Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Artikel 36 der chinesischen Verfassung, die 1982 verabschiedet und 2018 zuletzt geändert wurde, besagt: „Die Bürger der Volksrepublik China genießen die Freiheit des religiösen Glaubens. Kein staatliches Organ, keine öffentliche Organisation oder Einzelperson darf die Bürger zwingen, an irgendeine Religion zu glauben oder nicht zu glauben; noch dürfen sie Bürger, die an eine Religion glauben oder nicht glauben, benachteiligen.“ Gemäß Artikel 36 schützt der Staat „normale religiöse Aktivitäten“. Während keine Definition dessen erfolgt, was „normal“ bedeutet, wird der Gebrauch von Religion für „Aktivitäten, welche die öffentliche Ordnung stören, die Gesundheit der Bürger beeinträchtigen oder in das staatliche Bildungssystem eingreifen“ ausdrücklich untersagt. Darüber hinaus dürfen religiöse Einrichtungen und Angelegenheiten „keiner ausländischen Herrschaft unterworfen“ sein.
In der Praxis schützt Artikel 36 lediglich die fünf in China offiziell anerkannten religiösen Traditionen – Buddhismus, Daoismus, Islam, Protestantismus und Katholizismus – und zwar unter der Voraussetzung, dass sie innerhalb der von den staatlich genehmigten „patriotischen Vereinigungen“ regulierten Strukturen agieren. Außerhalb dieses staatlich kontrollierten Systems ist die Religionsausübung rechtswidrig und wird seit nunmehr 70 Jahren in unterschiedlichem Maße bestraft, unterdrückt und verfolgt.
Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und der Streitkräfte müssen Atheisten sein und dürfen keine Religion ausüben. Mit dem nationalen Gesetz, das Organisationen und Einzelpersonen untersagt, sich in das staatliche Bildungssystem für unter 18-Jährige einzumischen, hat die chinesische Regierung den Zugang zu Religionsunterricht oder religiösen Aktivitäten de facto verboten.
Am 1. Februar 2018 traten die neuen „Vorschriften für religiöse Angelegenheiten“ in Kraft – die restriktivsten neuen Gesetze zur Religionsausübung seit 13 Jahren. Mit der Überarbeitung der Vorschriften aus dem Jahr 2005 werden viele religiöse Aktivitäten auf zugelassene Orte beschränkt. Laut Christian Solidarity Worldwide (CSW) verschärfen diese überarbeiteten Vorschriften „die Kontrolle religiöser Aktivitäten weiter“. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass „Religionsgemeinschaften, Schulen in religiöser Trägerschaft, Orte der Religionsausübung und religiöse Angelegenheiten nicht von ausländischen Kräften kontrolliert“ werden. Zudem legen die neuen Vorschriften fest, dass Religion die nationale Sicherheit nicht gefährden darf und sehen weitere Einschränkungen für die Kommunikation religiöser Inhalte sowie für die Arbeit religiöser Schulen und Wohltätigkeitseinrichtungen vor.
Seit März 2018 ist anstelle des Staatlichen Amtes für Religiöse Angelegenheiten (SARA) die Abteilung für Arbeit der Einheitsfront, ein Organ der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), für religiöse Angelegenheiten zuständig. Seitdem unterstehen religiöse Angelegenheiten unmittelbar der Kontrolle der KPCh.
Im April 2018 gab die chinesische Regierung ein neues Weißbuch mit dem Titel „Chinas Politik und Maßnahmen zum Schutz der Religionsfreiheit“ heraus. Demnach wird religiösen Organisationen eine „aktive Begleitung“ gewährt, um ihnen die „Anpassung an die sozialistische Gesellschaft“ zu erleichtern; Ausländer dürfen an religiösen Aktivitäten nur teilnehmen, wenn sie „autorisiert“ sind. Dem Weißbuch zufolge hat die Religion im Dienste der Kommunistischen Partei zu stehen.
Artikel 27 des chinesischen Gesetzes über die Nationale Sicherheit betrifft ebenfalls die Religions- und Glaubensfreiheit. Das Gesetz wurde vom ehemaligen Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte wegen seines „außerordentlich umfassenden Geltungsbereichs“ und der vagen Formulierungen kritisiert, die „weiteren Beschränkungen der Rechte und Freiheiten der Bürger Chinas und einer noch strengeren Kontrolle der Zivilgesellschaft Tür und Tor öffnen.“
Andere Bestimmungen, die Auswirkungen auf die Religions- und Glaubensfreiheit haben können, sind u. a. das „Dokument Nr. 9“, das vom Zentralkomitee der KPCh im April 2013 intern herausgegeben wurde, und ein neues Gesetz über ausländische Nichtregierungsorganisationen (NGOs), das 2016 verabschiedet wurde. Im Dokument Nr. 9 wird erläutert, dass „westliche“ Werte sowie die konstitutionelle Demokratie und die freien Medien nach westlichem Vorbild zu den Werten der KPCh im Widerspruch stehen. Des Weiteren seien Petitionen oder Aufrufe zum Schutz der Menschenrechte das Werk „westlicher antichinesischer Mächte“.
Das neue NGO-Gesetz trat im Januar 2017 in Kraft und verleiht den Behörden die Befugnis, die Arbeit ausländischer Organisationen im Land einzuschränken. Zudem begrenzt es die Möglichkeiten einheimischer Organisationen, sich Finanzmittel aus dem Ausland zu beschaffen und mit ausländischen Organisationen zusammenzuarbeiten. Ausländische NGOs wiederum müssen nachweisen, dass sie von einer staatlichen chinesischen Organisation unterstützt werden; des Weiteren müssen sie sich polizeilich registrieren und vom Amt für Öffentliche Sicherheit überwachen lassen. Die Polizei hat neue Befugnisse, willkürlich Vertreter ausländischer Organisationen in China vorzuladen, Dokumente zu beschlagnahmen, Bankkonten zu prüfen und die Registrierung zu widerrufen. Ausländer oder Angehörige ausländischer Organisationen, die verdächtigt werden, an Aktivitäten beteiligt zu sein, die der „Spaltung des Staates, der Beschädigung der nationalen Einheit oder der Untergrabung der Staatsmacht“ dienen, können in Haft genommen, an der Ausreise gehindert oder ausgewiesen werden.
Am 1. Mai 2021 traten die Maßnahmen zur Verwaltung des Klerus in Kraft, die am 9. Februar von der Staatlichen Verwaltung für religiöse Angelegenheiten (SARA) erlassen worden waren. Sie verschärfen die staatliche Kontrolle und Überwachung aller Geistlichen der fünf staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften in China – der Chinesischen Buddhistischen Vereinigung, der Chinesischen Daoistischen Vereinigung, der Islamischen Vereinigung Chinas, der protestantischen Patriotischen Drei-Selbst-Bewegung und der Chinesischen Patriotisch-Katholischen Vereinigung – und sehen Strafen für Geistliche vor, die gegen die staatliche Politik verstoßen. Darüber hinaus wird die religiöse Tätigkeit unabhängiger Geistlicher, die nicht zu den fünf staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften gehören, mit diesen Regelungen verboten.
Am 1. März 2022 traten Maßnahmen zur Verwaltung religiöser Informationsdienste im Internet in Kraft. Diese verbieten ausländischen Organisationen und Einzelpersonen, religiöse Online-Informationsdienste zu betreiben. Auch die Weitergabe religiöser Inhalte im Internet ohne Genehmigung, (z. B. in Form von Textnachrichten, Bildern, Audio- und Videoaufnahmen) wird durch diese Maßnahmen verboten – ebenso wie religiöse Inhalte, die „Minderjährige zum Glauben an eine Religion verleiten“. Die Maßnahmen haben zur Auflösung von religiös geprägten Chat-Gruppen und zu einer strengen Selbstzensur geführt. Letztlich gehen mit den Maßnahmen auch das Verbot von Live-Streamings religiöser Veranstaltungen und die Entfernung entsprechender Videos aus dem Internet einher.
Am 1. Juni 2022 traten neue Finanzverwaltungsmaßnahmen für Ausrichtungsorte religiöser Aktivitäten in Kraft. Mit ihnen erhalten die Abteilung für Arbeit der Einheitsfront und das Finanzministerium die Kontrolle über die Finanzen religiöser Stätten der staatlich kontrollierten Gruppen. Daneben regeln die Maßnahmen auch den Umgang mit Spenden und Opfergaben. So soll gewährleistet werden, dass die „Sinisierung“ der Religionen weiter gefördert wird.
Im April 2016 hielt Staatspräsident Xi Jinping mit hochrangigen Vertretern der KPCh eine Konferenz zum Thema Religion ab. In seiner Ansprache sagte er, dass sich Religionsgemeinschaften „an die Führung der Kommunistischen Partei Chinas halten“ müssten. Parteimitglieder müssten „unnachgiebige marxistische Atheisten“ sein, die „entschlossen Vorkehrungen gegen Unterwanderung aus dem Ausland mit religiösen Mitteln treffen.“ Der Direktor der Staatlichen Verwaltung für religiöse Angelegenheiten Chinas erklärte auf einem Seminar, das die Sinisierung des Christentums zum Thema hatte, dass die chinesische christliche Theologie mit dem Weg des Landes zum Sozialismus vereinbar sein sollte.
Im September 2018 trafen der Heilige Stuhl und China ein vorläufiges Abkommen über die Ernennung von Bischöfen, das zunächst zwei Jahre gültig war. Da es sich um ein vorläufiges Abkommen und nicht um einen formellen Vertrag handelt, ist der Text geheim. Man geht jedoch davon aus, dass es der chinesischen Regierung das Recht einräumt, Kandidaten für die Ernennung zu Bischöfen zu empfehlen, die dann vom Heiligen Stuhl bestätigt werden. Im September 2020 und erneut im Oktober 2022 wurde eine Verlängerung des Abkommens beschlossen. Am 24. November 2022 verstieß die chinesische Regierung gegen die Vereinbarung, indem sie ohne vorherige Konsultation oder Genehmigung des Heiligen Stuhls einen Bischof ernannte.
Vorfälle und Entwicklungen
Im Berichtszeitraum haben die chinesischen Behörden ihr Durchgreifen gegen alle religiösen Minderheiten deutlich verschärft. Die US-Kommission für internationale Religionsfreiheit stellte 2021 eine Verschlechterung der Bedingungen für die Religionsfreiheit fest. Im Jahresbericht des US-Außenministeriums über die internationale Religionsfreiheit heißt es: „Auch im aktuellen Berichtszeitraum wurden Leiter und Mitglieder religiöser Gruppen, insbesondere solcher, die nicht staatlich registriert sind, durch die Behörden in Haft genommen. Berichten zufolge wurden dabei oft vage oder substanzlose Anschuldigungen erhoben, manchmal im Zusammenhang mit religiösen Aktivitäten, um diese Leiter und Mitglieder religiöser Gruppen anzuklagen und zu langjährigen Haftstrafen zu verurteilen.“
Bei der Verfolgung und Verhaftung der Bürger, einschließlich ethnischer und religiöser Minderheiten, kommen modernste Überwachungstechnologien zum Einsatz, die immer weiter optimiert werden. Hierzu zählen etwa die rund 540 Millionen Überwachungskameras im ganzen Land, von denen viele mit Gesichtserkennungsfunktion ausgestattet sind.
Mit Stand vom 30. Juni 2022 zählte die Datenbank für politische Gefangene der Menschenrechts-Organisation „Dui Hua Foundation“ 3.218 Personen, die wegen „unorthodoxer“ religiöser Überzeugungen inhaftiert waren, darunter nicht registrierte christliche Gruppen und Mitglieder der Bewegung Falun Gong.
Im Dezember 2020 schränkten die chinesischen Behörden die Weihnachtsfeierlichkeiten ein. So durfte das Fest lediglich in staatlich zugelassenen Kirchen oder im eigenen Haushalt begangen werden.
Im Februar 2021 ordneten örtliche Behörden den Abriss der Herz-Jesu-Kirche in Yining (Provinz Xinjiang) an. Die im Jahr 2000 errichtete Kirche verfügt über alle erforderlichen Genehmigungen der Behörde für religiöse Angelegenheiten. Beamte der Präfektur Yili und der Stadtverwaltung von Yining hatten an der Einweihung teilgenommen und sich lobend über den Bau geäußert. Im Jahr 2018 hatte das Amt für religiöse Angelegenheiten im Rahmen einer „Sinisierung“ Reliefs an der Fassade abmeißeln, die Statuen der Heiligen Petrus und Paulus entfernen, das Kreuz an der Spitze des Giebels abreißen und die beiden Kuppeln und Glockentürme zerstören lassen, weil diese angeblich „zu auffällig“ waren. Ein Kirchenvertreter sagte: „Dieser Vorgang bestätigt einmal mehr, dass das Land die Religionsfreiheit nicht respektiert.“
Am 21. Mai 2021 verhaftete die chinesische Polizei den 63-jährigen katholischen Bischof Joseph Zhang Weizhu aus der Diözese Xinxiang in der Provinz Henan. Einen Tag vorher waren Priester seiner Diözese und eine unklare Anzahl von Seminaristen wegen angeblicher Verstöße gegen die neuen Vorschriften über religiöse Angelegenheiten inhaftiert worden. Der Bischof befindet sich seit seiner Festnahme in Haft, sein Aufenthaltsort ist unbekannt.
Im November 2021 wurden die christlichen Eheleute Chang Yuchun und Li Chenhui aus der Provinz Shanxi wegen „illegaler Geschäfte“ zu jeweils sieben Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 250.000 RMB (etwa 34.000 Euro) verurteilt. Nach Angaben der chinesischen Menschenrechts-Website Weiquanwang hatte ihr registriertes Druckerei-Unternehmen christliche Bücher in großer Stückzahl produziert. Die Erzeugnisse wurden am 21. Juli 2020 von den örtlichen Behörden beschlagnahmt. Dabei wurden mehr als 210.000 Exemplare verschiedener religiöser Bücher konfisziert und mindestens 24 Titel später als „illegale Publikationen“ eingestuft.
Im Jahr 2021 verhafteten die chinesischen Behörden mindestens zehn Leiter und Mitarbeiter von vier nicht registrierten protestantischen Kirchen, die des „Betrugs“ beschuldigt wurden. Gegen einen Kirchenältesten Zhang wurde inzwischen zusätzlich Anklage wegen „Anstiftung zum Umsturz der Staatsmacht“ erhoben.
Im Februar 2022 wurde die Leiterin einer unabhängigen protestantischen Hauskirche, Pastorin Hao Zhiwei, von den Behörden in Ezhou in der zentralchinesischen Provinz Hubei wegen „Betrugs“ zu acht Jahren Haft verurteilt. Nach Angaben von ChinaAid war Hao in Haft genommen worden, weil sie ohne die Genehmigung staatlich anerkannter Verbände gepredigt und Spenden gesammelt hatte. Der Vorwurf des „Betrugs“ wird in diesem Zusammenhang häufig gegen Leiter unabhängiger Hauskirchen erhoben, die weder behördlich registriert noch an eine staatlich anerkannte Kirche angeschlossen sind. Bereits vor Haos Verhaftung hatten die Behörden ihre Kirche wiederholt im Rahmen von Razzien durchsucht und Gemeindemitglieder brutal angegriffen und verhaftet.
Am 11. Mai 2022 wurde der 90-jährige emeritierte Bischof von Hongkong, Joseph Kardinal Zen, von den Behörden in Hongkong verhaftet und wegen seiner Rolle als Treuhänder des „612 Humanitarian Relief Fund“ angeklagt. Der Relief Fund hatte pro-demokratische Demonstranten, die in Hongkong vor Gericht standen, mit Rechtsbeistand unterstützt; Kardinal Zen wurden „Absprachen mit ausländischen Kräften“ vorgeworfen. Matteo Bruni, der Leiter des Presseamtes des Heiligen Stuhls, sagte: „Der Heilige Stuhl hat die Nachricht von der Verhaftung von Kardinal Zen mit Besorgnis zur Kenntnis genommen und verfolgt die Entwicklung der Situation mit größter Aufmerksamkeit.“ Kardinal Zen wurde wenig später auf Kaution freigelassen, sein Prozess begann im September 2022. Im November 2022 wurde er zu einer Geldstrafe von 500 US-Dollar verurteilt, weil er es „versäumt hatte, einen inzwischen aufgelösten Hilfsfonds zu registrieren, der die pro-demokratische Bewegung in Hongkong unterstützt hatte“.
Im Juli 2022 warnte Erzbischof Javier Herrera Corona, der Leiter der inoffiziellen Vertretung des Heiligen Stuhls in Hongkong, die rund 50 katholischen Missionen in der Stadt vor einem harten Vorgehen der KPCh. Berichten zufolge sagte er: „Der Wandel wird kommen, und Sie sollten darauf vorbereitet sein. [...] Hongkong ist nicht mehr das große katholische Bollwerk, das es einmal war.“
Am 25. Juli 2022 beklagte die katholische Diözese Hongkong öffentlich einen Mangel an Bibeln, weil Druckereien auf dem chinesischen Festland nicht in der Lage oder willens seien, neue Exemplare zu drucken. Raymong Yeung, Mitglied des Studium Biblicum Franciscanum der Diözese, erklärte gegenüber der Christian Times, dass die bisher genutzte Druckerei die Arbeit eingestellt habe, da sie hierfür eine Genehmigung der Regierung einholen musste.
Ende August 2022 wurden mindestens fünf protestantische Christen aus ethnischen Minderheitengemeinschaften in der Provinz Yunnan verhaftet, weil sie sich angeblich geweigert hatten, einem staatlich geförderten Kirchengremium beizutreten. Pastor Wang Shunping und vier Christen wurden unter dem Vorwurf der „Organisation und Finanzierung illegaler Versammlungen“ festgenommen und im September formell angeklagt. Pastor Wang gehört der ethnischen Gemeinschaft der Nu an, die anderen vier entstammen den Minderheiten der Nu und der Lisu an.
Neben Christen werden auch andere Glaubensgemeinschaften in China immer wieder Opfer von Verletzungen der Religionsfreiheit. So ist die mehrheitlich muslimisch-uigurisch geprägte Bevölkerung der chinesischen Region Xinjiang nach wie vor schweren religiösen Verfolgungen ausgesetzt – von der Schließung und Zerstörung von Moscheen bis hin zu Verhaftungen wegen religiöser Praktiken wie Beten, Lesen des Korans, Fasten im Ramadan, Verzicht auf Alkohol oder Schweinefleisch sowie das Tragen eines Hidschab oder eines langen Bartes. Nach Angaben der US-Kommission für internationale Religionsfreiheit „haben die Behörden bis zu 880.000 muslimische Kinder von ihren Eltern getrennt und religiöse und kulturelle Stätten in ganz Xinjiang zerstört und entweihen lassen“. Schätzungen zufolge werden mindestens eine Million Uiguren in Internierungslagern festgehalten, wo sie Folter, Vergewaltigung und Zwangsarbeit ausgesetzt sind. Auch Zwangssterilisierungen und -abtreibungen wurden dem Bericht zufolge gezielt vorangetrieben.
Im Dezember 2021 veröffentlichte ein unabhängiges Uiguren-Tribunal in Großbritannien nach einer langwierigen, eingehenden Untersuchung sein Urteil. Darin kam das Tribunal zu dem Schluss, dass die Verfolgung der Uiguren Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Folter durch den chinesischen Staat gleichkommt. Im Januar 2021 bezeichnete der scheidende US-Außenminister Mike Pompeo die Verfolgung der Uiguren als Völkermord. Sein Nachfolger Antony Blinken stimmte dem ebenfalls zu. Im Juni 2022 wurden diese Aussagen im Jahresbericht des US-Außenministeriums zur internationalen Religionsfreiheit erneut bekräftigt. Der Bericht verwies hierbei auf weitere anerkannte Berichte, in denen die Situation als Völkermord beschrieben wurde.
Im August 2022 veröffentlichte die scheidende UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, nach ihrem Besuch in China Anfang des Jahres ihren Bericht über die Lage in der Uiguren-Region Xinjiang. In diesem wurden die „Einschränkungen der Religionsfreiheit in Bezug auf die islamische Religionsausübung" abermals festgestellt. Weiter heißt es in dem Bericht: „Die durch Gesetz und Politik gebilligten, willkürlichen und diskriminierenden Inhaftierungen von Angehörigen der Uiguren und anderer überwiegend muslimischer Gruppen sowie die weiter gefassten Einschränkungen der individuellen und kollektiven Grundrechte haben ein Ausmaß angenommen, dass […] sogar Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesprochen werden kann.“
Die Verfolgung von Muslimen in der Region Xinjiang beschränkt sich nicht auf Uiguren, Kasachen und andere muslimische Gemeinschaften, sondern betraf auch die Volksgruppe der Hui-Chinesen. So zitiert der US-Bericht über die internationale Religionsfreiheit aus dem Jahr 2021 eine Quelle der Hui, nach der die Regierung versuche, religiöse und kulturelle Merkmale der Hui-Chinesen auszumerzen, damit diese künftig nicht mehr vom Volk der Han, mit dem sie physische Merkmale und die Sprache teilen, zu unterscheiden seien. Auf Veranlassung der Behörden wurden Minarette und Kuppeln von Moscheen zurückgebaut und Moscheen zum Teil zusammengelegt. Geistliche der Hui wurden verpflichtet, Schulungen in der Parteidoktrin zu absolvieren und diese Lehren an ihre Gemeinden weiterzugeben. Um Texte und Kunstwerke der Hui zu beseitigen und der Gemeinschaft die finanzielle Unterstützung zu entziehen, nahm die Regierung in einer gezielten Kampagne die kulturellen und wirtschaftlichen Eliten der Hui ins Visier.
Auch in Tibet hält die religiöse Unterdrückung an. Im Mai 2021 gab die chinesische Regierung ein Weißbuch zu Tibet heraus, in dem die Sinisierung der Religion besonders hervorgehoben wurde. Im Juli 2021 besuchte der Generalsekretär der KPCh, Xi Jinping, Tibet und betonte, wie wichtig die „vollständige Umsetzung“ der Religionspolitik der Partei sei. Die örtlichen Behörden organisierten Seminare, in denen tibetisch-buddhistische Mönche und Nonnen indoktriniert werden sollten, und schränkten ihren Zugang zu Tempeln ein. Religiöse Stätten und Symbole wurden zerstört. Tibeter, die den Lehren des Dalai Lama folgen oder Bilder von ihm besitzen, wurden festgenommen und inhaftiert.
Weitere Gruppen wie Buddhisten, Daoisten und Angehörige der Falun-Gong-Bewegung sind ebenfalls weiter Verfolgung ausgesetzt. Nach Angaben der zu Falun Gong gehörigen Quelle Minghui wurden Tausende von Falun-Gong-Anhängern schikaniert und verhaftet; mindestens 892 wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Berichten zufolge starben 101 Mitglieder an den Folgen der staatlichen Verfolgung.
In Hongkong wurden fast alle Grundfreiheiten abgebaut oder ausgehöhlt – und in zunehmendem Maße auch das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit. Während die Freiheit der Religionsausübung erhalten bleibt, ist eine zunehmende Selbstzensur der Geistlichen in ihren Predigten ebenso zu beobachten wie eine wachsende Überwachung religiöser Aktivitäten. Auch kommt es immer häufiger zu Drohungen gegen Schulen in kirchlicher Trägerschaft. Die Kirchen selber werden immer stärker kontrolliert. Im Januar 2022 veröffentlichte die vom Verbindungsbüro der Zentralregierung kontrollierte Zeitung Ta Kung Pao eine Reihe von Artikeln, in denen prominente Christen in Hongkong angegriffen und Einschränkungen für christliche Kirchen befürwortet wurden.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Seit der Kulturrevolution (1966-1976) wurde nicht mehr derart hart gegen die Religionsfreiheit in China vorgegangen wie derzeit. Die Regierung scheint entschlossen, ihre Kampagne zur „Sinisierung“ aller Religionen umzusetzen, und verlangt von allen Glaubensgemeinschaften, sich der Ideologie und den Lehren der Kommunistischen Partei Chinas anzuschließen. Die Verletzung der Vereinbarung mit dem Vatikan durch die chinesischen Behörden im November 2022 ist das jüngste Anzeichen dafür, dass internationale Versprechungen einer lange vorherbestimmten Innenpolitik zum Opfer fallen. Die Aussichten für die Religionsfreiheit sind daher nach wie vor als schlecht einzustufen. Unterdrückung und Verfolgung werden weitergehen und durch immer ausgefeiltere Überwachungsinstrumente noch umfassender und allgegenwärtiger werden.