Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Vier Jahre nach seiner Unabhängigkeitserklärung, verabschiedete die Nationalversammlung Eritreas 1997 die Verfassung des Landes. In Artikel 19 Absatz 1 heißt es: „Jeder Mensch hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Glaubensfreiheit.“ Artikel 19 Absatz 4 besagt außerdem: „Jeder Mensch soll die Freiheit haben, seine Religion öffentlich auszuüben.“
Die Verfassung trat jedoch nie in Kraft und die Behörden haben immer auf der Grundlage von Verordnungen gehandelt. Eine solche Verordnung der Regierung aus dem Jahr 1995 erkennt lediglich vier Religionsgemeinschaften an: die eritreisch-orthodoxe Tewahedo-Kirche, die Evangelisch-Lutherische Kirche Eritreas, die Katholische Kirche und den sunnitischen Islam. Andere Religionen sind verboten, und selbst rechtlich anerkannte Religionen handeln unter bestimmten Einschränkungen.
Im Allgemeinen kontrolliert die Regierung massiv alle christlichen Kirchen und die muslimische Gemeinschaft. Die Regierungspartei, die People’s Front for Democracy and Justice (die Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit), ernennt die führenden Mitglieder der muslimischen Gemeinschaft und der orthodoxen Kirche. Zudem zahlt die Regierung auch die Gehälter der orthodoxen Kirchenführung und stellt ihre Transportmittel, einschließlich der zur Verfügung gestellten Treibstoffmengen und kontrolliert ihre Aktivitäten und finanziellen Mittel. Die Katholische Kirche und die lutherische Kirche haben im Gegensatz dazu eine gewisse Selbstständigkeit bewahrt.
Bevor die vier autorisierten Religionsgemeinschaften des Landes religiöse Literatur drucken und innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft verbreiten dürfen, muss die Behörde für religiöse Angelegenheiten das weiter zuerst genehmigen. Führenden Vertretern der Religionen und religiösen Medien ist es verboten, in politischen Angelegenheiten Stellung zu beziehen. Um die Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten, bezieht sich das Amt für religiöse Angelegenheiten jedes Jahr auf die Verordnung von 1995 hinsichtlich religiöser Organisationen. Die führenden Vertreter müssen der Regierung alle sechs Monate Berichte über ihre Aktivitäten vorlegen. Das Amt verbietet es den vier anerkannten Religionen auch, Gelder aus dem Ausland anzunehmen. Dies beschränkt die finanziellen Mittel auf Einnahmen, die vor Ort erwirtschaftet werden, wodurch religiöse Aktivitäten generell auf Gottesdienste und Gebet begrenzt sind. In der Verordnung heißt es weiter, dass Kirchen, sollten sie sich sozial engagieren wollen, sich zunächst als Nichtregierungsorganisation registrieren und die Aufsicht über ihre Finanzierung aus dem Ausland den Behörden übertragen müssen.
Das Registrierungsverfahren, das nicht anerkannte Religionsgemeinschaften befolgen müssen, ist komplex und begünstigt Belästigungen der betroffenen Gruppen.
Aufgrund dieser Einschränkungen und Eritreas strenger Auflagen bezüglich der Meinungsfreiheit ist es schwierig, verlässliche Informationen über die aktuelle Situation der Religionsfreiheit zu finden. Die folgenden Vorkommnisse sind daher nur repräsentativer Natur.
Vorkommnisse und aktuelle Entwicklungen
Seit der Unabhängigkeit Eritreas 1993 regieren Präsident Isayas Afwerki und seine Partei, die Popular Front for Democracy and Justice (PFDJ) , das Land mit eiserner Hand. Internationalen Beobachtern zufolge sind „politische Partizipation der breiten Öffentlichkeit unmöglich, Bürgerrechte sowie Meinungs- und Versammlungsfreiheit inexistent. Menschenrechte werden regelmäßig verletzt“. Der von der UNO als eine Form der „Sklaverei“ bezeichnete Militärdienst des Regimes verpflichtet alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren und Frauen zwischen 18 und 27 Jahren, 18 Monate lang offiziell beim Militär zu dienen, wobei sich die Einberufung über Jahrzehnte ziehen kann. Seit November 2020 müssen die Rekruten in Äthiopiens Bürgerkrieg kämpfen. Wer sich weigert – auch aus religiöser Überzeugung – wird inhaftiert und nur dann auf freien Fuß gesetzt, wenn er zuvor seiner Religion abschwört.
Die Religionsfreiheit als Menschenrecht ist nicht vorhanden. Mitglieder unautorisierter Religionsgemeinschaften berichten häufig, dass sie grundlos inhaftiert werden. Berichten zufolge befinden sich im Hochsicherheitsgefängnis Mai Serwa in der Nähe der Hauptstadt Asmara 2000 bis 2500 Inhaftierte, 500 von ihnen sind aufgrund ihrer Religion oder Weltanschauung dort.
Ein seltener Lichtblick waren Januar und Februar 2021, als das Regime Dutzende evangelikale und orthodoxe Christen freiließ, die aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen und Praktiken für 2 bis 12 Jahre verhaftet worden waren. Von Ende 2020 bis Anfang 2021 wurden auch 32 Zeugen Jehovas freigelassen. Einige von ihnen waren seit 1994 inhaftiert, Berichten zufolge sind noch etwa 20 weiterhin in Haft.
Im März 2021 wurden 35 Christen verhaftet, weil sie verschiedene Gebetstreffen abgehalten hatten. Die Armee führte bei einem Treffen in Asmara, an dem 23 Frauen teilnahmen, eine Razzia durch. Weitere 12 wurden in Assab festgenommen, 660 Meilen südöstlich von Asmara, nahe der Grenze zu Dschibuti.
Im Mai nahm die eritreische Regierung die Katholische Kirche ins Visier, als sie neun Schulen schloss oder verstaatlichte und androhte, dasselbe mit 19 weiteren kirchlichen Grundschulen zu tun. Etwa 4 % der 6 Millionen Einwohner Eritreas sind katholisch. Die Bischöfe in Eritrea sprachen sich gegen die Entscheidung aus und richteten am 21. Juni ein Schreiben an den Bildungsminister Semere Reesom, in dem sie die Verstaatlichung anprangerten. Die Schließung der Schulen folgte den jüngsten Beschlagnahmungen katholischer Kliniken, wodurch die Dienste der Kirche im Land stark einschränkt sind. Die Bischöfe konstatierten: „Die Schulen und Kliniken, die konfisziert oder geschlossen wurden oder kurz davorstehen, sind das rechtmäßige Eigentum der Katholischen Kirche, gebaut, eingerichtet und organisiert im obersten und ausschließlichen Interesse, unserem Volk zu dienen.“
Im Juli wurden zwei Pastoren in Asmara verhaftet, ein dritter wurde unter Hausarrest gestellt. Alle drei sind Mitglieder der Full Gospel Church und älter als 70 Jahre. Pastor Girmay Araya und Pastor Samuel Okbamichael wurden in der Nacht abgeholt und in das zentrale Strafermittlungszentrum Wengel Mermera gebracht, das Teil der zweiten Polizeistation in Asmara ist.
Im September 2021 wurden bei Razzien in Privathäusern in Asmara 15 Christen verhaftet. Alle waren zuvor wegen ihres Glaubens in Haft gewesen. Einige waren in der Vergangenheit zu Gefängnisstrafen von bis zu 16 Jahren verurteilt worden. Sie waren im Alter von Ende 20 bis Ende 60 und wurden im Sommer 2020 entlassen, dann jedoch wieder verhaftet, nachdem eine Liste mit Kontaktdaten von Christen entdeckt wurde. Sie wurden in das Gefängnis Mai Serwa in der Nähe von Asmara gebracht.
Am 9. Februar 2022 starb Patriarch Abune Antonios von der eritreisch-orthodoxen Tewahedo-Kirche im Alter von 94 Jahren in der Kirchenresidenz in Asmara, wo er 15 Jahre inhaftiert gewesen war. Sein Leichnam wurde am 10. Februar im Kloster Abune Andreas beigesetzt. Große Menschenmengen versammelten sich an seiner Grabstätte, viele Trauernde hatten einen weiten Fußweg zurückgelegt. Abune Antonios war seit 2004 Patriarch der eritreisch-orthodoxen Tewahedo-Kirche und wurde 2007 ohne offizielle Anklage unter Hausarrest gestellt. Er wurde bestraft, weil er Anfragen der Regierung zur Exkommunikation von 3.000 Kirchenmitgliedern abgelehnt und sich zu der Inhaftierung von Christen, unter anderem von drei orthodoxen Priestern, geäußert hatte. Abune Antonios verbrachte die meiste Zeit seiner Haft in Isolationshaft. Berichten zufolge wurde ihm trotz Diabetes und Bluthochdruck medizinische Versorgung verweigert.
Im März wurden 29 evangelische Christen verhaftet, nachdem Sicherheitskräfte ein Gebetstreffen in einem Haus in Asmara überfallen hatten. 17 Frauen und 12 Männer wurden in das Gefängnis Mai Serwa gebracht. Es ist nicht bekannt, was die Sicherheitskräfte zu dem Überfall veranlasst hat, es wird jedoch berichtet, dass in jedem Wohngebiet Eritreas ein Spion der Regierung lebt.
Die anhaltende Beteiligung Eritreas am Krieg in Äthiopien hatte erhebliche Auswirkungen auf die interne Menschenrechtslage im Land. In dem Bericht „Situation of human rights in Eritrea“ (Situation der Menschenrechte in Eritrea) von Mohamed Abdesalam Babiker, der auf der 50. Tagung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen (13. Juni ‒ 8. Juli 2022) vorgestellt wurde, thematisierte Babiker die Vorwürfe, wonach Eritrea Zivilisten, darunter auch Minderjährige, gezwungen habe, an den anhaltenden Kämpfen teilzunehmen. Er beobachtete „eine Verschlechterung der zuvor dokumentierten Muster der Zwangsrekrutierung von Kindern“ und fügte hinzu, dass „eine große Zahl von Kindern in der Anfangsphase des Konflikts verletzt oder getötet worden sein soll und Dutzende von ihnen schwere Verletzungen erlitten haben, die zu Behinderungen führten“.
Am 24. August wurde die Hagaz Agro-Technical School (HATS), eine katholische Bildungseinrichtung, die von den Brüdern der christlichen Schulen (LaSalle Brothers) gegründet und verwaltet wurde, von der Regierung beschlagnahmt. Dies war eine der vielen Beschlagnahmungen, die seit 2019 im Land stattgefunden haben. Die Regierung rechtfertigt diese Maßnahmen mit einem Gesetz von 1995, das den Betrieb religiöser Einrichtungen einschränkt. Die katholischen Bischöfe Eritreas „lehnen die Anwendung der Verordnung ab und argumentieren, dass die sozialen Dienste der Kirche nicht im Gegensatz zur Regierung stehen“.
Am 7. September zogen Soldaten gewaltsam Jugendliche ein, die eine Messe in der Medhanie-Alem-Kirche im Dorf Akrur gefeiert hatten. Der eritreische Priester, Pater Mussie Zerai, beschrieb, wie „die Soldaten während der Messe kamen und die Kirche umstellten, um zu verhindern, dass jemand entkommen konnte“ und „die Jugendlichen gewaltsam ergriffen, einschließlich aller Chorknaben“.
Am 18. Oktober 2022 wurden Bischof Fikremariam Hagos Tsalim sowie zwei eritreische Priester von Beamten der Staatssicherheit am internationalen Flughafen festgenommen. Am 28. Oktober wurden Bischof Fikremariam und Pater Mehereteab Stefanos von den Behörden aus dem Gefängnis entlassen. Der zweite, ebenfalls verhaftete Priester, Kapuzinerabt Pater Abraham, war zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts noch nicht freigelassen worden. Die Freilassung der Kleriker erfolgt inmitten von Diskussionen, den Bürgerkrieg in Äthiopien zu beenden.
Das US-Außenministerium stuft Eritrea aufgrund der anhaltenden Verletzungen der Religionsfreiheit seit 2004 weiterhin als besonders besorgniserregendes Land ein.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Eritrea ist eine Diktatur, die die meisten Menschenrechte einschließlich der Religionsfreiheit verletzt. Im Berichtszeitraum hat sich die Regierungspolitik nicht geändert. Das Regime unter dem nicht gewählten Präsidenten Isayas Afewerki betont, dass das „Märtyrertum für die Nation“ über geistigen Werten steht und verfügt, dass die Bürger entsprechend leben. Die Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit duldet keine Religionsfreiheit, obwohl sie in der Verfassung gewährt wird. Da es weder politische und bürgerliche Rechte gibt, ist die Menschenrechtslage im Land nach wie vor katastrophal; willkürliche Inhaftierungen sind an der Tagesordnung. Nach Angaben des UNHCR flohen allein im Jahr 2021 29 792 Menschen aus Eritrea, die in anderen Ländern Asyl beantragten. Leider wird erwartet, dass sich durch die anhaltenden Unterdrückungen, die erzwungene Wehrpflicht und den wirtschaftlichen Zusammenbruch viele weitere Menschen dazu gezwungen sehen werden, die gefährliche Flucht ins Ausland auf sich zu nehmen. Die Perspektiven für die Religionsfreiheit bleiben düster.