GESETZESLAGE ZUR RELIGIONSFREIHEIT UND DEREN FAKTISCHE ANWENDUNG
Die polnische Verfassung sieht Religions- und Gewissensfreiheit vor und knüpft damit an die Tradition Polen-Litauens an, das als erster Staat in Europa ein Edikt über religiöse Toleranz erließ – bekannt als Konföderation von Warschau oder „Warschauer Religionsfriede“ aus dem Jahr 1573. In der Präambel der Verfassung wird ausdrücklich auf Gott und das christliche Erbe der Nation verwiesen, doch werden auch diejenigen eingeschlossen, die nicht an Gott glauben, aber die universellen Werte der Wahrheit, der Gerechtigkeit, des Guten und des Schönen respektieren.
Die Beziehungen zwischen der Republik Polen und den Kirchen beruhen auf einem Modell der Zusammenarbeit, das in Artikel 25 (3) der Verfassung von 1997 zum Ausdruck kommt. Der Artikel beschreibt den Grundsatz der Achtung der Autonomie und der Zusammenarbeit für den Einzelnen und das Gemeinwohl.
Artikel 25 Absatz 2 garantiert die rechtliche Gleichstellung aller Kirchen und Religionsgemeinschaften. Laut Artikel 25 Absatz 4 und 5 regelt der Staat seine Beziehungen zur Römisch-Katholischen Kirche oder zu anderen Religionsgemeinschaften über bilaterale Verträge. Zwischen der Katholischen Kirche und Polen besteht seit 1993 ein Konkordat, in dem ihr Verhältnis zueinander formal festgehalten ist.
Artikel 53 Absatz 1 und 2 garantiert die Gewissens- und Religionsfreiheit für jede Person.
Gemäß Artikel 53 Absatz 3 haben „Eltern das Recht, ihre Kinder moralisch und religiös im Sinne ihrer Überzeugungen zu erziehen und zu unterweisen“.
Weiter heißt es in Absatz 5: „Die Freiheit der öffentlichen Religionsausübung darf nur dann per Gesetz eingeschränkt werden, wenn dies zur Verteidigung der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit und Moral oder zur Gewährleistung der Rechte und Freiheiten anderer erforderlich ist.“
In Artikel 85, Absatz 1–3 erkennt die Verfassung das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus religiösen Gründen an. Verweigerer können allerdings zu einem gesetzlich festgelegten Ersatzdienst verpflichtet werden.
Auch das polnische Strafgesetzbuch widmet sich Fragen der Religionsfreiheit. Artikel 196 besagt: „Wer die religiösen Gefühle anderer dadurch verletzt, dass er in der Öffentlichkeit ein Objekt der religiösen Verehrung oder einen Ort, der der öffentlichen Feier religiöser Riten gewidmet ist, schändet, wird mit Geldstrafe, Freiheitseinschränkungen oder Freiheitsentzug bis zu zwei Jahren bestraft.“ Dieselbe Strafe gilt gemäß Artikel 195 für Personen, „die böswillig die öffentliche Durchführung einer religiösen Zeremonie einer Kirche oder einer anderen religiösen Vereinigung mit geregeltem Rechtsstatus stören“.
Jeden 22. August begeht die polnische Regierung den Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer von Gewalthandlungen aufgrund der Religion oder der Weltanschauung unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen.
Religionsgemeinschaften, die gesetzliche Privilegien erhalten wollen, müssen sich nach einem bestimmten Verfahren registrieren lassen. Es hat Fälle gegeben, in denen die Registrierung verweigert wurde. Zudem kann die Registrierung unter gewissen Umständen aufgehoben werden. In Polen gibt es derzeit 15 registrierte Religionsgemeinschaften. Stand November 2022 hatten 191 Kirchen und Glaubensgemeinschaften eine Registrierung beantragt.
Vorfälle und Entwicklungen
Das Office for Democratic Institutions and Human Rights (Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte der OSZE, ODIHR) verzeichnete für Polen im Jahr 2021 165 Hassverbrechen. Was religiöse Vorurteile angeht, so gab es laut der ODIHR-Datenbank im Jahr 2021 19 Hassverbrechen gegen Juden, zwei gegen Muslime und 144 gegen Christen. Die vom ODIHR gemeldeten Hassverbrechen betrafen hauptsächlich die Katholische Kirche und ihre Mitglieder. Laut dem stellvertretenden Generalstaatsanwalt Krzysztof Sierak ist die Zahl der Straftaten gegen die Katholische Kirche und der Fälle von Beleidigung religiöser Gefühle gegen Christen von 59 Fällen im Jahr 2016 auf 106 im Jahr 2021 gestiegen.
Nach Angaben des in Torun ansässigen Labors für Religionsfreiheit gab es im Jahr 2021 137 Vorfälle gegen Christen, davon acht körperliche Angriffe vor allem auf römisch-katholische Priester, 119 Fälle von Schändungen und Beschädigungen von Kultstätten und -gegenständen sowie 10 weitere Vorfälle, darunter Aufstachelung zum Hass. Im Jahr 2022 gab es vier körperliche Angriffe auf Christen (Ziel waren auch hier jeweils römisch-katholische Priester). Darüber hinaus wurden 97 Vorfälle von Schändung und Beschädigung von Gebetsstätten und religiösen Gegenständen oder Symbolen sowie 10 weitere Vorfälle wie die oben genannte Aufstachelung zum Hass dokumentiert. Bei den hier geschilderten Vorfällen handelt es sich um eine repräsentative Auswahl.
Im Berichtszeitraum gab es eine Reihe von Fällen von Vandalismus an römisch-katholischen und jüdischen religiösen Stätten, „einschließlich Kirchen, Denkmälern und Friedhöfen“.
Im Januar und Juli 2021 wurde zunächst ein Mann zu fünf Jahren und fünf Monaten und dann ein weiterer Mann zu drei Jahren Haft verurteilt, die „einen Terroranschlag gegen die muslimische Gemeinschaft im Lande“ geplant hatten.
Am 28. April nahm Präsident Duda am „Marsch der Lebenden“ von Auschwitz nach Birkenau teil. In einer Rede in Birkenau erklärte er: „Wir sagen laut ‚Nein‘ zum Hass! Nein zum Antisemitismus! Wer mordet, wer gegen das Völkerrecht verstößt, muss zur Rechenschaft gezogen werden, und zwar streng und bedingungslos. Nie wieder Krieg! Nie wieder Holocaust! Möge die Erinnerung an die Ermordeten ewig leben!“
Rechtsradikale „Kameradschaften“ schürten im Berichtszeitraum immer wieder Hass gegen Juden. So rief eine Gruppe bei Demonstrationen in Grudź und Kalisz offen zur „Tötung und Ausgrenzung von Juden auf und beleidigte Personen jüdischer Abstammung“.
Am 22. Juli 2022 leitete die Polizei wegen „böswilliger Störung einer religiösen Handlung und Beleidigung religiöser Gefühle“ eine Strafanzeige gegen zwei junge Männer ein. Berichten zufolge hatten die Männer während einer katholischen Messe „Alkohol getrunken, geraucht und laut und beleidigend gesprochen“ und beim Verlassen des Gebäudes an ein Kreuz uriniert.
Im Januar 2022 verabschiedete die polnische Nationalpolizei einen Aktionsplan 2022–2025 „gegen Hassrede und Hassverbrechen aufgrund der Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit und Religion sowie gegen die Verbreitung von Faschismus und anderen totalitären Ideologien“.
Bei einem Neujahrstreffen für Vertreter von Religionen und ethnischen Minderheiten am 18. Januar 2022 unterstrich Präsident Duda „die Bedeutung der polnischen Traditionen, die Menschen vieler verschiedener Glaubensrichtungen zusammenbringen und ein Zusammenleben nach geteilten Werten ermöglichen“.
Am 24. Februar 2022 verurteilte die Gemeinschaft des Gewissens, die sich aus 12 Vertretern der Katholischen, Protestantischen und Orthodoxen Kirchen sowie jüdischen und muslimischen Führern zusammensetzt, den Einmarsch der Russischen Föderation in die Ukraine, erklärte sich mit dem ukrainischen Volk solidarisch und forderte staatliche Institutionen, Kirchen und religiöse Vereinigungen auf, „den Bürgern der Ukraine, die in Zukunft Zuflucht in Polen suchen könnten, jede notwendige Unterstützung zu gewähren“.
Seit über 25 Jahren begeht die Römisch-Katholische Kirche in Polen jährlich den Tag des Judentums und den Tag des Islam. Auch für die Zukunft ist es die erklärte Absicht der Katholischen Kirche, den interreligiösen Dialog weiter zu fördern.
Im Oktober 2020 kam es in Polen zu heftigen Protesten, nachdem das Verfassungsgericht das Gesetz, das Schwangerschaftsabbrüche bei fötalen Missbildungen erlaubt, als verfassungswidrig gekippt hatte. Im Zuge der Proteste kam es zu Angriffen auf katholische Kirchen und Geistliche sowie zu Störungen katholischer Messen. Im Oktober 2022, zwei Jahre nach diesem sogenannten „Schwarzen Protest“ gegen die Verschärfung der Abtreibungsgesetze, wurde Johanna Scheuring-Wielgus, einer Abgeordneten des polnischen Parlaments, die Immunität entzogen. Scheuring-Wielgus hatte am 25. Oktober 2020 eine Gruppe von Demonstranten in die St.-Jakobs-Kirche in Toruń geführt, wo sie die Messfeier störten.
Am 4. Oktober 2022 legte Justizminister Zbigniew Ziobro einen Entwurf zur Änderung von Artikel 196 des Strafgesetzbuches vor. Der Vorschlag kam als Reaktion auf „einen steilen Anstieg der Verletzungen der Religionsfreiheit“. Waren in den Jahren von 2008 bis 2015 noch insgesamt 163 solche Strafverfahren dokumentiert worden, lag ihre Zahl im Zeitraum 2016 bis 2021 bei 2400.
Wie bereits erwähnt, heißt es in Artikel 196: „Wer die religiösen Gefühle anderer dadurch verletzt, dass er in der Öffentlichkeit ein Objekt der religiösen Verehrung oder einen Ort, der der öffentlichen Feier religiöser Riten gewidmet ist, schändet, wird mit Geldstrafe, Freiheitseinschränkungen oder Freiheitsentzug bis zu zwei Jahren bestraft.“
Laut der polnischen Wirtschaftstageszeitung Dziennik Gazeta Prawna wurde nun vorgeschlagen diesen Wortlaut wie folgt zu ändern: „Wer die Kirche oder eine andere Glaubensgemeinschaft mit geregeltem Rechtsstatus, ihre Dogmen und Rituale öffentlich beleidigt oder lächerlich macht, wird mit Geldstrafe, Freiheitseinschränkungen oder Freiheitsentzug bis zu zwei Jahren bestraft.“ Die gleiche Strafe solle laut dem Vorschlag „für Personen gelten, die öffentlich ein Objekt der religiösen Verehrung oder einen Ort, der für die öffentliche Durchführung religiöser Riten bestimmt ist, beleidigen“.
Nachdem der von Zbigniew Ziobro, dem Gründer der Partei Solidarna Polska, vorgebrachte Vorschlag keinen Rückhalt bei der wichtigsten Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gefunden hatte, hatte Ziobro ein Bürgerbegehren unter dem Titel „Zur Verteidigung der Freiheit der Christen“ auf den Weg gebracht. Wie Ziobro am 4. Oktober erklärte, hatte Solidarna Polska bei der Petition, für deren weiteres Vorankommen 100 000 Unterschriften benötigt wurden, fast 400 000 Unterschriften gesammelt. Die Initiative „Zur Verteidigung der Freiheit der Christen“ wurde dem Parlament vorgelegt; Ende 2022 war sie noch nicht bearbeitet.
Ohne vorherige Ankündigung hat Google am 22. Oktober 2022 eine tägliche YouTube-Liveübertragung der ständigen Anbetung des Allerheiligsten Sakraments von Niepokalanów auf dem katholischen Fernsehsender EWTN Polska abgeschaltet. Der Youtube-Kanal von EWTN, der monatlich von rund einer Million Nutzern besucht wird, war schon zuvor zensiert worden. Im April 2021 hatte YouTube den Kanal erstmals für 24 Stunden gesperrt.
Im Zusammenhang mit der geopolitischen Lage infolge des Krieges in der Ukraine gab es im Berichtszeitraum mehrere Ereignisse, die die Religionsfreiheit betrafen. Besonders erwähnenswert ist der Besuch des Ökumenischen Patriarchs Bartholomäus vom März 2022. Bartholomäus war auf Einladung von Staatspräsident Andrzej Duda nach Polen gekommen, um die zahllosen ukrainischen Geflüchteten, die nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine im Land Zuflucht gesucht hatten, zu segnen und ihnen Trost zu spenden.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen religiöse Minderheiten unter Vorurteilen und entsprechenden Vorfällen leiden, kam es in Polen wiederholt zu Verletzungen der Religionsfreiheit der Mehrheitsreligion. Im Berichtszeitraum wurden mehrere katholische Priester körperlich angegriffen, und katholische Gotteshäuser und Denkmäler, insbesondere Kirchen, waren Ziel von Schändungen und Vandalismus.
Obwohl die sozioökonomische Lage aufgrund des Ukraine-Kriegs angespannt bleibt, gab es trotz der oben erwähnten Verletzungen der Religionsfreiheit durchaus positive Signale. Viele Politiker drückten die Wichtigkeit der von den verschiedenen Glaubensgemeinschaften geteilten Werte aus. Konkrete Maßnahmen wie der von der Nationalpolizei verfasste Aktionsplan 2022–2025 und positive interreligiöse Initiativen wie die Gemeinschaft des Gewissens lassen auf eine positive Entwicklung für die Religionsfreiheit in Polen hoffen.