Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Die Verfassung der Republik Indien sichert jedem Bürger Religionsfreiheit zu. Durch eine besondere Form der Trennung von Religion und Staat strebt das Land die Gleichbehandlung aller Glaubensrichtungen an. Dieses Bestreben rückte jedoch in den Hintergrund, als Premierminister Narendra Modi und seine Bharatiya Janata Party (BJP) 2014 an die Macht kamen.
Seit der Unabhängigkeitsbewegung und der Teilung 1947, die zur Gründung der beiden unabhängigen Staaten Indien und Pakistan führte, waren Spannungen zwischen den Glaubensrichtungen immer ein großes Thema. Doch nach der Wahl Modis haben hinduistisch-nationalistische Organisationen wie die Rashtriya Swayamsevak Sangh – RSS (Nationale Freiwilligenorganisation), die unter dem Dachverband Sangh Parivar organisiert sind, dramatisch an politischem, gesellschaftlichem und kulturellem Einfluss gewonnen. Mitglieder diverser Sangh Parivar-Organisationen besetzen heute Führungspositionen in Regierung, Militär und Wissenschaft.
Gemäß Artikel 25 der Verfassung hat jeder Bürger gleichermaßen das Recht auf Gewissensfreiheit und das Recht, seinen Glauben frei zu bekennen, auszuüben und zu verkünden. Des Weiteren heißt es in Artikel 27, dass niemand zur Zahlung von Steuern gezwungen werden darf, die für die Förderung oder Finanzierung einer bestimmten Glaubensrichtung bestimmt sind. Laut Artikel 26 hat jede Glaubensrichtung das Recht, für religiöse und wohltätige Zwecke Einrichtungen zu gründen und zu betreiben und in Bezug auf den Glauben ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln. Darüber hinaus haben Minderheiten, unter anderem auch religiöse Minderheiten, gemäß Artikel 30 das Recht, eigene Bildungseinrichtungen zu gründen und zu betreiben.
Trotz der verfassungsmäßigen Trennung von Staat und Religion haben schon mehrere Regierungen auf Bundes- und Bundesstaatsebene Gesetze eingeführt, die die Religionsfreiheit von Einzelpersonen und Gruppen beschränken. Ein Bereich, in dem die Handlungsfreiheit von Glaubensgemeinschaften in den vergangenen Jahren besonders stark eingeschränkt wurde, ist die finanzielle Unterstützung religiöser Organisationen aus dem Ausland, die durch den Foreign Contributions Regulation Act – FCRA (Gesetz zur Regulierung ausländischer Zuwendungen) geregelt wird.
Seit 2014 frieren indische Behörden unter Berufung auf den FCRA immer häufiger die Bankkonten verschiedener Organisationen ein, um sie durch die Verknappung der Finanzmittel an der Durchführung ihrer Aktivitäten zu hindern. Nicht wenige Kritiker sind der Auffassung, dass die amtierende Regierung mit den Vorschriften des FCRA christliche humanitäre Organisationen, Entwicklungsorganisationen und andere Nichtregierungsorganisationen, die mit religiösen Minderheiten in Verbindung stehen, gezielt zum Aufgeben zwingen will.
Die Bundesregierung hat 2020 unter Berufung auf den FCRA die Kontrolle von zivilgesellschaftlichen Gruppen verschärft. So hat das Innenministerium vier protestantischen Organisationen und der katholischen Don Bosco Tribal Development Society die Genehmigungen für die Deviseneinfuhr entzogen. Die Don-Bosco-Organisation, die 1976 von den Salesianern Don Boscos gegründet wurde, setzt sich für die Entwicklung von Volksgruppen und ausgegrenzten Gemeinschaften im Bundesstaat Tamil Nadu ein. Ohne die Genehmigung für die Deviseneinfuhr darf sie keine Zuwendungen aus dem Ausland mehr für ihre Arbeit entgegennehmen, auch nicht von den anerkannten Hilfswerken der katholischen Kirche. Der Antrag auf Erteilung einer solchen Genehmigung kann abgelehnt werden, wenn der Antragsteller nach Ansicht des Ministeriums mit seiner Tätigkeit Spannungen oder Unfrieden in der Gesellschaft schürt. Seit 2017 hat die indische Regierung mehr als 900 Lizenzen von Nichtregierungsorganisationen gestrichen.
Weil im Hinduismus, Jainismus und Buddhismus Rinder traditionell verehrt werden, werden der Verzehr und das Schlachten von Rindern von weiten Teilen der Gesellschaft abgelehnt. Der Schutz der Rinder ist seit Jahrhunderten ein grundlegender politischer Streitpunkt. Zurzeit gibt es in etwa zwei Dritteln der Bundesstaaten Gesetze, die das Schlachten von Rindern regulieren, einschränken oder verbieten. Der oberste Gerichtshof Indiens, der Supreme Court, hat die Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetze bestätigt. Vor allem gesellschaftliche und politische Gruppierungen, die sich für die Verbreitung des Hinduismus stark machen, wie die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) und andere hinduistisch-nationalistische Organisationen, unterstützen das gesetzliche Verbot des Schlachtens von Rindern.
Die BJP arbeitet gezielt daran, die Möglichkeiten, vom Hinduismus zu einem anderen Glauben zu wechseln, gesetzlich einzuschränken. So haben bereits mehrere Bundesstaaten sogenannte Gesetze über die Religionsfreiheit verabschiedet, die nach Meinung der Kritiker den Gläubigen die Möglichkeit nehmen, zu einem anderen Glauben zu wechseln. Nach offizieller Lesart sollen diese gesetzlichen Vorschriften lediglich die Gläubigen davor schützen, dass sie dazu gezwungen oder arglistig verleitet werden, einen anderen Glauben anzunehmen.
Die gesetzlichen Regelungen in den einzelnen Bundesstaaten weichen nur minimal voneinander ab. Als erster Bundesstaat hat 1967 Odisha das Gesetz über die Religionsfreiheit eingeführt. Es folgten Madhya Pradesh (1968), Arunachal Pradesh (1978, hier ist der Geltungsbereich noch nicht eindeutig festgelegt), Chhattisgarh (2000), Tamil Nadu (2002, zwei Jahre später außer Kraft gesetzt), Gujarat (2003), Rajasthan (2006, Unterzeichnung durch den Gouverneur steht noch aus), Himachal Pradesh (2006, 2019 außer Kraft gesetzt, aber kurz darauf durch ein neues Gesetz ersetzt), Jharkhand (2017), und Uttarakhand (2018).
Im August 2019 wurde das Gesetz über die Religionsfreiheit im Bundesstaat Himachal Pradesh von der gesetzgebenden Versammlung einstimmig verabschiedet. Es sieht strenge Strafen von bis zu sieben Jahren Gefängnis für diejenigen vor, die Menschen „einen anderen Glauben aufzwingen“. Am 13. August 2022 wurde ein Änderungsgesetz verabschiedet, das die „Massenbekehrung“ verbietet und die Höchststrafe auf zehn Jahre Freiheitsentzug erhöht.
Im Juni 2020 kündigte der Chief Minister (Regierungschef) des nordindischen Bundesstaates Haryana an, sein Staat werde ein Gesetz einführen, das sogenannte „Zwangsbekehrungen“ verhindern soll. Im März 2022 wurde in Haryana die Prevention of Unlawful Conversion of Religion Bill 2022 (Gesetz zur Verhinderung unrechtmäßiger Religionsbekehrungen) verabschiedet. Der Vorsitzende des Indischen Nationalkongresses, Kiran Choudhary, erklärte, das Gesetz sei „beängstigend... und würde die Spaltung unter den Gruppierungen vertiefen" und legte aus Protest dagegen seine Arbeit nieder.
Im September 2022 verabschiedete die Regierung des Bundesstaates Karnataka trotz des starken Widerstands von Christen und Oppositionsparteien ebenfalls ein Anti-Konversionsgesetz. Rechtswidrige Bekehrungen werden mit Gefängnisstrafen von drei bis fünf Jahren und hohen Geldstrafen geahndet.
Welche Absicht hinter diesen Gesetzen steckt, wird angesichts der Tatsache deutlich, dass sie bisher niemals zur Anwendung kamen, um Hindus zu belangen, selbst wenn Anhänger der Mehrheitsreligion Andersgläubigen explizit Geld geboten haben, um sie zur Hinwendung zum Hinduismus zu bewegen.
Dass diese Gesetze religiöse Minderheiten benachteiligen, wurde 2015 deutlich, als der Supreme Court entschied, dass eine Person, die vom Christentum zum Hinduismus zurückwechselt, Anspruch auf bestimmte Vergünstigungen hat, die Christen normalerweise vorenthalten sind, sofern die Vorfahren des Konvertiten einer Scheduled Caste (gelisteten Kaste) angehört haben und die Glaubensgemeinschaft die Wiederaufnahme des Konvertiten zulässt.
Weil die Antikonvertierungsgesetze zumeist auf die Bestrebungen hinduistisch-nationalistischer Gruppierungen zurückgehen, die den Hinduismus in Indien durch konkurrierende Glaubensrichtungen bedroht sehen, treffen sie die religiösen Minderheiten in den jeweiligen Staaten unverhältnismäßig hart. Vor allem muslimische und christliche Gemeinschaften, die missionierend tätig sind, leiden unter den Vorschriften. Örtliche Behörden und Hindu-Organisationen machen sich die Verbote zunutze, um religiöse Minderheiten zu drangsalieren und einzuschüchtern.
Seit die hinduistisch-nationalistische BJP von Premierminister Narendra Modi bei der Parlamentswahl im April/Mai 2019 ihre Mehrheit weiter ausgebaut hat, geraten die Muslime im Land zunehmend unter Druck. Binnen fünf Monaten setzte die Bundesregierung zwei große Maßnahmen um, die die Rechte der muslimischen Minderheit betreffen. Im August 2019 entzog sie dem mehrheitlich von Muslimen bewohnten Bundesstaat Jammu und Kaschmir seine Sonderstellung gemäß Artikel 370 der Verfassung, der ihm weitreichende Autonomie eingeräumt hatte. Im Zuge dessen wurden zahlreiche politische und zivilgesellschaftliche Verantwortliche ohne Angabe von Gründen und ohne Gerichtsbeschluss festgenommen. Im gesamten Gebiet wurden monatelang die Internetverbindungen blockiert. Des Weiteren verabschiedete das indische Parlament im Dezember das Citizenship Amendment Act – CAA (Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts), das Muslime aus bestimmten Nachbarländern ausdrücklich von der Möglichkeit ausschließt, wegen religiöser Verfolgung in Indien als Flüchtling anerkannt zu werden und die indische Staatsbürgerschaft zu beantragen.
Im indischen Strafgesetzbuch ist ein Blasphemieverbot vorgesehen. Gemäß Paragraf 295A ist es strafbar, die Religion oder die religiösen Überzeugungen von Bürgern zu verunglimpfen, wenn mit der Tat die religiösen Gefühle anderer „vorsätzlich und böswillig“ verletzt werden sollen. Diese Vorschrift wurde bereits gelegentlich gegen (indische und ausländische) Christen angewendet, die im Rahmen ihrer Missionstätigkeit angeblich den Hinduismus kritisiert haben.
Vorkommnisse und aktuelle Entwicklungen
Christen sehen sich in Indien weiterhin Gewalt und Hassverbrechen ausgesetzt. Im Jahr 2021 verzeichnete die Religious Liberty Commission (Kommission für Religionsfreiheit) landesweit 505 Vorfälle, bei denen Christen angegriffen, eingeschüchtert oder schikaniert wurden, gegenüber 279 im Jahr 2020. Das United Christian Forum for Human Rights – UCFHR (Vereintes christliches Forum für Menschenrechte) betreibt eine telefonische Beratungsstelle und belegte anhand der dort gesammelten Daten, dass allein im Zeitraum von Januar bis Juli 2022 etwa 302 Angriffe auf Christen stattgefunden hatten.
Ein Hauptgrund für die zunehmende Verfolgung von Christen ist die Verbreitung der Hindutva-Philosophie, die von der Hindutva-Gruppe Rashtriya Swayamsevak Sangh – RSS (Nationale Freiwilligenorganisation) vertreten wird. Hindutva ist eine rechtsgerichtete Form des Hindu-Nationalismus und betrachtet Indien als ein im Wesentlichen hinduistisches Land, das gegenüber anderen Religionen oder Kulturen intolerant ist. Die seit 2014 regierende Bharatiya Janata Party (BJP), hat sich diesem ideologischen Ansatz verschrieben. Der politische Erfolg der Partei hat zu einer Begünstigung von religiös-nationalistischer Rhetorik und Aktionen geführt.
Dennoch nimmt der Anteil der Christen in vielen Teilen des Landes zu, insbesondere im ländlichen Indien. In der Folge starteten hinduistische Extremisten in den betreffenden Gebieten gezielte Kampagnen, um konvertierte Christen für den Hinduismus zurückzugewinnen. Berichten zufolge finden Angriffe hinduistischer Extremisten auf christliche Gotteshäuser häufig mit stiller Unterstützung der örtlichen Regierungsbehörden statt. Da die Zahl der Vorfälle zu hoch ist, um diese einzeln aufzuzählen, handelt es sich bei der folgenden Aufzählung um eine repräsentative Auswahl:
Am 26. Januar 2021 stürmte eine Gruppe von Hindutva-Parolen skandierenden Männern das Satprakashan Sanchar Kendra Christian Centre in Indore im Bundesstaat Madhya Pradesh. Der Priester Manish David berichtete: „Sie schlugen uns und rissen uns an den Haaren.“ Die Polizei nahm neun Personen fest, unter ihnen auch den Priester. Als Grundlage für die Festnahmen wurde das neue Anti-Konversionsgesetz genannt.
Im Juli 2021 verstarb der indische Jesuitenpater Stan Swamy nach sieben Monaten Haft. Pater Swamy wurde neben 15 weiteren Personen vorgeworfen, gegen den Unlawful Activities Prevention Act (Gesetz zur Verhütung gesetzwidriger Aktivitäten) verstoßen zu haben, nachdem er die Regierungspolitik im Oktober 2020 kritisiert hatte. Im März 2022 forderte eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen die indische Regierung auf, den Vorfall unabhängig untersuchen zu lassen. Die Arbeitsgruppe bezeichnete Swamys Tod als „Versagen“ der indischen Regierung, der „für immer ein Schandfleck für die Menschenrechte im Land“ bleiben werde.
Im September 2021 wurden in Uttar Pradesh zwei Christen in Untersuchungshaft von Polizisten mit schweren eisenbeschlagenen Bambusstöcken geschlagen. Die Männer Sabajeet und Chotelal aus dem Distrikt Sultanpur waren nach den 2020 in Kraft getretenen Anti-Konversionsgesetzen des Bundesstaates angeklagt worden. Der örtliche Polizeichef hatte ihnen vorgeworfen, Indien durch ihre Bekehrung zum Christentum verraten zu haben. Beide Männer wurden noch in derselben Nacht ohne Anklage entlassen.
Im Oktober rief der hinduistische Religionsführer Swami Parmatmanand während einer Massenkundgebung im Distrikt Chattisgarh Surguja zur Ermordung von Christen auf. Er forderte: „Enthauptet diejenigen, die kommen, um zu konvertieren.“ Während dieser Aufrufe zur Gewalt standen führende Politiker wie Ramvichar Netam und Nand Kumar Sai mit ihm auf der Bühne. Letzterer wurde dabei gefilmt, wie er dem Swami applaudierte. Die Bandh Karo Dharmantaran Kundgebung gegen religiöse Bekehrung wurde von Sarwa Sanatan Hindu Raksha Manch, einem losen Zusammenschluss von Hindutva-Gruppen, organisiert.
Im Oktober 2021 warnte der Vorsitzende des RSS, Mohan Bhagwat, vor dem „unnatürlichen Wachstum“ der christlichen und muslimischen Bevölkerung des Landes. Wenig später sagte er bei seiner alljährlichen Rede im Rahmen der Navaratri-Tage (einem Fest zu Ehren der Hindu-Gottheit Durga): „Illegale Einwanderung in den Grenzgebieten und Bekehrungen im Nordosten haben die Demografie weiter verändert.“
Am 6. Dezember wurde die St. Joseph‘s Schule in Ganj Basoda im Bundesstaat Madhya Pradesh von etwa 500 Hindutva-Extremisten geplündert. Zuvor hatte die Schulverwaltung Polizeischutz beantragt. Der Schuldirektor, Bruder Anthony Pynumkal, berichtete von einem mit Eisenstangen und Steinen bewaffneten Mob, der gegen Mittag das Gelände stürmte. Im Vorfeld des Ereignisses waren auf YouTube Beiträge veröffentlicht worden, in denen die Schule bezichtigt wurde, Hindu-Schüler zu bekehren. Gezeigt wurden Fotos von acht katholischen Kindern, die in der Pfarrkirche gefirmt wurden und die erste heilige Kommunion empfingen. Die Bilder wurden benutzt, um die angebliche Bekehrung von hinduistischen Schülern zu belegen. Die Schule wird von den Malabar-Missionsbrüdern der syro-malabarischen katholischen Kirche betrieben und von rund 1.500 Schüler besucht. Weniger als ein Prozent von ihnen sind christlichen Glaubens. Pater Maria Stephen erklärte: „Die Polizei hat den Mob indirekt unterstützt. Die Schulverwaltung hatte am Vortag einen Antrag auf Schutz gestellt, der aber nicht ernst genommen wurde. Man hatte das Gefühl, dass der Polizeipräsident die Christen nicht mochte.“ Die Vandalen hatten mehr als eine Stunde Zeit, Schuleigentum zu zerstören, bevor die Polizei einschritt.
Im Dezember 2021 wurden Schwestern des Ordens der Missionarinnen der Nächstenliebe bezichtigt, Bekehrungen zum Christentum vorzunehmen. Sie wurden nach dem 2003 in Gujarat erlassenen Gesetz über die Religionsfreiheit angeklagt. Im März 2022 wurde das Verfahren eingestellt, da es keine Grundlage für die Anklage gab.
Im Dezember 2021 erklärte Tejasvi Surya, der nationale Vorsitzende von Bharatiya Janata Yuva Morcha (BJYM) und Abgeordneter im südlichen Bengaluru, dass das Bekehrungsverbot nicht ausreiche und eine groß angelegte Rekonversion notwendig sei. Er forderte, dass „jeder Tempel das Ziel haben muss, Menschen zum Hinduismus zu bekehren. Wir sollten selbst die Muslime in Pakistan zurück zum Hinduismus bringen.“ Nachdem er in den sozialen Medien auf heftige Gegenreaktionen stieß, nahm er seine Äußerungen wenig später zurück.
Am 9. Januar 2022 wurde in Chattisgarh im Distrikt Kondagaon eine Hauskirche von 200 Personen gestürmt. Der Hindutva-Extremist Sanjith Ng drang während der heiligen Messe in das Gebäude ein und griff mehrere Gemeindemitglieder an. Er zerrte Pfarrer Hemanth Kandapan nach draußen, wo er auf den Geistlichen sowie auf ein Gemeindemitglied einschlug. Beide mussten wegen ihrer Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden. Der Pfarrer berichtete, dass Polizei anwesend war, aber nicht einschritt. Die Mitglieder des Mobs warfen den Christen vor, Hindus rechtswidrig zu bekehren und drohten, die Christen zu töten, sollten sich diese weiterhin im Dorf treffen. Am darauffolgenden Tag zwangen führende Mitglieder von Vishwa Hindu Parishad (VHP) christliche Dorfbewohner an einer Bekehrungszeremonie teilzunehmen. Berichten zufolge wurde dabei eine Frau, Sunderi Bathi, gezwungen, zum Hinduismus zu konvertieren.
Am 2. März 2022 fand in Mangaluru im Distrikt Dakshina Kannada auf den Straßen zwischen den katholischen Kirchen eine Demonstration statt. Mit Kerzen sollte auf die Angriffe auf Christen aufmerksam gemacht werden, die auf ein im Dezember 2021 erlassenes Anti-Konversionsgesetz im Bundesstaat Karnataka gefolgt waren. Zu den Angriffen im Februar gehörten der rechtswidrige Abriss der zur St. Anthony’s Church gehörenden 40 Jahre alten Gemeindehalle sowie die durch Behörden angeordnete Zerstörung einer sechs Meter hohen Christus-Statue, die 2004 im Dorf Gokunte aufgestellt worden war.
Im April 2022 wurden am Gründonnerstagabend 55 Christen wegen „rechtswidriger Bekehrungen“ festgenommen. In Fatehpur, Uttah Pradesh, hinderte 200 Menschen mehr als 70 Mitglieder der Evangelical Church of India (Evangelikale Kirche Indiens) daran, das Gelände ihrer Kirche zu verlassen. Als die Polizei eintraf, verhörte diese die Gemeindemitglieder drei Stunden lang, bevor 55 der Christen angeklagt und auf die Wache gebracht wurden. 26 Männer mussten die Nacht in Zellen verbringen und wurden am Folgetag dem Gericht vorgeführt: 17 von ihnen kamen in Untersuchungshaft, bevor sie am Karsamstag entlassen wurden. Berichten zufolge zog die Polizei alle Anklagen wegen angeblicher Zwangsbekehrung zurück, erhob jedoch Klage wegen strafgesetzlicher Vergehen. Kirchliche Quellen berichteten, dass Hindutva-Oberhäupter den Gottesdienst „als religiöse Bekehrungsaktion darstellten“.
Im Mai 2022 wurden im Bundesstaat Uttar Pradesh mindestens 30 Christen wegen angeblicher Zwangsbekehrungen festgenommen.
Im Distrikt Jaunpur, im Bundesstaat Uttar Pradesh, zerrte am 31. Mai 2022 ein Mob den protestantischen Pfarrer während des Gottesdienstes aus der Kirche. Die Polizei inhaftierte den Pfarrer und berief sich dabei auf Paragraf 29a des indischen Strafgesetzbuches (vorsätzliche und böswillige Handlungen, die darauf abzielen, religiöse Gefühle zu verletzen). Am 3. Juni wurde er gegen Kaution entlassen.
Im Juni 2022 wurde im Namen von Peter Machado, Erzbischof von Bangalore, dem National Solidarity Forum – NFS (Nationales Forum für Solidarität), und der Evangelical Fellowship of India - EFI (Evangelikale Gemeinschaft Indiens) eine Petition bei der Regierung eingereicht. In dieser wurde die Regierung beschuldigt, keine Maßnahmen gegen Personen zu ergreifen, die zu Gewalt und Hassreden gegen die christliche Gemeinschaft aufriefen. Obwohl die Regierung die Anschuldigungen als „unwahr und eigennützig“ bezeichnete, forderte der Oberste Gerichtshof Indiens das Innenministerium auf, Informationen über die acht in der Petition genannten Bundesstaaten sowie eine detaillierte Aufzählung der Angriffe auf Christen von den Antragsstellern anzufordern.
Die Zahl der Angriffe auf Muslime und Christen in der Auseinandersetzung um den Schutz heiliger Kühe hat in den letzten Jahren in mehreren Bundesstaaten zugenommen. Diese Angriffe richten sich hauptsächlich gegen Muslime und Dalits (früher als Unberührbare oder Parias bezeichnet), sowie gegen indigene christliche Gemeinden in ländlichen Gebieten, deren Lebensunterhalt mit Landwirtschaft und Viehzucht eng verbunden ist. In Delhi wurden im April 2022 drei Muslime verletzt, ein Mann hinduistischen Glaubens wurde getötet und ein weiterer verletzt. Sie waren alle der Schlachtung von Rindern bezichtigt worden. In Uttar Pradesh wurde im Juni 2022 ein Muslim wegen Verbindungen zu einem in Kuhschlachtungen verwickelten Kriminellen von den Strafverfolgungsbehörden gefoltert. Im August 2022 prügelten im Bundesstaat Madhya Pradesh „Kuhschützer“ einen 50-jährigen Muslim zu Tode, zwei weiter Muslime wurden beim Transport von Rindern verletzt. Sie wurden angegriffen, obwohl sie angaben, die die Kühe nur zu transportieren, um diese auf einem Viehmarkt zu verkaufen. Diese Fälle sind nur eine Auswahl von vielen ähnlich gearteten Angriffen, die sich innerhalb des Berichtszeitraums ereigneten.
Im September 2021 veröffentlichte die für das Wohlergehen der Kühe zuständige Nationale Kamadhenu-Kommission Leitfaden, in dem es unter anderem heißt: „Jesus Christus sagte: eine Kuh zu töten, ist wie einen Menschen zu töten.“ Die Kommission richtete eine Online-Prüfung für Studenten ein, mittels derer das Bewusstsein für die Bedeutung von heiligen Kühen geschärft werden soll. Auch wurde von derselben Kommission behauptet, dass Kuhschlachtungen zu Erdbeben geführt hätten und die Ankunft christlicher Missionare für die Dürre in Afrika verantwortlich sei. Der Global Council of Indian Christians – GCIC (Bundesweiter Rat indischer Christen) forderte die Kommission auf, das Zitat zu entfernen, da befürchtet wurde, dass es radikale hinduistische Gruppen zu Mordtaten anstacheln könnte.
Viele Hindu-Extremisten rufen bei Angriffen auf christliche Dorfbewohner „Jai Shri Ram“, wenn sie diese des Schlachtens von Rindern bezichtigen. Der Ausspruch gilt eigentlich als traditioneller Gruß unter Hindus, wird aber zunehmend auch bei gewalttätigen Übergriffen gegen Christen und Muslime missbraucht.
Im Bundesstaat Assam führten Berichte über nicht anerkannte Medresen (höheren Islamschulen) mit terroristischen Verbindungen zur Zerstörung mehrerer solcher Institutionen. Im August 2022 wurde im Distrikt Bongaigaon eine Medrese wegen angeblicher „dschihadistischer Aktivitäten“ abgerissen. Kurz darauf beschloss die Regierung von Uttar Pradesh eine Erhebung über nicht anerkannte Medresen durchzuführen. Unter Himanta Biswa Sarma, Chief Minister (Regierungschef) von Assam, kam es zu einer starken Zunahme der Verfolgung von Muslimen. Das führte im September 2022 dazu, dass Muslime in Goalpara freiwillig eine Medrese abrissen. Obwohl die Behörden keine rationale Begründung für den Abriss hatten, sahen sich die Muslime genötigt, zu beweisen, dass sie keine dschihadistischen Aktivitäten ausübten.
Im Dezember 2019 verabschiedeten Unter- und Oberhaus des indischen Parlaments den umstrittenen Citizenship Amendment Act – CAA (Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts) woraufhin es in Delhi, Uttar Pradesh, Maharashtra, Assam und auf zahlreichen Universitätsgeländen zu Gewalt und Unruhen kam. Der CAA wurde von nationalen und internationalen Wissenschaftlern und Aktivisten scharf kritisiert, da dadurch Religion zum einzigen Kriterium für die Verleihung der Staatsbürgerschaft an Migranten und Flüchtlnige aus Indiens Nachbarländern gemacht wurde. Der Oberste Gerichtshof Indiens hatte den 31. Oktober 2022 für die Anhörung der in diesem Jahr eingegangenen Petitionen gegen das Gesetz festgelegt. Im Oktober wurde dem Innenministerium jedoch eine weitere, siebte, Fristverlängerung gewährt, um die Regulierungen für den CAA zu finalisieren. Am 24. November 2022 erklärte Innenminister Amit Shah, dass die Bestimmungen des CAA „in Arbeit“ seien, es jedoch „aufgrund der Pandemie“ zu Verzögerungen gekommen sei. Der Innenminister versicherte jedoch, dass „der CAA ein Gesetz des Landes ist und diejenigen, die davon träumen, dass der CAA nicht in Kraft gesetzt wird, sich irren; er wird umgesetzt.“
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Obwohl Indien gemeinhin als multireligiöse Demokratie mit einer von religiöser Vielfalt und Pluralismus geprägten Geschichte wahrgenommen wird, hat die Zunahmen religiös-nationalistische Ereignisse dazu geführt, dass das Land nun aufgrund der Verletzung grundlegender religiöser Freiheiten vieler seiner Bürger auf einer globalen Beobachtungsliste steht. Es ist besorgniserregend, dass restriktive Maßnahmen gegen Christen und andere religiöse Minderheiten immer weiter zunehmen, religiös motivierte Gewalt und Einschüchterungen um sich greifen und das Recht des Einzelnen auf freie Glaubensausübung immer stärker eingeschränkt wird. Indien ist ein Beispiel für „hybride Verfolgung“, bei der sowohl pseudo-legale Maßnahmen als auch blutige Angriffe auf Bürger mit der vermeintlich „falschen“ Religion ausgeübt werden.
2022 stufte die United States International Commission for International Religious Freedom (US-Kommission für internationale Religionsfreiheit) Indien erneut als Country of Particular Concern ein, also als eines der Länder, die Anlass zu besonderer Besorgnis geben. Darüber hinaus empfahl das Gremium für Religionsfreiheit „gezielte Sanktionen gegen Einzelpersonen und Behörden, die für schwerwiegende Verstöße gegen die Religionsfreiheit verantwortlich sind“.
Die Aussichten für die Religionsfreiheit in Indien sind also weiterhin düster.