Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Das italienische Gesetz garantiert das Recht auf Religions- und Gewissensfreiheit und erkennt dieses als Grundrecht an. Artikel 3 der Verfassung drückt das Prinzip der Unzulässigkeit religiöser Diskriminierung mit folgenden Worten aus: „Alle Bürger verfügen über dieselbe soziale Würde und sind vor dem Gesetz gleich, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Sprache, Herkunft, Religion, politischen Meinung und ihrer persönlichen und sozialen Lebensumstände.“
Artikel 19 gesteht jedem Einzelnen das Recht zu, seinen Glauben „in jeder Form, allein oder gemeinsam mit anderen zu bekennen und zu verbreiten“. Ebenso darf jeder „öffentlich oder privat religiöse Bräuche pflegen, sofern sie nicht gegen die öffentliche Moral verstoßen“. Artikel 8 der Verfassung besagt darüber hinaus, dass „alle Konfessionen vor dem Gesetz gleichermaßen frei sind“.
Artikel 7 der Verfassung legt fest, dass der italienische Staat und die Katholische Kirche unabhängig voneinander und in ihrem jeweiligen Einflussbereich souverän sind; die Lateranverträge von 1929 und die zugehörigen Änderungen aus dem Jahr 1984 regeln die Beziehungen zwischen Katholischer Kirche und Staat. Die Regierung gesteht der Katholischen Kirche zu, die Lehrer selbst auszuwählen, die an staatlichen Schulen den Religionsunterricht erteilen. In diesem Zusammenhang fanden zum Zeitpunkt der Berichtserstellung Diskussionen über einen Entwurf für ein Verfassungsgesetz statt, der der Abgeordnetenkammer im Februar 2022 vorgelegt werden sollte. Dieser sieht vor, das in den Lateranverträgen enthaltene Konkordat abzuschaffen und die Katholische Kirche auf die gleiche Stufe wie andere Glaubensgemeinschaften zu stellen. Nach diesem Vorschlag würden die Beziehungen zwischen Staat und Kirche auf der Grundlage einer Vereinbarung gesetzlich geregelt werden, wie es für andere Religionsgemeinschaften bereits der Fall ist. Die Reform hätte unter anderem auch die Abschaffung des katholischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen zur Folge.
Die Beziehungen zwischen dem Staat und weiteren Religionen sind auf der Grundlage von Abkommen mit der jeweiligen religiösen Organisation gesetzlich geregelt. Bevor eine Religionsgemeinschaft einen Antrag auf ein solches Abkommen stellen kann, muss sie vom Innenministerium als Rechtsträger nach dem Gesetz Nr. 1159/29 anerkannt werden.
Der Antrag wird dann an das Amt des Premierministers weitergeleitet. Ein Abkommen gewährt Geistlichen automatisch Zugang zu staatlichen Krankenhäusern, Gefängnissen und Militärkasernen; es ermöglicht die amtliche Eintragung religiös geschlossener Ehen und spezielle religiöse Praktiken bei Begräbnissen; außerdem werden Schüler eingetragener religiöser Gemeinschaften an ihren religiösen Feiertagen vom Unterricht befreit. Eine Religionsgemeinschaft, die kein solches Abkommen geschlossen hat, kann die entsprechenden Vorzüge auch auf Einzelfallbasis beim Innenministerium beantragen. Das Abkommen ermöglicht es einer Religionsgemeinschaft außerdem, staatliche Mittel aus der sogenannten „Acht-von-Tausend“-Regelung zu vereinnahmen. Bei dieser Regelung handelt es sich um eine von allen Steuerzahlern zu leistende verpflichtende Abgabe in Höhe von 0,8 % der jährlichen Einkommensteuer.
Dreizehn nicht katholische Konfessionen haben ein Abkommen mit dem italienischen Staat geschlossen; ein Abkommen mit den Zeugen Jehovas wird seit 1997 verhandelt.
Anfang 2022 trat auf der Grundlage einer drei Jahre zuvor getroffenen Vereinbarung das Gesetz zur Regelung der Beziehungen zwischen dem italienischen Staat und der Church of England Association (Vereinigung der Kirche von England) in Kraft. Die Vereinigung vertritt die anglikanische Gemeinschaft im Land, für die bis zu diesem Zeitpunkt das sogenannte Gesetz über „zulässige Sekten“ galt.
Mit der muslimischen Gemeinschaft konnte bisher noch keine Vereinbarung getroffen werden, obwohl sie die größte nicht katholische Glaubensgemeinschaft in Italien bildet und etwa ein Drittel der Zuwanderer in Italien Muslime sind. Der Grund für die fehlende Vereinbarung ist, dass es keine offiziell anerkannte Vertretung der muslimischen Gemeinde gibt, die befugt wäre, eine Vereinbarung mit der Regierung auszuhandeln. Außerdem besteht innerhalb der islamischen Gemeinschaft eine starke Uneinheitlichkeit (eine kürzlich durchgeführte Untersuchung ergab, dass es mindestens 255 muslimisch geprägte Vereinigungen gibt, die im gesamten Land verteilt sind).
Um islambezogene Fragen zu verwalten, hat das italienische Innenministerium 2005 einen Rat für den Islam in Italien gegründet. Außerdem wurden im Jahr 2007 eine „Charta der staatsbürgerlichen Werte“ und 2008 eine „Absichtserklärung zur Gründung eines italienischen Islambündnisses“ erarbeitet. Im Jahr 2016 wurde schließlich der „Rat für die Beziehungen mit dem italienischen Islam“ innerhalb des Innenministeriums gegründet, welches 2017 gemeinsam mit Vertretern der wichtigsten muslimischen Verbände in Italien den „Nationalen Pakt für den italienischen Islam“ unterzeichnete.
Im Mai 2022 ernannte das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit den diplomatischen Berater Andrea Benzo zum Sondergesandten für den Schutz der Religionsfreiheit und den interreligiösen Dialog. Zu seinen Aufgaben gehört die Förderung von Initiativen für ein verstärktes Engagement für Religionsfreiheit im Rahmen der internationalen Beziehungen Italiens.
Vorkommnisse und aktuelle Entwicklungen
Während des Berichtszeitraums äußerte die katholische Gemeinschaft ihre Bedenken hinsichtlich bestimmter behördlicher Maßnahmen. Ihres Erachtens waren diese nicht mit christlichen Werten vereinbar, obwohl sie in vielen Fällen auf das Naturrecht zurückgingen.
Nach einer hitzigen Debatte, an der auch die Diplomatie des Vatikans beteiligt war, wurde das sogenannte Zan-Gesetz gegen „Homotransphobie“ am 27. Oktober 2021 vom Senat abgelehnt. Der Gesetzesentwurf sah vor, die Gesetzgebung zu „Hassverbrechen“, die bereits Gewalttaten und die Aufstachelung zur Gewalt aus Gründen der ethnischen Zugehörigkeit, der Nationalität und der Religion unter Strafe stellt, nun auch auf Homophobie und Transfeindlichkeit auszuweiten. Der Gesetzesentwurf wurde als ein legislatives Instrument gewertet, das die Freiheit der öffentlichen Äußerung traditioneller Auffassungen von Familie und Sexualität einschränken soll.
Am 15. Februar 2022 erklärte das Verfassungsgericht das Referendum über die Sterbehilfe für unzulässig. Das Referendum verfolgte die Entkriminalisierung der in Artikel 579 des Strafgesetzbuches geregelten Beteiligung am Tod einer zustimmenden Person. Nach Ansicht des Gerichts würde die teilweise Aufhebung von Artikel 579 nicht mehr den von der Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Mindestschutz des menschlichen Lebens gewährleisten. Die italienische Bischofskonferenz hatte im Zusammenhang mit dem Referendum ihre „große Besorgnis“ zum Ausdruck gebracht.
Im März 2022 wurde das „Gesetz über die Beendigung des Lebens“ von der Abgeordnetenkammer angenommen. Der Gesetzestext, der sich zum Zeitpunkt der Berichterstellung in der Prüfung durch den Senat befindet, schließt unter bestimmten Bedingungen die Strafbarkeit des Arztes, des Gesundheitspersonals und aller Personen aus, die an einer medizinisch unterstützten Sterbehilfe beteiligt sind.
Nach der kritischen Phase der Covid-19-Pandemie, in der Gotteshäuser nur für private Gebete genutzt werden konnten, dürfen die Kirchen seit Mai 2020 wieder öffnen, solange die von der Regierung auferlegten Maßnahmen eingehalten werden. Demnach muss zwischen den Kirchenbänken ein bestimmter Abstand eingehalten werden, es besteht eine Pflicht zum Tragen von Schutzmasken, die Weihwasserbecken dürfen nicht befüllt sein und es darf kein Austausch des Friedensgrußes stattfinden. Die Beschränkungen führten zu einem besorgniserregenden Rückgang von Kirchenbesuchern und hatten einen erheblichen Einfluss auf die Freiheit, Religion und Glauben zu bekunden.
Die Covid-19-Pandemie hatte auch Auswirkungen auf die muslimische Gemeinschaft. Sie sah sich mit Schwierigkeiten konfrontiert, ihren Verstorbenen ein würdiges Begräbnis zu ermöglichen, da es keine oder nur unzureichende Friedhofsflächen gab (von 8000 italienischen Gemeinden verfügen weniger als 100 über einen Bereich, der für die Bestattung nach muslimischem Ritus vorgesehen ist) und es nicht möglich war, die Leichname der Verstorbenen in die Herkunftsländer zu überführen. Die Notlage hat ein solches Ausmaß angenommen, dass sich die italienische Bischofskonferenz dazu entschied, pastorale Vorschläge zur Unterstützung der muslimischen Gemeinschaft zu veröffentlichen.
Im Berichtszeitraum hat die Zahl der Angriffe auf katholisches Eigentum zugenommen. Am 23. März 2021 wurden zwei kleine Kirchen in der Provinz Pavia mutwillig beschädigt und mit beleidigenden Sprüchen und Gotteslästerungen versehen. Ende August wurde eine Kirche in der Provinz Reggio Emilia geschändet; dabei enthaupteten die Täter die Marienstatue und verstreuten eucharistische Hostien auf dem Boden. Im November 2021 wurde die Basilika Santa Chiara im historischen Zentrum von Neapel mit obszönen Schriftzügen verunstaltet.
Am 1. April 2022 öffneten die Königreichssäle der Zeugen Jehovas wieder ihre Türen für die Öffentlichkeit. Die Religion der Zeugen Jehovas war auch Gegenstand eines Streits zwischen zwei italienischen Elternteilen, in den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 19. Mai 2022 eingriff. Ein Vater, der zu den Zeugen Jehovas konvertiert war, führte seine Tochter ohne die Zustimmung ihrer Mutter, einer Katholikin, an die religiösen Zeremonien seines neuen Glaubens heran. Das örtliche Gericht wies den Vater an, seine Tochter nicht aktiv in religiöse Aktivitäten einzubeziehen. Diese Entscheidung wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg bestätigt, der entschied, dass „das Recht, den Kindern die eigenen religiösen Überzeugungen zu vermitteln und beizubringen, beiden Elternteilen gleichermaßen garantiert werden muss, auch wenn sie unterschiedlichen religiösen Bekenntnissen angehören“.
Während des Berichtszeitraums wurden von Muslimen Klagen über Gewalt und Diskriminierung laut. Sie bilden die größte Glaubensgemeinschaft nach den Katholiken und werden Schätzungen zufolge bis 2030 6,2 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen.
Im Februar 2022 wurde ein Frauenfußballspiel im Piemont unterbrochen, weil eine aus Marokko stammende Spielerin den Hidschab trug. Im Juli 2022 wurde eine muslimische Frau marokkanischer Herkunft, die im siebten Monat schwanger war, an einer Bahnstation in der Nähe von Florenz von einem Mann angegriffen. Er riss ihr die Burka vom Leib und stieß sie dann zusammen mit ihrem 11-jährigen Sohn aus dem Zug. Vor allem muslimische Frauen wurden aufgrund ihrer Kleidung Opfer von Belästigungen, abfälligen Beleidigungen und Gewalt – häufig an öffentlichen Orten.
Laut der Organisation Vox-Diritti waren Muslime im Zeitraum von Januar bis Oktober 2021 auch das Hauptziel von Hass im Netz. Die Vorfälle häuften sich besonders im Sommer 2021 nach der Rückkehr der Taliban nach Afghanistan und dem 20. Jahrestag der Terroranschläge am 11. September 2001. Unter den Hunderttausenden Tweets gab es auch viele Anfeindungen gegen die italienische Entwicklungshelferin Silvia Romano. Romano, die 2018 von somalischen Dschihadisten der Terrorgruppe Al-Shabaab in Kenia entführt und nach achtzehn Monaten Gefangenschaft freigelassen wurde, wurde für ihre Konversion zum Islam kritisiert.
Im Jahr 2021 verzeichnete die Beobachtungsstelle für Antisemitismus des Centre for Contemporary Jewish Documentation (CDEC) einen Rückgang von Vorfällen mit antisemitischem Hintergrund auf 220 Fälle, verglichen mit 230 im Vorjahr und 251 im Jahr 2019. Für das Jahr 2022 sprechen manche Quellen von 184 Vorfällen, aber diese Zahl wird laut Experten deutlich unterschätzt. Zu den Vorfällen gehören körperliche Übergriffe, Morddrohungen, mutwillige Beschädigungen von Synagogen, Graffiti zur Verunglimpfung des Holocaust, mit faschistischen Parolen verunstaltete Stolpersteine, antisemitische Fangesänge in Stadien und verschwörungstheoretische Kommentare sowie Hassbotschaften in sozialen Netzwerken.
Im September 2021 wurde ein jüdischer Tourist in Pisa von einem pakistanischen Straßenhändler angegriffen. Der Angreifer soll geschrien haben: „Hasst Israel und die Juden, denn sie sind alle Mörder.“
Im Januar 2022 wurde ein 12-jähriger jüdischer Junge von zwei 15-jährigen Mädchen in einem öffentlichen Park in der Nähe von Livorno zunächst beleidigt und dann getreten und bespuckt. Der Vorfall ereignete sich am Vorabend des Holocaust-Gedenktags. Im gleichen Zeitraum wurde eine Umfrage unter 475 Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren durchgeführt, wonach 35 Prozent der Befragten nicht wussten, was die Shoah ist, und viele von ihnen diese für einen „Krieg aus dem Mittelalter“ hielten.
Ebenso brutal waren die antisemitischen Angriffe im Internet und in den sozialen Medien während des Berichtszeitraums. Am 10. Januar 2021, während der Präsentation eines Aufsatzes über die Shoah in einem Zoom-Meeting, schalteten sich Dutzende von Antisemiten in die Videokonferenz ein und zeigten Hakenkreuze und Bilder von Hitler.
Im Januar 2022 veröffentlichte das Büro des Premierministers die Nationale Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus. Die Strategie, die die Definition von Antisemitismus der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) übernimmt, sprach die Empfehlung aus, in Institutionen Maßnahmen zur wirksamen Bekämpfung des wachsenden Phänomens von Intoleranz und Antisemitismus zu ergreifen.
Innerhalb des Berichtszeitraums setzten islamistische Extremisten ihre Aktivitäten fort und nutzten die wichtigsten sozialen Medien zur Verbreitung radikaler Propaganda.
Im Juni 2022 wurden vierzehn pakistanische Staatsbürger verhaftet, da sie im Verdacht standen, Teil eines dschihadistischen Terrornetzwerks zu sein, und beschuldigt wurden, gewalttätige religiöse Doktrinen online zu verbreiten. Zwei Wochen später wurde ein kosovarisches Paar verhaftet und beschuldigt, einen vom Islamischen Staat motivierten Anschlag in Italien geplant zu haben. Im Oktober 2022 wurde ein Mann, der Teil der US-amerikanischen rechtsextremen Terrororganisation „The Base“ war, verhaftet und der Beteiligung am internationalen Terrorismus sowie der Verbreitung antisemitischer und neonazistischer Inhalte im Internet angeklagt. Im November 2022 wurde ein Italiener marokkanischer Herkunft, ein Anhänger des Islamischen Staates, von der Polizei wegen Entführung, Folter und Misshandlung von Personen festgenommen, die sich weigerten, für den IS zu kämpfen.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Religionsfreiheit sowie Religionspluralität sind in der Verfassung verankert und werden als unveräußerliche Rechte geschützt. Positive Beispiele für die Umsetzung dieser Rechte waren im Berichtszeitraum unter anderem die Unterzeichnung einer nationalen Strategie zur Bekämpfung des Antisemitismus und die Ernennung eines Sondergesandten für den Schutz der Religionsfreiheit und den interreligiösen Dialog.
Dennoch gab es nach wie vor besorgniserregende Verletzungen der Religionsfreiheit, darunter Gewalt, Intoleranz und Hassreden gegen alle größeren Glaubensgemeinschaften. Außerdem besteht noch immer keine klare Rechtsstellung für den Islam und andere Minderheitskonfessionen, was den Zugang zu Vergünstigungen und sozialer Sicherung einschränkt. Weitere wichtige Fragen betrafen umstrittene Gesetzesvorschläge wie die intransparenten Gesetze zu sogenannten Hassverbrechen und die Abschaffung der gesetzlichen Beschränkungen, die besonders gefährdete Menschen vor Euthanasie schützen sollen.
Obwohl es im Berichtszeitraum keine Anzeichen dafür gab, dass das Recht auf Religionsfreiheit unmittelbar gefährdet ist, könnten die Spannungen zwischen dem Staat und den Glaubensgemeinschaften zunehmen, wenn religiöse Überzeugungen mit kontroversen Gesetzen in Konflikt geraten. Die Aussichten für die Religionsfreiheit sind weiterhin positiv.