Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Salman bin Abd al-Aziz Al Saud ist seit 2015 König von Saudi-Arabien und damit gleichzeitig Staatsoberhaupt und Regierungschef. Am 27. September 2022 ernannte er den Kronprinzen Mohammed bin Salman zum Premierminister. Nach dem 1992 festgeschriebenen Grundgesetz muss der König, der absolute Herrscher, die Scharia (Islamisches Recht) befolgen. Die Verfassung des Königreichs ist „der Heilige Koran und die Sunna (Traditionen) des Propheten“.
Unter der Herrschaft des verstorbenen Königs Abdullah (2005-2015) hatte es vorsichtige Modernisierungsbestrebungen gegeben. Saudi-Arabien besitzt ca. 16 % der weltweit bekannten Erdölvorkommens und ist damit eines der wohlhabendsten Länder der Region und eine politische und religiöse Führungsmacht in der arabischen Welt.
Im Jahr 2016 setzte die saudi-arabische Regierung weitreichende wirtschaftliche Reformen um. Ziel der beiden Maßnahmenpakete Vision 2030 und National Transformation Programme 2020 (Programm zur nationalen Transformation 2020) ist die Verringerung der Abhängigkeit des Landes vom Öl.
Die saudi-arabische Gesamtbevölkerung beläuft sich auf rund 36 Millionen Einwohner. Im Jahr 2019 schätzten die Vereinten Nationen, dass etwa 38,3 % der Einwohner des Landes Ausländer sind. Etwa 85 bis 90 % der Staatsbürger sind Sunniten, schiitische Muslime machen zwischen 10 und 12 % der Bevölkerung aus und stellen schätzungsweise 25 bis 30 % der Bevölkerung der ölreichen Ostprovinz.
Laut einer inoffiziellen Erhebung schätzt das Apostolische Vikariat Nördliches Arabien die Zahl der in Saudi-Arabien lebenden Katholiken auf 1,5 Millionen. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Arbeiter aus Indien und den Philippinen. Saudi-Arabien unterhält keine offiziellen diplomatischen Verbindungen mit dem Vatikan.
Saudi-Arabien gilt als Geburtsort des Islam und ist die Heimat der zwei wichtigsten heiligen Städte der Muslime, Mekka und Medina. Der saudi-arabische König trägt den offiziellen Titel des „Hüters der heiligen Stätten“. Obwohl das Gesetz auf der islamischen Rechtsschule der Hanbaliten beruht, ist es stark durch die Lehren von Muhammad bin Abd al-Wahhab beeinflusst, die auch die Grundlage des Wahhabismus bilden. Das Land folgt einer strengen Auslegung des sunnitischen Islam, der neben starken Einschränkungen der Frauenrechte schwere Strafen für verschiedenste Verbrechen vorsieht. Zuletzt wurde zwar ein königliches Dekret erlassen, das die Todesstrafe für minderjährige Straftäter verbietet; dieses ist jedoch offenbar noch nicht offiziell verkündet worden.
Saudi-arabische Bürger müssen vor dem Gesetz Muslime sein. Nicht-Muslime müssen zum Islam konvertieren, um die Staatsbürgerschaft erwerben zu dürfen. Kinder muslimischer Väter werden ebenfalls als Muslime angesehen. Die Verbreitung anderer Lehren des Islam als der staatlich verordneten ist in Saudi-Arabien verboten.
Religionsfreiheit ist in Saudi-Arabien weder rechtlich anerkannt noch geschützt. Die Konvertierung vom Islam zu einer anderen Religion wird als Apostasie betrachtet und ist, ebenso wie Blasphemie gegen den Islam, mit der Todesstrafe belegt. Neuerdings neigen saudi-arabische Gerichte dazu, Nachsicht walten zu lassen, und verhängen bei Blasphemie lange Freiheitsstrafen anstelle der Todesstrafe.
Nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2020 wurden Auspeitschungen, die zuvor als als Ta'zir (Ermessensstrafe) verhängt werden konnten, durch Gefängnis- oder Geldstrafen ersetzt. Personen, die der Gotteslästerung, anstößigen Verhaltens in der Öffentlichkeit und einer Reihe anderer Vergehen für schuldig befunden werden, werden demzufolge nicht mehr ausgepeitscht. Nach Angaben von Justizvertretern können die drei Hudud-Vergehen Alkoholkonsum, außereheliche sexuelle Handlungen und falsche Anschuldigungen wegen Ehebruchs weiterhin mit Peitschenhieben geahndet werden.
Nicht muslimische Gebetsstätten sowie das öffentliche Bekenntnis zu nicht-muslimischen Glaubensrichtungen sind untersagt. Entsprechende Verstöße können Diskriminierung, Belästigungen und Festnahmen nach sich ziehen; Nicht-Staatsbürgern droht die Ausweisung. Die Regierung hat wiederholt erklärt, dass Nicht-Muslime, die nicht zuvor vom Islam konvertiert sind, ihren Glauben privat ausüben können. Praktisch fehlt es jedoch an eindeutigen Regelungen, was dazu führt, dass Nicht-Muslime der Willkür lokaler Polizeikräfte ausgeliefert sind. Einige Gruppen christlicher Auswanderer waren in der Vergangenheit in der Lage, ihren Glauben unauffällig zu praktizieren, ohne die staatliche Religionspolizei, die Commission for the Promotion of Virtue and Prevention of Vice (Kommission für die Förderung von Tugend und die Prävention von Laster, CPVPV), auch als mutawa bekannt, auf den Plan zu rufen.
Religionsunterricht (der der offiziellen Interpretation des Islam folgen muss) ist in staatlichen Schulen obligatorisch. Abweichende Lehrpläne sind auch in Privatschulen untersagt. Die Schulen sind verpflichtet, sowohl saudi-arabischen als auch nicht saudi-arabischen muslimischen Schülern ein islamisches Studienprogramm anzubieten. Nicht muslimische Schüler müssen in Privatschulen das Pflichtfach „islamische Zivilisation“ belegen. Daneben besteht an internationalen Privatschulen aber die Möglichkeit, andere Religionen oder Zivilisationen in den Lehrplan aufzunehmen.
Angeklagte müssen in Saudi-Arabien gleich und nach den Prinzipien der Scharia behandelt werden. Von den vier sunnitischen Rechtsschulen bildet die hanbalitische Schule in Saudi-Arabien die Grundlage für die Auslegung des islamischen Rechts. Es existiert kein umfassendes, schriftlich niedergelegtes Strafgesetz. Gerichtsbeschlüsse und Urteile fallen daher von Fall zu Fall äußerst unterschiedlich aus. In Zivilsachen können christliche und jüdische Männer lediglich 50 % der Entschädigung bekommen, die ein muslimischer Mann bekommen würde; andere Nicht-Muslime können durchaus auch 16-mal weniger bekommen als das, was ein muslimischer Mann erhalten würde. In einigen Fällen haben von einem Muslim erbrachte Beweise größeres Gewicht als die von einem Nicht-Muslim, und Beweise, die von einer muslimischen Frau vorgelegt werden, haben in bestimmten Fällen nur halb so viel Gewicht wie die von einem muslimischen Mann.
Das Gesetz zur Terrorismusbekämpfung von 2017 kriminalisiert „jeden, der die Religion oder Entscheidungen des Königs oder Kronprinzen, entweder direkt oder indirekt, infrage stellt“. Ferner werden folgende Handlungen unter Strafe gestellt: „die Förderung atheistischer Ideologien jeglicher Art“; „jeglicher Versuch, Zweifel an den Grundlagen des Islam zu schüren“; Publikationen, die „den Vorschriften des islamischen Rechts widersprechen“; nicht islamische öffentliche Religionsausübung; das öffentliche Zurschaustellen nicht islamischer religiöser Symbole; das Konvertieren eines Muslims zu einer anderen Religion sowie das Missionieren eines Nicht-Muslims.
Trotz der staatlichen Politik gegen nicht muslimische Bestattungen im Königreich gibt es mindestens einen öffentlichen, nicht islamischen Friedhof im Land.
Menschenrechtsstandards werden in Saudi-Arabien „im Sinne der Vorschriften der Scharia“ befolgt. Das Land ist kein Vertragsstaat des Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte. Das bedeutet, dass die Menschenrechte, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen definiert sind, weder anerkannt noch geschützt werden. „Die Scharia, wie sie von der Regierung ausgelegt wird, gilt zwar für alle Bürger und Nicht-Bürger, aber in der Praxis diskriminiert das Gesetz Frauen, Nicht-Bürger, nicht praktizierende sunnitische Muslime, schiitische Muslime und Angehörige anderer Religionen.“ Im Berichtszeitraum gab es zahlreiche Meldungen von Einschränkungen der Redefreiheit.
Die halbautonome mutawa (Religionspolizei) überwacht das öffentliche Verhalten in Saudi-Arabien und erstattet der regulären Polizei darüber Bericht. Diese wiederum sorgt für eine strenge Durchsetzung islamischer Normen nach wahhabitischer Auslegung. Seit 2016 müssen die Mitglieder der Religionspolizei offizielle Ausweise bei sich tragen, und ihre Kompetenzen wurden durch einen königlichen Erlass drastisch eingeschränkt. Sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime berichten seitdem über einen Rückgang von Drangsalierungen und Razzien.
Seit 2004 wird Saudi-Arabien von der United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF) als „Country of Particular Concern“ (besonders besorgniserregendes Land, CPC) eingestuft.
Vorfälle und Entwicklungen
Nach Angaben des US-Außenministeriums berichten Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft in Saudi-Arabien von einer Abnahme der interkonfessionellen Spannungen und einer besseren Koordinierung zwischen der schiitischen Gemeinschaft und den Behörden. So könnten Prozessionen und Versammlungen der Gemeinschaft weiter stattfinden. Auch die Feiern zum Tag von Aschura (am 18. August 2021 bzw. 7. August 2022) seien durch verbesserte Beziehungen zwischen den Schiiten und anderen Gemeinschaften gekennzeichnet gewesen.
Der 27. Januar 2021 markierte die offizielle Eröffnung einer Akademie für Mediation und Moderation in der Großen Moschee. Die Akademie will sich für Vermittlung in allen Lebensbereichen und den Kampf gegen jeglichen Extremismus einsetzen.
Immer wieder kommt es in Saudi-Arabien vor, dass Haftstrafen oder Todesurteile im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit verhängt werden, wobei die eigentlichen Vergehen aber meistens im Zusammenhang mit der Gedanken- und Gewissensfreiheit stehen – durch die Behörden aber aus einer religiösen Perspektive interpretiert werden. Gerade bei nicht sunnitischen Angeklagten ist häufig eine beschleunigte Urteilsfindung zu beobachten, bei der wenig oder gar keine Zeit für ein freies, faires und transparentes Verfahren bleibt. Nach Angaben der European Saudi Organization for Human Rights (Europäisch-Saudische Organisation für Menschenrechte, ESOHR) wurden in Saudi-Arabien in der ersten Hälfte des Jahres 2022 120 Menschen hingerichtet. Das sind etwa doppelt so viele wie 2021 und mehr als in den Jahren 2020 und 2021 zusammen. Im Folgenden sind einige Beispiele aufgeführt:
Nach Angaben des US-Außenministeriums führte das saudi-arabische Sonderstrafgericht 2021 mehrere Anhörungen zum Fall des Geistlichen Hassan Farhan Al-Maliki durch. Die Staatsanwaltschaft hatte im Dezember 2020 in 14 Anklagepunkten die Todesstrafe für Al-Maliki beantragt. Al-Maliki wurde unter anderem vorgeworfen, die prophetische Sunna und die Hadithe in Zweifel gezogen und damit die Grundlagen des Islam infrage gestellt zu haben.
Im Februar 2021 wurde das Todesurteil gegen die schiitischen Aktivisten Dawood al-Marhoon, Abdullah al-Zaher und Ali al-Nimr (Neffe des 2016 hingerichteten schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr) in eine zehnjährige Haftstrafe umgewandelt. In Folge dieser Entscheidung wurden die Aktivisten Ende 2021 bzw. Anfang 2022 aus der Haft entlassen. Der Entscheidung war ein königlicher Erlass im Jahr 2020 vorangegangen, mit dem die Todesstrafe für Personen, die als Minderjährige Straftaten begangen haben, abgeschafft und durch eine Höchststrafe von zehn Jahren Haft in Jugendstrafanstalten ersetzt wurde.
Im Februar 2021 wurde die 65-jährige Predigerin Aisha al-Muhajiri verhaftet, weil sie in ihrem Haus in Mekka fortgesetzt gepredigt und Koranunterricht erteilt hatte. Zwei weitere Frauen, darunter eine 80-Jährige, wurden ebenfalls verhaftet.
Am 10. Februar 2021 wurde die schiitische Menschenrechtsaktivistin Israa al-Ghomgham zu acht Jahren Haft verurteilt.
Am 31. März 2021 berichteten Medien, dass sich der Gesundheitszustand des inhaftierten schiitischen Geistlichen Mohammed al-Habib aufgrund von Vernachlässigung verschlechtert habe.
Laut Berichten vom Mai 2021 wurden Schilder mit der Aufschrift „Nur für Muslime“ an der Autobahn nach Mekka und Medina wieder entfernt.
Ebenfalls im Mai 2021 veröffentlichte die Zeitschrift Foreign Policy einen Artikel über die anhaltende Diskriminierung der Schiiten in Saudi-Arabien, verwies aber auch auf positive Beispiele für die Gewährung von mehr Freiraum. So seien „schiitische religiöse Rituale, wenn auch unter strengen Sicherheitsvorkehrungen, in der Ostprovinz erlaubt [...]“, die „für Schiiten so wichtigen Feierlichkeiten zum Tag von Aschura [...] zuletzt auch in Riad toleriert (wenn auch nicht offiziell anerkannt)“ und schiitische „Schulen und Buchveröffentlichungen erlaubt“ worden, „allerdings unter strenger staatlicher Kontrolle“. Zudem würden „Prediger in saudi-arabischen Moscheen jetzt genau überwacht und zur Rechenschaft gezogen, wenn sie zum Hass gegen Schiiten aufrufen“.
Ende Mai 2021 wurden die saudi-arabischen Moscheen vom Ministerium für Islamische Angelegenheiten (MOIA) angewiesen, die Lautstärke der Lautsprecher für den Gebetsruf auf höchstens ein Drittel der maximalen Lautstärke zu senken. Übertragungen von Gebeten wären nach dem Beschluss nur noch unter bestimmten Bedingungen möglich gewesen. Nach kritischen Reaktionen kassierte das MOIA diese Entscheidungen jedoch wenige Tage später wieder ein. Im Nachgang wurde der Geistliche Omar Abdullah Al-Saadoun verhaftet, der die Einschränkungen der Gebetsübertragungen in einem Artikel kritisiert hatte.
Am 15. Juni 2021 wurde der schiitische Bürger Mustafa Hashem Al-Darwish hingerichtet. Die saudi-arabischen Behörden erklärten hierzu, er sei für Straftaten verurteilt worden, die er als Erwachsener begangen hatte. Viele Kritiker warfen den Behörden jedoch vor, Al-Darwish bei den Protesten gegen die Regierung im Jahr 2012 als Minderjähriger verhaftet zu haben.
Im Juli 2021 wurde die Verpflichtung zur Schließung von Geschäften während der Gebetszeiten aufgehoben. Der saudi-arabische Politik- und Wirtschaftsbeobachter Ali Sameer Shihabi twitterte, dass die Aufhebung dieser Vorschrift ein „äußerst symbolträchtiger praktischer Schritt zur Beendigung der Dominanz der religiösen Klasse im täglichen Leben“ sei.
Am 3. August 2021 wurde der Schiit Ahmed al-Janabi im Rahmen einer Ta‘zir-Strafe für bewaffneten Aufstand und Widerstand gegen die Regierung hingerichtet. Am 6. September 2021 wurde ein weiterer schiitischer Staatsbürger, Adnan al-Sharfa, wegen Schmuggels und Mitgliedschaft in einer Terrorzelle, die „die Sicherheit im Lande destabilisieren“ wollte, zum Tode verurteilt.
Ebenfalls im September 2021 kam das Institute for Monitoring Peace and Cultural Tolerance in School Education (Institut zur Überwachung des Friedens und der kulturellen Toleranz in der Schulbildung, IMPACT-se) in einem Bericht zu dem Schluss, dass die neuen Schulbücher in Saudi-Arabien „erhebliche Verbesserungen“ aufwiesen. So seien 22 antichristliche und antisemitische Lektionen und fünf Lektionen über „Ungläubige“ durch die Behörden geändert oder entfernt worden. Das Institut stellte jedoch auch fest, dass „Christen und andere Nicht-Muslime immer noch überall als Ungläubige abgestempelt“ würden.
Im September 2021 gab es ferner einen Bericht über einen christlichen Konvertiten, der im Angesicht mehrerer Gerichtsverfahren und Drohungen gegen ihn selbst und seine Familie fliehen musste.
Am 1. Oktober 2021 wurde in Riad die Internationale Buchmesse, die „größte Buchmesse in der Geschichte des Königreichs“, eröffnet. Nach Angaben der Anti-Defamation League (ADL) waren auf der Messe mehr als zwei Dutzend antisemitische Bücher zum Verkauf ausgestellt, darunter zahlreiche Ausgaben der „Protokolle der Weisen von Zion“ und Hitlers „Mein Kampf“.
Am 12. Oktober 2021 starb der zu 20 Jahren Haft verurteilte Moussa Al-Qarni im Gefängnis. Der einst angesehene saudi-arabische Religionswissenschaftler war für seine Nähe zu Osama bin Laden und den afghanischen Mudschahidin in den 1980er-Jahren bekannt gewesen. Beschreibungen zufolge war Al-Qarni „ein Superstar für Rekruten [afghanischer] Ausbildungslager seit den 1980er-Jahren“ gewesen und hatte Osama bin Laden im Hinblick auf die Auslegung der Scharia beraten. In späteren Jahren hatte er das Vorgehen des saudi-arabischen Regimes gegen bin Laden unterstützt. Nach Angaben der Gruppe „Prisoners of Conscience“ wurde Al-Qarni von anderen Gefangenen zu Tode geprügelt.
Am 23. November 2021 berichteten lokale Medien, dass die Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen einen Mann erlassen habe, der sich in einem selbst veröffentlichten Video abfällig über die göttliche Essenz geäußert hatte. Die Staatsanwaltschaft kündigte an, die Verbreitung von Vorstellungen, die gegen religiöse Werte verstoßen, mit allen angemessenen Mitteln zu verfolgen.
Ende November 2021 twitterte der orthodoxe jüdische Rabbiner Jacob Yisrael Herzog Bilder aus seinem Hotelzimmer in Riad, auf denen er anlässlich des dritten Tags des Chanukka-Fests eine Kerze anzündete und jüdischen Einwohnern religiöse Dienste anbot. Die Initiative fand angeblich wenig positive Resonanz bei der jüdischen Gemeinde in Saudi-Arabien.
Am 30. Dezember 2021 bestätigte das Berufungsgericht in Nadschran eine 15-jährige Haftstrafe gegen den jemenitischen Journalisten Ali Mohsen Ahmed Abu Lahoum. Dieser war ursprünglich am 26. Oktober vom Strafgericht in Nadschran wegen Apostasie und Atheismus zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden. Für die Veröffentlichung von Schriften in sozialen Medien, die eine Gefährdung der „öffentlichen Ordnung, der religiösen Werte und der Moral“ darstellten, verurteilte das Gericht ihn zusätzlich zu fünf weiteren Jahren Haft. Das Ergebnis des Berufungsverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof steht noch aus; solange kann Ali Mohsen Ahmed Abu Lahoum keinen Familienbesuch empfangen.
Am 11. März 2022 wurde der Blogger Raif Badawi nach zehn Jahren Haft wegen „Beleidigung des Islam im Internet“ freigelassen. Allerdings gilt für ihn weiterhin ein zehnjähriges Reiseverbot.
Am 12. März 2022 wurde der Schiit Asaad Makki Shubbar hingerichtet. Er war Anfang August 2021 zum Tode verurteilt worden. UN-Experten hatten am 27. August 2021 in einem Schreiben an die saudi-arabische Regierung ein faires Verfahren gefordert und festgestellt, dass die ihm vorgeworfene Straftat offenbar nicht den im Völkerrecht dargelegten „schwersten Verbrechen“ entsprach. Trotz dieses Appells wurde Shubbar zusammen mit 80 anderen Personen hingerichtet.
Im Mai 2022 fand in Riad eine zweitägige konfessionsübergreifende Konferenz zur Erörterung gemeinsamer Werte und Ziele für die interreligiöse Zusammenarbeit statt. An dem von der Islamischen Weltliga veranstalteten „Forum über gemeinsame Werte der Religionen“ nahmen rund 100 religiöse Führungspersonen teil. Neben 15 jüdischen Rabbinern waren Religionsführer aus dem evangelikalen Christentum, dem Hinduismus und dem Buddhismus, religiöse Führer aus der gesamten muslimischen Welt sowie der vatikanische Staatssekretär Pietro Kardinal Parolin, der griechisch-orthodoxe Ökumenische Patriarch Bartholomäus I. und der orthodoxe Erzbischof Ivan Zoria aus der Ukraine anwesend. Die Teilnehmenden waren sich einig darin, dass es notwendig sei, religiöse Vielfalt zu respektieren. Ferner hoben sie die Bedeutung des interreligiösen Dialogs und die Möglichkeiten der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung extremistischer Ideologien hervor.
Im Juni 2022 veröffentlichte die Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace einen Artikel über die religiösen Reformen in Saudi-Arabien. Diese hätten den Autoren zufolge vor allem kosmetische Funktion, brächten keine grundlegenden Veränderungen mit sich und könnten leicht rückgängig gemacht werden.
Ebenfalls im Juni 2022 wurde der schiitische Bürger Murtaja Qureiris aus dem Gefängnis entlassen. Er war im Alter von 13 Jahren verhaftet und beschuldigt worden, im Jahr 2011 als Zehnjähriger an regierungskritischen Demonstrationen teilgenommen zu haben. Gegen ihn war zunächst die Todesstrafe verhängt worden, die dann jedoch in eine Gefängnisstrafe umgewandelt wurde.
Am 31. Juli 2022 wurde der schiitische Bürger Jalal al-Labbad wegen Verbrechen, die er als Minderjähriger begangen haben soll, zum Tode verurteilt.
Am 24. August 2022 forderte die in Genf ansässige Organisation Euro-Med Monitor nach einer Eskalation der Verhaftungen eine UN-Intervention vor Ort, um Gefangene aus Gewissensgründen vor der Höchststrafe für Kritik an den saudi-arabischen Behörden zu schützen.
Was die strenge Anwendung religiöser Vorschriften und die Behandlung anderer Glaubensrichtungen betrifft, sind in Saudi-Arabien einige Verbesserungen festzustellen. So kommt etwa das Institute for Monitoring Peace and Cultural Tolerance in School Education (IMPACT-se) in seinem Bericht für die Jahre 2021-2022 zu dem Schluss, dass sich die Situation im Umgang mit anderen Religionen als dem sunnitischen Islam verbessert habe, wenngleich es immer noch Probleme gebe.
Anfang September 2022 wurde ein jemenitischer Staatsangehöriger verhaftet, der in einem Video angab, eine Omrah (kleine Pilgerfahrt) im Namen von Königin Elisabeth II. durchzuführen. Die Omrah kann stellvertretend für verstorbene Muslime durchgeführt werden, nicht aber für Nicht-Muslime.
Laut einem am 17. September 2022 veröffentlichten Artikel werden im futuristischen Neom-Resort am Roten Meer Wein, Cocktails und Champagner ausgeschenkt. Für das islamische Königreich, in dem der Verkauf oder Besitz von Alkohol derzeit verboten ist und unter Strafe steht, ist dies eine beispiellose Entscheidung.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Trotz einiger ermutigender Anzeichen ist Saudi-Arabien nach wie vor ein Land, das mit Blick auf die grundlegenden Menschenrechte und die Gewissens-, Gedanken- und Religionsfreiheit Anlass zu großer Besorgnis gibt und von der United States Commission on International Religious Freedom wegen „anhaltender Verstöße gegen die Religionsfreiheit“ als besonders besorgniserregend eingestuft wird. Auch nach der offiziellen Gewährung bestimmter Rechte wurden in Saudi-Arabien weiterhin zahlreiche Menschenrechtsaktivisten und Befürworter von Reformen verhaftet, inhaftiert und in einigen Fällen gefoltert.
Als Anzeichen für eine Modernisierung wäre insbesondere die Initiative Vision 2030 zu nennen, die der Tatsache Rechnung trägt, dass die saudi-arabische Bevölkerung mehrheitlich jünger als 35 Jahre ist. Andererseits machen die widersprüchlichen Botschaften von Kronprinz Mohammed bin Salman deutlich, dass Veränderungen (hin zu einem konservativeren oder liberaleren Kurs) nur auf Initiative der Regierung erfolgen werden.
Wie die Vorfälle im Berichtszeitraum zeigen, geht die Regierung weiterhin hart gegen Andersdenkende vor und inhaftiert Personen, insbesondere Schiiten, die der Apostasie und Blasphemie, der Verletzung islamischer Werte und moralischer Normen sowie der Beleidigung des Islam beschuldigt werden. Die Aussichten für die Religionsfreiheit bleiben negativ.