Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Obwohl Indonesien das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt ist, handelt es sich nicht um einen islamischen Staat. Die Verfassung des Landes garantiert Religionsfreiheit und das Recht auf freie Religionsausübung; es gibt jedoch einige Einschränkungen, wenn es darum geht, das Recht der anderen zu schützen. Die offizielle staatliche Ideologie heißt „Pancasila“ („Fünf Prinzipien“). In der Präambel der Verfassung wird sie definiert als „Glauben an die All-Eine Göttliche Herrschaft; eine gerechte und zivilisierte Menschheit; die nationale Einheit und ein demokratisches Leben durch weise Überlegungen der Volksvertreter sowie soziale Gerechtigkeit für alle Menschen in Indonesien“. Die Verfassung schreibt keine bestimmte Religion vor, verlangt jedoch von den Menschen, an eine Gottheit zu glauben, und schützt die Rechte der Anhänger der sechs offiziell anerkannten Religionen: Islam, Protestantismus, Katholizismus, Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus. Die Rechte von Anhängern anderer Religionsgemeinschaften, darunter örtliche traditionelle Glaubensrichtungen sowie Agnostiker und Atheisten, werden nicht in gleicher Weise geschützt.
Indonesien vollzieht die Scharia (islamisches Recht) nicht auf nationaler Ebene. Es wird jedoch geschätzt, dass es in mindestens 52 der 470 Bezirke und Kommunen Indonesiens 78 durch die Scharia inspirierte Vorschriften gibt. Unterschiedliche Quellen behaupten, dass die wahre Zahl noch höher liege durch allein 151 lokale Scharia-Verordnungen in Java, Sulawesi, Sumatra und West-Nusa-Tenggara.
Gemäß Artikel 28E (1) der Verfassung ist „jede Person frei, sich für eine Religion ihrer Wahl zu entscheiden und diese auszuüben“. Artikel 28E (2) betont, dass „jede Person das Recht hat, frei an ihre Religion zu glauben (kepercayaan) und ihre Sichtweisen und Gedanken im Einklang mit ihrem Gewissen zum Ausdruck zu bringen“. Artikel 29 (2) bekräftigt: „Der Staat garantiert allen Personen Religionsfreiheit im Sinne ihrer eigenen Religion oder ihres eigenen Glaubens.“
Im Dezember 2022 verabschiedete Indonesien ein neues Strafgesetzbuch, das das nach der Erlangung der Unabhängigkeit verabschiedete, auf niederländischem Recht basierende Strafgesetzbuch ersetzt. Mit Blick auf Straftaten im Zusammenhang mit Religion ähneln sich die beiden Versionen insofern, als jeweils Blasphemie, Ketzerei und religiöse Verleumdung unter Strafe gestellt werden. Konkret sieht Artikel 156 eine Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren für jeden vor, „der öffentlich Gefühle der Feindseligkeit, des Hasses oder der Verachtung gegen eine oder mehrere Gruppen der indonesischen Bevölkerung zum Ausdruck bringt“, wobei die Gruppen durch „Ethnie, Herkunftsland, Religion, Ursprung, Abstammung, Nationalität oder konstitutionelle Bedingungen“ definiert werden. Artikel 156a sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren für die „Beleidigung oder Beschmutzung von in Indonesien praktizierten Religionen“ vor.
1965 unterzeichnete der damalige Präsident Sukarno den Präsidialerlass Nr. 1/PNPS/1965 zur Verhinderung von Blasphemie und Missbrauch von Religionen, der inoffiziell als „Blasphemie-Gesetz“ bekannt wurde. Artikel 1 dieses Erlasses, der von Sukarnos Nachfolger, Präsident Suharto (im Amt von 1967 bis 1998), umgesetzt wurde, verbietet jegliche „abweichende Interpretation“ von religiösen Lehren und fordert, dass der Präsident Organisationen auflöst, die „abweichende“ Lehren verbreiten.
Im Rahmen ihrer Politik zur Bekämpfung solcher abweichenden Lehren veröffentlichte die der indonesischen Generalstaatsanwaltschaft unterstellte Koordinierungsstelle zur Überwachung indigener Glaubensrichtungen (Bakor Pakem) Ende 2018 eine mobile App. Die „Smart Pakem“ genannte Anwendung ermöglicht es Nutzern, „abweichende“ religiöse Praktiken bei den Behörden zu melden.
1969 gaben das Ministerium für Religionsangelegenheiten und das Innenministerium einen gemeinsamen Ministerialerlass heraus, in dem die Genehmigungsverfahren für den Bau von Gotteshäusern ausführlich beschrieben wurden. 2004 beauftragte der damalige Präsident Susilo Bambang Yudhoyono den Minister für Religionsangelegenheiten mit der Überprüfung des Erlasses von 1969. Das führte zur Gemeinsamen Verordnung Nr. 8 und 9/2006 über die „Richtlinien für Regionalleiter und -stellvertreter zur Aufrechterhaltung religiöser Eintracht“.
Gemäß den Vorschriften ist die Zustimmung der örtlichen Bevölkerung Voraussetzung für den Bau neuer Gotteshäuser. Außerdem müssen die Namen und Ausweise von mindestens 90 Mitgliedern der Gemeinde der neuen Gebetsstätte, die von den lokalen Behörden zu genehmigen sind, eingereicht werden, zusammen mit Unterstützungsschreiben von mindestens 60 anderen Mitgliedern der lokalen Gemeinschaft, die vom Dorfvorsteher zu genehmigen sind. Ebenso ist eine schriftliche Empfehlung der Bezirksstelle des Ministeriums für Religionsangelegenheiten und des für den Bezirk oder die Kommune zuständigen Religious Harmony Forum (Forum für Religiöse Eintracht, FKUB) erforderlich. Sobald alle Unterlagen vorliegen, wird der Antrag an den Bezirksbürgermeister weitergeleitet, der dann innerhalb von 90 Tagen über den Antrag zu entscheiden hat.
Die Vorschrift verlangt außerdem von den Behörden, das vorbenannte Religious Harmony Forum (Forum für Religiöse Eintracht, FKUB) einzurichten, das sich aus lokalen religiösen Oberhäuptern im Verhältnis zur Mitgliederzahl ihrer Gemeinde zusammensetzt. Das bedeutet konkret, dass das Organ entweder von Muslimen oder von Christen dominiert wird, je nach zahlenmäßiger Überlegenheit in einer bestimmten Region.
Auch Gesetze für besondere Religionsgemeinschaften gibt es bereits seit einigen Jahren. Im Juni 2008 gab die Regierung einen Gemeinsamen Erlass des Ministers für Religionsangelegenheiten, des Justizministers und des Innenministers mit dem Titel „Ermahnung und Anleitung für die Jünger, Mitglieder bzw. Mitglieder des Organisationsvorstands von Jemaat Ahmadiyyah Indonesia (Ahmadiyya-Muslim-Gemeinschaft, JAI) und die allgemeine Öffentlichkeit“ bekannt.
Der Erlass war kein vollständiges Verbot, befahl aber allen Ahmadis, „die Verbreitung von Interpretationen und Aktivitäten, die von den grundlegenden Lehren des Islam abweichen, einzustellen; d. h. die Verbreitung eines Glaubens, der einen Propheten und dessen Lehren anerkennt, der nach dem Propheten Mohammed kommt, zu beenden“.
Im August 2008 veröffentlichten der Generalsekretär des Ministeriums für Religionsangelegenheiten, der Stellvertretende Leiter des Geheimdienstes und der Generaldirektor für Nationale Einheit und Politische Angelegenheiten beim Innenministerium ein Gemeinsames Rundschreiben über die „Richtlinie zur Umsetzung des Gemeinsamen Erlasses“. Darin wurde explizit gesagt, dass der Gemeinsame Erlass nur für Ahmadis gilt, die „für sich selbst beanspruchen, Muslime zu sein“ und dass „diejenigen, die nicht für sich selbst beanspruchen, Muslime zu sein, von dem Ziel dieser Ermahnung und Anordnung ausgenommen sind“.
Verstöße gegen den Gemeinsamen Erlass gelten als Straftat – als Missbrauch von Religion und religiöse Verleumdung gemäß Artikel 1 (Verbot „abweichender“ Auslegungen der Religion und „abweichender“ Lehren) und Artikel 3 des Präsidialerlasses Nr. 1/PNPS/1965 über die Verhinderung von Blasphemie und Religionsmissbrauch sowie Artikel 156 (a) des indonesischen Strafgesetzbuchs. Als Strafmaß ist eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren vorgesehen.
Neben dem Blasphemie-Gesetz, den Vorschriften zum Bau von Gebetsstätten und den Anti-Ahmadi-Bestimmungen wurden in den vergangenen 20 Jahren Hunderte von örtlichen und regionalen Gesetzen und Vorschriften erlassen, die die religiöse Praxis einschränken.
Laut dem Pew Forum zählte Indonesien in den vergangenen Jahren beständig zu den 25 bevölkerungsreichsten Ländern mit den umfassendsten Beschränkungen im Bereich Religionsfreiheit weltweit – unter Berücksichtigung staatlicher Vorschriften und gesellschaftlicher Feindseligkeiten.
Dr. Musdah Mulia, Vorsitzende der Indonesischen Religions- und Friedenskonferenz, spricht von mindestens 147 „diskriminierenden Gesetzen und öffentlichen Richtlinien im Bereich Religion“. Für sie steht fest: „Solange es derartige Gesetze gibt, wird es immer ein großes Gewaltpotential in der Gesellschaft geben. Gebraucht werden Reformbestrebungen sowie neue Gesetze, die den Menschenrechten, den Grundsätzen von Demokratie, Toleranz und Pluralismus mehr Rechnung tragen.“ Während einige dieser Vorschriften lediglich nationale Gesetze umsetzen, führen andere neue Bestimmungen ein.
Vorfälle und Entwicklungen
Die indonesische Tradition des Pluralismus sowie Indonesiens Ruf, ein religiös tolerantes Land zu sein, sind in den vergangenen Jahren zunehmend unter Druck geraten. In ihrem jüngsten Jahresbericht (2021) stellte die United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF) fest, dass „die Bedingungen für die Religionsfreiheit in Indonesien 2021 denselben Trends folgten wie bereits 2020“ und „dass es minimale bis gar keine Fortschritte bei der Beseitigung von Teilen des Rechtssystems gab, die im Widerspruch zu den internationalen Standards der Religions- und Glaubensfreiheit stehen“. Darüber hinaus empfiehlt die Behörde, Indonesien auf ihre besondere Beobachtungsliste zu setzen. Laut „The Diplomat“ wird Indonesien „für Angehörige religiöser Minderheiten zunehmend unbewohnbar“.
Im März 2021 (am Palmsonntag) verletzten Selbstmordattentäter 20 Menschen bei einem Anschlag auf die katholische Kathedrale in Makassar.
Im Juni 2021 wurde ein 55-jähriger Däne wegen Verstoßes gegen die Blasphemiegesetze zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem er einen heiligen Hindu-Tempel auf Bali mit Fußtritten beschädigt hatte. Im August desselben Jahres wurde in einem seltenen Fall ein muslimischer Geistlicher verhaftet, weil er die Bibel als fiktiv bezeichnet hatte. Abgesehen von diesem Vorfall beklagen viele Christen und Angehörige anderer Religionen, vor dem Gesetz anders als Muslime behandelt zu werden.
Auch andere Religionsgemeinschaften, insbesondere Schiiten und Ahmadis, sind anhaltender Diskriminierung und Druck ausgesetzt. Im September 2021 wurden 10 Personen festgenommen, weil sie eine Ahmadi-Moschee in der Provinz West-Kalimantan (Kalimantan Barat) angegriffen hatten.
Im Dezember 2021 nahmen die religiösen Behörden der Provinz Südsulawesi (Sulawesi Selatan) nach einem Protest des United Muslims Forum (Vereinigtes Muslimisches Forum) ihre Entscheidung zurück, das öffentliche Anbringen von Weihnachtsgrüßen zu erlauben.
Während es in vielen Teilen des Landes von der Scharia inspirierte Vorschriften gibt, ist Aceh die einzige Provinz, in der das islamische Recht vollständig umgesetzt wird. Hier kümmert sich eine Religionspolizei um die Durchsetzung der Regeln – unter anderem mit dem Mittel körperlicher Züchtigung. Im Januar 2022 wurde eine verheiratete Frau mit 100 Peitschenhieben bestraft, nachdem sie Ehebruch gestanden hatte. Ihr männlicher Partner, der die Anschuldigungen bestritten hatte, erhielt lediglich 15 Peitschenhiebe.
Im April 2022 wurde ein christlicher YouTuber wegen Veröffentlichung Hunderter antiislamischer Videos zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Mohammad Kace war zum Christentum konvertiert und wurde im Vergleich zu früheren Blasphemie-Fällen wesentlich härter bestraft. Im Oktober 2022 wurde die Bar- und Restaurantkette Holywings wegen Blasphemie angeklagt und geschlossen, nachdem sie Männern mit dem Namen Mohammed und Frauen mit dem Namen Maria im Rahmen einer Werbekampagne kostenlose alkoholische Getränke angeboten hatte. Die Marketingkampagne wurde als Beleidigung des Propheten Mohammed angesehen und löste entsprechende Empörung aus.
Im Dezember 2022 wurde in Indonesien ein neues, auf den Grundsätzen der Scharia basierendes Strafgesetzbuch verabschiedet, das außerehelichen Geschlechtsverkehr verbietet – auch für nicht verheiratete, zusammenlebende Paare. Das Gesetz benachteiligt Frauen und ethnische Minderheiten, deren Bräuche keine formelle Ehe vorsehen. Die Straftat wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr geahndet.
Positiv zu vermerken ist, dass im Berichtszeitraum einige bedeutende Fortschritte in Fragen der Religionsfreiheit erzielt wurden.
Am 8. Juni 2022 traf sich der indonesische Minister für religiöse Angelegenheiten, Yaqut Cholil Qoumas, mit Papst Franziskus im Vatikan und lud ihn offiziell zu einem Gegenbesuch in seinem Land ein.
Am ersten Weihnachtstag 2022 nahm Präsident Joko Widodo als erstes indonesisches Staatsoberhaupt an einem Gottesdienst in der Kathedrale der Heiligen Jungfrau Maria in Bogor, Westjava, teil.
Bei einem Treffen mit den Leitern der Provinzen und Bezirke im Januar 2023 verteidigte Präsident Widodo religiöse Minderheiten und erklärte, dass „Christen, Katholiken, Hindus und Konfuzianer ... die gleichen Rechte in Bezug auf Religions- und Kultusfreiheit haben.“
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Indonesien befindet sich gegenwärtig an einem Scheideweg. So pflegt das Land einerseits eine lange Tradition des Pluralismus und der religiösen Harmonie, und es gibt durchaus ermutigende Bemühungen einiger zivilgesellschaftlicher Gruppen, religiöser Führer und Amtspersonen, dem Anstieg der Intoleranz entgegenzuwirken. Andererseits könnten die gesellschaftliche Diskriminierung von Minderheitenreligionen, Anzeichen von Extremismus und das Versäumnis, die Gesetze (darunter die zahlreichen, durch die Scharia geprägten Vorschriften) zugunsten der Religionsfreiheit zu verschärfen, diese Tradition und Bemühungen weiter aushöhlen.
Angesichts der aktuellen Situation erscheinen die Aussichten für die Religionsfreiheit in dem asiatischen Land ungewiss und sollten weiter beobachtet werden.