Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Die Religionsfreiheit und das Recht auf freie Ausübung des Glaubens sind in Artikel 30 der haitianischen Verfassung festgeschrieben. Jeder hat das Recht, seinen Glauben zu bekennen und auszuüben, sofern die öffentliche Ordnung und die öffentliche Ruhe dadurch nicht gestört werden.
Gemäß Artikel 30, 1 darf niemand gezwungen werden, einer Glaubensgemeinschaft beizutreten oder einer Lehre zu folgen, die den eigenen Überzeugungen widerspricht. In Artikel 30, 2 ist festgelegt, dass die Bedingungen für die Anerkennung von Religionen und für die Glaubensausübung gesetzlich geregelt werden.
Gewerkschaften müssen laut Artikel 35, 4 grundsätzlich gemeinnützig sein und dürfen nicht an politische Parteien oder Konfessionen gebunden sein.
Auch ausländische Personen und Organisationen haben gemäß Artikel 55, 2 das Recht, in Haiti Immobilien zu besitzen, um unter anderem religiöse, humanitäre oder Bildungseinrichtungen zu betreiben.
Der Amtseid des Präsidenten der Republik beginnt gemäß Artikel 135, 1 mit den Worten: „Ich schwöre vor Gott und der Nation ...“
Gemäß Artikel 187 müssen auch die Richter des Obersten Gerichtshofes einen Eid mit Gottesbezug leisten: „Ich schwöre vor Gott und der Nation, dass ich mit der für einen aufrichtigen und freien Menschen angemessenen Unvoreingenommenheit und Bestimmtheit meinem Gewissen und meiner tiefen Überzeugung folgend urteilen werde.“
Laut Artikel 215 gelten Zentren afrikanischer Glaubensrichtungen als Teil des nationalen Erbes, das unter dem Schutz des Staates steht.
Der Heilige Stuhl ist gemäß dem mit Haiti geschlossenen Konkordat berechtigt, mit Zustimmung der Regierung Bischöfe zu ernennen. Das Konkordat regelt auch die staatliche Unterstützung von katholischen Geistlichen und Kirchen.
Religiöse Organisationen müssen sich von Gesetzes wegen beim Ministerium für religiöse Angelegenheiten registrieren lassen und jährlich einen Tätigkeitsbericht vorlegen. Staatlich anerkannte Organisationen erhalten gewisse Steuervergünstigungen. Das Justizministerium gestattet es Geistlichen von registrierten Glaubensgemeinschaften, zivilrechtliche Urkunden wie Taufscheine und Heiratsurkunden auszustellen.
Im Jahr 2003 wurde Voodoo in Haiti als Religion anerkannt.
Muslimische Gemeinschaften bemühen sich seit Jahren um eine offizielle Anerkennung durch das Ministerium; bisher wurde allerdings nur die Ahmadiyya-Gemeinschaft anerkannt. Sunniten und Schiiten warten diesbezüglich bisher noch auf eine Entscheidung. Muslimische Eheschließungen werden nicht zivilrechtlich anerkannt; Muslime müssen zusätzlich eine zivilrechtliche Eheschließung vollziehen. Dies gilt auch für die Ahmadiyya, da die Geistlichen dieser Gemeinschaft bislang noch nicht bestätigt wurden.
In Haiti sind einige christliche und islamische Gruppen informell und ohne offizielle Anerkennung tätig.
Seit 1976 ist Haiti Mitglied des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte.
Vorfälle und Entwicklungen
Während des Berichtszeitraums ist Haiti im Chaos versunken – in politischer ebenso wie in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht. Staatliche Strukturen wie das Parlament, die Justiz und die öffentliche Verwaltung sind zusammengebrochen.
Im Juli 2021 wurde Präsident Jovenel Moïse in seinem Privathaus ermordet. Seitdem wird das Land von Premierminister Ariel Henry geführt, ein Termin für Neuwahlen steht noch nicht fest. In dem kleinen Karibikstaat, der schon lange unter Armut und Naturkatastrophen leidet, befeuerten das Machtvakuum und das Fehlen einer effektiven Führung die Spirale aus Hungersnöten, Krankheiten und Bandengewalt. Drogenkriminalität, Todesschwadrone und Entführungen sind an der Tagesordnung. Laut Ulrika Richardson, der stellvertretenden Sonderbeauftragten für das Integrierte Büro der Vereinten Nationen in Haiti, stehen „fast 60 % der haitianischen Hauptstadt unter der Herrschaft von Banden“. Die Gewalt hat dazu geführt, dass „fast 20 000 Menschen in der Hauptstadt eine katastrophale Hungersnot droht“. Verschärft wird diese Lage noch durch einen Choleraausbruch mit „mehr als 14 000 Verdachtsfällen in acht der zehn Regionen des Landes“. Bisher sind fast 155 000 Menschen aus ihrer Heimat geflohen, vor allem in der Hauptstadt Port-au-Prince. Im August 2021 wurde die Lage durch ein Erdbeben der Stärke 7,2 weiter verschlimmert. Mehr als tausend Menschen verloren bei der Katastrophe ihr Leben, die Bevölkerung wurde noch tiefer in die Armut gestürzt.
Angesichts der überaus ernsten Lage und sich fast täglich ereignender Menschenrechtsverletzungen (einschließlich Verletzungen der Religionsfreiheit), können die hier aufgeführten Vorfälle als repräsentativ betrachtet werden.
Einem von der National Episcopal Commission for Justice and Peace (Nationale Bischöfliche Kommission für Gerechtigkeit und Frieden) veröffentlichten Bericht zufolge haben Gewalt und Kriminalität in Port-au-Prince zwischen Januar und März 2021 dramatisch zugenommen. Allein in der Metropolregion „gab es 131 gewaltsame Todesfälle, von denen 34 Opfer nicht einmal identifiziert werden konnten“. Des Weiteren gab es durchschnittlich „ein oder zwei Entführungen pro Tag, an manchen Tagen sogar fünf oder sechs“.
Am 2. Februar 2021 machten die katholischen Bischöfe Haitis in einer an KIRCHE IN NOT gerichteten Erklärung auf die schwere politische Krise aufmerksam. In dem Konflikt zwischen der Regierung und der Opposition, der sich hinsichtlich der Dauer der Amtszeit von Präsident Jovenel Moïse entzündete, riefen sie zu einem nationalen Dialog auf. Die haitianischen Bischöfe erklärten: „Dieses Land steht kurz davor, zu explodieren. Der Alltag der Menschen ist von Tod, Mord, ungesühnten Verbrechen und Unsicherheit geprägt.“ Die Bischöfe erläuterten den Standpunkt der Katholischen Kirche und erklärten: „In der Nachfolge Christi steht die Kirche immer auf der Seite des Rechts, der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Achtung des Lebens und der Menschenwürde.“
Am 5. April erinnerte Papst Franziskus in seinem Ostersegen „Urbi et Orbi“ an die (sicherheits-)politischen Herausforderungen, mit denen Haiti konfrontiert ist, und forderte die Einwohner auf, „sich nicht von den Schwierigkeiten überwältigen zu lassen, sondern mit Vertrauen und Hoffnung in die Zukunft zu blicken“.
Am 11. April 2021, dem Barmherzigkeitssonntag, wurden fünf Priester, drei Ordensfrauen und drei Laien auf dem Weg zur Amtseinführung eines Pfarrers entführt. Am 13. April verurteilte die haitianische Bischofskonferenz die Entführungen und prangerte die „Diktatur der Entführung“ an. Mit der Forderung nach Freilassung der Geiseln und als Zeichen des Protests ließ die Katholische Kirche im ganzen Land die Kirchenglocken läuten und alle katholischen Einrichtungen wie Schulen und Universitäten für drei Tage schließen. Die Bischöfe erklärten: „Seit mehreren Jahren ist das Leben der Haitianer ein Alptraum. Die meisten der entführten Menschen werden gedemütigt, vergewaltigt und gefoltert. Einige von ihnen finden nicht mehr in ein normales Leben zurück. Wann ist dieser Kreuzweg zu Ende?“
Am 15. April hielt die Katholische Kirche landesweit Hunderte von Gottesdiensten als „Messe für die Freiheit Haitis“ ab, um gegen die politische Krise und die Entführung von Priestern zu protestieren. Die Gang „400 Mawozo“ hatte zu diesem Zeitpunkt zehn katholische Priester entführt. In Port-au-Prince begannen Gemeindemitglieder nach dem Ende der Messe politische Parolen zu rufen und forderten die Regierung auf, für Ordnung im Land zu sorgen. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Menge zu zerstreuen.
In einem Interview vom 16. April 2021 wies der Bischof von Hinche, Désinord Jean, auf die allgegenwärtige Angst der katholischen Priester und Ordensleute vor Entführungen hin: „Jeder fragt sich: Wer wird der Nächste sein? Ich oder ein Ordensbruder? Bei den Priestern und Ordensleuten besteht wirklich die Gefahr einer Psychose. Wir leben in ständiger Angst.“ Auch wenn es sich bei den Entführungen wahrscheinlich um das Werk von Banditen handelt, spekulierte der Bischof, dass die Kirche möglicherweise auch von einigen Politikern wegen ihrer Kritik an der Situation ins Visier genommen würde: „Die Kirche in Haiti hat einen prophetischen Auftrag. Sie muss die schrecklichen Bedingungen anprangern. Und damit kann es gut sein, dass sie einigen unserer Politiker ein Dorn im Auge ist.“ Obwohl Bischof Désinord Jean Zweifel einräumte, fügte er hinzu: „Aber jeder weiß, dass sich unsere Politiker krimineller Banden bedienen, um bestimmte Gebiete zu kontrollieren. Die Grenze zwischen organisierter Kriminalität und Politik ist fließend.“
Im Juni 2021 ordnete das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und Kultusfragen mehrere Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie an, darunter die Begrenzung der Teilnehmerzahl bei Gottesdiensten auf höchstens 25 Prozent der Kapazität eines Veranstaltungsortes und das obligatorische Tragen von Masken.
In der Nacht vom 6. auf den 7. Juli 2021 wurde der Präsident der Republik, Jovenel Moïse, in seinem Privathaus ermordet. Die Frau des Präsidenten, Martine Moïse, wurde bei dem Attentat verletzt. Am 7. Juli brachte die Bischofskonferenz von Haiti ihre Bestürzung in einer Erklärung zum Ausdruck: „Dieses traurige Ereignis markiert einen unglücklichen Wendepunkt in der Geschichte unseres Volkes“. Es zeige, „dass sich große Teile der Bevölkerung seit einiger Zeit bewusst für Gewalt als Überlebensstrategie und zur Lösung von Konflikten entschieden haben“.
Im Juli 2021 wurden sieben Buspassagiere entführt, darunter der katholische Priester Carl-Henry Lucien, Pfarrer der Notre-Dame-du-Perpétuel-Secours-Kirche in Bodin. Er wurde am nächsten Tag freigelassen.
Am 14. August 2021 erschütterte um 08:29 Uhr ein Erdbeben der Stärke 7,2 das Land. Bis zum 26. August wurden allein in der Diözese Les Cayes insgesamt 682 Tote und 2175 Verletzte gezählt. Fast 11 500 Häuser wurden bei dem Beben beschädigt. Darüber hinaus wurden 135 Kirchen zerstört und 111 beschädigt.
Im September 2021 wurde eine protestantische Kirche in Port-au-Prince während eines Gottesdienstes angegriffen. Dabei kam Diakon Sylner Lafaille ums Leben, seine Frau wurde entführt.
Im selben Monat wurde André Sylvestre, katholischer Pfarrer der Gemeinde Notre-Dame de la Miséricorde in Robillard Cap-Haïtien, bei einem versuchten Raubüberfall getötet.
Im Oktober wurden beim Besuch eines Waisenhauses 17 ausländische christliche Missionare mit ihren Familien, darunter fünf Kinder, entführt. Zwei Geiseln wurden im November freigelassen, die übrigen im Dezember 2021.
Im November wurden Pastor Stanis Stifinson und seine Familie während der Fahrt in ihrem Fahrzeug beschossen. Der jüngste Sohn wurde dabei getötet, der Geistliche und ein weiterer Sohn verwundet.
Im November fand das jährliche Voodoo-Fest statt, bei dem sich Hunderte von Menschen auf dem Hauptfriedhof von Port-au-Prince versammelten, um der Toten zu gedenken.
Im Dezember 2021 veröffentlichten die haitianischen Bischöfe eine Botschaft, in der sie die internationale Gemeinschaft um Hilfe baten und die Behörden des Landes aufforderten, einen Weg aus dieser Krise zu finden, die die Stabilität des Landes gefährde.
Im Februar 2022 rief die haitianische Bischofskonferenz die politischen Akteure und die bewaffneten Banden dazu auf, das Land vor einem weiteren Absturz ins Chaos zu bewahren. In ihrer Erklärung appellierten die Bischöfe sowohl an die Regierung, „alles zu tun, um die Ordnung, den Frieden, die Sicherheit und die Achtung vor dem Leben wiederherzustellen“, als auch an die bewaffneten Banden, die „völlig ungestraft Gewalt, Angst, Tod, Trauer, Verwüstung und Not säen“, und baten sie, „die Waffen niederzulegen, auf Gewalt und Entführungen zu verzichten und das Blutvergießen unter ihren Schwestern und Brüdern einzustellen“.
Am 28. April 2022 entführten bewaffnete Banditen mehrere Personen, darunter Pater Whatner Aupont, Priester der Josef-der-Arbeiter-Kirche, am Rande der Hauptstadt Port-au-Prince. Erzbischof Launay Saturné erklärte, dass „die soziopolitische und wirtschaftliche Situation des Landes immer komplexer wird. Die Verschlechterung der Lage im Land ist auf das vermehrte Auftreten bewaffneter Banden, die ständigen Entführungsfälle, die allgegenwärtige Unsicherheit, die Inflation insbesondere bei den Preisen für lebenswichtige Güter, blutige Zwischenfälle und eine Flut von Unruhen und Grausamkeiten zurückzuführen.“
Im Mai schickte die haitianische Pastorenkonferenz (COPAH) einen Brief an die Länder der Kerngruppe für Haiti. Darin warf sie diesen vor, dem haitianischen Volk Führer aufzuzwingen, die „weder Ansehen noch Tiefe mitbringen und sich allein um die Interessen ihrer jeweiligen Länder sorgen – zum Nachteil der Interessen Haitis“. Damit seien diese Länder verantwortlich für die Probleme im Land.
Im Mai konnte die Gemeinschaft der Ahmadiyya endlich die lang erwartete Registrierung beim Kultusministerium abschließen, die den Schritt zur Registrierung ihrer Schulen beim Bildungsministerium ermöglichte. Die größeren sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften sind weiterhin nicht registriert.
Im Juni 2022 wurden Pater Clercius Dorvilus, Pfarrer von Saint Michel Archange de la Plate Nevrac, Bassin-Bleu, und drei Laien entführt.
Ebenfalls im Juni wurde Schwester Luisa del Orto, eine italienische Missionsschwester, die seit 20 Jahren in Haiti lebte, bei einem Überfall erschossen. Ihre Schwester berichtete über ihr Leben in den Missionen: „Sie war sich bewusst, dass etwas passieren könnte, denn es war offensichtlich – und das schrieb sie sogar in ihrem letzten Brief – wie schwierig die Situation war. Ihr war es wichtig, trotzdem zu bleiben und Zeugnis abzulegen.“ Am 26. Juni erklärte Papst Franziskus zum Tod von Schwester Luisa: „Ich vertraue ihre Seele Gott an und bete für das haitianische Volk, vor allem für die Geringsten, dass sie eine friedlichere Zukunft frei von Elend und Gewalt haben. Schwester Luisa hat ihr Leben für andere gegeben, sie ist eine Märtyrerin.“
Zwei Wochen später wurde die katholische Kathedrale in der Hauptstadt Port-au-Prince angegriffen. Schwester Marcela Catozza, eine italienische Missionarin in Haiti, schilderte den Vorfall wie folgt: „Sie setzten die Kathedrale in Brand und versuchten, die Feuerwehrleute zu töten, die kamen, um die Flammen zu löschen. Danach versuchten sie, die Mauern der Kathedrale mit einem Lastwagen zu zerstören.“ Schwester Marcela zufolge beschränken sich die Angriffe auf religiöse Gebäude und Organisationen nicht auf die Hauptstadt: „In Port-de-Paix und Les Cayes sowie in anderen Städten haben sie die Gebäude der Caritas angegriffen, alles mitgenommen – sogar die humanitären Hilfsgüter – und die Büros der Mitarbeiter zerstört.“ Im September wurde ein Waisenhaus der Franziskaner-Missionare in einem der Slums Opfer von Gewalt. Schwester Marcela erklärte: „Sie haben unsere Kapelle in Brand gesetzt. Alles ist den Flammen zum Opfer gefallen: der Altar, die Kirchenbänke ... Es ist nichts mehr übrig. Das Allerheiligste wurde gerettet, weil ich es immer an einen sicheren Ort bringe, wenn ich gehe.“
Im Juli 2022 äußerten sich die Vereinten Nationen besorgt über die zunehmende Bandengewalt. Zwischen Januar und Juni wurden 934 Morde und 680 Entführungen registriert; allein in der Woche vom 8. bis 12. Juli wurden mindestens 234 Menschen getötet oder verwundet. Die Gewalt wurde zum großen Teil von rivalisierenden Banden ausgeübt, die um die Kontrolle über strategisch wichtige Stadtteile kämpften.
Am 7. Oktober 2022 appellierten Premierminister Henry und der haitianische Ministerrat an den UN-Generalsekretär Antonio Guterres, eine internationale Militärtruppe zu entsenden, um „die Gewalt in Haiti zu bekämpfen und die humanitäre Krise zu lindern“.
Nach Angaben des Menschenrechtsdienstes des Integrierten Büros der Vereinten Nationen in Haiti wurden Mitte Oktober innerhalb von etwas mehr als einer Woche „als Folge von Revierkämpfen zwischen rivalisierenden Banden in Croix-des-Bouquets (nordöstlich von Port-au-Prince) mehr als 71 Menschen getötet, ein Dutzend Frauen vergewaltigt und Hunderte von Einwohnern gezwungen, aus ihren Häusern zu fliehen“. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, erklärte dazu: „Die Menschen werden mit Schusswaffen getötet, sie sterben, weil sie keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, Nahrung und medizinischer Versorgung haben, und es kommt zu ungestraften Gruppenvergewaltigungen von Frauen. Das Ausmaß der Unsicherheit und die katastrophale humanitäre Lage sind für die Menschen in Haiti verheerend.“
Am 16. Dezember 2022 wurden die letzten der 17 christlichen Missionare, die am 16. Oktober 2021 von der haitianischen Gang „400 Mawozo“ entführt worden waren, freigelassen. Die bewaffneten Banditen hatten ein Lösegeld in Höhe von 1 Mio. US-Dollar pro Geisel verlangt und angedroht, die Geiseln zu töten, wenn ihr Ultimatum nicht erfüllt würde.
Am 21. Dezember wies der UN-Sicherheitsrat bei einem offenen Briefing über Haiti auf die anhaltend tragische und unregierbare Situation im Land hin. Im November gab es 280 vorsätzliche Tötungen – die höchste Zahl seit Beginn der Aufzeichnungen. Daneben gab es 2022 rund 1200 Entführungen – doppelt so viele wie im Jahr 2021 –, und etwa 20 000 Menschen sind von einer Hungersnot bedroht. Die Zahl der Cholerafälle hat im Jahr 2022 15 000 erreicht.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Haiti ist auf dem Weg, ein gescheiterter Staat zu werden. Die vergangenen zehn Senatoren im Parlament sind offiziell aus dem Amt geschieden, sodass das Land „ohne einen einzigen demokratisch gewählten Regierungsvertreter dasteht“. Laut einer IPC-Analyse vom Oktober 2022 „leiden derzeit 4,7 Millionen Menschen unter Ernährungsunsicherheit“. Die politische und wirtschaftliche Krise führte zu einem Anstieg der Bandengewalt und löste eine katastrophale soziale und humanitäre Krise aus. Im Berichtszeitraum haben Entführungen (auch von Geistlichen) zur Erpressung von Lösegeld und Tötungen im Zusammenhang mit Bandenkriminalität exponentiell zugenommen. Die weitverbreitete Unsicherheit im Land hat alle Grundrechte einschließlich der Religionsfreiheit beeinträchtigt. Die Aussichten für die Zukunft des Landes sind insgesamt düster.