Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Die russische Verfassung vom 12. Dezember 1993 erklärt in den Artikeln 14 und 28, dass die Russische Föderation ein säkularer Staat ist, der Religions- und Glaubensfreiheit garantiert. Artikel 14 (1) lautet: „Die Russische Föderation ist ein säkularer Staat. Keine Religion darf als Staatsreligion oder als obligatorisch eingeführt werden.“ Artikel 14 (2) lautet: „Religiöse Vereinigungen sind vom Staat getrennt und vor dem Gesetz gleich.“ Artikel 28 besagt: „Jedem wird die Gewissensfreiheit und die Glaubensbekenntnisfreiheit garantiert einschließlich des Rechts, sich allein oder gemeinsam mit anderen zu einer beliebigen Religion zu bekennen oder sich zu keiner zu bekennen, religiöse und andere Überzeugungen frei zu wählen, zu haben und zu verbreiten sowie nach ihnen zu handeln.“
In Artikel 19 Absatz 2 wird die Gleichheit der Menschen- und Bürgerrechte unabhängig von Religion oder Weltanschauung garantiert, indem hinzugefügt wird, „dass alle Formen der Einschränkung der Menschenrechte aus sozialen, rassistischen, nationalen, sprachlichen oder religiösen Gründen verboten sind“.
Artikel 13 Absatz 5 und Artikel 29 Absatz 2 verbieten die Förderung von Feindseligkeiten aus vier verschiedenen Gründen. Art. 13 (5) besagt: „Die Anstiftung zu sozialem, ethischem, nationalem und religiösem Streit ist verboten“. Artikel 29 Absatz 2 besagt, dass „Propaganda oder Agitation, die sozialen, ethnischen, nationalen oder religiösen Hass und Feindseligkeit hervorruft, verboten ist“.
In Artikel 30 Absatz 1 heißt es: „Jeder hat das Recht auf Vereinigung“.
Art. 59 Abs. 3 räumt im Falle des Wehrdienstes das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein. Sie besagt: „Im Falle, dass Überzeugungen oder religiöse Überzeugungen dem Militärdienst zuwiderlaufen und in anderen Fällen, die durch Bundesrecht festgelegt sind, haben die Bürger der Russischen Föderation das Recht, sie durch einen alternativen Zivildienst zu ersetzen.“
Im Januar 2020 wurden Änderungen an der Verfassung von 1993 vorgeschlagen, die vom russischen Parlament bestätigt wurden. Anschließend wurde ein Referendum einberufen, das es den russischen Wählern ermöglichte, die Verfassungsänderungen zu billigen. Nach Angaben der russischen Zentralen Wahlkommission zeigten am 1. Juli 2021 die Ergebnisse, dass mit mit einer Wahlbeteiligung von 65 Prozent der Wahlberechtigten 78 Prozent für die Verfassungsänderungen stimmten. Innerhalb eines Pakets von mehr als zweihundert Änderungen ist eine Änderung dazu bestimmt, die Geschichte der Vorfahren Russlands und die „Ideale und den Glauben an Gott“, die von den Vorfahren des Landes vererbt wurden, zur Kenntnis zu nehmen. Es ist die einzige ausdrückliche Bezugnahme auf Gott in der Verfassung und nach einem Verfassungsurteil verstößt dieser Bezug weder gegen den säkularen Charakter der Regierung noch gegen die Religionsfreiheit, sondern unterstreicht die „soziokulturelle Rolle der Religion bei der Bildung und Entwicklung der Nation“.
Zu den weiteren Verfassungsänderungen gehört die Anerkennung der Russischen Föderation als Nachfolgerin der Sowjetunion: „Die Russische Föderation ist die Rechtsnachfolgerin der UdSSR auf ihrem Territorium sowie die Rechtsnachfolgerin (Rechtsfortsetzerin) der UdSSR bezüglich der Mitgliedschaft in internationalen Organisationen, deren Organen, der Teilnahme an völkerrechtlichen Verträgen sowie bezüglich der durch die völkerrechtlichen Verträge vorgesehenen Verpflichtungen und Besitzungen der UdSSR außerhalb des Territoriums der Russländischen Föderation.“ (Artikel 67 Absatz 1). Der Verfassungsartikel geht nicht nur von einer Rechtsnachfolge (einschließlich des Territoriums der ehemaligen Sowjetunion) aus, sondern auch davon, dass sich die Russische Föderation als Fortsetzung der tausend Jahre alten Tradition der Heiligen Rus begreift: „Die Russische Föderation, vereint durch die tausendjährige Geschichte, das Andenken an die Vorfahren wahrend, die uns Ideale, den Glauben an Gott und die Kontinuität in der Entwicklung des Russländischen Staates überliefert haben, erkennt die historisch gewachsene staatliche Einheit an“. (Artikel 67, Absatz 2).
Das Gesetz über Gewissensfreiheit und Religionsgemeinschaft von 1997 (mit Änderungen in den Jahren 2019 und 2021) dient als wesentlicher Eckpfeiler der religiösen Gesetzgebung. In der Präambel werden die individuellen Rechte auf Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit und Gleichheit vor dem Gesetz ungeachtet der Religionszugehörigkeit und Überzeugung bestätigt. In Bezug auf die Religionen erkennt das Gesetz jedoch vier „traditionelle Religionen“ an (das Christentum [bedeutet: die russisch-orthodoxe Kirche], den Islam, das Judentum und den Buddhismus). Aus praktischen Gründen werden die römisch-katholische Kirche und die lutherische Kirche im Allgemeinen als traditionelle russische Religionen behandelt und ihre Vertreter zu offiziellen Anlässen eingeladen. Das Gesetz betont die besondere Rolle, die die Russisch-Orthodoxe Kirche aufgrund ihres historischen Beitrags zur Spiritualität und Kultur des Landes innehat. Außerdem sieht das Gesetz die Einteilung in drei verschiedene Kategorien von Religionsgemeinschaften vor: Religiöse Gruppen, lokale religiöse Organisationen und zentrale religiöse Organisationen (Art. 6).
De facto haben religiöse Gruppen das Recht, Rituale und Zeremonien durchzuführen, Gottesdienste abzuhalten und religiöse Lehren zu vermitteln. Sie sind jedoch nicht bei der Regierung registriert und haben somit auch keine Rechtspersönlichkeit. Dennoch sind religiösen Gruppen verpflichtet, die örtlichen Behörden zu informieren, wenn sie ihre Aktivitäten zum ersten Mal aufnehmen. Es ist Ihnen untersagt, ein Bankkonto zu eröffnen, Räumlichkeiten zu bauen, zu kaufen oder zu mieten, religiöses Material zu veröffentlichen oder zu importieren, Steuervorteile zu erhalten oder Gottesdienste in Gefängnissen, staatlichen Krankenhäusern oder in der Armee abzuhalten (Art. 7).
Um als lokale religiöse Organisation anerkannt zu werden, muss eine religiöse Gruppe aus mindestens zehn Personen über 18 Jahren bestehen, die ihren ständigen Wohnsitz im Genehmigungsgebiet haben. Die Registrierung findet sowohl auf Bundes- als auch auf lokaler Ebene statt. Als lokale religiöse Organisation darf man ein Bankkonto eröffnen, Gebäude für religiöse Zwecke kaufen und besitzen oder mieten, religiöse Literatur erwerben, importieren, exportieren und verbreiten, steuerliche und andere Vorteile genießen sowie Gottesdienste in Gefängnissen, Krankenhäusern oder in der Armee durchführen.
Es bedarf eines Zusammenschlusses von mindestens drei lokalen religiösen Organisationen, um sich als zentrale religiöse Organisation registrieren zu können. Zentrale religiöse Organisationen genießen dieselben Rechte wie die lokalen religiösen Organisationen. Besteht eine zentrale religiöse Organisation seit mehr als 50 Jahren im Land, darf sie das Wort "Russland" oder "russisch" in ihren offiziellen Titel aufnehmen (Art. 8 Abs. 5). Darüber hinaus können zentrale religiöse Organisationen auch weitere lokale religiöse Organisationen als Schwesternorganisationen gründen, ohne die ansonsten notwendigen Wartezeiten einhalten zu müssen.
Die Registrierung einer lokalen oder zentralen religiösen Organisation erfordert von einem Verein Folgendes: „eine Liste der Gründer und des Verwaltungsorgans der Organisation mit Adressen und Passinformationen; die Charta der Organisation; das Protokoll der Gründungsversammlung; die Zertifizierung der zentralen religiösen Organisation (im Falle von lokalen religiösen Organisationen); eine Beschreibung der Lehre, der Praktiken, der Geschichte und der Einstellungen der Organisation gegenüber Familie, Ehe und Bildung; die rechtliche Adresse der Organisation; eine Bescheinigung über die Zahlung von Regierungsbeiträgen; und eine Charta oder Registrierungsunterlagen des Verwaltungsorgans im Falle von Organisationen mit Hauptsitz im Ausland“.
Bevor ein offizieller Militärseelsorger für eine religiöse Gruppe ernannt werden kann, verlangt das Verteidigungsministerium, dass Mitglieder dieser religiösen Gruppe mindestens 10 Prozent einer Militäreinheit ausmachen.
Am 6. Juni 2016 wurde das Gesetz über Gewissens- und Religionsfreiheit von 1997 durch das sogenannte Jarowaja-Paket (374-FZ und 375-FZ) geändert. Die Abgeordnete Irina Jarowaja führte zusammen mit dem Senator Victor Osjorow ein Projekt zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus ein. In Russland werden Extremismus und Terrorismus als eine reale Bedrohung wahrgenommen. Dies wird auf zwei Tatsachen zurückgeführt: zum einen auf Versuche von außen, die muslimische Gemeinschaft in Russland zu radikalisieren und zum anderen auf die Politik Russlands in bewaffneten Konflikten, insbesondere in Tschetschenien, Georgien, der Ukraine und Syrien.
Diese vorgeblich reale Bedrohung ist oft ein Vorwand für Maßnahmen, die darauf abzielen, die autoritäre Herrschaft zu konsolidieren und soziale Stabilität durch Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten und eine verstärkte Überwachung zu erzielen. Durch die russische Sicherheitspolitik wird die Kompetenz der Sicherheitsbehörden fast jedes Jahr erweitert und es werden Anstrengungen unternommen, „der Informationsaggression des Westens entgegenzuwirken“. Die „Strategie für die Entwicklung der Informationsgesellschaft in der Russischen Föderation 2017-2030", die 2017 verabschiedet wurde, zeigt, dass die Sicherheit nicht das einzige politische Ziel ist. Die Strategie betont auch „traditionelle spirituelle und moralische Werte Russlands und die Einhaltung [entsprechender] Verhaltensnormen bei der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien“. Das russische Konzept umfasst sowohl materielle als auch kulturelle Sicherheit im Zusammenhang mit der Beständigkeit der Orthodoxie. Aus diesem Grund werden „fremde“ Religionsgemeinschaften, auch wenn sie in materieller Hinsicht keine Bedrohung darstellen, als Vertreter einer fremden, manchmal feindseligen Kultur angesehen.
Die Jarowaja-Änderungen verschärften die Einschränkungen für Religion im Zuge der Anti-Extremismus-Gesetze. Durch diese Änderungen wurde die „Missionstätigkeit“ neu definiert: Demnach sind Predigten, Gebete, die Verbreitung von Materialien und die Beantwortung von Fragen zur Religion außerhalb bestimmter Orte, insbesondere in Wohnräumen, zu verbieten (Artikel 24 Absatz 1 Nummer 2-3). Jede missionarische Tätigkeit auf dem Gelände, in Gebäuden und Anlagen einer anderen Religionsgemeinschaft sowie auf dem Gelände, auf dem sich solche Gebäude oder Anlagen befinden, ist ohne schriftliche Zustimmung des Leitungsorgans der jeweiligen Religionsgemeinschaft untersagt (Art. 24 Abs. 1 Nr. 4).
In einer anderen Änderung wird ein bürokratisches Missionsverfahren eingeführt (Art. 24 (2) (3-5)), in dem Russen eine staatliche Genehmigung durch eine registrierte religiöse Organisation erhalten müssen, um missionarischen Aktivitäten nachzukommen. Diese Beschränkungen gelten auch für Tätigkeiten in Privatwohnungen oder online (Artikel 24 Absatz 1 Unterabsatz 1). Darüber hinaus ist es allgemein verboten, auf der Straße zu lehren oder gemeinsam in Privathäusern zu beten, wie es für viele protestantische Konfessionen üblich ist.
Auch für Ausländer gibt es in Bezug auf religiöse Aktivitäten Beschränkungen. Das Jarowaja-Paket sieht vor, dass ausländische Missionare nachweisen müssen, dass sie von einer staatlich registrierten religiösen Organisation eingeladen wurden. Sie dürfen nur in Regionen tätig sein, in denen ihre Gemeinschaft registriert. (Artikel 24 Absatz 2 Nummer 3-4). Personen, die sich des Verstoßes gegen das Anti-Extremismus-Gesetz schuldig gemacht haben, werden mit Geldstrafen von bis zu umgerechnet etwa 740 Euro für eine Person und mit bis zu umgerechnet ca. 14.730 Euro für eine Gruppe oder Organisation belegt. Ausländischen Staatsangehörigen könnte die Abschiebung drohen.
Am 5. April 2021 unterzeichnete Präsident Wladimir Putin Änderungen des Gesetzes über Gewissensfreiheit und Religionsvereinigung von 1997. Diese Änderungen erfordern eine russische Zertifizierung von Geistlichen und religiösem Personal, das in ausländischen Bildungsorganisationen ausgebildet wurde. Es müssen zusätzliche berufliche Programme durchlaufen werden (einschließlich Schulungen „auf dem Gebiet der Grundlagen der staatlich-konfessionellen Beziehungen“). Damit soll die Führung religiöser Gruppen durch diejenigen verboten werden, die als Extremisten oder Terroristen gelten und es soll eine häufigere Berichterstattung durchgesetzt werden. Wie Sergey Gavrilov, Leiter des Ausschusses der Staatsduma für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und Fragen der öffentlichen und religiösen Vereinigungen, zum Ausdruck gebracht hat, ist die Voraussetzung nach zusätzlicher Ausbildung und Rezertifizierung ausländisch gebildeter Geistlicher „darauf ausgerichtet, die geistliche Souveränität Russlands zu schützen“.
Blasphemiegesetz
Am 29. Juni 2013 wurde ein sogenanntes Blasphemiegesetz erlassen, das Aktivitäten zum Strafbestand macht, die beabsichtigen, die „religiösen Gefühle" von Gläubigen zu verletzen. Dementsprechend sieht Artikel 148 des Strafgesetzbuches eine Geldstrafe bis zu einem Jahr, Freiheitsstrafe oder Zwangsarbeit vor für „Handlungen, die Respektlosigkeit gegenüber der Gesellschaft zeigen und mit dem Ziel durchgeführt werden, die religiösen Gefühle gläubiger Menschen zu verletzen“. Die „Beleidigung religiöser Gefühle“ war zuvor durch Artikel 5.26 des selten angewandten Administrativkodex geahndet worden. Dieses Vergehen wurde im Juli 2013 zu einem Straftatbestand gemacht, indem dieser Artikel dahingehend geändert wurde, dass er „die vorsätzliche öffentliche Schändung religiöser oder liturgischer Literatur, von Gegenständen religiöser Verehrung … weltanschaulicher Symbole und Utensilien oder deren Beschädigung oder Zerstörung“ miteinschließt. Die damit verbundenen Bußgelder erhöhten sich von 500 bis 1.000 Rubel (umgerechnet ca. 6,50 bis ca. 13 EUR) auf 30.000 bis 50.000 Rubel (umgerechnet ca. 388 bis ca. 647 EUR) oder auf bis zu 120 Stunden Zwangsarbeit und für Beamte von 100.000 auf 200.000 Rubel (umgerechnet von ca. 1.293 auf 2.586 EUR) (Stand 2020).
Laut eines Berichts des Global Legal Research Center werden die meisten Blasphemie-bezogenen Fälle gemäß Artikel 282 des Strafgesetzbuchs behandelt, der „Handlungen, die darauf abzielen, Hass [oder] Feindseligkeit zu schüren oder die Würde einer Person oder einer Gruppe von Menschen aufgrund ihrer Religion zu schmälern, [und die] öffentlich oder mit Hilfe der Massenmedien oder des Internets stattfinden“ verbietet. Solche Handlungen können mit unterschiedlichen Geldstrafen, Zwangsarbeit, Verbot bestimmter beruflicher Tätigkeiten oder Freiheitsstrafen von zwei bis fünf Jahren geahndet werden.
Weitere Gesetze
Das am 25. Juli 2002 verabschiedete Föderale Gesetz zur Bekämpfung extremistischer Aktivitäten verleiht den Behörden die Befugnis, die Religionsfreiheit und ihre Ausdrucksformen zu zensieren und ein breites Spektrum religiöser Aktivitäten zum Straftatbestand zu erklären. Artikel 13 dieses Gesetzes sieht die Erstellung einer Liste verbotener extremistischer Materialien vor. Da jedes Gericht Materialien zu dieser föderationsweiten Liste hinzufügen kann, kann ein gerichtliches Verbot eines bestimmten Materials, das in einer Stadt oder Region als "extremistisch" befunden wurde, im ganzen Land durchgesetzt werden. Anfang 2020 umfasste dieses vom Justizministerium geführte "Föderale Verzeichnis extremistischer Materialien" 5.018 Gegenstände. Der Umfang und die Ergänzung der gelisteten Gegenstände, die als extremistisch gelten, deuten auf einen abschreckenden Effekt hin, da nahezu jede Rede strafrechtlich verfolgt werden kann.
Vorkommnisse und aktuelle Entwicklungen
Die Menschenrechtsorganisation Memorial International identifizierte im November 2021 340 Personen, die aufgrund ihrer religiösen Überzeugung Verfolgung erfahren. Im Vergleich dazu waren es im gesamten Jahr 2020 228 Personen gewesen.
In den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 meldete das Informations- und Analysezentrum "SOWA" neben anderen Vorfällen von religiös motiviertem Vandalismus sieben Vorfälle von Vandalismus an religiösen Stätten: an zwei orthodoxen, zwei jüdischen, zwei heidnischen und einer protestantischen.
Am 15. November 2021 stufte das US-Außenministerium Russland als ein "besonders besorgniserregendes Land" ein. Diese Einstufung fand unter Berücksichtigung des Factsheets des Internationalen Religionsfreiheitgesetzes statt, aufgrund "der systematischen, anhaltenden und ungeheuren Verletzungen der Religionsfreiheit". Die Aufnahme Russlands in diese Liste wird seit 2017 jedes Jahr von der US-Kommission für internationale Religionsfreiheit (UCIRF) empfohlen.
Die meisten Verletzungen der Religionsfreiheit erfolgen gegen Personen, denen vorgeworfen wird, an Aktivitäten verbotener religiöser Gruppen teilgenommen zu haben. Die Zahl derer, die als „terroristisch“, „extremistisch“ oder „nicht traditionell“ gelten, ist beachtlich. Unter den muslimischen Gruppen gelten die türkischen Said Nursi, die panislamistische Bewegung Hizb ut-Tahir, Tadschikisans Islamische Partei der Wiedergeburt und Indiens Tablighi Jamaat als terroristisch; Gruppen wie Jehovas Zeugen, Falun Gong und die Scientology-Kirche sind wegen Extremismus verboten, und einige verbotene „unerwünschte Organisationen“ umfassen evangelikale Kirchen, die auf Proselytismus abzielen, mit der Begründung, dass sie gegen die anti-missionarischen Jarowaja-Gesetze verstoßen.
Zu den als „terroristisch“ bezeichneten Organisationen zählt auch die Hizb ut-Tahrir-Gruppe. Einigen westlichen Regierungen zufolge charakterisiert sich Hizb ut-Tahrir dadurch, dass sie darauf abzielt, ein islamisches Kalifat zu etablieren, jedoch auf Gewalt verzichtet. Das Projekt zur Bekämpfung des Extremismus legt jedoch nahe, dass sein erklärtes Ziel zwar darin besteht, muslimische Nationen friedlich in islamistische politische Systeme umzuwandeln, dass „Hizb ut-Tahrir-Mitglieder jedoch mit Gewalttaten in mehreren Ländern in Verbindung gebracht wurden“. Im Jahr 2003 wurde die Gruppe vom Obersten Gericht der Russischen Föderation verboten. Nach Angaben von Memorial International untersuchten, verurteilten oder klagten russische Behörden zwischen Januar und November 2021 18 Personen wegen angeblicher Beteiligung an.
Von den religiösen Gruppen, die als extremistisch oder unerwünscht eingestuft werden, sind diejenigen, die am meisten diskriminiert werden, meist kleinere hauptsächlich protestantische Gruppen, denen illegale Missionsarbeit vorgeworfen wird, für die in der Regel Bußgelder verhängt werden. Dennoch verbot die russische Regierung im Jahr 2021 vier Pfingstkirchen und eine orthodoxe Kirche, die aufgelöst wurde, da diese kein Mitglied der russisch-orthodoxen Kirche war.
Die „Zeugen Jehovas“ gelten immer noch als extremistische Organisation. Das "SOWA"-Zentrum berichtete 2020 von 146 Strafverfahren gegen diese religiöse Gruppe. Im Jahr 2021 wurden gegen mindestens 142 Zeugen Jehovas Strafverfahren eingeleitet. Beispiele unter den Zeugen Jehovas im Jahr 2022 sind Nikolai Stepanov und Juri Baranov, die am 5. September 2022 vom Stadtgericht Wologda für das Organisieren von Aktivitäten einer extremistischen Organisation verurteilt wurden. Stepanow wurde zu vier Jahren Haft und Baranow zu vier Jahren Bewährungsstrafe verurteilt. Am 8. September 2022 wurde nach einer Durchsuchung von 13 Häusern von Zeugen Jehovas in Tscheljabinsk eines der Mitglieder, Dmitrij Dolzhikow, verhaftet.
Im Februar 2021 wurde eine örtliche Gemeinde, die der Union der evangelischen Christen-Baptisten angehört, vom Stadtgericht Anapa verboten. Der Staatsanwalt erklärte, dass von 2018 bis 2020, die Gruppe ohne ordnungsgemäße Genehmigung des Justizministeriums der Region Krasnodar evangelisiert und Materialien verteilt hätten. Die Gruppe hat regelmäßig Gottesdienste für bis zu 200 Gläubige abgehalten, sich aber angeblich geweigert, sich zu registrieren.
Im selben Monat wurde ein 63-jähriger Christ aus dem Dorf Cholmsk in der Region Krasnodar wegen Durchführung eines Online-Bibelstudiums zu einer Strafe von 7½ Jahren verurteilt, dem höchstmöglichen Strafmaß.
Im März 2021 wurde ein Mitglied einer Baptistenkirche in Nowosergijewka in der Oblast Orenburg aufgrund der Durchführung illegaler Missionstätigkeiten gemäß Artikel 5.26 angeklagt. Ihm wurde unterstellt, zwischen November 2016 und Dezember 2020 gepredigt und die Verbreitung religiöser Traktate unterstützt zu haben. Obwohl er die Missionsarbeit leugnete, wurde er für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe verurteilt. Am 29. Dezember 2020 hatte er versucht, die Aktivitäten der Gruppe mit dem Justizministerium zu regeln.
Im April 2021 wurde ein Baptisten-Pastor in Obninsk in der Oblast Kaluga wegen illegaler Missionstätigkeit gemäß Artikel 5.26 bestraft. Das Haus von Pastor Vitalij Glebow wurde von Agenten des russischen Geheimdienstes FSB aufgesucht, nachdem mehrere ihm unbekannte Personen am 13. Januar in seinem Haus an einem Bibelstudium teilgenommen hatten. Am Freitag, dem 9. April, wurde er für schuldig befunden und es wurde eine Geldstrafe verhängt. Der Pastor sagte, er würde Einspruch einlegen.
Im Mai 2021 wurde die Bread of Life Church of Evangelical Faith in Kertsch auf der Krim für schuldig befunden und mit einer Geldstrafe für diverse administrative Verstöße gemäß Artikel 5.26 belegt, einschließlich des Versäumnisses, ihren vollen offiziellen Namen auf geteilten Videos auf ihren offiziellen Social-Media-Seiten anzugeben.
Von August bis September 2021 ordnete eine Kommunalverwaltung in Samara den Abriss des Anbetungsstätte der Good News Church an. Nach Angaben der Behörden verstieß das Kirchengebäude im Dorf Mechsawod, das zu einer in den USA ansässigen Pfingstkirche gehörte, gegen die Planungsvorschriften und es war kein Wechsel der Landnutzung von wohnlichen zu religiösen Zwecken registriert worden. Pfarrer Igor Ljaschewski beharrte darauf, dass eine ordnungsgemäße Baugenehmigung eingeholt worden sei und alle von den Behörden festgestellten Verstöße behoben worden seien.
Im März 2022 wurde der russisch-orthodoxe Priester Ioann Burdin wegen einer Sonntagspredigt, in der er den russischen Überfall auf die Ukraine verurteilte, zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Gericht verhängte am Donnerstag, den 10. März, eine Geldstrafe gegen den Priester der Diözese Kostroma. Burdin bestand darauf, dass die Anklage eine Verletzung seiner Religionsfreiheit darstelle und sagte, die Entscheidung des Gerichts sei „nicht nur ein Verbot seine Meinung zu äußern, sondern sogar seinen religiösen Glauben zu bekennen“.
Von Juni bis Juli 2022 wurde gegen den Priester Nikandr Igorjevitsch Pintschuk eine strafrechtliche Untersuchung wegen „Diskreditierung“ der russischen Streitkräfte gemäß Teil 1 des im März 2022 eingeführten Artikels 280.3 des Strafgesetzbuchs eingeleitet. Auf der Social-Media-Plattform Basa kritisierte der Pfarrer der St. Simeon Werchoturski-Kirche in Werchoturje die Militäraktion in der Ukraine aus religiösen Gründen. Er sagte gegenüber Forum 18: „Ich bin Priester und habe das Recht, das Böse anzuprangern, unabhängig davon, wer daran beteiligt ist und ungeachtet der politischen Situation“. Am Freitag, dem 1. Juli, wurde sein Haus durchsucht und drei Speicher-Sticks mitgenommen. Anschließend wurde er im Büro des russischen Untersuchungsausschusses verhört. Im März wurde Pintschuk, ein Priester der russisch-orthodoxen Auslandskirche (Provisorische Oberste Kirchenbehörde), zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er russische Handlungen in der Ukraine und den Beschuss orthodoxer Kirchen kritisiert hatte.
Am 14. September 2022 identifizierte das Oberste Gericht der Russischen Föderation die Islamische Partei der Wiedergeburt Tadschikistans als terroristische Organisation und verbot ihre Aktivitäten in Russland.
Religionsfreiheit im Kontext der russischen Angriffe auf die Ukraine 2014-2022
Russlands Überfall auf die Ukraine begann am 24. Februar 2022. Er gilt nicht als Beginn des Krieges, sondern als nächste Etappe eines Krieges, der 2014 von Russland begonnen wurde. Da die internationale Gemeinschaft die rechtswidrige Annexion der Krim sowie der Gebiete, die durch die anschließende Invasion der Ukraine erlangt wurden, nicht anerkennt, wird im Bericht der Ukraine auf Informationen über die Diskriminierung oder Verfolgung einzelner gläubiger und religiöser Gruppen und die Zerstörung religiösen Eigentums eingegangen.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Religiöse Minderheiten erlebten in Russland eine rechtliche Verfolgung aufgrund dessen, was die US-Kommission für internationale Religionsfreiheit als „eine Reihe problematischer Gesetzgebungen“ bezeichnete.
Zahlreiche Fälle wurden im Berichtszeitraum gemäß Artikel 5.26 des Gesetzbuches über Ordnungswidrigkeiten der Russischen Föderation eingeführt – insbesondere die Abschnitte vier („Russen, die missionarisch tätig sind“) und fünf („Ausländer, die missionarisch tätig sind“). Dieses Gesetz wurde 2016 als Teil des sogenannten Jarowaja-Pakets zur Bekämpfung des Extremismus eingeführt. Obwohl es angeblich darauf abzielt, die Gewissensfreiheit und die Wahl des religiösen Bekenntnisses des Einzelnen zu schützen, indem aggressiver und aufdringlicher Proselytismus verhindert wird, geht Artikel 5.26 in der Tat weit darüber hinaus, indem er „Missionsaktivitäten“ einschränkt, einschließlich Predigen, Beten (unter bestimmten Umständen), Verbreitung von Materialien und Bereitstellung von Informationen über Religion außerhalb bestimmter Orte, insbesondere in Wohnräumen oder an öffentlichen Orten.
Die bestehenden und zunehmenden rechtlichen Hindernisse für die Religionsfreiheit und die immer härter werdende Umsetzung dieser Gesetze deuten auf eine besorgniserregende negative Tendenz bezüglich der Zukunft dieses Menschenrechts hin.
Endnoten / Quellen