Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Die Religionsfreiheit ist in Malaysia durch die Verfassung geschützt. In der staatlichen Auslegung der Verfassung wird dem sunnitischen Islam jedoch eine Reihe rechtlicher und verfassungsrechtlicher Privilegien zugestanden, wodurch Rechte und Interessen anderer Religionen beschnitten werden. In Artikel 3, Absatz 1 der Verfassung heißt es: „Der Islam ist die Religion der Föderation [Malaysia], doch dürfen andere Religionen in Frieden und Harmonie auf dem Bundesgebiet ausgeübt werden.“ Artikel 11 besagt zwar, dass jede Person „das Recht hat, sich zu ihrem Glauben zu bekennen und ihn zu praktizieren“, in Absatz 4 desselben Artikels heißt es aber, der Staat könne durch Landes- oder Bundesgesetze die „Verbreitung anderer religiöser Doktrinen oder Religionen überwachen oder einschränken, wenn bekennende Muslime davon betroffen sind“. Bundesstaaten nutzen diese Passagen der Verfassung zur Rechtfertigung von Konvertierungsverboten für Muslime sowie von Beschränkungen, welche für solche muslimischen Minderheitsgemeinschaften gelten, die von den malaysischen Religionsbehörden als „von der Norm abweichend“ eingestuft wurden.
In Artikel 160 der Verfassung wird ein „Malaysier“ unter anderem als „eine Person, die sich zum Islam bekennt,“ definiert. Bumiputera, ethnische Malaien von der Halbinsel Malaysier und indigene Gemeinschaften in Ostmalaysia haben einen Anteil von fast 70 % an der Bevölkerung. Laut Verfassung unterscheiden sich diese ethnisch und religiös von den anderen Volksgruppen, die hauptsächlich chinesischen und indischen Ursprungs sind. Die ethnischen Minderheiten im Lande sind Anhänger des Buddhismus, des Hinduismus, des Christentums sowie anderer Religionen oder keiner Religion.
Nichtmalaysier haben das Recht, zur Religion ihrer Wahl zu konvertieren, einschließlich zum Islam. Dass malaysische Muslime vom Islam zu einer anderen Religion konvertieren, wird hingegen als Apostasie gewertet und ist formell verboten. Berichten zufolge existiert theoretisch ein Verfahren, durch das Muslime zu einer anderen Religion konvertieren können. Dabei handelt es sich jedoch um einen langwierigen Prozess, für den ein Scharia-Gericht formell seine Zustimmung geben muss. Die Zustimmung fußt auf dem staatlichen islamischen Recht und wird nur erteilt, nachdem Konvertierungswillige Monate in religiösen „Rehabilitationszentren“ verbracht haben. Dort wird entsprechend Druck ausgeübt, um einen Austritt zu verhindern.
In einer Reihe von Urteilen haben Zivilgerichte entschieden, dass Fälle von Apostasie vor Scharia-Gerichten verhandelt werden müssen. Zu einer Konversion müssen diese ihre formelle Zustimmung erteilen. In den letzten Jahren konnten Zivilgerichte jedoch intervenieren, wenn die begründete Vermutung bestand, dass die betreffenden Personen nie Muslime waren.
Im Mai 2016 kam es in diesem Kontext zu einem richtungweisenden Urteil. Indira Gandhi, eine Hindu, die in keiner Beziehung zum Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung steht, konnte vor dem höchsten Gericht des Landes ein Urteil zu ihren Gunsten erwirken. Ihr Ehemann, ein Hindu, der zum Islam konvertiert war, hatte auch versucht, die Konversion der drei gemeinsamen Kinder zum Islam zu erreichen. Laut dem Bundesgericht war dies ungültig und die Kinder waren zu keinem Zeitpunkt Muslime. Somit fielen die Kinder nicht in die Zuständigkeit der Scharia-Gerichte, was ihre religiöse Identität oder Entscheidungen anbelangt. Im Jahr 2016 entschied außerdem das „Hohe Gericht von Sarawak, dass sich der bekennende Christ Rooney Rebit vom Islam abkehren dürfe. In diesem spezifischen Fall entschied das Gericht, dass eine verfassungsrechtliche und keine Zuständigkeits-Frage vorliege. Laut dem Gericht seien Scharia-Gerichte zwar für Fälle von Konversionen zuständig, Rooney sei jedoch offensichtlich nie Muslim gewesen (ein Nichtmuslim sei auch ohne die Ausübung des islamischen Rechts erkennbar)”.
Alle Muslime in Malaysia unterliegen islamischem Recht auf der Grundlage staatlicher islamischer Erlasse. Alle Angelegenheiten des Personenstandrechts (z. B. Eheschließungen, Scheidungen und Erbsachen) fallen in die Zuständigkeit von islamischen oder Scharia-Gerichten. Eine verfassungsrechtliche Bestimmung sieht vor, dass Zivilgerichte nicht für Bereiche zuständig sind, die von Scharia-Gerichten abgedeckt werden.
Jeder malaysische Bundesstaat verfügt über eine islamische Behörde, welche die muslimischen Angelegenheiten im Staat regelt. Diese bundesstaatlichen Behörden haben Minderheitsformen des Islam durch die starke Regulierung religiöser Aktivitäten größtenteils an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Beispielsweise erklärte 1996 der Nationale Fatwa-Rat das Schiitentum als „abweichend“ und verbot die Konfession komplett, obwohl in Malaysia hunderttausende Schiiten leben. Die Religionsbehörde auf Bundesebene (das Ministerium für Islamische Entwicklung JAKIM) und die Fatwa-Komitees der Staaten überwachen und kontrollieren systematisch alle Formen und Interpretationen des Islam im Lande. Die Religionsbehörden der Bundesstaaten beaufsichtigen die Moscheen, haben Einfluss auf den Inhalt von Predigten und stellen sicher, dass die verbreiteten Lehren mit der staatlichen sunnitisch-orthodoxen Auslegung des Islam im Einklang stehen.
Viele schiitische Publikationen bleiben unter dem Kommunikations- und Multimedia-Gesetz von 1998 verboten. Seit 2015 werden vermehrt rechtliche Schritte eingeleitet, um „Medien, leitende Redakteure und einzelne Journalisten, die die Grenzen der kritischen Berichterstattung angeblich überschritten haben, unter Druck zu setzen, zu überprüfen und/oder zu verhaften“. Darüber hinaus laufen diejenigen, die „zum schiitischen Islam bekehren wollen oder diesen fördern, Gefahr, von staatlicher Seite diskriminiert zu werden. Dabei drohen Verhaftungen oder andere Formen der Schikanierung durch staatliche Behörden“. Laut dem 2022 veröffentlichten Jahresbericht der US-Kommission für internationale Religionsfreiheit wird muslimischen Schülern im Alter von 16 bis 17 Jahren im Religionsunterricht ausdrücklich gelehrt, dass der schiitische Islam „abweichend“ und der sunnitische Islam „überlegen“ ist.
Das Druckerzeugnis- und Publikations-Gesetz von 1984 stellt nichtmuslimische Gemeinschaften bei der Nutzung des Wortes „Gott“ vor Probleme. Laut dem Gesetz darf das Wort „Allah“ (arabisch für „Gott“) nämlich ausschließlich im Islam genutzt werden. Dies hat dazu geführt, dass eine malaiische Bibel, die das Wort „Allah“ für „Gott“ verwendet, verboten wurde. Mehr als 20.000 Bibelexemplare, in denen Gott als „Allah“ bezeichnet wird, wurden in den letzten Jahren beschlagnahmt.
Am 23. Juni 2014 lehnte das Bundesgericht von Malaysia eine Berufungsklage der Katholischen Kirche ab, die sich gegen das für Nichtmuslime bestehende Verbot, das Wort „Allah“ zu verwenden, richtete. Für Herald Malaysia, eine malaysische katholische Wochenzeitung, stellt das Verbot des Wortes „Allah“ für nichtmuslimische Publikationen eine Verfassungswidrigkeit und eine Verletzung der Religionsfreiheit dar. Die Regierung legte das Urteil des Berufungsgerichts zwar so aus, dass das Verbot nur für Herald Malaysia gilt. Es stellt jedoch einen Präzedenzfall für ein umfassendes Verbot des Wortes „Allah“ für Nichtmuslime dar. Das Gericht erklärte, dass die Verwendung des Wortes „Allah“ kein essenzieller oder integraler Bestandteil des christlichen Glaubens sei. Weiterhin entschied es, dass sämtliche nichtmuslimischen Predigten und Praktiken daraufhin überprüft werden müssten, ob sie potenziell Muslime beleidigten.
Am 11. März 2021 wurde das für Nichtmuslime geltende Verbot, das Wort „Allah“ zu nutzen, vom Obersten Gerichtshof Malaysias aufgehoben. Richter Nor Bee bezeichnete in seinem Urteil das Verbot als „rechts- und verfassungswidrig” und erklärte, dass „die freie Religionsausübung und Bekenntnis zu einer Religion auch das Recht auf den Besitz religiöser Materialien einschließe“.
Die Bevölkerung in Sarawak ist mehrheitlich christlich. Die Diskriminierung bestimmter christlicher Institutionen ist dort jedoch tief verwurzelt. Größere, bekanntere Kirchen werden unter der Missionary Societies Ordinance (Missionswerks-Verordnung) anerkannt. Besonders kleinere Kirchen haben jedoch erhebliche Schwierigkeiten bei der Registrierung und staatlichen Anerkennung ihres Status. Für kleinere Kirchen gestaltet sich zudem die Beantragung von Zuschüssen bei UNIFOR (Unit for Other Religions), einer 2017 in Sarawak gegründeten Regierungsstelle, schwierig. Im September 2020 bekräftigte der stellvertretende Ministerpräsident von Sarawak, Datuk Amar Douglas Uggah, dass nur jene religiöse Gruppen Anspruch auf finanzielle Unterstützung durch UNIFOR hätten, die beim Gesellschaftsregister oder unter der Missionswerks-Verordnung eingetragen seien.
Vorkommnisse und aktuelle Entwicklungen
Die im Berichtszeitraum in Malaysia verzeichnete religiöse Intoleranz und Feindseligkeit war weiterhin massiv und richtete sich auch gegen Christen. Im April 2021 wurde das Buch mit dem Titel „Pendedahan Agenda Kristian“ (Entlarvung der christlichen Vorstellungen) erneut im Internet veröffentlicht. In dem erstmals 2014 vom Selangor Islamic Religious Council (Islamischen Religionsrat von Selangor) herausgebrachten Werk werden Christen als Feinde des Islam bezeichnet. Auch wird in ihm davor gewarnt, dass „das Christentum eine sehr listige organisierte Bewegung ist, die häufig unter dem Radar agiert“.
Am 8. September 2021 brachte der Malaysische Konsultativrat der Buddhisten, Christen, Hindus, Sikhs und Taoisten (MCCBCHST) seine Erleichterung darüber zum Ausdruck, dass die vier von Ustaz Ahmad Marzuk, dem stellvertretenden Minister in der Abteilung des Premierministers, eingebrachten Vorschläge für neue Scharia-Gesetze nicht verabschiedet würden. Für den Minister waren diese Gesetze Teil eines „Ermächtigungsplans“ zur Stärkung der Scharia. Organisationen wie der MCCBCHST und die Erzdiözese Kuching, die Minderheiten vertreten, hatten sich jedoch deutlich gegen diesen Plan ausgesprochen. Ihnen zufolge stellten diese Gesetzentwürfe eine Verletzung der verfassungsmäßig geschützten Religionsfreiheit dar.
Angesichts der Tatsache, dass Fremdenfeindlichkeit in Malaysia weit verbreitet ist, wurden Rohingya-Flüchtlinge aus Myanmar weiterhin verfolgt und waren anhaltenden Feindseligkeiten ausgesetzt. Dabei wurde in den sozialen Medien „die Angst, seinen Arbeitsplatz an Ausländer zu verlieren,“ geschürt.
In Malaysia gibt es rund 181.000 Flüchtlinge und Asylbewerber, darunter viele Rohingya. Das Land ist jedoch kein Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. Da viele Rohingya durch ihren rechtlichen Statuts keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, waren diese unverhältnismäßig stark von der Covid-19-Pandemie betroffen. Außerdem hatten sie dadurch nicht die Möglichkeit, zu arbeiten und selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Rohingya-Frauen waren zudem häufig Opfer sexueller Belästigungen und von Body-Shaming.
Am 20. April 2022 starben bei einem Ausbruch aus einem vorläufigen Auffanglanger im Norden Malaysias sechs Rohingya, die zu einer Gruppe von 528 Flüchtlingen gehörten. Laut Bericht des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR verweigerte die Regierung den Zugang zu den Lagern, was zur Folge hatte, dass viele Hilfsbedürftige allein gelassen wurden.
Am 4. Juni 2022 wurde die Malaysierin Siti Nuramira bei ihrem Stand-up-Comedy-Auftritt in einem Club verhaftet. Ihr wurde vorgeworfen, den Islam laut Paragraf 7 des Syariah Criminal Offences Federal Territories Act (Scharia-Bundesgesetz über Straftaten) zu beleidigen. Am 19. Juli 2022, ein Tag vor der geplanten Anklage, wurde sie aus der Haft entlassen. Allerdings hat die Islamische Religionsbehörde des Bundegebietes (Jawi) weiterhin vor, sie strafrechtlich zu verfolgen.
Experten zufolge ändern Beamte im Bundesstaat Sabah manchmal willkürlich die Religionszugehörigkeit von Christen und tragen diese als Muslime ein. In solchen Fällen hätten Christen wenig Möglichkeiten, Rechtsmittel einzulegen. Anwälte, die sich auf Religionsfreiheit und Menschenrechte spezialisiert haben, berichten von Fällen, bei denen Christen in ihren Personalausweisen als Muslime geführt wurden. Ebenso hätten die Restriktionen in Sabah im Berichtszeitraum weiter zugenommen. So wurden die christliche Missionierungsarbeit, die Möglichkeiten der Kirchen, sich Menschen unterschiedlichster Herkunft seelsorgerisch anzunehmen, und die Freiheit christlicher Schüler, öffentlich in Schulen zu beten, eingeschränkt.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Viele muslimische und nichtmuslimische Meinungsführer Malaysias beklagen weiterhin das in religiösen und politischen Fragen repressive Klima im Land.
Zwar fanden im Berichtszeitraum einige positive Entwicklungen statt, darunter die Abschaffung des Verbots für Nichtmuslime, das Wort „Allah“ zu verwenden, und die nicht erfolgte Verabschiedung weiterer Scharia-Gesetze, die die Religionsfreiheit von Minderheiten beschnitten hätten. Dennoch hält die schwerwiegende systematische Einschränkung der Religionsfreiheit von Muslimen und Nichtmuslimen, die allgegenwärtig ist, an. Neben vielen anderen gravierenden Problemen findet weiterhin eine Diskriminierung der (überwiegend muslimischen) Rohingya-Flüchtlinge statt. Dabei werden ihnen grundlegende Schutzmaßnahmen und staatliche Leistungen konsequent verweigert.
Ebenso bleibt das duale Rechtssystem Malaysias weitgehend bestehen. Der massive Widerspruch, der zwischen der staatlich forcierten Ideologie eines ethnisch-religiösen Nationalismus und der Wahrung von Gleichheit und grundlegenden Menschenrechten im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit besteht, hält weiterhin an. Die Aussichten für die Religionsfreiheit bleiben negativ.