Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Laut Verfassung ist die Republik Burkina Faso ein säkularer Staat, der keiner Glaubensrichtung Privilegien einräumt und seinen Bürgern Religionsfreiheit zusichert. Artikel 1 der Verfassung untersagt die Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit: „Niemand darf wegen seiner ethnischen oder seiner geografischen Herkunft, seiner Hautfarbe, seines Geschlechts, seiner Sprache, seiner Religion, seiner sozialen Stellung, seiner politischen Überzeugungen, seiner Vermögensverhältnisse oder seines Alters diskriminiert werden.“
Artikel 7 sichert den Bürgern Religionsfreiheit zu: „Soweit die gesetzlichen Vorschriften, die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit und die Rechte anderer nicht dadurch beeinträchtigt werden, hat jeder das Recht auf Religions-, Gewissens- und Versammlungsfreiheit. Dies schließt das Recht ein, sich zum Glauben zu bekennen und diesen auszuüben oder keinen Glauben zu praktizieren, einen Glauben oder eine Weltanschauung zu vertreten, Bräuche zu praktizieren, Prozessionen abzuhalten und zu demonstrieren.“
Artikel 23 definiert die Familie als „Fundament der Gesellschaft“. In allen Angelegenheiten der Eheschließung, die „den freien Willen und das Einverständnis der Eheleute“ voraussetzt, untersagt er zudem die Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft, der Hautfarbe, der Religionszugehörigkeit, der sozialen Stellung oder Herkunft sowie der Vermögensverhältnisse.
Glaubensgemeinschaften können sich beim Ministerium für Territorialverwaltung und Dezentralisierung registrieren lassen, sind aber nicht dazu verpflichtet. Für ihre Registrierung gelten dieselben rechtlichen Anforderungen wie für jede andere Organisation.
An staatlichen Schulen ist kein Religionsunterricht erlaubt. Es gibt aber Grundschulen und weiterführende Schulen sowie einige Hochschulen in muslimischer, katholischer und protestantischer Trägerschaft. Bildungseinrichtungen haben in Personalfragen freie Hand, wobei die Ernennung von Schulleitern bei den Behörden gemeldet werden muss. Der Staat überprüft die Lehrpläne der Schulen, die sich in der Trägerschaft von Glaubensgemeinschaften befinden, im Hinblick auf ihre religiöse Ausrichtung und die Einhaltung der fachlichen Vorgaben. Im Falle der Koranschulen ist die staatliche Aufsicht nicht besonders effektiv, da viele von ihnen nicht behördlich registriert sind.
Muslimische, katholische, protestantische und animistische Gemeinschaften erhalten staatliche Subventionen von jeweils etwa 129.000 Dollar pro Jahr. Unterstützt werden auch religiös ausgerichtete Programme und Projekte, die aus staatlicher Sicht dem Gemeinwohl oder dem nationalen Interesse dienen.
Im September 2020 schloss die Republik Burkina Faso ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl, demzufolge die katholische Kirche und ihre Einrichtungen in Burkina Faso Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Das Konkordat regelt auch die Zusammenarbeit zwischen dem Staat und den kirchlichen Einrichtungen.
Vorfälle und aktuelle Entwicklungen
Das westafrikanische Land Burkina Faso galt lange als Musterbeispiel für das friedliche Nebeneinander verschiedener Glaubensrichtungen. Seit Ende 2015 entwickelt es sich jedoch immer mehr zu einem Hotspot für gewaltbereite Extremisten und ist heute ein Hauptschauplatz des dschihadistischen Terrors in der Sahel-Region.
Zunächst tauchte 2016 die burkinische Terrororganisation Ansaroul Islam auf. Dann folgten der IS-Ableger Islamic State – West Africa Province (ISWAP) und die Gruppe Jama’at Nusrat al-Islam wal-Muslimin (JNIM), die mit der länderübergreifend agierenden Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM) in Verbindung steht. Sie alle dringen vom Nachbarland Mali aus in den Norden Burkina Fasos vor und breiten sich allmählich auch in den westlichen, zentralen und östlichen Regionen aus.
Die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung sind katastrophal. Bei Anschlägen von Gruppen, die Al-Qaida und der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ nahestehen, wurden im Norden und Osten des Landes mehr als 2.000 Zivilisten und Soldaten getötet. Mehr als zwei Millionen Menschen sind auf der Flucht, was einem Anstieg von mehr als 7000 % seit August 2018 entspricht. Damit ist Burkina Faso neben Mosambik und der Ukraine eines der Länder mit den am stärksten steigenden Flüchtlingszahlen der Welt. Inzwischen mussten mehr als 1000 Schulen schließen. Viele Minderjährige werden von den „Gotteskriegern“ als Kindersolden zwangsrekrutiert. Nach Angaben des Norwegischen Flüchtlingsrates mussten 2021 insgesamt 335.723 Menschen ihre Heimat verlassen, und allein zwischen Januar und Juli 2022 waren es 398.471.
Im Berichtszeitraum gab es zahlreiche Angriffe auf Militärkräfte und Zivilisten. Die folgende Auflistung der Ereignisse hat daher nur repräsentativen Charakter:
Am 4. Juni 2021 verübten Dschihadisten einen Anschlag in der Nähe des Dorfes Solhan an der Grenze zu Niger. Fast 160 Menschen, Muslime wie Christen, wurden getötet, zahlreiche Häuser wurden niedergebrannt. Die Bischofskonferenz von Burkina Faso sprach von einer „Nacht des Schreckens“. Wie Laurent Birfuoré Dabiré
erklärte, gebe es in Burkina Faso keine Probleme zwischen Christen und Muslimen oder anderen Glaubensgemeinschaften. „Das Land wird von verschiedenen Gruppen angegriffen, die den Islam zu Propaganda- oder Mobilisierungszwecken missbrauchen. Der Islam der bewaffneten Gruppen ist nicht der Islam unserer Brüder. Die burkinischen Muslime sind selbst Ziel der Angriffe“, so der Kirchenvertreter.
Am 18. August 2021 griffen Terroristen einen zivilen Konvoi an. Zahlreiche Militärkräfte und Zivilisten wurden verletzt oder getötet. Regierungsvertreter teilten mit: „30 Zivilisten, 14 Angehörige der Militärpolizei und drei regierungsfreundliche Milizsoldaten wurden getötet, 30 Menschen wurden verletzt.“ Am 23. August veröffentlichte die Bischofskonferenz von Burkina Faso und Niger eine Erklärung, in der es heißt: „Mit großer Bestürzung und Sorge nehmen wir die Nachricht über den Terroranschlag zur Kenntnis, der unser Land einmal mehr in tiefe Trauer versetzt.“ Die Bischöfe riefen „alle Söhne und Töchter der Familie Gottes in Burkina Faso auf, noch inniger für Frieden im Land zu beten“.
Am 29. August 2021 berichtete der Priester Honoré Ouedraogo aus der Diözese Tenkodogo im Osten des Landes, dass Islamisten Christen dazu zwingen würden, sich der Scharia zu unterwerfen und in Moscheen an den Gebeten teilzunehmen. Männer würden gezwungen, lange Hosen zu tragen und sich Bärte wachsen zu lassen. Frauen müssten Schleier tragen. Westliche Bildung sei verboten und Kinder müssten Koranschulen besuchen. Christlichen Kirchen sei es untersagt, die Glocken zu läuten, und jeder müsse an den Gebeten in den Moscheen teilnehmen. Nach Angaben von Ouedraogo wird die prekäre Sicherheitslage in Burkina Faso durch die weit verbreitete Armut nochmals verschärft: „Mindestens 60 % der Bevölkerung sind arbeitslos. Sie haben den ganzen Tag nichts zu tun und daher kein Geld. Wenn man jemandem für einen Mord 100 Euro bietet, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er es tut.“ Es sei schwierig zu sagen, welches die wahren Motive der Terroristen seien, so Ouedraogo. Von Betroffenen sei zu hören, die Angriffe würden auf islamischen Fundamentalismus hinweisen.
Wie das Hilfswerk Kirche in Not erfuhr, mussten Ende Oktober 2021 insgesamt 147 Menschen – darunter acht schwangere Frauen und 19 Kinder unter fünf Jahren – aus zwei Dörfern an der Grenze zu Niger flüchten. Sie sollen in der Stadt Dori Zuflucht gefunden haben. Die Opfer erklärten, sie seien als Christen erkannt worden und vor Terroristen geflüchtet, die gezielt nach Christen suchten, um sie zu töten. Die Zeugen gaben an, die Terroristen würden Steuern eintreiben, die sich nach der Größe des Viehbestands richteten. Wenn der Besitzer nicht zahlen könne, würden sie die Tiere mitnehmen. In letzter Zeit hätten die Terroristen in einigen Fällen zuerst wissen wollen, ob der Besitzer Christ oder Muslim sei. „Ist der Besitzer ein Christ, dann zählen sie die Tiere erst gar nicht, weil sie ihn direkt töten“, so die Beobachter.
Im Dezember 2021 besuchte die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet Burkina Faso. In der anschließenden Pressekonferenz sprach sie über den „seit sechs Jahren währenden Konflikt mit bewaffneten Gruppen, die mit Al-Qaida, der Terrorgruppe Islamischer Staat und lokalen Banden von Kriminellen in Verbindung stehen“. Sie zitierte auch Berichte über standrechtliche Hinrichtungen, Entführungen, Zwangsverschleppungen und sexualisierte Gewalt, die von extremistischen Gruppen, Bürgerwehren und nationalen Sicherheitskräften ausgingen.
Am 24. Januar 2022 zettelte Oberstleutnant Paul-Henri Sandaogo Damiba mit Unterstützung des Militärs einen Putsch an und ließ den gewählten Präsidenten Roch Marc Kaboré gefangen nehmen. Der neue Machthaber erklärte, sein oberstes Ziel sei es, die Sicherheit im Land zu verbessern. Um die Spirale der Gewalt zu durchbrechen, setzte er lokale Kommissionen ein, die Gespräche mit den Dschihadisten aufnehmen sollten. Den Kämpfern, die sich bereit erklärten, die Waffen niederzulegen, wurden unter anderem Arbeitsmöglichkeiten in der Landwirtschaft und Hilfe bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft angeboten.
Ende Januar 2022 erklärte die Bischofskonferenz in einem Kommuniqué: „Derart abrupte und verfassungswidrige Änderungen sind problematisch.“ Die Sicherheit sei ein großes Problem, aber auch andere Fragen müssten angegangen werden, wie die „Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat, der nationale Versöhnungsprozess, wirtschaftliche und viele andere Herausforderungen, die die Einbeziehung aller Beteiligten erfordern”. Sie erinnerten die neuen Machthaber daran, dass sie „dem Gemeinwohl dienen“ und die „Sicherheit und körperliche Unversehrtheit der Gefangenen gewährleisten und deren Menschenwürde achten“ müssten.
Am 2. Februar 2022 wurden bei einem Terroranschlag auf eine Goldmine in Kougdiguin im Norden des Landes 20 Menschen getötet. Am 12. März starben 11 weitere Menschen bei einem Angriff auf eine andere Goldmine. Die Terroristen finanzieren durch Plünderungen in den ressourcenreichen Gebieten ihre Aktivitäten.
Am 19. Mai 2022 griffen Dschihadisten eine Militäreinheit an. Dabei wurden mehrere Soldaten getötet und mehr als 20 verletzt. Am 20. Mai wurden nach einem Angriff auf Zivilisten 17 Todesopfer und sieben Verletzte gezählt. Am 25. Mai kamen bei einem dschihadistischen Angriff in Madjoari im Osten des Landes mehr als 50 Menschen ums Leben. Insgesamt starben im Norden und Osten des Landes von April bis Mai 2022 mehr als 200 Zivilisten und Soldaten durch die Hand von Extremisten.
Am 25. Mai 2022 gaben die Zollbehörden von Burkina Faso bekannt, aus einem Lieferwagen, der sich auf dem Weg von Sierra Leone nach Ghana befand, 115 Kilogramm Kokain beschlagnahmt zu haben. Bevor die Lieferung an der burkinischen Grenze ankam, hatte sie bereits Guinea und Mali passiert. Die Instabilität des Landes, die Verschmelzung von Kriminalität und Dschihadismus und durchlässige Grenzen in den ländlichen Gegenden sind treibende Faktoren für die „Infiltration durch internationale kriminelle Organisationen, die Burkina Faso als Durchgangsland für Drogenhandel und andere illegale Geschäfte nutzen“.
Am 5. Juni 2022 starben sieben Soldaten und vier zivile Helfer bei Terrorangriffen im Norden des Landes. Ebenfalls am 5. Juni wurden 160 Menschen bei einem weiteren Angriff getötet, für den die Behörden Dschihadisten-Gruppen verantwortlich machten. Daraufhin wurde international zur Verstärkung der Terrorismusbekämpfung in Westafrika aufgerufen. Papst Franziskus sprach den Familien sein Beileid aus und forderte ein Ende der Gewalt. Die Bischofskonferenz von Burkina Faso forderte die katholischen Gläubigen auf, für die Opfer zu beten.
Am 5. Juli 2022 wurden in Bourasso in der Provinz Kossi 22 Zivilisten, darunter auch Kinder, getötet. Am Tag zuvor waren bereits zwölf Menschen bei einem Angriff in Namissiguima in der nördlich gelegenen Provinz Yatenga ums Leben gekommen.
Am 18. August 2022 sollen Dschihadisten bei einem Überfall auf einen Konvoi im Norden des Landes fast 50 Menschen, darunter 30 Zivilisten, getötet haben.
Die amerikanische Missionsschwester Sr. Suellen Tennyson, wurde aus der Gemeinde Yalgo von Dschihadisten entführt. Der Ort liegt 110 Kilometer von der Großstadt Kaya entfernt, die die Hauptstadt der Region Centre-Nord ist. Nach fünf Monaten Gefangenschaft kam die katholische Ordensfrau am 1. September 2022 frei. Nach Angaben örtlicher Medien hatten wahrscheinlich US-amerikanische Sicherheitskräfte dazu beigetragen.
Am 30. September 2022 kam es in der Hauptstadt Ouagadougou erneut zu einem Putsch, bei dem der Chef der Militärjunta, Oberstleutnant Paul Henri Sandaogo Damiba gestürzt wurde. Am Abend desselben Tages wurde Hauptmann Ibrahim Traoré im staatlichen Fernsehen als neuer Mann an der Staatsspitze präsentiert. In Bezug auf die dschihadistische Gewalt sagte er: „Dies ist geschehen, weil einige Dinge nicht gut funktionieren. Wir waren gezwungen, schnell zu handeln, um etwas zu ändern, weil das gesamte Land sich in einer Notlage befindet.“ Nach zwei spannungsreichen Tagen konnten Kirchenvertreter die Ausreise von Oberstleutnant Damiba nach Togo erreichen.
Im Dezember 2022 erklärte Philippe Kardinal Ouédraogo in seiner Weihnachtsbotschaft: „Das zurückliegende Jahr 2022 war besonders leidvoll. In allen Lagern betrauern wir den Verlust von Menschenleben. Gesellschaftliche Konflikte, Stigmatisierung, Marginalisierung, Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und Führungsschwäche sind ein Nährboden für Terrorismus.“ Der Kardinal rief dazu auf, den gewaltsamen Konflikt in dem westafrikanischen Land zu beenden: „Lasst die Waffen schweigen. Treten wir in einen Dialog ein, um wie Brüder und Schwestern Seite an Seite zu leben.“
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Extremisten haben Burkina Faso in den letzten zehn Jahren mit Gewalt überzogen. Vom einst friedlichen Nebeneinander der verschiedenen Glaubensrichtungen ist nicht mehr viel übriggeblieben. Die Menschenrechte, auch die Religionsfreiheit, sind massiv beeinträchtigt. Im September 2022 berichtete der Norwegische Flüchtlingsrat: „Annähernd jeder zehnte Einwohner Burkina Fasos musste wegen der Konflikte seine Heimat verlassen. Noch beunruhigender ist die massive Ernährungskrise, deren Ausmaß sich seit dem letzten Jahr nahezu verdoppelt hat. Mehr als 600.000 Menschen leiden (…) akut an Hunger.“
Vielschichtige Unsicherheitsfaktoren wie Armut, Korruption, schwache staatliche Strukturen, eine perspektivlose junge Bevölkerung und lange bestehende Landkonflikte zwischen Viehhirten und sesshaften Bauern sind im Land tief verwurzelt. Die Behörden, die sich auf die Terrorbekämpfung konzentrieren und dabei einige Anschläge vereiteln konnten, aber auch für die Misshandlung von Zivilisten verantwortlich sind, reagieren zu langsam auf das Ausmaß der Krise und gehen nicht konsequent genug gegen die Probleme vor, die den Nährboden für Extremismus bilden. Für die zahlreichen Binnenflüchtlinge, die infolge der terroristischen Gewalt ihre Heimat verlassen mussten, werden langfristige Lösungen benötigt.
Obwohl Vertreter der Glaubensgemeinschaften sich für eine Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und für Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen einsetzen, gewinnen dschihadistische Gruppen immer mehr Einfluss. Aufgrund der prekären Sicherheitslage mussten katholische Schulen und Gotteshäuser geschlossen werden.
Ohne ein erhebliches lokales und internationales Engagement bleibt die Religionsfreiheit in Burkina Faso bis auf weiteres, vielleicht sogar längerfristig, massiv eingeschränkt.