Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Die Republik San Marino besitzt keine schriftliche Verfassung, allerdings wird die Religionsfreiheit in verschiedenen Rechtsvorschriften geregelt, insbesondere durch die Erklärung der Bürgerrechte und der grundlegenden Prinzipien der san-marinesischen Rechtsordnung aus dem Jahr 1974 (in der 2002 geänderten Fassung). Artikel 4 der Erklärung besagt: „Jeder ist vor dem Gesetz gleich, unabhängig vom persönlichen, wirtschaftlichen, sozialen, politischen und religiösen Status.“ In Artikel 6 heißt es weiter: „Jeder in der Republik genießt bürgerliche und politische Freiheit. Insbesondere persönliche Freiheiten, die Aufenthalts- und Niederlassungsfreiheit, die Auswanderungsfreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit sind garantiert.“
Einen Brückenschlag zwischen diesen beiden Bestimmungen bildet Artikel 5, in dem die Unantastbarkeit der Menschenrechte verankert ist.
Im Zwergstaat San Marino, der als älteste Republik der Welt gilt, gibt es keine Staatsreligion. Die Mehrheit der Bevölkerung ist katholisch. Als religiöse Minderheiten sind die Zeugen Jehovas, die Bahai-Gemeinschaft sowie die muslimische, die jüdische, die christlich-orthodoxe und die waldensische Gemeinschaft im Land vertreten. 2014 wurde Europas erster Shinto-Schrein in San Marino eröffnet, wo Ehen geschlossen werden können.
Der römisch-katholische Glaube ist am stärksten in der Republik vertreten. Religiöse Symbole wie Kreuze sind in Gerichten und an anderen öffentlichen Orten häufig vorzufinden. Seit 2009 widersetzt sich San Marinos Regierung einem Beschluss des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dem zufolge keine Kreuze in Klassenzimmern aufgehängt werden dürfen. In diesem Zusammenhang wurde von der linksgerichteten Partei Sinistra Unita (Vereinte Linke) eine Beschwerde vorgebracht.
2019 wurde jedoch durch eine Petition bei den Capitani Reggenti, den beiden Staatsoberhäuptern von San Marino, erwirkt, dass ein Bild des Heiligen Marinus, des Gründers und Schutzpatrons der Republik, an allen öffentlichen Orten, darunter auch Schulen, aufgehängt werden muss.
San Marinos Strafgesetzbuch enthält ein Kapitel über die „Verletzung religiöser Überzeugungen und der Gefühle gegenüber Verstorbenen“ und behandelt darin unter anderem „religiöse Beleidigungen“, „Verletzungen der Religionsfreiheit“, „Störungen religiöser Feiern“ und „Blasphemie oder Pietätlosigkeit gegenüber Verstorbenen“. Für diese vier Straftaten kann eine Haftstrafe von bis zu 15 Tagen verhängt werden.
In San Marino gibt es keine privaten Konfessionsschulen. Katholischer Religionsunterricht wird zwar in öffentlichen Schulen erteilt, ist jedoch kein Pflichtfach. Die zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik San Marino 2018 getroffene Vereinbarung garantiert „katholischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen jeglicher Form, mit Ausnahme von Universitäten“. Darüber hinaus wird darin dem „katholischen Religionsunterricht derselbe Status und dieselbe pädagogische und kulturelle Würde wie anderen Lehrplanfächern“ eingeräumt (Artikel 1). Diese staatliche Verpflichtung wurde mit einer Vereinbarung bekräftigt, die im darauffolgenden Jahr zwischen dem Dikasterium für die Kultur und die Bildung und dem Bistum San Marino-Montefeltro getroffen wurde. Darin wurde auch festgelegt, dass volljährige Schüler, bzw. bei minderjährigen Schülern deren Erziehungsberechtigte, das Fach „Ethik, Kultur und Gesellschaft“ anstelle des Religionsunterrichts wählen können, ohne dass dies Diskriminierungen in irgendeiner Form nach sich zieht. Mit der Rechtsverordnung vom 3. Oktober 2022 wurde ab dem Schuljahr 2022/23 katholischer Religionsunterricht in Kindergärten eingeführt. Diese Entscheidung war in San Marino nicht unumstritten.
Vor 2018 gab es die folgenden Vereinbarungen zwischen der Republik San Marino und dem Heiligen Stuhl: das Währungsabkommen von 1931, die Vereinbarung über religiöse Feste von 1989 und das Konkordat von 1992. In Artikel 2 und 3 des Konkordats wird festgelegt, dass Krankenhauspatienten, Bewohner von Seniorenheimen und katholische Gefängnisinsassen Anspruch auf geistlichen Beistand haben.
Die Katholische Kirche San Marinos wird durch Einkommensteuereinnahmen des Staates finanziell unterstützt. Steuerzahler können beantragen, dass 0,3 % ihrer Einkommensteuerzahlungen an die Katholische Kirche oder andere karitative Einrichtungen, einschließlich anderer Religionsgemeinschaften, entrichtet werden.
In San Marino leben rund 200 Zeugen Jehovas, die als Verein registriert sind und ihren Glauben frei ausüben können. Nach einer 30-monatigen Schließung aufgrund der Coronapandemie öffneten die Zeugen Jehovas am 1. April 2022 wieder ihren Königreichssaal in San Marino.
Weil die muslimische Gemeinschaft ihre Verstorbenen während der Coronapandemie nicht in die Heimat rückführen und würdig beerdigen konnte, wurde auf dem Friedhof von San Marino ein Bereich für Bestattungen nach islamischem Ritus eingerichtet. Die Gräber wurden dabei in Richtung Mekka ausgerichtet.
Vorkommnisse und aktuelle Entwicklungen
Ein Jahr nach dem Referendum, bei dem sich die Mehrheit für eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ausgesprochen hatte, verabschiedete der Große und Allgemeine Rat (das vom Volk gewählte Einkammerparlament) am 1. September 2022 ein Gesetz, das „freiwillige Schwangerschaftsabbrüche“ regelt. Davor galten Schwangerschaftsabbrüche im Sinne der Paragrafen 153 und 154 des Strafgesetzbuchs von San Marino als Straftat, die mit Haftstrafen von sechs Monaten bis drei Jahren geahndet werden konnten. Mildere Haftstrafen (von drei Monaten bis einem Jahr) wurden bei Abtreibungen „aus Gründen der Ehre“, d. h. zur Verheimlichung von unehelichen Schwangerschaften, verhängt. Das Strafmaß galt dabei unter allen Umständen, so auch bei Vergewaltigungen, erheblichen Missbildungen des Fötus und Risikoschwangerschaften, die für das Leben der Schwangeren eine Gefahr darstellten.
Nach dem neuen Gesetz können Schwangerschaften bis zum Ende der zwölften Schwangerschaftswoche „ohne Angabe von Gründen“ beendet werden. Danach sind Abbrüche zulässig, „wenn Gefahr für das Leben der Schwangeren besteht, Auffälligkeiten oder Fehlbildungen beim Fötus nachweislich vorliegen und die physische oder psychische Gesundheit der Schwangeren erheblich beeinträchtigen oder die Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung oder Inzesthandlung resultiert“. Die Gegner dieses Gesetzes stellten einige darin behandelten inhaltlichen Aspekte in Frage, darunter der Umgang mit dem Thema sexuelle Orientierung, die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen bis zum neunten Schwangerschaftsmonat, der Aufklärungsunterricht an Schulen, der Zugang von Minderjährigen zu Verhütungsmitteln ohne die Zustimmung von Eltern oder Erziehungsberechtigten und die eingeschränkte Möglichkeit von Mitarbeitern im Gesundheitswesen zur Verweigerung aus Gewissensgründen. Anhänger der Pro-Life-Bewegung, die in den sozialen Medien als „Taliban, mittelalterlich und gewalttätig“ beschimpft wurden, befürchteten, dass sich die von jeher katholische Bastion San Marino durch das neue Gesetz in eine „freie Abtreibungszone“ verwandeln könnte.
Im September 2021 gab der Große und Allgemeine Rat einer Petition seiner Bevölkerung statt. Mit der Kampagne „Eine Unterschrift gegen Hass“ hatten die Bürger die Einrichtung einer Sonderkommission gegen Intoleranz, Rassismus und die Anstiftung zu Hass- und Gewalthandlungen gefordert. Damit wurde der Empfehlung der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) vom 27. Februar 2018 Rechnung getragen.
Die Republik San Marino nahm vom 11. bis 12. Mai 2022 an der Rabat Global Conference über „Internationale Normen zum Verbot der politischen Instrumentalisierung von Religion“ teil. Ziel der Initiative war die Definition von globalen Bestimmungen, um „jegliche Form von Diskriminierung und religiöser Ausgrenzung sowie die politische Instrumentalisierung von Religion, die neben der Gleichheit die Glaubens- und Kultusfreiheit untergraben,“ zu verbieten.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Abgesehen von den Debatten, die durch das neue Abtreibungsgesetz ausgelöst wurden, gab es im Berichtszeitraum keine gravierenden Fälle von religiöser Intoleranz. Die verschiedenen Religionsgemeinschaften San Marinos pflegen untereinander freundschaftliche Beziehungen. Seit 2016 findet jährlich ein Forum zu den Themen Dialog mit den Religionen, gesellschaftliche Vielfalt, junge Menschen, Einwanderer und Umwelt statt. Im April 2022 wurde von der Observatory for Security against Discriminatory Acts (Beobachtungsstelle zum Schutz vor Diskriminierungen) eine Konferenz zur Bekämpfung von Hassverbrechen und zur Prävention von Diskriminierungen veranstaltet.
In San Marino gibt es keinen Grund zur Annahme, dass die Religionsfreiheit eingeschränkt wird. Daher bleiben die Perspektiven in diesem Zusammenhang positiv.