Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Frankreich ist laut Verfassung ein laizistischer Staat. In Artikel 1 heißt es: „Frankreich ist eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Republik. Sie gewährleistet die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz ohne Unterschied der Herkunft, Ethnie oder Religion. Sie achtet jeden Glauben.“
Der Grundstein für das französische Prinzip der „Laïcité“ wurde am 9. Dezember 1905 durch das Gesetz über die Trennung von Kirche und Staat gelegt. Dort heißt es in Paragraf 1: „Die Republik gewährleistet das Recht auf Gewissensfreiheit. Sie garantiert das Recht auf freie Religionsausübung, das einzig im Interesse der öffentlichen Ordnung eingeschränkt werden kann.“ Paragraf 2 lautet: „Keine Konfession wird von der Republik anerkannt, honoriert oder unterstützt.“ Drei französische Départements im Elsass-Mosel-Gebiet fallen allerdings nicht in den Geltungsbereich dieses Gesetzes; hier findet noch das Konkordat aus dem Jahr 1801 Anwendung.
Der Staat ist Eigentümer aller vor 1905 erbauten Gotteshäuser und für deren Instandhaltung verantwortlich. Von den 154 Kathedralen des Landes, die alle vor 1905 erbaut wurden, befinden sich 87 in Staatsbesitz; die übrigen 67 gehören überwiegend den örtlichen Gemeinden.
Trotz der strikten Trennung von Kirche und Staat können sich Glaubensgemeinschaften als Gebets- oder Kulturvereine (oder beides) registrieren lassen, um in den Genuss bestimmter staatlicher Leistungen zu kommen. Dazu gehören beispielsweise Kreditbürgschaften oder Mietvergünstigungen. Gotteshäuser können zudem von der Grundsteuer befreit werden.
Neben den kostenlosen öffentlichen Schulen gibt es in Frankreich staatlich subventionierte Privatschulen und freie Privatschulen. Die staatlich subventionierten Privatschulen befinden sich zu 97 % in katholischer Trägerschaft. Sie nehmen alle Kinder unabhängig von deren Religionszugehörigkeit auf, und es gelten die staatlichen Lehrpläne. Die freien Privatschulen erhalten keine öffentlichen Mittel und müssen sich nicht an die staatlichen Lehrpläne halten.
Am 23. Juli 2021 verabschiedete die Nationalversammlung das Gesetz zur Stärkung der republikanischen Prinzipien (das Antiseparatismus-Gesetz), das am 13. August vom Verfassungsrat bestätigt wurde und am 24. August 2021 in Kraft trat. Das neue Gesetz soll die Republik in die Lage versetzen, effektiver gegen destabilisierende Kräfte im Land vorzugehen, mit dem Ziel, den nationalen Zusammenhalt zu stärken. Mit dem Gesetz werden im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt: Zum einen soll es die Einhaltung der Rechtsvorschriften und Prinzipien der Republik in allen Bereichen gewährleisten, die dem Risiko einer separatistischen Einflussnahme ausgesetzt sind, und zum anderen soll es die Rechtsvorschriften bezüglich der Organisation von Glaubensgemeinschaften reformieren, die noch auf das Gesetz vom 9. Dezember 1905 zurückgingen.
Mit dem Antiseparatismus-Gesetz traten Beschränkungen für private Bildungseinrichtungen und für den häuslichen Unterricht in Kraft. Zudem sieht es höhere Strafen für die Anstiftung zu terroristischen Handlungen, für Hassparolen im Internet, für die Veröffentlichung von strafbaren Online-Inhalten und für die Bedrohung von Staatsbediensteten vor. Darüber hinaus gibt es dem Staat die Möglichkeit, Organisationen aufzulösen oder Kult- und Gebetsstätten zu schließen, wenn diese die öffentliche Ordnung erheblich stören oder die Grundrechte und Grundfreiheiten anderer verletzen. Darüber hinaus verbietet es Zwangsheirat, Polygamie und das Ausstellen von Jungfräulichkeitsnachweisen.
In Abschnitt II des Gesetzes, der sich mit dem Thema Religion befasst, werden religiösen Organisationen strengere Transparenz- und Meldepflichten hinsichtlich ihrer Finanzierung auferlegt, insbesondere wenn sie Gelder aus dem Ausland erhalten. Zudem wurde die Störung der Religionsausübung unter Strafe gestellt. Auch ist es nach dem neuen Gesetz verboten, in Kult- und Gebetsstätten zu Gewalt oder Hass aufzurufen oder entsprechende Botschaften zu verbreiten.
In seltener Eintracht wandten sich die mehrere christliche Kirchenorganisationen – unter anderem die katholische Bischofskonferenz von Frankreich (CEF), der Bund evangelischer Kirchen in Frankreich (FPF), die Vereinigte protestantische Kirche Frankreichs (EPUdF) und die Versammlung der Orthodoxen Bischöfe Frankreichs (AEOF) – gemeinsam an den Verfassungsrat, um die Verfassungsmäßigkeit von zwei vordringlichen Fragen des Antiseparatismus-Gesetzes prüfen zu lassen. Sie konnten sich vor Gericht jedoch nicht durchsetzen. Es stellte letztinstanzlich fest, dass „der Gesetzgeber nicht über das notwendige, angemessene und verhältnismäßige Maß hinaus in das Recht auf Vereinigungsfreiheit und auf freie Religionsausübung eingegriffen hat“. Anfang März 2021 hatten führende Vertreter der christlichen Kirchen in einem Artikel der Zeitung „Le Figaro“ die systematische Kontrolle beklagt, die das neue Gesetz vorsieht. Es verlangt, dass der zuständige Präfekt alle fünf Jahre die Qualität der religiösen Praxis und die Aktivitäten und Äußerungen der Glaubensgemeinschaften überprüft, wobei für die Glaubensgemeinschaften schärfere Regeln als für andere Vereinigungen und Verbände gelten. Ebenso bemängelten sie die Kontrolle der Geldströme aus dem Ausland und der Ressourcen von religiösen Organisationen.
Mit diesem Gesetz wird die „Kontrolle der Glaubensgemeinschaften verschärft, und es stellt sie unter Generalverdacht“, erklärte der protestantische Pfarrer Clavairoly im Juni gegenüber der katholischen Tageszeitung „La Croix“. Die Maßnahmen seien nur bedingt dazu geeignet, gegen den „islamistischen Separatismus“ vorzugehen, was die eigentliche Absicht der Regierung sei. Diese Argumente ließ man nicht gelten.
Ein 2004 verabschiedetes Gesetz untersagt es Schülern an öffentlichen Schulen, ihre Religionszugehörigkeit durch das Tragen von Kleidung oder Symbolen zur Schau zu stellen. Nach Angaben des Bildungsministeriums häuften sich 2022 die Vorfälle an Schulen, die mit dem Tragen von religiöser Kleidung (wie Abaya und Qamis) im Zusammenhang standen. Ein 2010 in Kraft getretenes Gesetz verbietet es, „das Gesicht in der Öffentlichkeit zu verschleiern“, etwa durch den Niqab (der nur die Augen ausspart) oder durch die Burka (vollständige Verschleierung des Gesichts). 2018 beschloss die französische Nationalversammlung eine neue Kleiderordnung. Seitdem ist es Abgeordneten untersagt, auffällige religiöse Symbole, Uniformen oder Kleidung zu tragen, die mit Logos, Werbebotschaften oder politischen Botschaften versehen ist.
Des Weiteren wurden das Strafmaß für Straftaten erhöht, die aufgrund der tatsächlichen oder vermuteten Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit des Opfers zu einer bestimmten Ethnie, Nation, Hautfarbe oder Religion begangen werden.
Katholische Aktivisten, Lebensschützer aus aller Welt und einige Würdenträger der Katholischen Kirche in Frankreich äußerten die Sorge, dass der Ausgang eines jahrelangen Rechtsstreits, der als „Fall Lambert“ bekannt wurde, der aktiven Sterbehilfe in Frankreich Tür und Tor öffnen könnte. Nach Lamberts Tod im Juli 2019 mahnte Papst Franziskus: „Lasst uns keine Zivilisation aufbauen, die Menschen beseitigt, deren Leben wir nicht mehr für lebenswert halten. Jedes Leben ist wertvoll, immer.“
In einem Urteil des Staatsrats vom 12. Februar 2021 merkte der Richter an, dass die Religions- oder Glaubensfreiheit allein kein Hindernis für die Anwendung der Rechtsvorschriften sein kann, die eine Einstellung der medizinischen Behandlung eines Patienten gestatten, wenn es darum geht eine unzulässige Zwangsbehandlung zu vermeiden. Er wies jedoch darauf hin, dass diese Freiheitsrechte bei der Bewertung der Sachlage zu berücksichtigen sind.
Im September 2022 stimmte der Nationale Ethikrat (Comité consultatif national d’éthique – CCNE) dem französischen Modell für Sterbehilfe und assistierten Suizid zu und ebnete damit wahrscheinlich den Weg für ein entsprechendes Gesetz. Der CCNE ist der Ansicht, dass „es unter bestimmten strengen Bedingungen, unter denen Kompromisse inakzeptabel wären, einen Weg für die ethische Anwendung der aktiven Sterbehilfe gibt“.
In einer Entscheidung vom 10. November 2022 bestätigte der Verfassungsrat, dass „ein Arzt sich über den von einem Patienten erklärten Willen hinwegsetzen kann“. In diesem Fall hatte die Patientin in einer Patientenverfügung festgelegt, dass die lebenserhaltenden Maßnahmen auch dann fortgesetzt werden sollen, wenn sie in einem irreversiblen Koma liegt.
Vorfälle und aktuelle Entwicklungen
Der Inlandsnachrichtendienst (Service central du renseignement territorial – SCRT) verzeichnete 2021 insgesamt 1.659 religiös motivierte Straftaten, von denen sich 857 (813 im Vorjahr) gegen Christen richteten. Die christenfeindlichen Vorfälle richteten sich zu 92 % gegen Kirchen und Friedhöfe. Es wurden durchschnittlich zwei Angriffe pro Tag verzeichnet. Die Zahl der Angriffe auf Personen stieg zwischen 2019 und 2021 von 42 auf 66. 2021 wurden außerdem 589 antisemitische Straftaten (339 im Vorjahr) und 213 islamfeindliche Straftaten (234 im Vorjahr) verzeichnet. Innerhalb der jüdischen Gemeinde war der Anteil der Angriffe auf Personen mit 52 % besonders hoch, während die Anschläge auf Synagogen und jüdische Friedhöfe stark zunahmen. Der Anteil der islamfeindlichen Taten blieb mit 13 % vergleichsweise gering, wobei sich die Angriffe überwiegend gegen Moscheen und muslimische Kulturzentren richteten.
Im Dezember 2021 beauftragte Premierminister Jean Castex auf Ersuchen von Präsident Emmanuel Macron die beiden Parlamentsabgeordneten Isabelle Florennes und Ludovic Mendes mit der Untersuchung der zunehmenden religiös motivierten Straftaten in Frankreich. Sie legten ihren Bericht im März 2022 vor.
Laut einer Umfrage des American Jewish Committee und der Fondation pour l’innovation politique fanden im Jahr 2021 60 % der antisemitischen Übergriffe im schulischen Umfeld (an weiterführenden Schulen, Hochschulen usw.) statt. In einer Ifop-Studie, die im Auftrag der Fondation Jean-Jaurès durchgeführt wurde, gaben 65 % der befragten jüdischen Eltern an, dass ihre Kinder eine öffentliche Schule besuchen. Bezogen auf die französische Gesamtbevölkerung liegt der Anteil deutlich höher, nämlich bei 85 %. Der Eindruck liegt nahe, dass der Unterschied zum Teil auf Sicherheitsbedenken zurückzuführen ist. Im Rahmen der Studie räumten 15 % der befragten Muslime ein, Ressentiments gegenüber Juden zu haben (in der französischen Gesamtbevölkerung lag der Anteil bei 5 %). Geschichtslehrer berichteten, dass es in den letzten zwanzig Jahren immer schwieriger geworden sei, im Unterricht über den Holocaust zu sprechen. Laut einer Studie der European Jewish Association zur Lebensqualität der Menschen jüdischen Glaubens in zwölf europäischen Ländern ist Frankreich das Land, in dem sich Juden am wenigsten sicher fühlen.
Im Berichtszeitraum gab es mehrere Angriffe gegen Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Die französischen Gerichte gehen systematisch etwaigen antisemitischen Beweggründen nach, ohne weiteren Ermittlungsergebnissen oder Gerichtsentscheidungen vorzugreifen. So auch im Fall eines orthodoxen Juden, der im September 2022 in Straßburg bei einem Angriff schwer verletzt wurde.
Der dschihadistische Terrorismus stellt in Frankreich nach wie vor eine Bedrohung dar, auch wenn in den vergangenen zwei Jahren nur wenige Einzelfälle gemeldet wurden. Die für Terrorismusbekämpfung zuständige Generaldirektion für Innere Sicherheit (Direction générale de la sécurité intérieure – DGSI) wies darauf hin, dass terroristische Bedrohungen überwiegend von einheimischen Akteuren ausgehen, vor allem von Personen, die unter dem Einfluss unablässiger dschihadistischer Propaganda stehen, die in letzter Zeit allerdings abgenommen hat. Daher sei es eine Frage der Sicherheit, die verurteilten islamistischen Terroristen auch während der Haft und nach ihrer Freilassung weiter im Blick zu behalten.
Im September 2021 bestätigte der Staatsrat die Rechtmäßigkeit der behördlich angeordneten Auflösung des Kollektivs gegen Islamophobie in Frankreich (Collectif contre l'islamophobie en France – CCIF) und der Organisation Baraka City, denen die Verbreitung islamistischer Propaganda vorgeworfen wurde.
Im November 2021 wurden die Fassaden von drei Moscheen in Montlebon, Pontarlier und Roubaix beschmiert. Im Mai 2022 wurde eine Moschee in Metz durch einen Molotowcocktail beschädigt.
In den zwei Jahren bis September 2022 hatten die französischen Behörden wegen des Verdachts separatistischer Aktivitäten die Schließung von 23 Moscheen angeordnet.
In Angers kam es im September 2021 und Ende Oktober 2022 bei Anschlägen auf die Baustelle der künftigen Moschee zu Beschädigungen.
Laut einer Umfrage des nationalen Forschungszentrums Centre national de la recherche scientifique (CNRS) würden Tausende, vielleicht sogar Zehntausende, französische Hochschulabsolventen muslimischen Glaubens das Land gerne verlassen, weil sie unter Diskriminierung, Unsicherheit und Ausgrenzung leiden. Genau diese Menschen, so heißt es in dem Bericht, könnten eigentlich „Vorbilder für die Integration“ sein.
Im Berichtszeitraum wurden ebenso christenfeindliche Vorfälle verzeichnet, wie die Ermordung von Pater Olivier Maire im August 2021. Der katholische Ordensmann wurde von Emmanuel Abayisenga erschlagen. Gegen ihn lief zum Zeitpunkt des Mordes bereits ein Strafverfahren wegen eines Brandanschlags auf die Kathedrale von Nantes, den er im Juli 2020 verübt haben soll.
Im Dezember 2021 wurden Katholiken, die an einer Marienprozession in Nanterre teilnahmen, von etwa zwölf Personen als „Ungläubige“ beschimpft und mit dem Tode bedroht. Zu einem ähnlichen Vorfall war es schon im Mai 2021 gekommen, als linksextreme Aktivisten eine Prozession katholischer Gläubiger angegriffen und zwei ältere Teilnehmer verletzt hatten.
Nach einer Anschlagsserie, von der unter anderem im Großraum Paris die Kathedrale von Saint-Denis (eingeschlagene Fenster und Türen) sowie Kirchen in Bondy, Romainville und Vitry-sur-Seine (Diebstahl und Schändung) und darüber hinaus ein Gotteshaus in Poitiers (Heiligenfiguren zerstört) sowie eines in Paray-le-Monial (Reliquiendiebstahl) betroffen waren, sagte das Innenministerium im Februar 2022 eine Aufstockung der Mittel für Sicherheitsmaßnahmen in katholischen Kirchen zu. Schon 2021 hatte der Vorsitzende des Bundes evangelischer Kirchen in Frankreich staatliche Unterstützung für Sicherheitsmaßnahmen gefordert.
Hunderte religiöse Bauwerke (Kirchen, Wegkreuze, Grabsteine usw.) wurden 2022 geschändet und beschädigt. Einige Kirchen wie die Kathedrale von Saint-Pol-de-Léon wurden sogar mehrfach von Randalierern und Brandstiftern heimgesucht.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Das in der Verfassung verankerte Prinzip der strikten Trennung von Staat und Religion und das Gesetz von 1905 sind in Frankreich die traditionellen Eckpfeiler der Beziehungen zwischen Staat und Religion. Das Antiseparatismus-Gesetz, das kürzlich als Reaktion auf den zunehmenden islamischen Radikalismus erlassen wurde, lässt jedoch befürchten, dass sich der Staat immer stärker in Lebensbereiche einmischt, die mit der Religion oder mit dem Glauben im Zusammenhang stehen. Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz in Frankreich, Bischof Eric de Moulins-Beaufort, erklärte am 22. Juli 2022, dass die 1905 etablierte freiheitliche Ordnung „am 24. August 2021 einem System der Kontrolle und der Zwänge gewichen ist, das zahlreiche Unwägbarkeiten mit sich bringt, die künftig die Rechtssicherheit gefährden“.
Der zunehmende Antisemitismus, die steigende Zahl der christenfeindlichen Vorfälle und die Islamfeindlichkeit sind Anzeichen dafür, dass die Intoleranz innerhalb der Gesellschaft zunimmt.
Geänderte Rechtsvorschriften und aktuelle Gerichtsurteile, die die Sterbehilfe betreffen, scheinen religiöse Überzeugungen außen vor zu lassen, was Fragen aufwirft oder sogar Anlass zur Sorge bietet.
Die weiteren Entwicklungen sollten genauer beobachtet werden.