der Regierung verlangt, das am 26. Oktober eingeführte „One country, one law“-Konzept aufzugeben (eine Kampagne für eine einheitliche Gesetzgebung für alle Religionsgemeinschaften des Landes, durch die jedoch bestimmte religiöse Freiheitsrechte eingeschränkt würden). Das Konzept umfasste auch die Einführung einer „Task Force“ unter der Führung des buddhistischen Mönchs Galagoda Aththe Gnanasara Thero, der an den anti-muslimischen Unruhen von 2013 beteiligt gewesen war und als anti-muslimischer Aktivist bekannt ist. Dem Gesuch der Bischöfe schlossen sich auch muslimische Organisationen an; diese Oppositionsgruppen forderten einen neuen Verfassungsentwurf.
Der am 25. Februar 2022 veröffentlichte Bericht der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte zu Sri Lanka stellte eine alarmierende Verschlechterung fest. Er thematisierte die „Diskriminierung gegen Glaubensgemeinschaften und ethnische Minderheiten, sowie das gezielte Vorgehen von Sicherheitskräften gegen zivilgesellschaftliche Gruppen“. Der Bericht sprach auch die weiterhin bestehenden militärischen Checkpoints in der mehrheitlich tamilischen nördlichen Provinz des Landes an, über die eine Reihe von „Beschwerden wegen Diskriminierung oder Belästigung“ vorlägen. Der UN-Bericht erwähnte außerdem „45 Dispute um Landbesitz zwischen Regierungsbeamte und Mitgliedern von Minderheitsreligionen zwischen Januar und November 2021“, bei denen die Angehörigen der religiösen Minderheiten „befürchten, dass es bei dem Regierungsprogramm zur Identifizierung und zum Ausbau buddhistischer Stätten vielmehr darum ginge, die Demographie der [östlichen] Landesgebiete zu verändern“.
Im März und April 2022 reiste eine Delegation unter Führung des katholischen Erzbischofs von Colombo, Malcolm Kardinal Ranjith, nach Europa. Der Erzbischof traf sich unter anderem mit der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, und bat darum, politischen Druck auf die für die Untersuchung der Bombenattentate vom Ostersonntag 2019 zuständigen Behörden auszuüben. Außerdem stelle sich die Frage, warum die Attentate nicht verhindert wurden, obwohl die Behörden selbst eingeräumt hätten, zahlreiche Warnhinweise erhalten zu haben. Kardinal Ranjith besuchte auch Papst Franziskus und erklärte, dass der Staat „im Vorfeld selbst über Informationen verfügte und vom indischen Geheimdienst Warnhinweise erhalten hat, aber nichts unternommen wurde. Tatsächlich hat es den Anschein, als habe der Staat alles in seiner Macht stehende unternommen, um eine Verhaftung der Attentäter zu verhindern. Man könnte meinen, dass die Behörden wollten, dass die Anschläge verübt werden.“
Am 12. August 2022 stellte sich der katholische Priester Amila Jeewantha Peiris dem Gericht, nachdem die Polizei versucht hatte, ihn als Anführer der regierungskritischen Proteste, die zum Sturz von Präsident Gotabaya Rajapaksas geführt hatten, zu verhaften. Hunderte von Protestierenden, „darunter ein Bischof, Priester, Ordensfrauen, Rechtsanwälte und Aktivisten versammelten sich am Tag der Anhörung im stillen Protest vor dem Gerichtsgebäude in der Hauptstadt Colombo“.
Im September 2022 dauerte die Untersuchung der Bombenanschläge vom Ostersonntag 2019 noch an. Betroffene brachten Ihre Unzufriedenheit mit dem mangelnden Fortschritt der Untersuchungen trotz der Unterstützung von Scotland Yard, dem FBI, Interpol und der indischen Sicherheitsbehörden zum Ausdruck und verlangten eine umfassendere Untersuchung der Vorfälle. Unterstützt wurden sie dabei von Kirchenvertretern, Aktivisten und der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte.
Am 19. September 2022 erklärte das buddhistische Mönchsoberhaupt Galaha Sirisantha Thera, dass die Mönche beschlossen hätten, am Festtag Vap Poya am 9. Oktober "die Lichter in den Tempeln im ganzen Land auszuschalten", um gegen die enorme Strompreissteigerung zu protestieren. Der Mönch erklärte, dass der Protest sich „gegen die von Energieministerium eingeführte, unredliche Erhöhung der Strompreise um 500 Prozent und die Regierungsentscheidung, die Subventionen für religiöse Stätten zu streichen, richtet“, und fügte hinzu, dass die Mönche „den starken Verdacht hegten, dass es sich hierbei um eine Verschwörung mit dem Ziel handele, den Tempeln das Licht auszuschalten“.
Am 3. November 2022 kritisierte Kardinal Ranjith den vom ehemaligen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa vorgelegten neuen Verfassungsentwurf als „Versuch, Regierungskritiker zum Schweigen zu bringen“. Der Kardinal erklärte: „Ich habe selbst eine Kopie des Verfassungsentwurfs erhalten. Er sieht vor, dass jeder, der die Regierung oder eine Regierungsbehörde kritisiert, für mindestens 20 Jahre ins Gefängnis geht.“
Am 3. November 2022 veröffentlichte der Diözesanrat der anglikanischen Kirche von Colombo einen Aufruf, das Parlament bis Anfang 2023 aufzulösen. In ihrer Erklärung gaben die Verantwortlichen der anglikanischen Kirche in Sri Lanka an: „Durch ihr Handeln in den vergangenen drei Monaten haben die Regierung und die Mitglieder des Parlaments klar ihren Unwillen oder ihre Unfähigkeit dargelegt, dem Ruf nach einem politischen Kulturwandel im Land nachzukommen.“ Sie riefen Präsident Ranil Wickremesinghe dazu auf, das Parlament „so schnell wie möglich aufzulösen, damit das Volk ein neues Parlament wählen kann, das seinen Erwartungen entspricht.“
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Die Defizite im demokratischen System Sri Lankas sind eine Schwierigkeit für sich, die dramatischste Bedrohung der Religionsfreiheit stellen jedoch die gewalttätigen interreligiösen Übergriffe dar.
Die jüngsten Vorkommnisse in Sri Lanka haben deutlich gemacht, welch gravierende Gefahr vom wachsenden sektiererischen buddhistischen Nationalismus ausgeht. Dieser geht weit über den singhalesischen, ethno-linguistischen Chauvinismus früherer Zeiten hinaus. Heute werden alle Nicht-Buddhisten unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft – also Muslime, Hindus und Christen – als existenzielle Bedrohung betrachtet.
Dies äußert sich nicht nur in extremistischen Anschlägen gegen religiöse Minderheiten, der ethno-religiöse Nationalismus hat darüber hinaus eine besorgniserregende Reaktion hervorgerufen: eine Zunahme militanter hinduistischer und muslimischer Aktivitäten. Das Aufkommen eines extremistischen tamilischen Hinduismus – wie er sich etwa in der militanten tamilisch-hinduistischen Organisation Siva Senai offenbart – ist gerade deshalb so alarmierend, weil dies zu einem Wiedererstarken militanter tamilischer Gruppierungen führen könnte, wie es seinerzeit die separatistischen Tamil Tigers waren – allerdings in einer eher religiös-sektiererisch geprägten Form.
Angesichts der gegenwärtigen Trends ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die Lage der Religionsfreiheit in Sri Lanka in den kommenden Jahren weiter verschlechtern wird. In einem zunehmend vergifteten politischen und kulturellen Umfeld sind praktische Schritte gefordert, die auf den von Toleranz und interreligiöser Verständigung geprägten Traditionen und Institutionen des Landes aufbauen. Der von Präsident Ranil Wickremesinghe eingerichtete Interreligiöse Rat, der das gesellschaftliche Verständnis für und den gegenseitigen Respekt vor anderen religiösen Traditionen und Einrichtungen fördern soll, ist eine solche Initiative. Die Einbeziehung von Vertetern der evangelikalen Gemeinschaft Sri Lankas, die bisher ausgeschlossen sind, sicherstellen, dass alle Religionsgemeinschaften im Rat vertreten sind.
Aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Zerrüttung des Landes, der Zunahme extremistischer Angriffe gegen religiöse Minderheiten und des steigenden ethnisch-religiös motivierten Nationalismus sind die Aussichten für die Religionsfreiheit ins Sri Lanka weiterhin als negativ einzustufen.