Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Artikel 16 der Verfassung des Königreichs Norwegen garantiert das Recht auf freie Ausübung der Religion. Dieser Artikel legt auch fest, dass „die Norwegische Kirche, eine evangelisch-lutherische Kirche, die offizielle Kirche Norwegens ist und als solche vom Staat unterstützt wird“. Artikel 2 der Verfassung besagt, dass das „christliche und humanistische Erbe“ des Landes Grundlage der norwegischen Werte ist; Artikel 4 bestimmt, dass „der König sich stets zum evangelisch-lutherischen Glauben bekennen muss“. Artikel 16 besagt, dass „alle Religions- und Glaubensgemeinschaften zu gleichen Bedingungen unterstützt werden sollen“. Bis 2017 war die Norwegische Kirche rechtlich nicht vom Staat getrennt; Mitarbeiter der Kirche galten als Beamte. Dies änderte sich mit der Verabschiedung eines Gesetzes aus dem Jahr 2016, durch das die Kirche eine eigene Rechtspersönlichkeit erhielt.
Seit 2021 regelt das Gesetz über Glaubensgemeinschaften den religiösen Alltag der Gemeinschaften und Institutionen des Landes. Dieses Gesetz, mit dem drei bestehende Gesetze zur Regelung der Belange von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zusammengefasst wurden, verpflichtet religiöse oder spirituelle Organisationen auch weiterhin, sich registrieren zu lassen, um finanzielle Unterstützung erhalten zu können (Artikel 2.5). Zur erfolgreichen Registrierung muss eine Gemeinschaft „dauerhaft organisiert“ sein und mindestens 50 eingetragene Mitglieder haben, die in Norwegen ansässig sind und nicht bereits einer anderen Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaften angehören (Artikel 2.4). Eingetragenen Gemeinschaften können Zuschüsse aus verschiedenen Gründen verweigert werden: Dazu zählen die Ausübung von Gewalt oder Nötigung; die Verletzung von Rechten und Freiheiten (einschließlich der Rechte von Kindern); sowie die Annahme von Zuwendungen aus Ländern, in denen das Recht auf Religions- oder Glaubensfreiheit nicht geachtet wird (Artikel 2.6).
Diskriminierung und Belästigung aufgrund der Religion oder des Glaubens einer Person sind in Norwegen gesetzlich verboten. Ebenso sind öffentliche Äußerungen oder Symbole, wie zum Beispiel Drohungen, Beleidigungen, Aufstachelung zum Hass oder Verachtung gegenüber einem anderen Menschen aufgrund seiner Religion oder Lebensanschauung, gesetzeswidrig. Beschwerden über religiös motivierte Diskriminierung können an die Ombudsstelle für Gleichberechtigung und Antidiskriminierung gerichtet werden.
Rituelle Schlachtungen ohne vorherige Betäubung des Tieres sind untersagt; koschere und Halal-Lebensmittel dürfen jedoch importiert werden.
In allen privaten und öffentlichen Bildungseinrichtungen ist das Tragen gesichtsbedeckender Bekleidung (einschließlich Burka und Niqab) gesetzlich verboten. Das Verbot betrifft auch Mitarbeitende, Schüler/Studierende und Lehrpersonal. Die für Passfotos geltenden Bestimmungen wurden aufgrund von Beschwerden, hauptsächlich aus den Gemeinschaften der Sikhs und Muslime, im Oktober 2020 geändert; religiöse Kopfbedeckungen, die die Ohren bedecken, dürfen seither getragen werden.
In der Primär- und unteren Sekundarstufe ist das Unterrichtsfach „Kristendom, religion, livssyn og etikk“ (KLRE; Christentum, Religion, Lebensanschauung und Ethik) nach dem norwegischen Schulgesetz (Artikel 2.3) verpflichtend; dabei darf im Fach KRLE „nicht gepredigt werden“. Im Fach sollen den Schülern „verschiedene Weltreligionen und Lebensanschauungen auf sachliche, kritische und pluralistische Weise“ vorgestellt und der gegenseitige Respekt gefördert werden (Artikel 2.4). Eltern können für ihre Kinder eine Befreiung von der Teilnahme an Teilen des Unterrichtsangebots beantragen, gegen die sie aufgrund der eigenen Religion oder Weltanschauung Einwände haben (Artikel 2.3 a).
Vorkommnisse und aktuelle Entwicklungen
Das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) erhält von den Behörden der Mitgliedsstaaten jährliche Berichte über Hasskriminalität aller Art. Für das Jahr 2021 umfasste der Bericht von Norwegen 135 Fälle von Hasskriminalität aufgrund von religiöser Intoleranz; 71 davon waren antimuslimisch motiviert, die verbleibenden 64 Fälle durch nicht näher nach Glaubensbekenntnis aufgeschlüsselte Vorbehalte gegen andere Religionen oder Weltanschauungen. Dies bedeutet, dass 14 % aller von den norwegischen Polizeibehörden für das Jahr gemeldeten Fälle von Hasskriminalität (815) religiös motiviert waren. Der Bericht unterscheidet zwischen antisemitischen Vorfällen, die 2 % der Gesamtzahl aller Taten ausmachen, und anderen Fällen religiös motivierter Hasskriminalität; antisemitische Taten werden in Absprache mit den geistlichen Führern der jüdischen Gemeinschaft jedoch meist als ethnisch motiviert und nicht als religiös motiviert eingestuft. Auch in dem von den norwegischen Polizeibehörden veröffentlichten Bericht für das Jahr 2022 machten antisemitische Vorfälle 2 % der insgesamt 923 gemeldeten Fälle von Hasskriminalität aus; der Anteil der übrigen religiös motivierten Taten sank 2022 auf 10 %.
Laut dem Bericht des US-Außenministeriums über die internationale Religionsfreiheit für das Jahr 2021 kam es in Norwegen auffallend häufig zu Fällen von religiös motivierter Hassrede im Internet, insbesondere gegen Muslime und Juden. Besonders die Fälle von antimuslimischer Hassrede nahmen 2022 exponentiell zu, nachdem ein islamistischer Terrorist in Oslo einen Anschlag verübt hatte. Einige Internetnutzer merkten sogar an, dass nach dem Anschlag nicht nur antimuslimische Hetzreden, sondern Hassbotschaften gegen „Religion“ im Allgemeinen zunahmen. Antimuslimische und einwanderungsfeindliche Ressentiments waren dabei häufig miteinander verwoben.
Im September 2021 erklärte der Vorsitzende der Moschee in Bergen dem öffentlich-rechtlichen Sender NRK gegenüber, dass die Moschee regelmäßig hasserfüllte Briefe erhalte, weibliche Mitglieder der Moschee gestoßen und bespuckt worden seien und man ihnen ihre Hijabs vom Kopf gerissen habe. Aufgrund dieses Trends führte die Stadt einen Maßnahmenplan zur Vorbeugung von Straftaten gegen Muslime ein. Ein ähnlicher, vom norwegischen Ministerium für Kultur und Gleichheit initiierter Plan war im Zeitraum von 2020 bis 2023 bereits auf landesweiter Ebene eingeführt worden.
Im Juni 2021 wurde auch ein neues Schulgesetz verabschiedet; es stand in der Kritik, weil es die Gründung von Privatschulen, insbesondere christlicher Privatschulen, erschwerte. Im unmittelbaren Zusammenhang damit hatten einige norwegische Christen bereits zuvor die Beschneidung ihrer elterlichen Rechte beklagt, da sie der Ansicht waren, dass die Schulen ihren Kindern gegen ihre Willen „Genderideologien“ aufzwängen. Im Januar 2022 unterzeichneten mehr als 15 000 Personen eine Petition mit dem Titel „Schützt unsere Kinder vor geschlechterverwirrenden Lehrinhalten“.
Für eine Studie befragten der Assistenzprofessor Ronald Mayora Synnes und die Assistenzprofessorin Irene Trysnes der Universität von Agder im Jahr 2022 eine Reihe junger Christen und Muslime zu ihrem Social-Media-Verhalten. Die qualitative Forschungsarbeit kam zu dem Schluss, dass viele junge Menschen in Norwegen ihre religiösen Überzeugungen und ihre religiöse Identität auf den sozialen Medien aus Sorge vor negativen Reaktionen und verpasste berufliche Chancen nur verhalten zum Ausdruck bringen.
Im November 2021 entbrannte eine Kontroverse um das Kreuz einer in Skien neu errichteten Kirche. Einige der Anwohner hatten sich darüber beschwert, dass sie sich von dem Kreuz belästigt und provoziert fühlten. Nach Gesprächen zwischen der Gemeinde, der Stadtverwaltung von Skien und den Anwohnern teilte die Verwaltung der Kirchengemeinde mit, dass sie eine Lizenz erwerben müsse, um das Kreuz beleuchten zu dürfen. Der ursprünglichen Beschwerde zufolge hatten die Nachbarn sich jedoch von der Symbolik des Kreuzes, nicht dem Licht, gestört gefühlt.
Im Januar 2022 entzog die Staatsverwalterin von Norwegen den Zeugen Jehovas staatliche Fördermittel für 2021 in Höhe von insgesamt 16 Millionen Norwegische Kronen (NOK). Nach Angaben der örtlichen Presse wurde der Schritt mit den missbräuchlichen Praktiken der Gemeinschaft begründet.
Um den physischen Schutz von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die durch die Polizeischutzbehörde in ihrer jährlichen Bedrohungsanalyse als gefährdet eingestuft wurden, zu gewährleisten, stellt das Ministerium für Justiz und öffentliche Sicherheit weiterhin Zuschüsse in Höhe von 5 Millionen NOK bereit. Als Teil des Maßnahmenplans gegen Rassismus und Diskriminierung aufgrund von Ethnie und Religion für die Jahre 2020 bis 2023 stellte die Regierung im Rahmen ihres Haushalts für das Jahr 2021 Mittel für die Bewusstseinsbildung und Forschung zum Thema Hasskriminalität bereit.
Die Aktivitäten der katholischen Kirche entsprachen im Berichtszeitraum der Norm. Besondere Highlights umfassten die Feier des 100. Jahrestags der ersten Kirche in Svalbard, und damit des nördlichsten Kirchengebäudes der Welt, sowie das Treffen der Bischofskonferenz der nordischen Länder in Tromsø im März 2022.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Im Berichtszeitraum blieb die Lage der Religionsfreiheit stabil und zeigte keine Anzeichen für eine staatliche Einschränkung oder einen Anstieg der religiös begründeten Hasskriminalität. Die Regierung setzte einen Schwerpunkt auf Maßnahmenpläne gegen religiöse Diskriminierung, insbesondere der muslimischen und jüdischen Gemeinschaften; im Interesse der Gleichberechtigung könnte erwogen werden, ähnliche Pläne für die Vorbeugung von Diskriminierung gegen Christen umzusetzen. Die Aussichten für die Religionsfreiheit bleiben weiterhin positiv.