Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
Das Thema Religionsfreiheit wird in Bangladesch höchst widersprüchlich behandelt. So heißt es auf der einen Seite in der Verfassung: „Vorbehaltlich der Gesetze, der öffentlichen Ordnung und der Sittlichkeit hat jeder Bürger das Recht, sich frei zu einer beliebigen Religion zu bekennen, sie auszuüben oder zu verbreiten“ (Artikel 41, Absatz 1, Buchstabe a). Auf der anderen Seite erkennt dasselbe Dokument den Säkularismus als Grundprinzip an und erhebt zugleich den Islam zur Staatsreligion.
Gemäß der Präambel und Artikel 8 der Verfassung gilt der Säkularismus als hohes Ideal und „Grundprinzip der staatlichen Politik“. Artikel 12 – der in der Vergangenheit ausgesetzt, aber im Juni 2011 im Rahmen der 15. Verfassungsänderung wieder eingeführt wurde – legt fest: „Das Prinzip des Säkularismus ist wie folgt durchzusetzen: (a) Kommunalismus ist in jeglicher Ausprägung zu unterbinden; (b) keiner Religion ist von staatlicher Seite der politische Vorzug zu geben; (c) Religion darf nicht für politische Zwecke missbraucht werden; (d) niemand darf wegen seiner Religion oder deren Ausübung diskriminiert oder verfolgt werden.“ Zugleich legt Artikel 2A fest: „Der Islam ist Staatsreligion, doch der Staat garantiert Bürgern, die dem Hinduismus, Buddhismus, Christentum und anderen Religionen angehören, den gleichen Status und gleiche Rechte zur Ausübung ihrer Religion.“
Dieser Widerspruch wurde bislang nicht aufgelöst. So bestätigte der Oberste Gerichtshof von Bangladesch zuletzt am 28. März 2016 den Status des Islam als Staatsreligion. Vor dem Hintergrund erheblicher religiöser Spannungen im Land und eines zunehmenden Islamismus zementierte das Gericht damit den herausragenden Platz des Islam in der Verfassungsordnung.
Bangladesch ringt im Grunde seit seiner Unabhängigkeit von Pakistan im Jahr 1971 mit der Frage seiner nationalen Identität. Heute ist die Lage im Land so ambivalent und konfliktreich wie noch nie seit seinem Bestehen. Offiziell verordnet und fördert die regierende Awami-Liga den Säkularismus. Gesellschaftlich gesehen gibt es jedoch eine starke militant-islamistische Strömung, die nach wie vor Grund für erhebliche Feindseligkeiten gegenüber religiösen Minderheiten ist.
Das Selbstverständnis des Landes ist stark vom sunnitischen Islam geprägt, doch gibt es auch viele Bangladescher, die tolerantere und gemäßigtere Traditionen des Landes mit Stolz pflegen. Tatsächlich hatte sich das Land 1972 eine Verfassung gegeben, die die sprachliche und säkulare Identität Bangladeschs festlegte. 1988 allerdings änderte das damalige Militärregime unter General Hussain Muhammad Ershad die Verfassung und machte den Islam zur Staatsreligion. Seitdem gibt es einerseits eine mächtige politische und intellektuelle Bewegung, die den Säkularismus zu stärken versucht, und andererseits eine Gegenbewegung, die die Islamisierung vorantreibt.
Dem Konflikt über die Identität Bangladeschs entsprangen zwei gegensätzliche ideologische Fraktionen: die „Säkularisten“ und die „Islamisten“. Der Historiker Samuel Berthet merkt hierzu an: „Die Beziehungen zwischen Religion und Staat spielten nicht nur bei der Teilung Indiens von 1947 eine zentrale Rolle, sondern auch beim Projekt der 1971 gegründeten Nation Bangladesch.“ Bangladesch war ursprünglich Ostpakistan, bevor es sich 1971 in einem brutalen Befreiungskrieg vom westlichen Teil abspaltete. Die Schätzungen zu den Todesopfern, die dieser Krieg forderte, schwanken sehr stark und reichen von 300 000 bis hin zu drei Millionen Menschen. Um die islamische Ausrichtung des Landes zu verteidigen und die Sezessionisten zu zerschlagen, hatten sich westpakistanische Kräfte mit Islamisten in Ostpakistan zusammengeschlossen, allerdings ohne Erfolg. „Zur Zeit der Entstehung Bangladeschs wurde Religion stets mit der Bevormundung durch Pakistan in Verbindung gebracht, Säkularismus hingegen mit dem Projekt einer eigenständigen Nation Bangladesch“, so Berthet.
Bangladesch ist Vertragsstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte.
Vorkommnisse und aktuelle Entwicklungen
Im Gegensatz zu Pakistan gibt es in Bangladesch kein Gesetz gegen Blasphemie. Das aus der Kolonialzeit stammende Strafgesetzbuch von 1860 stellt jedoch den Tatbestand der Verletzung oder „Beleidigung der religiösen Gefühle“ anderer unter Strafe (Paragraf 295A und 298). Darüber hinaus verabschiedete Bangladesch 2006 ein ICT-Gesetz (zur Regelung von Informations- und Kommunikationstechnologien), das von der Regierung unter Premierministerin Scheich Hasina Wajed 2013 weiter verschärft wurde. Das Gesetz verbietet, Inhalte im Internet zu veröffentlichen, die „gegen die öffentliche Ordnung und das Gesetz verstoßen“ oder als Diffamierung von Religionen ausgelegt werden können. Zahlreiche Journalisten, Studierende und Lehrkräfte sind im Zusammenhang mit diesem Gesetz inhaftiert worden.
Zusätzlich zum ICT-Gesetz verabschiedete die Regierung von Bangladesch im Oktober 2018 ein Gesetz zur digitalen Sicherheit (Digital Security Act, DSA), das der Polizei die Befugnis gibt, Personen, darunter auch Journalisten, ohne Haftbefehl festzunehmen. Menschenrechtsaktivisten kritisieren, das Gesetz sei so vage formuliert, dass die Regierung damit praktisch „eine Lizenz zur weitreichenden Unterdrückung kritischer Stimmen“ erhalte. Einem Bericht des Centre for Governance Studies (Zentrums für Governance-Studien) zufolge wurden „im 11-Monatszeitraum bis Februar 2022 unter Berufung auf das DSA jeden Monat durchschnittlich 147 Menschen verklagt und 67 Personen verhaftet“. Ziel waren dabei vor allem Aktivisten, Journalisten und andere Regierungskritiker.
Der Konflikt zwischen Säkularisten und Islamisten hält unvermindert an. Dies hat auf politischer Ebene durch entsprechende Gesetze und Maßnahmen und auf gesellschaftlicher Ebene sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die Religionsfreiheit. Die Säkularisten rund um die regierende Awami-Liga (AL) unter Premierministerin Scheich Hasina Wajed gehen seit Übernahme der Regierungsverantwortung im Jahr 2009 häufig aggressiv und kompromisslos gegen militanten Islamismus vor. Am 28. Juli 2022 wurden die Anführer der islamistischen politischen Partei Razakar Bahini von der AL-geführten Regierung rechtlich zur Rechenschaft gezogen. Den Parteiverantwortlichen wurden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen, die sie gemeinsam mit der pakistanischen Regierung im Krieg 1971 begangen haben sollen. Ferner verurteilte ein Gericht am 17. August 2022 fünf Kämpfer der islamistischen Terrororganisation Jamaat-ul-Mujahideen Bangladesh (Versammlung der Mudschaheddin von Bangladesch, JNB) für einen 2015 verübten Bombenanschlag auf eine Moschee in Chattogram zu Tode.
Die von der Awami-Liga geführte Regierung versuchte in der Regel, islamistische Einflüsse auf Gesellschaft und Politik einzudämmen. Theoretisch sollte damit mehr Sicherheit für religiöse Minderheiten gegeben und gesellschaftlich mehr Raum für die Religionsfreiheit vorhanden sein. Doch die Politik der Säkularisten führte oft ihrerseits zu Verstößen gegen die Religionsfreiheit und andere bürgerliche Rechte. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass dieses kompromisslose Vorgehen zu einer stärkeren sozialen und politischen Polarisierung beigetragen und eine offenbar vehementere islamistische Gegenreaktion hervorgerufen hat. Von internationalen Beobachtern wurde kritisiert, dass die Regierung bei der strafrechtlichen Verfolgung von islamistischen Anführern wegen ihrer Beteiligung an Kriegsverbrechen die Rechte der Angeklagten nicht gewahrt habe. Dieses Vorgehen löste zudem heftige Gegenreaktionen bei religiösen Konservativen und Gegnern der Awami-Liga im Land aus.
Als Antwort auf die Maßnahmen der Awami-Liga starteten islamistische Kämpfer einen gewalttätigen Feldzug gegen säkulare Blogger, Menschenrechtsaktivisten und religiöse Minderheiten, insbesondere gegen Hindus und Christen. Während die Anschläge im vergangenen Jahrzehnt immer mal wieder aufflammten, erreichten sie in den vergangenen beiden Jahren in Bezug auf Grausamkeit und Intensität eine ganz neue Dimension.
Im Berichtszeitraum wurde ein massiver Anstieg von Gewalthandlungen gegen religiöse Minderheiten verzeichnet. Der dramatischste Fall ereignete sich Mitte Oktober 2021, als in einem Facebook-Beitrag aus dem Distrikt Kumilla behauptet wurde, dass der Koran bei einem hinduistischen Durga-Puja-Fest entweiht worden sei. Dies löste eine Reihe von Anschlägen auf „mehr als 100 hinduistische Tempel und Festplätze sowie Geschäfte und Häuser von Hindus“ im ganzen Land aus. Obwohl die Regierung über 400 Personen festnahm und zahlreiche Strafverfahren einleitete, hatten die Ereignisse wohl einen Dominoeffekt, der bis nach Indien spürbar war. Dort sahen sich die Befürworter des umstrittenen indischen Staatsbürgerschaftsgesetzes (Citizenship Amendment Act) in ihrer Haltung bestätigt. Ein weiterer Vorfall ereignete sich am 17. Juli 2022 im Dorf Sahapara im Distrikt Narail. Nach einem islamfeindlichen Facebook-Post wurden dort Häuser, Geschäfte und ein Tempel verwüstet.
Angesichts der zunehmenden Gewalt in der Bergregion Chittagong Hill Tracts (CHT) fürchten auch christliche Gemeinschaften um ihre Sicherheit. Weil im vergangenen Jahr zahlreiche Brandanschläge verübt und ungefähr 22 Mitglieder von ethnischen Minderheiten getötet wurden, waren viele Bewohner erschüttert und sehr um ihre Zukunft besorgt. „Wir kommen von hier, fühlen uns aber im Moment weder zu Hause noch draußen sicher”, erklärte dazu ein dort ansässiger Katholik. „Oft wissen wir gar nicht, wer wen wann und aus welchem Grund tötet. Die Gegend von Chittagong Hill Tracts erlebt gerade stürmische Zeiten.“
Am 17. August 2022 protestierten zivilgesellschaftliche Organisationen gegen die Entscheidung der Regierung, den Besuch der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet in der CHT-Region zu verhindern. Der Regierung wurde dabei vorgeworfen, Verstöße gegen die indigenen Einwohner der Gegend bewusst zu verschleiern. Bei einer Pressekonferenz im Anschluss an ihren Besuch erklärte Bachelet, dass religiöse Minderheiten trotz des CHT-Friedensabkommens von 1997 immer noch mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen konfrontiert seien.
In einem dicht besiedelten Land, wo Grundbesitz einen hohen Stellenwert hat, sind Berichten von Nichtregierungsorganisationen zufolge ethnische und religiöse Minderheiten vermehrt von Landraub betroffen. Im Berichtszeitraum setzten sich katholische Angehörige des indigenen Volkes der Santal in der nordbangladeschischen Verwaltungsregion Ghoraghat (Dinajpur-Distrikt) entsprechend zur Wehr. Am 24. August 2022 bildeten Santal eine Menschenkette, um gegen den Landraub durch einen Regierungsabgeordneten zu protestieren. Laut Berichten hatte er örtlichen Bewohnern Grundstücke mit einer Gesamtfläche von rund 35 Hektar weggenommen.
Obwohl Bangladeschs Behörden Anerkennung dafür verdienen, dass sie seit August 2017 fast eine Million vorwiegend muslimische Rohingya-Flüchtlinge aus dem benachbarten Myanmar aufgenommen haben, wird zunehmend deutlich, wie schwierig und unhaltbar die Zustände sind. Die schwierige Lage ist unter anderem auch auf Gewalthandlungen durch islamistische Extremisten zurückzuführen. So wird die Rebellengruppe Arakan Rohingya Salvation Army (Arakan-Rohingya-Heilsarmee, ARSA) dafür verantwortlich gemacht, dass mindestens fünf Menschen zwischen Mai und August 2022 ihr Leben verloren. Den jüngsten Anschlag am 10. August in einem Flüchtlingslager mussten zwei führende Vertreter der Rohingya-Gemeinschaft mit dem Leben bezahlen. Bangladeschs Premierministerin Scheich Hasina Wajed bekundete angesichts der Flüchtlingskrise ihren Unmut und forderte, dass die Rohingya-Flüchtlinge nach Myanmar zurückkehren müssten. Diese Ansicht wird von vielen Vertriebenen geteilt. Am 25. August 2022 fanden Kundgebungen mit Tausenden von Flüchtlingen statt. Auf Protestschildern mit dem Wortlaut „Hope is Home“ (Heimat ist Hoffnung) verliehen sie ihrem verzweifelten Wunsch Ausdruck, in die Heimat zurückzukehren.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Der Islamismus ist seit mehr als zwanzig Jahren die Hauptursache für die gewaltsame Verfolgung von Religionsgemeinschaften im Land. Im Berichtszeitraum wurde ein dramatischer Anstieg islamistischer Gewalt gegen religiöse Minderheiten verzeichnet.
Darüber hinaus ist Bangladesch seit Jahrzehnten in seiner eigenen dysfunktionalen Politik gefangen. Dies macht jeden Fortschritt in Bezug auf die Religionsfreiheit und ein stabiles säkulares Staatswesen schwierig und häufig zunichte. Erst im August 2022 versprach Premierministerin Scheich Hasina Wajed, sich für einen säkularen Staat einzusetzen und entschieden gegen kontraproduktive Kräfte vorzugehen. Doch wird ein wirklich freies und offenes Bangladesch, in dem die Religionsfreiheit aller Bürger respektiert wird, nur dann möglich, wenn die säkularen und die religiös-konservativen Gemeinschaften des Landes mehr Verständnis füreinander und mehr gegenseitiges Vertrauen aufbringen. Deshalb bleiben die Perspektiven für die Religionsfreiheit vorerst negativ.