Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
In Artikel 1 der kolumbianischen Verfassung wird das Land als der Rechtsstaatlichkeit verpflichteter Staat definiert, der als demokratische und pluralistische Republik organisiert ist und auf der Achtung der Menschenwürde, Solidarität und dem Vorrang des Allgemeininteresses gründet.
Die Gewissens-, Religions- und Kultusfreiheit werden in Artikel 18 und 19 als Grundrecht anerkannt. Diese Rechte wurden zudem im Gesetz Nr. 133 über Religions- und Kultusfreiheit aus dem Jahr 1994 verankert.
Obwohl das Recht auf Religionsfreiheit und das Recht auf Gewissensfreiheit eng miteinander verbunden sind, gilt Letzteres in Kolumbien als eigenständiges, unterschiedlich definiertes Recht.
Nach Auffassung des kolumbianischen Verfassungsgerichts wird die Gewissensfreiheit auf drei Arten ausgeübt: „(i) Niemand darf aufgrund seiner Überzeugung oder seines Glaubens belästigt oder verfolgt werden; (ii) niemand darf gezwungen werden, seine Überzeugungen preiszugeben; und (iii) niemand darf gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln.“ Dessen ungeachtet ist das Recht auf Gewissensfreiheit nicht absolut: Es hat seine Grenzen in der Achtung der Rechte anderer.
Laut Artikel 13 der Verfassung ist in Kolumbien jede Form von Diskriminierung, auch aus religiösen Gründen, verboten. Im Sinne von Paragraf 201 bis 203 des kolumbianischen Strafgesetzbuchs werden Verstöße gegen die Religionsfreiheit strafrechtlich verfolgt.
In Artikel 19 der Verfassung wird erklärt, dass „alle religiösen Bekenntnisse und Kirchen vor dem Gesetz gleich sind“. In diesem Sinne wurde mit dem 2018 vom Innenministerium verabschiedeten Erlass Nr. 437 eine „umfassende staatliche Politik zur Förderung der Religions- und Kultusfreiheit“ eingeleitet.
In diesem Zusammenhang wurde im Februar 2022 das Gesetz Nr. 2200 erlassen. Dieses sieht unter Paragraf 4 vor, dass die Departamentos (Verwaltungsgebiete) die staatlichen Maßnahmen zur Gewährleistung der Religionsfreiheit im Rahmen ihrer Zuständigkeit im jeweiligen Verwaltungsgebiet fördern und umsetzen.
Artikel 68 der kolumbianischen Verfassung erkennt das Recht von Eltern an, über die Ausbildung ihrer Kinder zu entscheiden. An staatlichen Schulen ist Religionsunterricht kein Pflichtfach. Im Juli 2022 lehnte der Staatsrat einen Antrag auf Aufhebung eines Erlasses ab, der laut Auffassung einiger Beobachter gegen die Religions- und Weltanschauungsfreiheit verstößt. Dem Erlass zufolge muss Religionsunterricht an Privatschulen als benotungspflichtiges Fach angeboten werden.
Schließlich erkennt Artikel 42 der Verfassung an, dass die von Religionsgemeinschaften vorgenommenen Eheschließungen zivilrechtlich gültig sind.
Vorkommnisse und aktuelle Entwicklungen
In den vergangenen zwei Jahren wurden zunehmend Angriffe auf Gotteshäuser verübt. Außerdem kam es vermehrt zu Vorfällen, bei denen religiöse Gefühle verletzt wurden.
2021 wurde das Bild „Unsere Lieben Frau vom Rosenkranz“ in der gleichnamigen Basilika in Chiquinquirá entweiht. Ferner wurden die Türen der Kirche St. Ignatius von Loyola in Medellín von Abtreibungsbefürwortern in Brand gesetzt, während eine Messe im Innenraum stattfand. In Montelíbano wurden zwei Statuen der Jungfrau Maria entweiht und zerstört, und in Buenaventura schlossen sich Lehrer aus Protest gegen die vorherrschende Gewalt und als Aufruf zu staatlichen Maßnahmen in der Kathedrale ein.
Am 4. Mai 2021 urteilte das kolumbianische Verfassungsgericht, dass die damalige Vizepräsidentin Marta Lucía Ramírez den Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat missachtet habe. Das Gericht begründete dies damit, dass der von ihr in den sozialen Medien veröffentlichte Beitrag, in dem sie das Land der Jungfrau von Fátima weihte, offiziellen Charakter habe.
Am 6. Mai 2021 beschwerten sich Mitglieder des Claretiner-Ordens darüber, dass das Militär und die Polizei in einer Schule ihrer Gemeinschaft in Bogotá nachts eine Razzia durchgeführt hätten.
Im Mai 2021 rief die katholische Kirche dazu auf, der Gewaltspirale in Verbindung mit den Protesten gegen die Steuerreform ein Ende zu setzen. Die sozialen Unruhen wurden durch mutmaßlich eingeschleuste Unruhestifter zusätzlich geschürt.
Am 13. August 2021 traf sich die Regierung mit der katholischen Kirche am Runden Tisch, um sich über die staatliche Politik auszutauschen.
Am 17. September 2021 verurteilte das Verfassungsgericht eine Gesundheitsbehörde dafür, dass sie die Leiche einer indigenen Mitbürgerin nicht an die Gemeinde überführt und damit die Beerdigung verhindert hatte.
Im September 2021 warnte die katholische Kirche zum wiederholten Mal vor der Krise in der Region Chocó, wo Guerillas und organisierte Banden um die Kontrolle des Gebietes kämpfen und die örtliche Bevölkerung bedrohen. Einen Monat später kritisierte die Kirche das gleichgültige Verhalten des Staates und verurteilte mutmaßlich Verbindungen zwischen Mitgliedern der Sicherheitskräfte und dem Clan del Golfo (Golf-Clan) in dieser Region.
Am 12. Januar 2022 entschied das kolumbianische Verfassungsgericht, dass ein Arbeitgeber seinem Mitarbeiter, einem Anhänger der Adventisten, die Einhaltung des Sabbats ermöglichen müsse.
Im Februar 2022 erhielt der Bischof von Buenaventura, Rubén Jaramillo, Todesdrohungen, weil dass er das gewaltsame Vorgehen bewaffneter Gruppierungen gegen die Bevölkerung kritisierte.
Am 22. Februar 2022 verurteilte die katholische Kirche die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen; diese sind laut Gerichtsbeschluss in den ersten 24 Schwangerschaftswochen möglich. Am 14. Mai unterzeichnete die Regierung die Genfer Konsenserklärung, in der das Recht auf Abtreibung abgelehnt wird.
Im März 2022 stellten sich Aktivisten bei einer Messe in der Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis in Bogotá auf die Kirchenbänke und griffen die Gemeindemitglieder verbal an. Politiker der unterschiedlichsten Parteien verurteilten diese Aktion.
Vier weitere Gotteshäuser wurden im März 2022 mit Graffiti beschmiert. Im selben Monat wurde auch eine Pro-Life-Organisation beim Gebet gestört.
Am 31. März 2022 lehnte das Verfassungsgericht einen Antrag auf Entfernung eines Kreuzes aus dem Plenarsaal des Gerichtes aus verfahrenstechnischen Gründen ab. Laut Antrag verletze das Kreuz den Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat.
Im April 2022 forderte die katholische Kirche die an den gewaltsamen Konflikten in Chocó beteiligten Parteien zum Dialog auf, um eine Lösung für die dortige humanitäre Krise zu finden. Das Departamento leidet unter dem Kampf rivalisierender Banden, die die Kontrolle in der Region übernehmen wollen.
Am 18. April 2022 ordnete das Verfassungsgericht die Einbindung von afrokolumbianischen Hebammen in das Gesundheitssystem an. Seine Entscheidung begründete es damit, dass diese überlieferte Kenntnisse und Kompetenzen mitbrächten.
Am 28. April 2022 gab es einen Anschlag auf die katholische Kirche Santa Ana in Tunja. Dabei wurde der Tabernakel geschändet.
Als Reaktion auf ein Urteil des Verfassungsgerichts erklärte die Kirche im Mai 2022, dass sie die Entkriminalisierung der medizinischen Sterbehilfe ablehne.
Angesichts der kolumbianischen Präsidentschaftswahlen 2022 riefen die Bischöfe dazu auf, vom Wahlrecht verantwortungsvoll Gebrauch zu machen und die Ergebnisse zu respektieren.
Im Mai 2022 brachte die Kirche in Zusammenhang mit der Migrationskrise an der Grenze zu Panama und Venezuela ihre Besorgnis über die Rolle von organisierten kriminellen Banden und Menschenhändlern zum Ausdruck.
Im Juni 2022 nahm Kolumbien die von der International Holocaust Remembrance Alliance (Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken) festgelegte Definition von Antisemitismus an. Diese Entscheidung wurde von der jüdischen Gemeinschaft in Kolumbien sehr begrüßt.
Am 26. Juni 2022 wurde die Kirche der christlichen Philadelphia-Gemeinschaft bei Protesten von Universitätsstudenten im Departamento Huila mit Molotowcocktails attackiert.
Am 27. Juli 2022 fand auf Einladung von Präsident Gustavo Petro ein Treffen mit der Katholischen Bischofskonferenz von Kolumbien statt. Dabei wurde nach Wegen gesucht, um den Dialog mit der Nationalen Befreiungsarmee ELN und anderen bewaffneten Gruppierungen zu fördern.
Im Juli 2022 wurde ferner die Statue der Jungfrau von Carmen in der Gemeinde Santa Bárbara zerstört.
Im August 2022 wurde die Kirche San Roque in Cartagena angegriffen. Dabei wurden Hostien für die Eucharistiefeier entweiht.
Kolumbiens Präsident Gustavo Petro nahm im August 2022 an dem religiösen Ritual der „Ahnen-Anrufung“ des indigenen Volks der Arhuaco teil.
Die nach einem Antrag der Stadt Bogotá im August 2022 getroffene Entscheidung, die katholische Kapelle am Flughafen der Stadt in eine mulitreligiöse Gebetsstätte umzuwandeln, gab Anlass zu Debatten zwischen staatlichen Vertretern und Bürgern. Die Kirche wurde bei dieser Entscheidung vor vollendete Tatsachen gestellt und musste ihre religiösen Symbole aus der Kapelle entfernen.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Obwohl die katholische Kirche und die Regierung Kolumbiens bei gesellschaftlichen Themen um einen Dialog bemüht waren, nahmen die Übergriffe auf Gotteshäuser im Berichtszeitraum massiv zu. Ebenso mussten Gläubige vermehrt hinnehmen, dass ihre religiösen Gefühle verletzt wurden. Dabei waren in vielen Fällen Abtreibungsgegner involviert.
Ferner gab die humanitäre Krise im Departamento Chocó Anlass zur Sorge. Dort wurden Gemeindemitglieder und religiöse Vertreter, die sich gegen Gewalt und Korruption aussprachen, von Guerillakämpfern und Drogenhändlern terrorisiert. Das Zusammenspiel dieser negativen Faktoren trübt die Aussicht für die Religionsfreiheit.