Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
In der Präambel der Verfassung Ecuadors steht: „In Anerkennung unserer jahrtausendealten Wurzeln […] feiern wir Pacha Mama (Mutter Erde) […], rufen wir den Namen Gottes an und erkennen wir unsere unterschiedlichen Formen der Religiosität und Spiritualität an.“
In Artikel 1 der Verfassung wird das Land als „interkultureller, multinationaler und säkularer Staat“ bezeichnet.
Laut Artikel 3, Absatz 4 gewährleistet der Staat eine „säkulare Ethik als Grundlage des öffentlichen Dienstes und der Rechtsordnung“.
In Artikel 11, Absatz 2 heißt es: „Niemand darf aufgrund seiner kulturellen Zugehörigkeit, [...] Religion, Weltanschauung [...] diskriminiert werden.“
Gemäß Artikel 66, Absatz 8 achtet und garantiert der Staat das Recht eines jeden, „seine Religion oder seinen Glauben öffentlich oder privat auszuüben, beizubehalten, zu ändern oder sich dazu zu bekennen und allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu verbreiten, vorbehaltlich der Einschränkungen, die sich aus der Achtung der Rechte anderer ergeben“. Derselbe Artikel besagt auch, dass der Staat die „freiwillige Religionsausübung ebenso wie die Bekundung derjenigen, die sich zu keiner Religion bekennen“ schützt.
Laut Artikel 19 ist es „untersagt, Werbung auszustrahlen, die […] religiöse oder politische Intoleranz schürt“.
Artikel 57, Absatz 12 sieht vor, dass indigene Gemeinschaften über das kollektive Recht verfügen, ihr „gemeinschaftliches Wissen, ihre Wissenschaften, Technologien und angestammten Weisheiten zu erhalten, zu schützen und weiterzuentwickeln“ und ihre „rituellen und heiligen Stätten wiederzuerlangen, zu fördern und zu schützen“. Ferner legt dieser Artikel in Absatz 21 fest, dass „die Würde und Vielfalt ihrer Kulturen, Traditionen […] im öffentlichen Bildungswesen und in den Medien widerzuspiegeln“ sind.
Artikel 66, Absatz 11 sichert „das Recht auf Vertraulichkeit hinsichtlich der persönlichen Überzeugungen“ zu; dazu gehören auch „religiöse Überzeugungen“. Des Weiteren ist niemand verpflichtet, „Aussagen zu ebendiesen Überzeugungen zu machen“. In Artikel 66, Absatz 12 ist das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen verankert.
Laut Artikel 28 ist das „öffentliche Bildungswesen universell und säkular“. Im Sinne von Artikel 29 „steht es Eltern bzw. Erziehungsberechtigten frei, die Erziehung ihrer Kinder entsprechend ihren Grundsätzen, Überzeugungen und pädagogischen Mitteln zu gestalten“.
Das im April 2021 geänderte Organgesetz über interkulturelle Bildung garantiert in Artikel 2, Absatz 3 j ein säkulares öffentliches Bildungswesen, das seine „Unabhängigkeit von Religionen, Überzeugungen und Doktrinen“ wahrt.
Das Kinder- und Jugendgesetz gesteht in Artikel 61 Kindern und Jugendlichen „das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ zu. Gemäß Artikel 34 dieses Gesetzes haben Kinder und Jugendliche das Recht, „ihre Identität sowie ihre spirituellen, kulturellen und religiösen Werte“ zu bewahren, zu entwickeln und zu stärken. Nach Artikel 52 ist es verboten, Kinder und Jugendliche „für Zwecke der politischen oder religiösen Missionierung“ einzusetzen”.
Im Jahr 1937 traf die ecuadorianische Regierung ein Abkommen mit dem Heiligen Stuhl, durch welches der Katholischen Kirche die Freiheit gewährt wurde, ihren Dienst zu tun und Bildung zu vermitteln. Darüber hinaus wurde den Diözesen und anderen katholischen Institutionen eine Rechtspersönlichkeit verliehen.
Nicht-katholische religiöse Organisationen müssen für eine Registrierung unter anderem ihren religiösen Charakter nachweisen; ferner dürfen sie nicht gewinnorientiert sein. Erfüllen sie diese Voraussetzungen, werden auch sie rechtlich anerkannt und erhalten Steuerbefreiungen.
Das Religionsgesetz von 1937 ist weiterhin in Kraft und sieht Bestimmungen für die Registrierung von Religionsgemeinschaften vor. Ecuadors Nationaler Rat für Religionsfreiheit und Gleichheit (der als nationale Organisation die wichtigsten rechtlich anerkannten Kirchen des Landes vertritt) spricht sich angesichts der Tatsache, dass die Gesetzgebung von 1937 für unzureichend erachtet wird, für ein neues Gesetz zur Religionsfreiheit aus.
Im April 2022 trat das Gesetz zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen im Falle einer Vergewaltigung in Kraft. Darin wird innerhalb gewisser Grenzen auch das Recht von medizinischen Fachkräften auf Verweigerung aus Gewissensgründen anerkannt.
Vorkommnisse und aktuelle Entwicklungen
Im August 2021 fällte das Verfassungsgericht ein Urteil zugunsten von Anhängern der Zeugen Jehovas. Der Baustopp, der in Verbindung mit einer Andachtsstätte erfolgt war, verletzt laut Urteil das Recht auf Religionsfreiheit.
Im Oktober erklärte das Verfassungsgericht den Beschluss des Tourismusministeriums, die Jungfrau von El Cisne zur Schutzpatronin des Nationalen Tourismustages zu ernennen, als verfassungswidrig. Damit werde der Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat verletzt.
Einen Monat später beschloss das Verfassungsgericht, den Fall eines Angehörigen der Siebenten-Tags-Adventisten einer rechtlichen Prüfung zu unterziehen. Der Universitätsstudent hatte einen Antrag auf Befreiung vom samstäglichen Studium aus religiösen Gründen gestellt, der abgelehnt worden war. Das Verfahren ist weiterhin anhängig.
Im April 2021 verhängte die Regierung aufgrund eines Anstiegs von Coronafällen den nationalen Ausnahmezustand und untersagte die Durchführung von Gottesdiensten. Im Dezember wurde vom nationalen Comité de Operaciones de Emergencia (Notfalleinsatzkomitee) eine vorläufige Einstellung von öffentlichen und privaten religiösen Veranstaltungen beschlossen. Davon waren auch die Feierlichkeiten an Weihnachten betroffen. Die Entscheidung fiel trotz des Umstands, dass die Religionsfreiheit nur in besonderen Ausnahmefällen per Gesetz eingeschränkt werden kann.
Im Mai 2021 stellte Präsident Lenín Moreno kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Amt die staatlichen Zuschüsse für katholische Schulen ein und strich die Leistungszulagen für Lehrer. Die Feierlichkeiten zur offiziellen Amtsübergabe an den neuen Präsidenten Guillermo Lasso wurden teilweise religiös begangen. In seiner Antrittsrede bekundete Lasso seine Absicht, den Staat säkular zu führen. Dies bedeute jedoch keine Abkehr von der geistlichen Welt. Lasso rief außerdem zur Versöhnung von Staat und Kirchen auf.
In den ecuadorianischen Justizvollzugsanstalten fanden massive Auseinandersetzungen zwischen Drogenbanden statt. Daraus wird ersichtlich, wie kritisch der Zustand der landesweiten Haftanstalten ist. Zwischen Oktober und November 2021 starben 187 Insassen des Gefängnisses in Guayaquil. Im April und Mai 2022 verloren 64 weitere Häftlinge ihr Leben in zwei anderen Haftanstalten. Die Kirche forderte ein Ende der Gewalt ein. Erzbischof Luis Cabrera, der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz in Ecuador, kritisierte neben der Überbelegung der Anstalten die großen Defizite bei der Wiedereingliederung ehemaliger Häftlinge in die Gesellschaft.
Als Reaktion darauf berief Präsident Lasso eine Kommission für „Dialog und Frieden im Gefängnis“ ein, an welcher die Katholische und die Evangelische Kirche beteiligt sind. Dabei wies der Sprecher des Präsidenten darauf hin, dass ein Friedensschluss nicht mit einer Religionspflicht einhergehe. Im Februar 2022 betonte die Kommission die Notwendigkeit einer seelsorgerischen Begleitung im Gefängnis.
Im Juni 2022 brach eine gesellschaftspolitische Krise in Ecuador aus, die mit Protesten gegen die steigenden Kraftstoffpreise ihren Anfang nahm. Indigene Gruppierungen riefen dabei zum Generalstreik auf und organisierten Straßensperren. Daraufhin wurde der Ausnahmezustand von der Regierung verhängt.
Ecuadorianische Religionsgemeinschaften forderten die Regierung und indigenen Verbände dazu auf, in Dialog zu treten. Dank der Vermittlungsversuche der Katholischen Kirche wurden die Konflikte friedlich beigelegt. Am 30. Juni unterzeichneten die Parteien ein entsprechendes Abkommen. Im Juli wurden Gespräche am runden Tisch aufgenommen. Dabei übernahm die katholische Bischofskonferenz die Schirmherrschaft.
Im Berichtszeitraum rief die Katholische Kirche zur Stärkung des Justizsystems auf. Zudem appellierte sie an die Bevölkerung, sich aufgrund der Covid-19-Pandemie impfen zu lassen, und förderte die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat. Angesichts der mit dem Drogenhandel verbundenen Gewalt und unsicheren Lage stärkten die ecuadorianischen Bischöfe den staatlichen Einrichtungen den Rücken und riefen alle Beteiligten zum Dialog auf. Mit dem Beschluss des Verfassungsgerichts im April 2021 und der darauffolgenden Abstimmung in der Nationalversammlung im Februar 2022 wurden Schwangerschaftsabbrüche im Fall einer Vergewaltigung entkriminalisiert. Die katholische Bischofskonferenz kritisierte dies als Auferlegung einer „Kultur des Todes“.
Im Oktober 2021 wurden religiöse Bilder bei einem Raubüberfall auf eine Kirche in Loja beschädigt. Im März 2022 wurde die Kirche von Santo Domingo während des Marsches zum Internationalen Frauentag mit Graffiti beschmiert.
Im Mai 2022 warf das „Simon Wiesenthal Center“ der Zeitung „El Comercio“ Antisemitismus vor. Die Kritik bezog sich auf eine Karikatur, die anlässlich des Besuchs von Präsident Lasso in Israel veröffentlicht wurde.
Im Dezember 2021, während der Covid-19-Pandemie, beschlossen die Mitglieder einiger Religionsgemeinschaften, sich aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen nicht impfen zu lassen. Religiöse Präsenzveranstaltungen finden seit Ende 2021 wieder statt und wurden auch in der Karwoche im April 2022 durchgeführt.
Die Rechtsprechung in Bezug auf indigene Völker hat sich im Berichtszeitraum weiterentwickelt: So wurden ihr Recht auf Selbstbestimmung, das indigene Recht und traditionelle Bräuche anerkannt. Darüber hinaus können indigene Völker Ansprüche geltend machen, sollten ihre angestammten Gebiete so genutzt werden, dass die Ausübung ihrer häufig von einer besonderen Überzeugung oder Weltsicht geprägten Bräuche und Rituale beeinträchtigt wird.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
In den vergangenen Jahren steckt Ecuador in einer Krise, die neben der wachsenden Gewalt und dem Drogenhandel tiefe gesellschaftliche Risse zutage fördert. Dabei werden die Kirchen als Vermittler und Dialogführer akzeptiert. Die derzeitige Entwicklung der Gesetzgebung zur Religionsfreiheit gilt es genau zu beobachten. Abgesehen von wenigen Einzelfällen (der Abschaffung von Bildungsgutscheinen für katholische Schulen und einem Antisemitismusvorwurf) konnten keine gravierenden Fälle von Intoleranz und Diskriminierung festgestellt werden. Die Perspektiven für die Religionsfreiheit bleiben weiterhin positiv.