Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Marokko ist eine Erbmonarchie und wird seit Jahrhunderten von einer sunnitischen Dynastie regiert. Der amtierende Monarch ist König Mohammed VI., der als Nachfahre des Propheten Mohammed gilt. Über 99 % der Bevölkerung des Landes sind sunnitische Muslime der malikitischen Rechtsschule. Andere Religionsgemeinschaften machen insgesamt weniger als 1 % der Bevölkerung aus.
Die jüdische Gemeinschaft hat in Marokko eine lange Geschichte, doch die meisten Juden haben das Land nach der Gründung des Staates Israel verlassen. Lebten 1948 noch rund 265.000 Juden in Marokko, liegt die geschätzte Zahl derzeit bei 2281. Die meisten Juden leben in Casablanca. Aufgrund der Entscheidung, nach Israel ausgewanderten marokkanischen Juden nicht die Staatsangehörigkeit zu entziehen, gibt es jedoch eine Gemeinschaft von rund einer Million marokkanischen Juden bzw. Juden marokkanischer Abstammung. Diese machen mehr als 10 % der israelischen Bevölkerung aus. Fragen des Personenstands, etwa Eheschließungen oder Erbschaftsfragen, werden für Juden in Marokko durch rabbinische Gerichte geregelt.
Die Anzahl der Christen aller Konfessionen im Land wird mit 31 550 beziffert (davon etwa 18 500 Katholiken und 4800 Protestanten). Die überwiegende Mehrheit der Christen sind Ausländer. Sie nutzen die Kirchen, die zur Zeit des französischen Protektorats (1912‒1956) gebaut wurden. Darüber hinaus gibt es in Marokko eine wachsende Gemeinschaft von Evangelikalen aus Ländern südlich der Sahara, die sich in privaten Wohnungen oder Häusern zum Gottesdienst treffen. Wie viele marokkanische Muslime zum Christentum konvertiert sind, ist nicht eindeutig belegt; die Zahl indigener Christen wird auf 8 000 bis 31 500 geschätzt. Außerdem leben auch kleine Gruppen von nicht anerkannten Schiiten (166 098) und Bahai (37 662) im Land. Kirchen ist es untersagt, zum Christentum konvertierten Marokkanern Zutritt zu gewähren, sodass diese gezwungen sind, ihren Glauben rein privat zu praktizieren. Christliche Ehen werden von der Regierung nicht gesetzlich anerkannt.
Gemäß der Präambel der marokkanischen Verfassung von 2011 ist das Land ein souveräner muslimischer Staat, dessen „gemeinschaftliche Grundlage [...] der gemäßigte Islam [...]“ ist (Artikel 1, Absatz 3). In Artikel 3 heißt es weiter: „Der Islam ist Staatsreligion; der Staat gewährleistet allen Menschen die freie Religionsausübung.“ Weder Verfassungsänderungen noch politische Parteien oder Parlamentarier dürfen gegen den Islam verstoßen. Andere Religionen als der Islam und das Judentum werden weder von der Verfassung noch von den Gesetzen anerkannt.
Laut Artikel 41 der Verfassung hat der König als „Oberhaupt der Gläubigen“ Sorge für die Achtung vor dem Islam zu tragen. Er ist der „Garant der freien Religionsausübung“ und hat im Obersten Rat der Ulema (Religionsgelehrten) den Vorsitz inne. Allein diesem Rat ist es vorbehalten, religiöse Rechtsauskünfte (Fatwas) zu erteilen, die offiziell den „Prinzipien und Absichten des Islam“ entsprechen. Der marokkanische Rat der Ulema für Europa wurde im April 2004 gegründet, um unter anderem „die ordnungsgemäße Erfüllung der religiösen Pflichten, die Verehrung des Islam und die Bewahrung seiner Gebote für alle in Europa lebenden marokkanischen Männer und Frauen in einem Rahmen der Ruhe und der spirituellen Sicherheit gemäß der aschʿaritischen Lehre und dem malikitischen Ritus zu gewährleisten“ und „der in Europa lebenden marokkanischen muslimischen Gemeinschaft Orientierung zu geben, indem er die muslimischen Gebote der Toleranz, der Tugend und der wahren Werte verbreitet und sich für die Erteilung religiöser Ratschläge (Fatwa) auf Grundlage des Korans, der Sunna und der Einzigartigkeit des malikitischen Ritus einsetzt“.
Das marokkanische Strafgesetzbuch sieht eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis zu drei Jahren sowie eine Geldbuße von 200 bis 500 Dirham (umgerechnet ca. 18 bis 45 Euro) für jeden vor, der andere „mit Gewalt oder Drohungen zwingt oder daran hindert, den Gottesdienst zu besuchen“. Dieselbe Strafe droht jedem, der „Muslime verführt, um ihren Glauben zu untergraben oder sie zu einer anderen Religion zu bekehren, indem er ihre Schwäche oder Bedürfnisse ausnutzt oder sich hierfür einer Einrichtung des Bildungs- oder Gesundheitswesens, eines Heimes oder eines Waisenhauses bedient. Im Falle einer Verurteilung kann die dauerhafte oder auf einen Zeitraum von höchstens drei Jahren begrenzte Schließung der Einrichtung, die zur Begehung der Straftat gedient hat, angeordnet werden“ (Artikel 220, Absatz 2). Die Behörden sind rechtlich befugt, alle Einwohner, die nicht die Staatsbürgerschaft besitzen und als „Gefahr für die öffentliche Ordnung“ angesehen werden, kurzerhand auszuweisen; diese Klausel wird auch bei Ausländern angewandt, die der Missionierung verdächtigt werden.
Ein freiwilliger Religionswechsel erfüllt keinen Straftatbestand. Marokkanische Konvertiten zum Christentum genießen jedoch nicht die gleichen Rechte wie andere, obwohl Diskriminierung aufgrund der Religion in bestimmten Fällen (z. B. Verweigerung einer Ware, einer Dienstleistung oder einer Beschäftigung) mit einer Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu zwei Jahren und einer Geldstrafe von 1.250 bis 50.000 Dirham (113 bis 4.500 Euro) geahndet wird. Zu religiösen Minderheitengemeinschaften Konvertierte beklagen, dass sie gesellschaftlichen Schikanen ausgesetzt seien, von der Ächtung durch ihre Familien über gesellschaftliche Verächtlichmachung bis hin zu Diskriminierung am Arbeitsplatz und sogar potenzieller Gewalt durch „Extremisten“. Viele sehen sich dadurch gezwungen, ihren Glauben im Verborgenen zu praktizieren. In einem Appell an die Regierung forderte die Nationale Koordination marokkanischer Christen eine Revision der Gesetze, die die Möglichkeit einschränken, Gottesdienste in offiziellen Kirchen abzuhalten und zu besuchen. Weiterhin forderte sie die Anerkennung des Rechts auf kirchliche Eheschließung sowie der Rechte, Kindern christliche Namen zu geben, auf christlichen Friedhöfen bestattet zu werden und fakultativen Religionsunterricht für marokkanische Christen in öffentlichen Schulen zu erhalten.
Die „Unterminierung der islamischen Religion“ gilt in Marokko als Straftat und wird mit einer Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und zwei Jahren und einer Geldstrafe zwischen 20.000 und 200.000 Dirham (1.800 bis 18.000 Euro) oder nur mit einer dieser beiden Strafen geahndet. Als strafverschärfend (zwei bis fünf Jahre Freiheitsentzug und/oder 50.000 bis 500.000 Dirham Geldstrafe, umgerechnet 4.500 bis 45.000 Euro) gilt es, wenn diese Taten an öffentlichen Orten oder bei Versammlungen in Form von Reden, Ausrufen oder Drohungen erfolgen, wenn öffentliche Poster aufgehängt werden oder andere elektronische, Print- oder audiovisuelle Medien verkauft oder auf sonstige Weise öffentlich verbreitet werden. Die Bildung von Vereinigungen, deren Ziel es ist, den Islam zu untergraben, ist verboten.
Wer vorsätzlich die Ausübung religiöser Handlungen oder Zeremonien behindert oder stört, kann mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu drei Jahren und einer Geldstrafe von 200 bis 500 Dirham (18 bis 45 Euro) belegt werden. Vandalismus im Zusammenhang mit Kultstätten oder heiligen Texten kann mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zwei Jahren und einer Geldstrafe von 100 bis 500 Dirham (9 bis 45 Euro) geahndet werden (Artikel 223). Muslime, die „an öffentlichen Orten während des Ramadan das Fasten brechen, ohne dass es dafür einen durch die Religion anerkannten Grund gibt“, müssen mit Gefängnisstrafen von einem bis sechs Monaten und Geldstrafen zwischen 200 und 500 Dirham (18 bis 45 Euro) rechnen. Wer während oder anlässlich von Sportwettkämpfen oder -veranstaltungen oder deren öffentlicher Übertragung zum Hass gegen eine oder mehrere Personen wegen „ihrer tatsächlichen oder angenommenen Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer [...] bestimmten Religion“ aufstachelt, wird mit einer Freiheitsstrafe zwischen einem und sechs Monaten und einer Geldstrafe zwischen 1.200 und 10.000 Dirham (108 bis 900 Euro) oder nur mit einer dieser beiden Strafen belegt.
Familienstandsangelegenheiten muslimischer Bürger werden durch die staatliche Auslegung der Scharia geregelt. Muslimische Männer dürfen christliche oder jüdische Frauen heiraten; muslimischen Frauen hingegen ist die Ehe mit einem andersgläubigen Mann untersagt. Nach marokkanischem Recht muss ein nicht muslimischer Mann, der eine muslimische Frau heiraten möchte, zum Islam konvertieren. Die Konversion erfolgt vor einem Adoul (Hilfsrichter, der muslimischen Glaubens sein muss). Für die Eheschließung von Konvertiten ist eine von einem Richter genehmigte offizielle Konversionsbescheinigung erforderlich. Im Ausland lebende Marokkaner, die eine gültige Ehe eingehen wollen, müssen diese in Anwesenheit von zwei muslimischen Zeugen schließen. Nur muslimische Ehepartner, muslimische Frauen oder Institutionen dürfen verlassene Kinder in Obhut nehmen („kafala“). Die Kafala beinhaltet die Verpflichtung, für den Schutz, die Erziehung und den Unterhalt des Kindes zu sorgen, so wie es ein leiblicher Vater tun würde, jedoch ohne Begründung eines Abstammungsverhältnisses oder einer Erbfolge. Andererseits muss der von der Person, die die Geburtserklärung vor dem Standesamt abgibt, gewählte Vorname „marokkanischen Charakters“ sein.
Koranschulen und Freitagspredigten werden in Marokko regelmäßig von der Regierung kontrolliert. Dementsprechend werden alle Imame überprüft und müssen einen Zertifizierungskurs absolvieren, bevor sie die Freitagsgebete leiten dürfen. Alle Moscheen müssen spezifische Sicherheitsstandards erfüllen und werden als öffentliche Gebäude sicherheitsüberprüft. Für den Religionsunterricht gelten staatlich festgesetzte Normen. Frauen haben das Recht, „Murschida“ bzw. zweites Oberhaupt innerhalb einer muslimischen Gemeinde zu werden. Das Institut Mohammed VI. wird vom Staat mit umfassenden Mitteln zur Durchführung von Schulungsprogrammen für Imame und Murschidin gefördert, die eine staatlich anerkannte Version des „gemäßigten Islam“ verkünden. Ziel dieser Programme ist es, auf die „Aufgabe, die Gebote der islamischen Scharia zu verbreiten“, vorzubereiten, „ihre Merkmale wie Toleranz, Gerechtigkeit und Mäßigung zu betonen sowie zum Erhalt der religiösen Eintracht [‚unité confessionnelle‘] der Gesellschaft und ihrem Zusammenhalt beizutragen“. Natürlich dienen diese Schulungsprogramme auch als Instrumente zur Festigung der staatlichen Autorität und zur Verhinderung extremistischer Erscheinungen. Der Druck und die Vervielfältigung, Aufzeichnung, Veröffentlichung und Verbreitung des Korans ist in Marokko Muslimen vorbehalten. Herausgeber und Vertriebskanäle müssen sich in ihren Aktivitäten an die islamische Scharia halten.
Die Allgemeine Delegation für Gefängnisverwaltung und Wiedereingliederung (DGAPR) erlaubt Gefängnisinsassen – darunter auch Angehörigen religiöser Minderheiten – grundsätzlich die Teilnahme an Andachten und Diensten, die von religiösen Führern geleitet werden.
Marokko ist seit 1979 Vertragspartei des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, ohne Vorbehalte gegen den Vertragstext geltend gemacht zu haben. Allerdings wurde das Fakultativprotokoll, das Individualbeschwerdeverfahren zulässt, von marokkanischer Seite bislang nicht unterzeichnet.
Vorfälle und Entwicklungen
Marokko pflegt seinen Ruf als gemäßigtes islamisches Land und als Referenz für die muslimische Welt, unter anderem durch die Förderung von Foren für den interreligiösen und interkulturellen Dialog unter Einbeziehung öffentlicher Einrichtungen und der Wissenschaft. Über die Mohammed-VI.-Stiftung für afrikanische Ulema fördert das Land zudem die Ausbildung ausländischer islamischer Geistlicher, meist aus afrikanischen Ländern. Die 2016 gegründete Stiftung verfolgt das selbsterklärte Ziel, „die Werte des toleranten Islam zu verbreiten und zu festigen.“ So wurde etwa im September 2022 ein Abkommen zwischen dem malischen Minister für religiöse Angelegenheiten und seinem marokkanischen Amtskollegen über die Ausbildung von 300 Imamen und Murschidin am Mohammed-VI.-Institut unterzeichnet. Hunderte von nigerianischen muslimischen Geistlichen haben bereits an dieser Einrichtung studiert.
Seit der von den USA vermittelten Gemeinsamen Erklärung vom Dezember 2020, mit der Israel als Staat anerkannt und diplomatische Beziehungen aufgenommen wurden, haben sich die Beziehungen zwischen Marokko und Israel schrittweise normalisiert. Auch für die Gemeinschaft der Juden in Marokko hat damit ein neues Kapitel begonnen. So ist Marokko zum Beispiel das einzige Land in der muslimisch-arabischen Welt, in dem der Staat derzeit Projekte zur Restaurierung jüdischer Friedhöfe und Synagogen sowie zur Renovierung jüdischer Viertel und religiöser Stätten finanziert. Auf Anweisung von König Mohammed VI. wurden die Gassen und Plätze des jüdischen Viertels (ehemals Hay Essalam) in Marrakesch zur Wahrung ihres historischen Gedächtnisses wieder in ihre ursprünglichen jüdischen Namen umbenannt.
Darüber hinaus kündigte die marokkanische Regierung im Oktober 2021 an, jüdische Geschichte sowohl in arabischer als auch französischer Sprache in den Lehrplan öffentlicher Schulen einzubeziehen. An der Polytechnischen Universität Mohammed VI. wurde zudem die erste Campussynagoge in der arabischen Welt errichtet. Ein weiterer symbolträchtiger Schritt war Ende 2022 die erstmalige Aufführung eines der berühmtesten israelischen Theaterstücke überhaupt. Das Stück beschreibt das Leben in einem sephardischen Viertel Jerusalems im frühen 20. Jahrhundert. Zu guter Letzt wurden auf Weisung des Königs der „Nationale Rat der marokkanischen jüdischen Gemeinschaft“ sowie die „Stiftung des marokkanischen Judentums" ins Leben gerufen. Ziel letzterer ist es, das „immaterielle marokkanisch-jüdische Erbe zu fördern, seine Traditionen und Besonderheit zu bewahren und zum Erhalt der anerkannten strukturellen, historischen und spirituellen Beziehungen der Juden zu Marokko beizutragen“. Der Oberrabbiner von Marokko wird vom König auf Vorschlag des Ratsbüros nach Anhörung der rabbinischen Kammern der Gerichte des Königreichs ernannt.
Marokko hat sich in den vergangenen Jahren zu einer kontinentalen Macht und einer Brücke zur Europäischen Union entwickelt. Trotz der engen Beziehungen Marokkos zu einigen EU-Mitgliedsstaaten in einer Vielzahl von Bereichen, darunter Migration, Handel und Terrorismusbekämpfung, hat sich das Verhältnis zuletzt eingetrübt. Grund dafür waren mehrere Entschließungen des Europäischen Parlaments, in denen Menschenrechtsverletzungen in Marokko und der weit verbreitete Einsatz der illegalen Überwachungssoftware Pegasus der NSO Group angeprangert wurden. Die Anschuldigungen wurden von marokkanischer Seite zurückgewiesen. Unterstützung erhielt Marokko dabei von der Arabischen Interparlamentarischen Union, die das Vorgehen des Europäischen Parlaments verurteilte.
Die USA erkannten Marokko kürzlich als „wichtigen Partner für Stabilisierungsbemühungen in der Region“ und „in einer Reihe von Sicherheitsfragen“ an und hoben die Rolle des Landes für das Globale Forum zur Terrorismusbekämpfung und die Globalen Koalition zur Bekämpfung des IS hervor. Zudem sei Marokko, „ein wichtiger Nicht-NATO-Verbündeter“ und aufgrund seiner strategischen Lage „ein Tor zum afrikanischen Kontinent“. Marokko bezieht 91 % seiner Waffen aus den USA, mehr als jedes andere Land im Nahen Osten und Nordafrika (MENA). Aufgrund dieser engen Beziehungen erkannte die Trump-Administration im Dezember 2020 die marokkanische Souveränität über das gesamte Westsahara-Gebiet an – entgegen der Resolution 35/19 der UN-Generalversammlung, in der das „unveräußerliche Recht des Volkes der Westsahara auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit“ anerkannt wurde.
Im März 2021 forderten etwa fünfzig Bewohner des Viertels Farah 2 in Settat, einer Stadt zwischen der Hauptstadt Rabat und Marrakesch, den Provinzgouverneur in einem Brief auf, gegen „die Umwandlung einer Villa in eine katholische Kirche“ in ihrem Viertel und die damit verbundenen Schäden zu intervenieren. Die Verfasser des Briefs betonten, dass sie für eine Koexistenz seien, sofern diese nicht die künftigen Generationen schädige.
Essen und Trinken in der Öffentlichkeit während des Ramadans werden in vielen muslimischen Gesellschaften seit Langem heftig debattiert, so auch in Marokko, wo Jahr für Jahr zum Ramadan im ganzen Land öffentliche Fastenbrecher festgenommen werden. Im Berichtszeitraum wurde etwa am 28. April 2021 ein Mann in Marrakesch für dieses Vergehen verurteilt. Er hatte im Jahr 2020 öffentlich das Fasten des Ramadans gebrochen. Der Mann wurde zu einer zweimonatigen Haftstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe von 500 Dirham (45 Euro) verurteilt. Zwei weitere Personen wurden in Marrakesch zu einmonatigen Haftstrafen auf Bewährung und Geldstrafen von jeweils 1.000 Dirham (90 Euro) verurteilt, weil sie während des Ramadan in der alten Medina öffentlich zu Mittag gegessen hatten, was Anwohner veranlasste, die Behörden zu alarmieren.
Im Juni 2021 verurteilte ein marokkanisches Gericht eine marokkanisch-italienische Frau zu dreieinhalb Jahren Haft und 50.000 Dirham (4.500 Euro) Geldstrafe, weil sie angeblich auf Facebook den Islam beleidigt und Verse gepostet hatte, die den Alkoholkonsum verherrlichten. Die Frau wurde jedoch wenig später freigelassen, und auch die Geldstrafe wurde im August 2021 von einem Berufungsgericht aufgehoben.
Im September 2021 wurde ein der Anwaltskammer von Rabat angehörender Rechtsanwalt in erster Instanz zu drei Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 20.000 Dirham (1.800 Euro) verurteilt. Ihm wurde unter anderem vorgeworfen, bei einer Live-Übertragung in sozialen Netzwerken Hass geschürt und den Islam unterwandert zu haben. Des Weiteren musste der Anwalt jedem der Beschwerdeführer eine Entschädigung in Höhe von 15.000 Dirham (1.350 Euro) zahlen.
Im April 2022 ließ die marokkanische Generaldirektion für nationale Sicherheit (DGSN) rund 80 Personen in einem Café am Boulevard d‘Anfa in Casablanca verhaften, die während des Ramadans öffentlich gegessen und damit gegen Artikel 222 des Strafgesetzbuchs verstoßen hatten. Viele marokkanische Internetnutzer protestierten unter dem Hashtag #Stop222 gegen die Verhaftung von Fastenbrechern. Nach Angaben der Bewegung „Moroccan Outlaws“, die mit einigen der Verhafteten in Kontakt stand, wurden die festgenommenen jungen Frauen vor Ort auf Anzeichen von Menstruation untersucht (Während der Monatsblutung ist das Fastenbrechen erlaubt). Die Polizeibehörden bestritten dies jedoch.
Im Juni 2022 untersagten die marokkanischen Behörden die Aufführung und Vermarktung des umstrittenen britischen Films „The Lady of Heaven“ über die Tochter des Propheten Mohammed. Der Rat der Ulema, Marokkos höchste religiöse Autorität, hatte den Film als „eklatante Verfälschung von Tatsachen“ und als abscheuliches Werk, das „von Muslimen nicht akzeptiert werden kann“, verurteilt.
Im August 2022 wurde die Bloggerin Fatima Karim in Oued Zem in erster Instanz wegen Beleidigung des Islam auf Facebook zu zwei Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 50.000 Dirham (4.500 Euro) verurteilt. Das Gericht stützte sich in seinem Urteil auf Artikel 267-5 des marokkanischen Strafgesetzbuchs (Untergrabung des Islam). Das Urteil wurde vom Berufungsgericht von Khouribga bestätigt. Ebenfalls im August 2022 wurde in Oued Zem ein junger Mann verhaftet, weil er angeblich geschichtsfälschende Materialien, die den Islam und die Symbole des Königreichs unterminierten, veröffentlicht hatte.
Neben dem allgemeinen Verbot, „marokkanischen Muslimen alkoholische Getränke anzubieten oder zu verkaufen“, besteht in Marokko ein Verbot des Verkaufs von alkoholischen Getränken in touristischen Einrichtungen und Spirituosengeschäften am Vorabend des Ramadans. Das Verbot ist seit Juli 1967 in Kraft. Im November 2022 erklärte der marokkanische Justizminister seine Absicht, das Gesetz, dessen Nichtbeachtung mit bis zu sechs Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von rund 140 Euro geahndet wird, aufzuheben.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Marokkos wachsende Relevanz in Fragen der internationalen Sicherheit zeigt sich neben den Kooperationsabkommen mit den USA auch in der Anerkennung des Staates Israel. Diese Entwicklung dürfte nicht nur der jüdischen Gemeinschaft zugutekommen, sondern sich auch auf die Förderung und den Schutz aller Grundrechte im Land – und damit auch irgendwann der Religionsfreiheit – auswirken. Marokkos internationaler Führungsrolle und dem Ruf des marokkanischen Königs in der muslimischen Welt ist es zu verdanken, dass inzwischen in vielen muslimisch geprägten Nationen der Region offener über Initiativen für mehr Toleranz gegenüber Nicht-Muslimen gesprochen wird. Auch die Teilhabe Marokkos an internationalen Foren wie dem Negev-Forum (einem neuen Kooperationsrahmen, dem die USA, Israel, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Bahrain angehören) könnte positive Impulse für die MENA-Region und den langjährigen israelisch-palästinensischen Konflikt zeitigen.
Ist diese stärkere internationale Verflechtung auch ein ermutigendes Zeichen, besteht dennoch eine große Diskrepanz zwischen den außenpolitischen Tendenzen der Regierung und den tatsächlichen Aussichten für die Religionsfreiheit der marokkanischen Bevölkerung. So präsentieren sich die Behörden gegenüber fremden Religionen als wohlgesonnen, solange diese außerhalb des Staatsgebiets praktiziert werden und es sich bei den Angehörigen nicht um Marokkaner handelt, die vom Islam konvertiert sind. Marokkanische Bürgerinnen und Bürger, die den Islam nicht wie vorgeschrieben praktizieren, werden hingegen weiterhin diskriminiert und riskieren Gefängnisstrafen sowie hohe Geld- und andere Strafen. Die Aussichten für die Religionsfreiheit der marokkanischen Bevölkerung bleiben damit negativ.