Gesetzeslage zur Religionsfreiheit und deren faktische Anwendung
In einem Referendum haben die Ägypter im Januar 2014 für eine neue Verfassung gestimmt, die zuletzt 2019 geändert wurde.
In der Präambel zur Verfassung wird Ägypten wie folgt beschrieben: „Die Wiege der Religionen und das Banner der Herrlichkeit der Offenbarungsreligionen. Auf seinem Boden wuchs Moses auf, erschien das Licht Gottes und offenbarte sich Gott am Berg Sinai. Auf seinem Boden begrüßten die Ägypter die Jungfrau Maria und ihr Kind und opferten sich tausende Märtyrer zum Schutze der Kirche Jesu. Als das Siegel des Propheten Mohammed (Frieden und Segen seien mit ihm) zur Vervollkommnung der erhabenen Moral der gesamten Menschheit gesandt wurde, öffneten sich unser Herz und unser Geist dem Licht des Islam. Wir waren die besten Soldaten auf Erden, die für die Sache Gottes gekämpft haben, und wir verbreiteten die Botschaft der Wahrheit und die religiöse Lehre in aller Welt.“
In Artikel 2 heißt es: „Die Staatsreligion ist der Islam und die Amtssprache ist Arabisch. Die Grundsätze der islamischen Scharia sind die Hauptquelle der Gesetzgebung.“ Und die Präambel konkretisiert: „Als Referenz für deren Auslegung dienen die gesammelten Entscheidungen des Obersten Verfassungsgerichts.“ Artikel 3 besagt: „Die religiösen Grundsätze und Regeln der ägyptischen Christen und Juden sind die wesentliche Rechtsquelle für deren Personenstandsangelegenheiten, für ihre religiösen Angelegenheiten und für die Auswahl ihrer geistlichen Führer.“
Artikel 7 räumt der Al-Azhar-Universität eine Stellung als die bedeutendste islamwissenschaftliche Lehrstätte der Sunniten ein.
Artikel 53 erklärt: „Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich, haben gleiche Rechte und öffentliche Pflichten, und niemand darf aufgrund seiner Religion, seines Glaubens, seines Geschlechts, seiner Herkunft, seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Hautfarbe, seiner Sprache, einer Behinderung, seiner gesellschaftlichen Stellung, seiner politischen Einstellung oder geografischen Herkunft oder aus anderen Gründen diskriminiert werden.“ Artikel 64 lautet: „Die Glaubensfreiheit ist unumschränkt. Das Recht auf freie Religionsausübung und auf Errichtung von Gebetsstätten für die Anhänger von Offenbarungsreligionen ist gesetzlich zu regeln.“ Artikel 74 besagt: „Verboten sind politische Aktivitäten und politische Parteien mit religiösen Bestrebungen und solche, die darauf abzielen, andere aufgrund des Geschlechts, der ethnischen oder geografischen Herkunft oder der Religionszugehörigkeit zu diskriminieren.“
In Artikel 244 heißt es: „Der Staat hat durch gesetzliche Regelungen dafür Sorge zu tragen, dass Jugendliche, Christen, Menschen mit Behinderung und im Ausland lebende Ägypter angemessen im Parlament vertreten sind.“ Das ägyptische Strafgesetzbuch sieht eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren für diejenigen vor, die Religionen verunglimpfen, durch die Verbreitung von extremistischem Gedankengut Streit schüren, eine der „göttlichen Religionen“ herabwürdigen und die nationale Einheit gefährden.
Obwohl die Muslime die überwiegende Mehrheit im Land bilden, ist hier die größte christliche – vorwiegend koptisch-orthodoxe – Gemeinschaft in der arabischen Welt angesiedelt. In den Gouvernements Oberägyptens ist der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung am höchsten. Die jüdische Gemeinschaft besteht nur noch aus wenigen Mitgliedern. Schiitische Muslime, Bahai und Angehörige anderer Glaubensrichtungen sind ebenfalls nur in sehr geringer Zahl im Land vertreten.
Obwohl es Muslimen gesetzlich nicht ausdrücklich verboten ist, zu einem anderen Glauben zu wechseln, erkennt der Staat eine Abkehr vom Islam in der Praxis nicht an.
Der Bahaismus findet keine Berücksichtigung in der Gesetzgebung. Institutionen und Aktivitäten der Bahai sind verboten. Die Bahai haben keine Möglichkeit, ihre Personenstandsangelegenheiten vor einem Zivilgericht regeln zu lassen. Dasselbe gilt für die Zeugen Jehovas.
Elektronische Ausweiskarten, die das Innenministerium herausgibt, unterscheiden hinsichtlich der Religionszugehörigkeit nur zwischen muslimisch, christlich und jüdisch. Seit einem Gerichtsurteil aus dem Jahr 2009 werden die Bahai anhand eines Gedankenstrichs identifiziert. Trotz der Erfassung der Religionszugehörigkeit auf den Ausweiskarten hat der Staat bislang keine amtlichen Daten zur Größe der koptischen Glaubensgemeinschaft vorgelegt.
Im August 2016 verabschiedete das ägyptische Parlament ein neues Gesetz über den Bau von Kirchen, das die Errichtung, Restaurierung und rechtliche Anerkennung von Kirchen erleichtern soll. Doch eskalierende Übergriffe, Verwaltungshürden und das staatliche Versagen bei der Eindämmung der Gewalt gegen Christen, die versuchen, Kirchen zu bauen, zu restaurieren oder anerkennen zu lassen, offenbarten eine tiefe Kluft zwischen Gesetz und Wirklichkeit. Anträge für die staatliche Zulassung von Kirchen sind beim jeweils zuständigen Gouverneur einzureichen. Dieser hat dem Antragsteller seine Entscheidung innerhalb von vier Monaten mitzuteilen. Lehnt er den Antrag ab, muss er dies schriftlich begründen. Ein Rechtsbehelf im Falle einer Ablehnung oder einer ausbleibenden Entscheidung ist gesetzlich nicht vorgesehen. Im Februar 2021 erklärte der ägyptische Großmufti, Sheikh Shawki Ibrahim Abdel-Karim Allam, in einer umstrittenen Fatwa, dass Muslime an der Errichtung von christlichen Kirchen mitwirken dürfen.
Nicht muslimische Männer müssen zum Islam konvertieren, um eine muslimische Frau heiraten zu dürfen. Seit 2005 dürfen geschiedene Mütter das Sorgerecht für ihre Kinder übernehmen, bis diese 15 Jahre alt sind. Ist ein Elternteil nicht muslimisch, dann wird dem muslimischen Elternteil das Sorgerecht automatisch zugesprochen.
Bei Konflikten zwischen den Glaubensgemeinschaften wird häufig auf das System der gewohnheitsrechtlichen Streitbeilegung zurückgegriffen, das neben der gerichtlichen Streitbeilegung besteht. Es kommt vor allem bei Streitigkeiten zwischen Muslimen und Christen zur Anwendung, wobei Christen häufig die Benachteiligten sind. Wiederholte Vergehen lassen sich in diesem System schlecht dokumentieren. Zudem werden Christen häufig unter Druck gesetzt, damit sie Behauptungen zurücknehmen und Sachverhalte abstreiten, was dann zu einer Abweisung der Klage oder zu einer Reduzierung der Anklagepunkte führt. Das verstößt gegen das Diskriminierungsverbot und gegen den Grundsatz, dass alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind.
Ägypten ist dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte unter dem Vorbehalt beigetreten, dass die Bestimmungen des Pakts nicht im Widerspruch zur Scharia stehen dürfen.
Vorfälle und aktuelle Entwicklungen
Im Januar 2021 ließ das ägyptische Gericht für Eilverfahren eine Klage zur Beschlagnahme von Vermögenswerten von 89 Mitgliedern und Führern der Muslimbruderschaft zu. Der ehemalige Oberste Führer der Muslimbrüder, Mahmoud Ezzat Ibrahim, wurde im April zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Nach einem Massenprozess bestätigte das höchste Berufungsgericht im Juni 2021 die Todesurteile gegen 12 hochrangige Mitglieder der Muslimbruderschaft. Im Juli bestätigte dasselbe Gericht die lebenslangen Haftstrafen, die 2019 gegen zehn Funktionsträger der Muslimbruderschaft verhängt worden waren.
Um den religiösen Tourismus zu fördern, hat das Ministerium für Tourismus und Kulturdenkmäler verschiedene Pilgerorte auf dem 3000 Kilometer langen „Weg der Heiligen Familie“ ausgewiesen, der die in der Bibel beschriebene Route von Maria, Josef und Jesus nachzeichnet.
Im Februar wurden zehn Personen, die 2013 an der Brandstiftung einer Kirche im Gouvernement Giseh beteiligt gewesen sein sollen, zu je 15 Jahren Haft verurteilt.
Am 14. Februar signalisierte der Stellvertretende Bildungsminister Reda Hegazy Unterstützung für den Vorschlag des Abgeordneten Freddy al-Bayadi, der die gemeinsamen Werte von Islam, Christentum und Judentum in den schulischen Lehrplänen stärker hervorheben möchte. Folglich würde auch der jüdische Glaube im Schulunterricht behandelt werden. In den sozialen Medien kam es zu kontroversen Diskussionen über dieses Vorhaben und zu Gerüchten über eine angebliche Verbannung des Korans aus dem Schulunterricht. Schulbildung und Lehrpläne sind heikle Themen, an denen sich immer wieder emotionale Debatten entzünden. Im August 2022 veröffentlichte die US Commission on International Religious Freedom (USCIRF) einen Bericht über die Lehrplanreform in Ägypten, in dem sie die seit 2021 gemachten Fortschritte bewertete. Nach Erkenntnissen der USCIRF sind die von der Regierung angekündigten Änderungen reine Kosmetik. So habe man lediglich die Überschriften von Kapiteln, nicht aber deren Inhalt geändert.
Ein Präsidentenerlass vom Februar bestätigte die Einsetzung eines Verwaltungsrates für die Stiftungen der Katholischen Kirche und eines Direktoriums für die Stiftungen der Evangelischen Kirche in Ägypten.
Im Februar legte die Regierung dem Parlament den Entwurf für ein umfassendes Personenstandsgesetz vor, das vom Justizministerium erarbeitet worden war (Personenstandsangelegenheiten von Christen). Er führte auch in der Zivilgesellschaft zu regen Debatten. Im Juni 2022 wurde ein mit Richtern besetzter Ausschuss mit der Erarbeitung eines neuen Entwurfs beauftragt.
Im März reichte die Menschenrechtsorganisation Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR) im Namen einer Koptin Verfassungsbeschwerde ein. Das Gericht sollte prüfen, ob die Anwendung der Scharia auf die Erbschaftsangelegenheiten von Christen verfassungsgemäß ist. Ein Gremium erklärte die Beschwerde für zulässig, die dann dem Verfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wurde.
Der Kopte Nabil Habashi, der im November 2020 von der Terrorgruppe ISIS entführt worden war, wurde im April 2021 ermordet. Auch die Söhne Habashis wurden bedroht.
Im April beschloss der Senat des italienischen Parlaments, dem koptisch-ägyptischen Studenten Patrick Zaki, der an der Universität Bologna ein Masterstudium absolvierte, die italienische Staatsbürgerschaft zuzuerkennen. Zaki war ohne jegliche rechtliche Grundlagen in Ägypten festgenommen worden. Am 8. Dezember 2021 kam er schließlich frei.
Im Juni wurde Ahmad Saeed Ibrahim al-Sonbati hingerichtet, weil er 2017 den koptischen Priester Samaan Shehata ermordet haben soll.
Im selben Monat verurteilte das Strafgericht in Minya zehn Personen zu je fünf Jahren Haft. Sie wurden für schuldig befunden, 2016 Gewalttaten gegen Kopten verübt zu haben.
Ebenfalls im Juni führte Präsident al-Sisi ein Gespräch mit dem geistlichen Oberhaupt der ismailitischen Gemeinschaft der Dawudi Bohra, Dr. Mufaddal Saifuddin. Präsident al-Sisi dankte der Gemeinschaft für die Hilfe bei der Restaurierung mehrerer historischer Moscheen und Heiligtümer in Ägypten.
Im Juni 2021 und Februar 2022 wurden die Berufungsanträge des atheistischen Aktivisten und Bloggers Anas Hassan abgelehnt. Er war im Februar 2021 zu einer dreijährigen Haftstrafe und zur Zahlung von umgerechnet 19.100 US-Dollar verurteilt worden, weil er die Facebook-Seite „The Egyptian Atheists“ verwaltet hatte.
Im Juni veröffentlichte die Anti-Defamation League (ADL) eine Studie über problematische antisemitische Inhalte in ägyptischen Schulbüchern und wies auf mehrere antisemitische Bücher hin, die bei der staatlichen Buchmesse ausgestellt wurden.
Ibrahim Issa, ein angesehener Fernsehmoderator und Journalist, machte darauf aufmerksam, dass es in schulischen Lehrplänen an „hinreichenden Bezügen“ zur christlichen Geschichte fehle, abgesehen von Inhalten, die sich auf das Klosterleben, auf Klöster und auf deren Rolle während der Revolution von 1919 beziehen.
Laut einer Studie vom Juni fürchten schiitische Gläubige, der Blasphemie beschuldigt zu werden, wenn sie öffentlich ihre religiösen Überzeugungen äußern, beten oder wenn sie schiitische Schriften besitzen. Die Einfuhr von Schriften der Bahai und der Zeugen Jehovas nach Ägypten ist nach wie vor verboten. Die Zeugen Jehovas sind auf ihren behördlichen Ausweiskarten zwar als „Christen“ gekennzeichnet, aber laut einem Präsidentenerlass sind ihre religiösen Aktivitäten verboten.
In einem im Juli erschienen Bericht wurden verschiedene Fälle vorgestellt und untersucht, in denen Ägyptern aufgrund ihrer religiösen Identität die Staatsbürgerschaft entzogen wurde.
Im August ordnete der Minister für religiöse Stiftungen (Awqaf), Mohamed Mokhtar Gomaa, an, dass jegliche Bücher mit extremistischen Inhalten aus den Moscheen entfernt werden müssen.
Im August erklärte der ägyptische Präsident in einem Fernsehinterview: „Laut unseren Ausweiskarten sind wir alle von Geburt an entweder Muslime oder Nichtmuslime. Aber wir müssen feststellen, dass wir unsere Vorstellungen von dem Glauben, dem wir folgen, überdenken müssen.“ Später fügte er hinzu: „Ich respektiere Nichtgläubige. […] Aber wird eine Gesellschaft, die in den vergangenen 90 Jahren auf eine bestimmte Denkweise programmiert wurde, das akzeptieren? […] Ich respektiere den Willen Nichtgläubiger. Er basiert auf der Freiheit des Glaubens – ein von Gott gegebenes Recht.“ Er wurde vehement dafür kritisiert, dass er sich in einem mehrheitlich muslimischen Land für die Akzeptanz des Atheismus ausgesprochen hatte.
Nach Angaben des Geistlichen einer presbyterianischen Gemeinde wurden mehrere Konvertiten auf dem Weg zur Kirche von der Polizei angehalten. Ihre Ausweise wurden kontrolliert und einige von ihnen wurden festgenommen und verhört. Nach ihrer Freilassung wurden sie weiter bedrängt und teils erneut festgenommen.
Im September sprach sich der ehemalige Kulturminister Gaber Asfour dafür aus, dass auf ägyptischen Ausweiskarten künftig die Religionszugehörigkeit nicht mehr angegeben werden sollte. Der Journalist und Fernsehmoderator Ibrahim Eissa unterstützte dies. Im Februar 2022 wurde gegen Eissa wegen kontroverser Äußerungen zur Himmelfahrt des Propheten Mohammed ermittelt.
Die Menschenrechtsorganisation Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR) verlangte im September die Freilassung des Kopten Gerges Samih Zaki Ebeid. Er wurde beschuldigt, sich auf seiner privaten Facebook-Seite respektlos über den Islam geäußert zu haben. Es kam zu religiösen Unruhen, woraufhin 20 Muslime und 15 Kopten festgenommen wurden.
Im September dokumentierten Aktivisten die Zerstörung eines nicht genehmigten Kirchengebäudes im Gouvernement Beheira. Der Stadtrat von Damanhur ließ den Räumungsbefehl in Anwesenheit von örtlichen Sicherheitskräften vollstrecken. Mindestens vier Gemeindemitglieder wurden verletzt, und 21 koptische Demonstranten wurden kurzzeitig festgesetzt.
Im September kamen vier prominente Salafistenprediger, die seit 2019 im Gefängnis saßen, wieder frei. Sie waren wegen Anstachelung zur Gewalt und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden. Einer von ihnen wurde kurz darauf nochmals zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.
Im Oktober wurden Nasser und Ali al-Sambo für schuldig befunden, den Kopten Ramsis Boulos Hermina ermordet zu haben, und zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
In den Medien wurde darüber berichtet, dass in einem neuen Gefängniskomplex in Wadi El-Natrun eine Kirche errichtet wurde.
Im November wurde der Rechtsanwalt Ahmed Abdou Maher für schuldig befunden, in seinem Buch ‚Wie die Rechtsphilosophie der Imame die Nation irreleitet‘ (auf Arabisch) und mit Äußerungen in den Medien den Islam beleidigt zu haben. Er wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Maher betonte, er habe nur die „blutgetränkte Ideologie“ des Islam kritisiert. In einem anderen Interview sagte er, dass die islamische „Nation statisch“ sei und dass „Aufklärung“ Mut erfordere. Liberale setzten sich für ihn ein. Maher forderte außerdem die Al-Azhar-Universität auf, die religiösen Lehrpläne für die Studierenden zu reformieren.
Im November wies das Oberste Verwaltungsgericht den Berufungsantrag des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Abdel Moneim Aboul Fotouh von der Partei Starkes Ägypten zurück. Im März 2022 wurde er zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.
Im Dezember 2021 wurde es dem schiitischen Aktivisten und Reporter der Tageszeitung Al-Dustour, Haidar Kandil, untersagt, ins Ausland zu reisen.
Die Abteilung „Bayan“ (Erklärung), die 2019 von der Universität Al-Azhar geschaffen worden war, um den „Atheismus zu bekämpfen“ und zu verhindern, dass die Jugend „dem Unglauben verfällt“, war Ende 2021 nach wie vor aktiv.
Ende 2021 war Ahmed Sebaie, der 2020 festgenommen worden war, immer noch in Haft. Er hatte auf YouTube ein Video zum Thema Bibel und christliche Lehre veröffentlicht.
Im Januar 2022 wurde der koptische Menschenrechtler Ramy Kamel aus dem Gefängnis entlassen, wo er unter harten Haftbedingungen gelitten hatte. Er war festgenommen worden, nachdem er ein Visum für die Schweiz beantragt hatte, wo er bei einem UN-Forum in Genf sprechen wollte. Ihm wurden Mitgliedschaft in einer verbotenen Vereinigung und die Verbreitung von Falschmeldungen vorgeworfen.
Am 29. Januar wurde Marco Gerges zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation EIPR wurde er für schuldig befunden, „den Islam beleidigt“ zu haben, die „Religion für die Verbreitung extremistischen Gedankenguts missbraucht“ zu haben und gegen die „Werte der ägyptischen Familie“ verstoßen zu haben.
Im Januar erteilte die Regierung 141 Kirchen und Gebäuden christlicher Einrichtungen, die bis dahin ohne Genehmigung betrieben worden waren, nachträglich die Zulassung. Damit wurden seit 2017 insgesamt mehr als 2000 Kirchen zugelassen.
Am 30. Januar wurden nach einer friedlichen Demonstration für den Wiederaufbau einer Kirche in Ezbet Faragallah neun Kopten festgenommen. Der Wiederaufbau war mehr als ein Jahr zuvor bereits genehmigt worden. Sie kamen am 23. April wieder frei. Anders als an dünn besiedelten Orten gilt die Frage des Wiederaufbaus und der Reparatur von Kirchen in dicht besiedelten ländlichen Gebieten oder in informellen Siedlungen der Ballungszentren als problematisch. Die Nichtregierungsorganisation (NRO) EIPR machte auf 25 Fälle aufmerksam, in denen Kirchen und Gebetsstätten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes von 2016 geschlossen wurden.
Im Februar ernannte Präsident al-Sisi in einem beispiellosen Vorgang den Kopten Boulos Fahmy Eskandar zum Präsidenten des Obersten Verfassungsgerichts.
Im Februar legte die NRO EIPR Berufung gegen ein Gerichtsurteil ein, das dem Gouvernement Alexandria das Recht zugesprochen hatte, anderen Glaubensgemeinschaften, die nicht zu den drei anerkannten Glaubensrichtungen gehören, die Zuweisung von Friedhöfen zu verweigern.
Im März forderte die NRO EIPR das ägyptische Parlament auf, Änderungen des Gesetzes zur Regelung religiöser Predigten zurückzunehmen.
Am 9. März wurde die Apothekerin Isis Mustafa aus dem Gefängnis entlassen. Im September 2021 war sie von ihren Kollegen angegriffen worden, weil sie keinen Hidschab getragen hatte. Obwohl der Vorfall bei polizeilichen Ermittlungen eindeutig aufgeklärt wurde, kam es nicht zu einem ordentlichen Gerichtsverfahren, sondern zu einer gewohnheitsrechtlichen Streitbeilegung.
Der Koranist (Koranisten sind Anhänger des Koranismus, die den Koran als Quelle des islamischen Rechts ansehen und Hadithe als Rechtsquelle ablehnen) und Blogger Reda Abdel Rahman, dessen Gefängnisstrafe mehrfach verlängert worden war, wurde im März aus der Haft entlassen.
Der Fonds zur Ehrung von Märtyrern, Opfern, Vermissten und Geschädigten von Terroraktionen und Sicherheitsmaßnahmen und deren Familien (einschließlich religiöser Minderheiten) wurde aufgestockt.
Im April wurde die Koptin Nevine Sobhy von einem muslimischen Apotheker geschlagen, weil sie im Ramadan ein kurzärmeliges Hemd und keinen Hidschab trug. Als sie bei der Polizei darauf bestand, Anzeige zu erstatten, wurde sie bedroht. Und sie wurde gezwungen, einen Bericht zu unterzeichnen, der vom Anwalt des Täters abgeändert worden war. Sie wandte sich an den Nationalen Rat für Frauen in Ägypten, den Innenminister und sogar an den ägyptischen Präsidenten, um deren Schutz für sich und andere Frauen zu erbitten. Sie wurde schließlich zur Teilnahme an einem gewohnheitsrechtlichen Streitbeilegungsverfahren gezwungen. Fotos von dem Verfahren, die über die sozialen Medien verbreitet wurden, veranlassten Menschenrechtsaktivisten zu vehementer Kritik.
Am 23. April wurden neun inhaftierte Kopten aus dem Gefängnis entlassen. Sie waren bei Demonstrationen für den Wiederaufbau der Abu-Sefein-Kirche in ihrem Ort festgenommen worden.
Im Mai veröffentlichte die NRO EIPR einen Bericht über die Benachteiligung ägyptischer Frauen christlichen Glaubens in Angelegenheiten des Erbrechts.
Am 28. Juni verhängte das Ministerium für religiöse Stiftungen (Awqaf) ein Predigtverbot gegen Alaa Mohammed Hussein Yaqoub, den Sohn des bekannten Salafistenpredigers Mohammed Hussein Yaqoub. Diese Entscheidung fiel, nachdem Alaa Yaqoubs Vater in einem Gerichtsverfahren ausgesagt hatte.
Im Juni warnte die Menschenrechtsorganisation EIPR vor der geplanten Abschiebung des christlichen Konvertiten und jemenitischen Asylsuchenden Abdul-Baqi Saeed Abdo. Er befand sich wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Beleidigung des Islam in Untersuchungshaft. Nachdem er und seine Frau im Jemen zum Christentum übergetreten waren, war seine Frau ermordet worden und er selbst war einem Mordanschlag entkommen. Daraufhin hatte er in Ägypten Asyl beantragt.
Im Juli ordnete Präsident al-Sisi die Restaurierung und Renovierung der Heiligtümer der Familie des Propheten Mohammed (Ahl al-Bait) im ganzen Land an.
Am 14. August brach in der Abu-Sefein-Kirche in Giseh ein Feuer aus. Mindestens 41 Personen wurden getötet und 55 wurden verletzt. Dieser Vorfall zeigt einmal mehr, wie problematisch die restriktive Haltung des Staates in Bezug auf den Bau und die Renovierung von nicht muslimischen Gebetsstätten ist, denn sie führt dazu, dass sich zu viele Menschen unter sicherheitstechnisch fragwürdigen Bedingungen in veralteten Gebäuden versammeln. Papst Tawadros II. von der Koptischen Kirche beschwerte sich in aller Deutlichkeit öffentlich über dieses Problem.
Im September führten mehrere staatliche Hochschulen eine konservativere Kleiderordnung für die Studierenden ein und lösten damit Debatten darüber aus, dass Mädchen und Frauen in öffentlichen Schulen und Hochschulen den Hidschab tragen müssen.
Im September bestätigte das Oberste Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Entlassung der Professorin Mona Prince von der Sueskanal-Universität. Sie war suspendiert worden, nachdem in den sozialen Medien Tanzvideos von ihr erschienen waren.
Im Vorfeld der für November geplanten UN-Klimakonferenz COP27 in Sharm-el-Sheich gab Ägypten ein Buch über den Islam und die Umwelt heraus.
Die UN-Klimakonferenz fand vom 6. bis 18. November statt. Vertreter der Glaubensgemeinschaften trafen sich mit „verschiedenen zivilgesellschaftlichen Delegationen, Klimaaktivisten, Experten und Vertretern religiöser Organisationen, um mit ihnen zu beraten, wie die Klimaneutralität erreicht werden kann“. Der Apostolische Nuntius in Ägypten und stellvertretende Leiter der Delegation des Heiligen Stuhls, Erzbischof Thévenin, erklärte: „Der Heilige Stuhl sieht es nicht als seine Aufgabe an, technische Lösungen vorzuschlagen. Stattdessen versuchen wir, die Menschen zusammenzubringen, damit sie Teil der Lösung werden.“
Während es im Islam nicht erlaubt ist, Kinder zu adoptieren, entfachte sich erneut eine Debatte über das Recht von Christen, Kinder zu adoptieren. Anlass war der Fall des Kleinkinds Shenouda, das vor der Tür einer koptischen Kirche gefunden worden war und das auf behördliche Anordnung nicht bei den koptischen „Adoptiveltern“ bleiben durfte.
Es gab zahlreiche Berichte von christlichen Mädchen und Frauen, die entführt, zwangskonvertiert und unter dem Deckmantel der Ehe sexuell missbraucht wurden. Daneben gibt es eine große Dunkelziffer.
Perspektiven für die Religionsfreiheit
Während der Staat offiziell immer wieder die Geschwisterlichkeit und Gleichheit der Bürger Ägyptens betont, zeichnet die Wirklichkeit zum Teil ein anderes Bild.
In der Tat hat die Regierung viel Positives auf den Weg gebracht, wie die Förderung der nationalen Einheit von Muslimen und Christen, des interreligiösen Dialogs und der Toleranz. Auch die Maßnahmen zum Erhalt der religiösen Stätten und die Zulassung von mehreren hundert Kirchen sind positive Signale. Doch die in der Gesellschaft tief verwurzelte Intoleranz und die institutionalisierte Diskriminierung von Nichtmuslimen oder als „abtrünnig“ geltenden Muslimen sind nach wie vor ein schwerwiegendes Problem. Darüber hinaus sehen sich diejenigen, deren Glaubensgemeinschaften nicht zu den traditionellen monotheistischen Religionen gehören oder keine offizielle Anerkennung genießen, gesellschaftlichen Repressalien und widersprüchlichem staatlichen Handeln ausgesetzt.
Die Christen genießen vor dem Gesetz nicht die gleichen Rechte wie ihre muslimischen Mitbürger und fallen zudem häufig Angriffen und Straftaten zum Opfer. Koptische Opfer berichten immer wieder, dass die Polizei nicht eingreift und die Täter ungestraft davonkommen, während sie selbst bestraft werden.
Trotz einiger Verbesserungen besteht keine Aussicht darauf, dass der Staat eine umfassendere Religionsfreiheit als bisher garantiert. Die weitere Entwicklung sollte genauer beobachtet werden.