Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Mali ist laut Verfassung ein säkularer Staat, der allen Bürgern unabhängig von ihrer Religion die gleichen Rechte zusichert. In Artikel 2 heißt es: „Alle Malier werden als freie Menschen geboren. Sie leben frei und haben gleiche Rechte und Pflichten. Jegliche Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft, der Hautfarbe, der Sprache, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der politischen Meinung ist verboten.“ Die Verfassung Malis gewährleistet das Recht auf freie Religionsausübung sowie das Recht von Einzelpersonen oder Gemeinschaften, den Glauben durch gottesdienstliche Handlungen zu bekennen. So besagt Artikel 4: „Jeder Mensch hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Glaubens-, Meinungs- und Redefreiheit sowie auf schöpferische Freiheit und das Recht auf freie Religionsausübung.“
Auch das malische Strafrecht folgt einem grundlegend liberalen Ansatz. Fälle von Diskriminierung aufgrund der Religion und die Behinderung der freien Glaubensausübung können mit bis zu fünf Jahren Gefängnis oder einem zehnjährigen Einreiseverbot bestraft werden. Darüber hinaus stellt „jede religiös motivierte Verfolgung von Personengruppen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar“, für das es keine Verjährungsfrist gibt.
Bezüglich der Schulbildung heißt es in Artikel 18 der Verfassung: „Staatliche Schulbildung ist verpflichtend vorgeschrieben, kostenlos und glaubensunabhängig.“ Demnach darf an staatlichen Schulen kein Religionsunterricht erteilt werden. An Schulen in privater Trägerschaft ist er jedoch erlaubt. An privat finanzierten islamischen Religionsschulen (Medresen) wird islamischer Religionsunterricht erteilt. Im Übrigen gelten auch für diese Schulen die regulären staatlichen Lehrpläne. Nichtmuslimische Schüler dürfen nicht zur Teilnahme am islamischen Religionsunterricht verpflichtet werden. Dieselben Regeln gelten für katholische Schulen, die ebenfalls nach den staatlichen Lehrplänen unterrichten und Religionsunterricht anbieten.
Glaubensgemeinschaften müssen sich beim Ministerium für Territorialverwaltung und Dezentralisierung registrieren lassen. Indigene Volksgruppen sind von dieser Regelung ausgenommen. Mit der Registrierung sind keine Steuervergünstigungen und keine sonstigen rechtlichen Vorteile verbunden. Strafen für nicht registrierte Organisationen sind nicht vorgesehen.
Mali ist sunnitisch geprägt. Knapp 13 % der Bevölkerung gehören anderen Glaubensgemeinschaften an. Von den nur etwa 2 % Christen sind zwei Drittel katholisch und ein Drittel protestantisch. Des Weiteren sind etwa 9 % der Malier Anhänger traditioneller afrikanischer Religionen. Ferner gibt es Muslime und Christen, die traditionelle afrikanische Riten in die Ausübung ihres Glaubens einbeziehen.
Die christlichen Feste Weihnachten und Allerheiligen gehören wie die muslimischen Feste Maulid an-Nabī (Geburt des Propheten) und Eid al-Fitr (Fastenbrechen) zu den nationalen Feiertagen.
Nach einem Militärputsch im August 2020 setzte die Übergangsregierung die Übergangscharta in Kraft, welche die Gültigkeit der Verfassung von 1992 bestätigt. Demnach ist Mali weiterhin ein säkularer Staat, in dem niemand aufgrund seines Glaubens diskriminiert werden darf. Verstöße gegen das Recht auf Religionsfreiheit sind laut Gesetz strafbar.
Im Mai 2021 kam es unter der Führung des neu ernannten Vizepräsidenten Assimi Goita zu einem zweiten Staatsstreich. Goita wurde im Mai 2021 zum Übergangspräsidenten ernannt. Im Juni 2022 erklärte er, dass der Übergang zu einer zivilen Regierung zwei Jahre dauern werde und dass sich die Einführung der Demokratie bis dahin verzögern werde.
Vorfälle und aktuelle Entwicklungen
Seit neun Jahren nehmen die Aktivitäten dschihadistischer Gruppen in Mali zu. Im Berichtszeitraum kam es in den nördlichen und zentralen Regionen zu einer ganzen Reihe von gewaltsamen Terroranschlägen. Nach Angaben des Center for Strategic and International Studies nahm die Zahl der Gewalttaten der militanten islamistischen Gruppen Dschamāʿat Nusrat al-Islām wa-l-Muslimīn (JNIM) und Islamischer Staat im Großraum Sahara (ISGS) 2021 gegenüber dem Vorjahr um 70 % zu.
Die Gewalt in Mali hat im Wesentlichen religiöse und ethnische Hintergründe. Trotz der Präsenz von französischen und UN-Truppen ist das Zentrum des Landes inzwischen der Hauptschauplatz der Kämpfe zwischen Rebellen und Militärkräften. Der Konflikt greift auch auf die Nachbarländer Burkina Faso und Niger über. Insbesondere die Grenzregion Liptako-Gourma ist ein großer Konfliktherd.
Trotz der immer schlechter werdenden Sicherheitslage beendete die Militärjunta die Zusammenarbeit mit Frankreich und dessen internationalen Partnern und verlässt sich stattdessen bei der Bekämpfung der Dschihadisten auf die russische Söldnergruppe Wagner, die inoffiziell mit dem Kreml in Verbindung steht. Die ungehemmt agierenden Söldnergruppen, die das Militär des Landes unterstützen, scheinen die Gewalt noch weiter anzufachen.
Die Regierungen der Nachbarländer Malis zeigen sich besorgt darüber, dass es nach dem Rückzug der französischen Streitkräfte zu einer weiteren Destabilisierung der Region kommen könnte. Sie befürchten, dass die malische Regierung in der Hoffnung auf eine Entschärfung der Lage mit den Dschihadisten Verhandlungen aufnehmen und ein solches Vorgehen von der Bevölkerung des Landes begrüßt werden könnte.
Katholische und muslimische Geistliche verurteilen immer wieder die dschihadistische Gewalt. Insbesondere muslimische Geistliche kritisieren die extreme Auslegung der Scharia und die Aggressionen der Terrorgruppe JNIM. Diese richten sich in mehreren Städten der Region Mopti unterschiedslos gegen Christen, Muslime und Angehörige traditioneller Glaubensgemeinschaften. Christliche Missionare äußerten sich besorgt darüber, dass gewaltbereite und extremistische Organisationen in entlegenen Gebieten immer mehr an Einfluss gewinnen. Caritas-Mitarbeiter berichteten, dass bewaffnete Gruppen den Konsum von Alkohol und Schweinefleisch verbieten und Frauen aller Glaubensrichtungen dazu zwingen, einen Schleier zu tragen.
In einigen Teilen des Landes werden Christen daran gehindert, Gottesdienste zu feiern. Einige Imame sprechen in ihren Predigten Drohungen gegen Christen aus und verschlimmern damit die ohnehin prekäre Situation. Diese verbalen Angriffe und persönliche Bedrohungen, zum Beispiel in Form von anonymen Anrufen, belasten die christlichen Gemeinden enorm. Die Bestrebungen der Dschihadisten, der Bevölkerung die Scharia aufzuerlegen, haben zu steigenden Flüchtlingszahlen geführt. Laut einem Bericht des UNHCR stieg die Zahl der Binnenflüchtlinge in Mali bis Ende September 2021 auf mehr als 400.000. Angesichts der allgegenwärtigen Gewalt haben die im Folgenden beschriebenen Vorfälle nur repräsentativen Charakter.
Am 21. Juni 2021 wurde der Priester Léon Dougnon zusammen mit vier Gläubigen von Unbekannten in Mopti (Zentralmali) entführt. Wenige Stunden später kamen die Laien frei, während Dougnon weiter von den Dschihadisten festgehalten wurde. Er wurde erst drei Wochen später wieder freigelassen.
Im August 2021 wurden in Nordmali mehr als 51 Menschen von Terroristen getötet, die an der Grenze zu Niger drei Dörfer überfielen, wahllos mordeten, Häuser plünderten und sie niederbrannten. Ein Militärangehöriger erklärte: „Mehr als 40 Zivilisten wurden am Sonntag in den Dörfern Karou, Ouatagouna und Daoutegeft von Terroristen getötet.“ Als Reaktion darauf sei eine Militärpatrouille in die betroffenen Dörfer entsendet worden.
Im September und Oktober 2021 kam es in der Region Mopti zu drei Angriffen auf Militärkräfte. Am 2. September wurden vier Soldaten durch Sprengstoffvorrichtungen (IED) getötet, die üblicherweise von Dschihadistengruppen verwendet werden. Am 12. September kamen bei einem IED-Anschlag fünf Soldaten ums Leben. Am 6. Oktober wurden 16 Soldaten bei einem IED-Anschlag getötet und zehn weitere verletzt.
Am 8. Oktober 2021 kam die kolumbianische Franziskanerschwester Gloria Cecilia Narvaez Argoti nach fast fünf Jahren Geiselhaft frei. Sie war am 7. Februar 2017 von der Terrorgruppe JNIM aus dem Dorf Karangasso entführt worden. In dem normalerweise sicheren Ort in der südlich gelegenen Region Sikasso hatte sie für in Armut lebende Menschen gesorgt. In einem Interview mit „Kirche in Not“ sagte Sr. Gloria, sie habe viel gebetet: „Mein Gott, es ist schwer gefesselt zu sein und geschlagen zu werden, aber ich nehme die Situation so hin, wie du sie mir bescherst […] Und trotz allem würde ich es nicht wollen, dass einem dieser Männer Schaden zugefügt wird.“ Sie berichtete: „Sie forderten mich auf, Abschnitte von muslimischen Gebeten zu wiederholen, mich islamisch zu kleiden, aber ich habe immer wieder klar gemacht, dass ich als Katholikin geboren wurde und mit dem katholischen Glauben aufgewachsen bin, und dass ich das für nichts in der Welt ändern würde, auch wenn es mich das Leben kosten sollte.“
Am 3. Dezember 2021 wurden 31 Zivilisten bei einem Terroranschlag auf einen Bus in Mopti getötet, der zu einem lokalen Markt unterwegs war. Am selben Tag kam es in einem UN-Camp in der nördlich gelegenen Stadt Gao zu zwei Explosionen. Die Explosionen erschütterten die Baracken der UN-Mission, so dass die dort untergebrachten Menschen für zwei Stunden in der nahen Umgebung Zuflucht suchen mussten.
Ebenfalls am 3. Dezember 2021 kamen bei einem Angriff bei Bandiagara in der Region Mopti mindestens 32 Menschen ums Leben. Nach Angaben des katholischen Priesters der betroffenen Gemeinde Barapreli wirken bewaffnete Terroristen gezielt darauf hin, den katholischen Glauben zu verbieten, stattdessen den Islam zu lehren und die Katholiken in dem Gebiet der Scharia zu unterwerfen. Die christliche Gemeinde in Didja werde gezwungen, den Koran zu studieren und nach den Regeln des Islam zu beten. Vertreter der Caritas wiesen derweil darauf hin, dass die meisten katholischen Kirchen im Land noch geöffnet sind.
Im Dezember 2021 erreichten „Kirche in Not“ aus der Region Ségou Berichte, dass Dschihadisten verstärkt versuchten, ganze Landstriche zu erobern und in den von ihnen kontrollierten Gebieten die Scharia einzuführen. Die Islamistengruppe Katiba Macina (Macina Liberation Front), die mit al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM) in Verbindung steht, brannte der örtlichen Informationsquelle zufolge Reisfelder nieder und griff Bauern bei der Ernte an.
Die aus Sicherheitsgründen anonym bleibende Quelle berichtete weiter, Katiba Macina versuche, die Bevölkerung vor Ort einzuschüchtern, sie auf ihre Seite zu ziehen oder sie von ihrem Land zu vertreiben. Die Quelle erklärte: „Das Bestreben, die Scharia zu etablieren, ist ein Beleg dafür, dass die Dschihadisten, insbesondere die Terrorgruppe Katiba Macina, einen radikalen Islam verbreiten wollen, den viele andere Muslime nicht teilen.“ Die Quelle fügte hinzu: „Die Dschihadisten handeln angeblich im Namen der Religion. Alles, was nicht ihrer Ideologie entspricht, leidet darunter. Aus diesem Grund gibt es so viele Flüchtlinge.“
Am 13. Februar 2022 verübte eine unbekannte Terrorgruppe einen Angriff auf den Militärposten Niafunke im Norden des Landes. Dabei starben zwei Soldaten und fünf Angreifer.
Am 17. Februar 2022 kündigten Frankreich und seine europäischen Partner sowie Kanada ihren militärischen Rückzug aus Mali an und erklärten: „Die politischen, operativen und rechtlichen Bedingungen für die Fortführung des Militäreinsatzes sind nicht mehr gegeben.“ Französische Streitkräfte waren seit 2013 in Mali mit dem Auftrag präsent, „die radikalislamistischen Gruppen, die Bamako bedrohen, aufzuhalten und zurückzudrängen“. Nachdem es zweimal innerhalb eines Jahres zu einem Militärputsch gekommen war, warf die französische Regierung dem malischen Militär im April 2022 vor, sich von „russischen Söldnern abhängig zu machen“. Zudem beschuldigte Frankreich die russischen Söldner, vor einem Militärstützpunkt Leichen vergraben zu haben und den französischen Soldaten die Verantwortung für die Todesfälle zuzuschieben, um sie vor ihrem Abzug zu diskreditieren. Die malische Regierung bestritt ihrerseits beharrlich, mit russischen Söldnern zusammenzuarbeiten, und behauptete, nur mit offiziellen russischen Ausbildern zu kooperieren.
Am 24. April 2022 griffen nicht identifizierte Dschihadistengruppen die Militärstützpunkte in Sévaré, Niono und Bapho im Zentrum des Landes an. Dabei starben sechs Soldaten, 20 weitere wurden verletzt. Daraufhin kam es vom 10. bis 12. Juni im ganzen Land zu gewalttätigen Protesten. Muslime und christliche Geistliche veröffentlichten einen gemeinsamen Friedensappell. Kardinal Jean Zerbo betonte: „In dieser schwierigen Situation bleibt es an uns Gläubigen, wachsam sein, zu vermitteln und zum Dialog und zur Ruhe aufzurufen.“
Am 3. August 2022 töteten militante Islamisten in der Stadt Tessit in Nordmali vier Zivilisten und 42 malische Soldaten. Wie die Regierung erklärte, waren bei dem Angriff Drohnen und Sprengstoff zum Einsatz gekommen. Die Aggressoren hätten geheime Überflüge durchgeführt und seien dabei von ausländischen Experten unterstützt worden.
Am 31. August 2022 bekräftigte die Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA), eine der größten bewaffneten Gruppen, die im Norden Malis operieren, ihre Treue zu einem Bündnis von ehemaligen Rebellengruppen, die 2015 einem Friedensabkommen mit Bamako zugestimmt hatten. Die MNLA gab diese Erklärung bei einem Treffen in der Stadt Kidal ab. Nur wenige Tage zuvor hatten die malischen Behörden Pläne bekannt gegeben, wonach 26.000 ehemalige Rebellen in die malischen Streitkräfte aufgenommen werden sollen.
Am 9. September 2022 starben je nach Quellenangabe 30 bis 40 Zivilisten im Dorf Talataye, das im Nordosten des Landes im Einflussbereich von rivalisierenden Terrorgruppen liegt. Zu den Hauptverdächtigen zählen die Gruppe EIGS, die al-Qaida-nahe Gruppe JNIM/GSIM und andere bewaffnete Organisationen wie die von den Tuareg dominierte Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA).
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Mali ist von einem ganzen Netz aus Gewalt überzogen, die von den Kämpfen zwischen den Soldaten der Übergangsregierung, den Söldnern (unter anderem der Gruppe Wagner) und den dschihadistischen Terrorgruppen ausgeht. Es bleibt abzuwarten, ob das Land nach Ablauf der zweijährigen Übergangsfrist 2024 zu einer „pluralistischen Demokratie“ zurückkehren kann, wie sie von der Verfassung vorgesehen ist. Angesichts der derzeitigen Lage sind die Aussichten für die Menschenrechte, auch für das Recht auf Religionsfreiheit, alles in allem düster.