Pakistan wurde im Jahr 1947 im Zuge der Teilung Britisch-Indiens gegründet. Unter der Diktatur von General Mohammed Zia-ul-Haq, der Pakistan von 1977 bis 1988 regierte, nahm eine starke Islamisierung des Landes ihren Anfang, die mit zunehmender Einführung von Grundsätzen der Scharia auch das pakistanische Rechtssystem betraf.
Die pakistanische Bevölkerung ist fast ausschließlich muslimischen Glaubens, zwischen 85 % und 90 % sind Sunniten. Der Anteil der Schiiten liegt bei etwa 10–15 %. Nur 3,6 % der Bevölkerung gehören religiösen Minderheiten an, darunter hauptsächlich Christen, Hindus und Anhänger der Ahmadiyya-Bewegung. Außerdem gibt es einige Bahai, Sikhs, Parsen und eine kleine jüdische Gemeinde. Die wichtigsten ethnischen Gruppen sind (in Prozent): Punjabis (44,7), Paschtunen (Pathanen) (15,4), Sindhi (14,1), Saraikis (8,4), Muhajir (7,6), Belutschen (3,6) und andere (6,3).
Pakistan ist Unterzeichner der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und hat 2010 den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) ratifiziert. Gemäß Artikel 18 verpflichtet sich das Land damit zur Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit für sein Volk.
Die pakistanische Verfassung von 1973 – die mehrfach geändert wurde, zuletzt im Jahr 2015 – besagt zwar in Artikel 2, dass „der Islam die Staatsreligion Pakistans“ sei, gleichzeitig garantiert das Dokument auch religiösen Minderheiten Rechte. So sind tatsächlich laut Verfassungspräambel „angemessene Vorkehrungen zu treffen, damit Minderheiten ihre Religionen frei bekennen und ausüben sowie ihre Kulturen entwickeln können“. Artikel 20 (a, b) erkennt ferner an, dass „jeder Bürger das Recht hat, sich zu seiner Religion zu bekennen, sie auszuüben und zu verbreiten“, und dass jede religiöse Gemeinschaft „das Recht hat, eigene religiösen Einrichtungen zu gründen, zu unterhalten und zu verwalten“.
Gemäß Artikel 21 darf „niemand zur Zahlung besonderer Steuern gezwungen werden, die zum Zweck der Verbreitung oder des Erhalts einer anderen Religion erhoben werden“. In Artikel 22 (1 und 3) werden „Schutzmaßnahmen für Bildungseinrichtungen in Bezug auf die Religion“ festgelegt. Der Artikel stellt klar, dass „niemand, der eine Bildungseinrichtung besucht, zur Teilnahme am Religionsunterricht verpflichtet werden darf“ und dass „keine Religionsgemeinschaft oder Konfession daran gehindert werden darf, Religionsunterricht für Schüler dieser Gemeinschaft zu erteilen“.
Tatsächlich wird dieser Artikel jedoch nicht immer durchgesetzt: Viele Schüler öffentlicher Schulen müssen am Koranunterricht oder islamischen Kursen teilnehmen, da sie andernfalls wichtige Credits für den Abschluss des Schuljahres verlieren. Zudem sind Fächer wie Geschichte, Literatur und Mathematik an öffentlichen Schulen stark von islamischen Vorgaben durchdrungen. Erst kürzlich erklärte die Regierung der Provinz Punjab Koranunterricht zum Pflichtfach an Colleges und Universitäten.
Artikel 260 (3, b) der Verfassung unterscheidet zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. Damit schürt die Verfassung religiöse Voreingenommenheit und diskriminierende Haltungen, etwa der Gemeinschaft der Ahmadiyya gegenüber, die explizit als nicht-muslimisch bezeichnet wird. Auch Artikel 41 (b) ist eindeutig diskriminierend: In ihm wird festgelegt, dass „nur Personen muslimischen Glaubens in das Präsidentenamt gewählt werden dürfen“. Das Amt des Premierministers ist nach Artikel 91 (3) ebenfalls Muslimen vorbehalten. Nach Artikel 203D hat das pakistanische Bundes-Schariagericht die Befugnis, jedes Gesetz, das nicht mit islamischem Recht konform ist, für ungültig zu erklären und Änderungen vorzuschlagen.
Wie sich zuletzt bei den Parlamentswahlen im Juli 2018 gezeigt hat, ist auch das pakistanische Wahlsystem diskriminierend. Das pakistanische Staatsoberhaupt wird von einem Wahlkollegium gewählt, das sich aus den Mitgliedern der Nationalversammlung und der Provinzversammlungen zusammensetzt. Landesweite Präsidentschaftswahlen sind nicht vorgesehen.
Das Zweikammerparlament Pakistans besteht aus einer 342-köpfigen Nationalversammlung und einem 104-köpfigen Senat. Im Unterhaus werden 272 Sitze nach Mehrheitswahlrecht gewählt. Von den übrigen 70 Sitzen sind 60 für Frauen (gewählt nach dem Verhältniswahlrecht) und 10 für nicht-muslimische Minderheiten (gewählt in einem einzigen, landesweiten Wahlkreis) reserviert. Die Senatoren werden dem föderalen Charakter des pakistanischen Staats entsprechend von den vier Provinzversammlungen des Landes gewählt. Auch in diesem Fall sind Sitze für Frauen und Minderheiten reserviert.
Während dieses System zwar eine gewisse Repräsentation für diese Gruppen garantiert, sind weibliche und Minderheiten-Kandidaten von der Kandidatur für die anderen (mehr als 300) Sitze praktisch ausgeschlossen. Diese Situation hat dazu geführt, dass sich auch viele nicht-muslimische Politiker mit muslimisch geführten politischen Parteien verbünden, was im Sinne einer Politik zur Verbesserung der Situation von Minderheiten wenig zielführend ist. Kandidaten, die auf einen der reservierten Sitze gewählt werden, bleiben zudem an die Parteidisziplin gebunden – auch wenn diese den Belangen der eigenen Gemeinschaft zuwiderläuft.
Der Status religiöser Minderheiten wird zusätzlich durch die sogenannten „Blasphemiegesetze“ beeinträchtigt, die zwischen 1982 und 1986 von General Zia-ul-Haq eingeführt wurden. Streng genommen handelt es sich dabei nicht um Gesetze, sondern um Änderungen des pakistanischen Strafgesetzbuches, konkret der Abschnitte 295B, 295C, 298A, 298B und 298C. Dadurch wurden die Religions- und Meinungsfreiheit stark eingeschränkt. So werden nach diesen Änderungen etwa die „Schändung“ des Koran und die Beleidigung des Propheten Mohammed als strafbare Handlungen eingestuft, die mit lebenslanger Haft bzw. der Todesstrafe geahndet werden.
Da der Begriff „Blasphemie“ recht weit gefasst ist, kann er leicht missbraucht werden, um verschiedene Arten von Verhalten – z. B. auch Respektlosigkeit gegenüber Menschen, Kultgegenständen, Bräuchen und Glaubensvorstellungen – zu sanktionieren. Und während Abschnitt 295A zunächst alle Religionen vor „vorsätzlichen und böswilligen Handlungen, die darauf abzielen, religiöse Gefühle zu verletzen“, schützt, beschäftigen sich die nächsten Absätze des Abschnitts sowie die Abschnitte 298B und 298C ausschließlich mit „antiislamischem“ Verhalten.
Das pakistanische Rechtssystem ist historisch gesehen eine Verbindung aus englischem Common Law und der Scharia. Insbesondere seit den in den 1980er Jahren vorgenommenen Änderungen im Strafrecht ist die Rechtspraxis aber zunehmend durch den Islam geprägt. Ein Vergleich der Fallzahlen von „Blasphemie“ überrascht daher nicht: Zwischen 1947 (dem Gründungsjahr Pakistans) und den 1980er Jahren (als die Änderungen eingeführt wurden) wurden gerade einmal sechs Blasphemie-Fälle verzeichnet. Im Vergleich dazu wurden zwischen 1987 und 2017 1.550 Verfahren wegen Blasphemie eingeleitet.
Obwohl im Berichtszeitraum einige der Blasphemie angeklagte Personen freigelassen wurden, darunter die auch über die Grenzen Pakistans hinaus bekannte Asia Bibi, ist die Zahl der Fälle und Todesurteile wegen Blasphemie nicht zurückgegangen.
Blasphemievorwürfe betreffen sowohl Muslime als auch Angehörige religiöser Minderheiten. Allerdings führen diese Anschuldigungen häufig zu Lynchjustiz, Angriffen durch wütende Mobs auf ganze Stadtteile und außergerichtlichen Tötungen, vor allem, wenn Nicht-Muslime die Beschuldigten sind. Hinzu kommt, dass Angehörige von Minderheitengruppen überproportional häufig der Blasphemie beschuldigt werden. Von den 1550 Personen, die zwischen 1986 und 2017 wegen Blasphemie angeklagt wurden, waren 720 Muslime, 516 Anhänger der Ahmadiyya-Bewegung, 238 Christen, 31 Hindus und 44 Personen, zu deren Religion nichts bekannt ist. Umgerechnet bedeutet dies: 46,45 % der Beschuldigten waren Muslime (die 96,4 % der Bevölkerung ausmachen), wohingegen 50,7 % Angehörige von Minderheitenreligionen waren (die lediglich 3,6 % der Gesamtbevölkerung ausmachen). Weiter aufgeschlüsselt waren 33,5 % der Beschuldigten Ahmadiyya-Muslime, 15,3 % waren christlichen Glaubens und 2 % Hindus.
Besonders besorgniserregend im pakistanischen Strafrecht sind die Paragraphen 298B und 298C des Strafgesetzbuches, die unter Zia-ul-Haq durch die Verordnung XX von 1984 eingeführt wurden. Nach dieser Verordnung erfüllen Anhänger der Ahmadiyya-Bewegung, die sich selbst als Muslime bezeichnen, einen Straftatbestand.
Omar Waraich, Leiter der Südasienabteilung von Amnesty International, kennt diese Problematik gut: „ Es gibt nur wenige Gemeinschaften in Pakistan, die so sehr gelitten haben wie die Ahmadiyya“. Quellen zufolge wurden zwischen 1984 und 2019 262 Anhänger der Ahmadiyya wegen ihres Glaubens getötet. 388 von ihnen wurden Opfer von Gewalt, und 29 Moscheen der Ahmadiyya wurden zerstört. Laut Gesetz dürfen Angehörige der Ahmadiyya weder eigene Moscheen besitzen, noch zum Gebet rufen. Um das Wahlrecht zu erhalten, müssen sie entweder als Nicht-Muslime registriert sein oder einer der Hauptströmungen des Islam folgen.
Die Verfolgung der Ahmadiyya reicht bis zur Gründung der Bewegung im späten 19. Jahrhundert zurück. Anhänger der Bewegung erkennen Mohammed als Propheten an, gelten unter Mainstream-Muslimen jedoch als Ketzer, da sie glauben, dass ihr Gründer Mirza Ghulam Ahmad der Mahdi war – eine messianische Figur im Islam. Ahmad beanspruchte zudem, die Reinkarnation von Mohammed, Jesus und des hinduistischen Gottes Krishna zu sein.
Im Juli 2020 verabschiedete die Provinzversammlung von Punjab einen Gesetzesentwurf zum Schutz der Grundlagen des Islam (Tahaffuz-e-Bunyad-e-Islam), der Anlass zu großer Sorge gibt. Das neue Gesetz schreibt im Wesentlichen eine sunnitische Auslegung des Islam vor. Es verbietet jegliches gedruckte Material, das als Beleidigung des Propheten Mohammed und anderer heiliger religiöser Figuren angesehen wird. Zudem verlangt das Gesetz, dass man, wenn man über den Propheten selbst spricht, seinem Namen den Titel „Letzter Prophet Gottes“ (Khatam-an-Nabiyyin) voranstellt, gefolgt von der arabischen Anrufung „Friede sei mit ihm“ (sallallahu alaihi wasallam).
Auch im Bildungsbereich nehmen Blasphemievorwürfe und Gewalt gegen Minderheiten zu. In ihrer siebenjährigen Studie mit dem Titel „Education and Religious Freedom: a fact sheet“ (Bildung und Religionsfreiheit: Zahlen und Fakten) stellt die National (Catholic) Commission for Justice and Peace (Nationale Katholische Kommission für Gerechtigkeit und Frieden) die Diskriminierung von Nicht-Muslimen in einen direkten Zusammenhang mit den Lehrplänen an Schulen und Hochschulen. In dem Bericht heißt es: „Mit faktischen Ungenauigkeiten, Geschichtsrevisionismus und leicht erkennbaren Auslassungen wird hier eine entschieden monolithische Version der Geschichte vermittelt, die negative Stereotypen verstärkt und ein Narrativ des Konflikts gegenüber religiösen Minderheiten schafft“.
Neben den Lehrplänen tragen auch die schulischen Lehrbücher zur Kultur der Intoleranz gegenüber Minderheiten bei. Grund zur Besorgnis gibt das sogenannte Single National Curriculum (SNC), das 2021 eingeführt werden soll. So fürchtet die Human Rights Commission of Pakistan (Pakistanische Menschenrechtskommission), dass mit dem SNC gegen den „Verfassungsgrundsatz, nach dem kein Mitglied einer religiösen Minderheit zu für den eigenen Glauben nicht relevantem Religionsunterricht gezwungen werden darf“ verstoßen werde.
Im Jahr 2020 wurde von der Regierung eine Nationale Kommission für Minderheiten (NCM) ins Leben gerufen. Anlass dazu war die Anordnung des Obersten Gerichtshofs Pakistans vom Juni 2014 gewesen, eine Behörde zum Schutz von Minderheiten einzurichten – eine Entscheidung, die durch einen Anschlag auf eine Kirche in Peschawar im September 2013 beeinflusst worden war. Im Mai 2020 erkannte auch das Ministerium für religiöse Angelegenheiten und interreligiöse Harmonie die neu konstituierte Nationale Kommission für Minderheiten an. Die Kommission habe das Mandat, für den Erhalt und den funktionalen Zustand nicht-muslimischer Gebetsstätten Sorge zu tragen. Da es sich bei der NCM jedoch um ein vom Bundeskabinett eingerichtetes Ad-hoc-Gremium und nicht um eine per Gesetz eingerichtete Behörde handelt, sind ihre Befugnisse begrenzt und ihr Status unsicher. Hinzu kommt, dass Anhänger der Ahmadiyya-Bewegung im Gremium nicht vertreten sind, da sie, so Informationsminister Shibli Faraz, „nicht als Minderheit zu definieren sind“. Nicht zuletzt ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass Minderheiten mit der 18. Verfassungsänderung im Jahr 2010 zu einer Angelegenheit der Provinzen erklärt wurden – die NCM hat also keine rechtliche Handhabe, ihre Beschlüsse durchzusetzen.
Eine weitere wichtige rechtliche Angelegenheit, die besonders religiöse Minderheiten betrifft, ist die Ehe. Für Christen gab es hier zuletzt positive Entwicklungen. So entschied der Oberste Gerichtshof Pakistans 2019, dass Christen ihre Ehen mit einer offiziellen Heiratsurkunde registrieren lassen können.
Davon abgesehen gab es jedoch keine wesentlichen Fortschritte. Nach pakistanischem Recht liegt das Mindestalter für Eheschließungen zwar bei 18 Jahren. Dies wird jedoch immer wieder von Gerichten außer Kraft gesetzt, die islamische Heiratspraktiken akzeptieren, nach denen Mädchen mit dem Einsatz ihrer ersten Periode heiraten dürfen.
Dieses Thema ist gerade im Hinblick auf die immer wieder stattfindenden Zwangsheiraten und -konvertierungen christlicher und hinduistischer Mädchen heikel. Um der Situation zu begegnen, verabschiedete als landesweit einzige Provinz die Provinzversammlung von Sindh 2013 den Sindh Child Marriage Restraint Act (Sindhisches Gesetz zur Unterbindung von Kinderehen). Zugleich weist die Provinz allerdings auch die höchste Zahl an Zwangsverheiratungen auf. Im Berichtszeitraum wurden einige entführte Mädchen an ihre Familien zurückgegeben, jedoch können nach dem neuen Gesetz keine islamischen Ehen annulliert werden – selbst, wenn ein betroffenes Mädchen zum Zeitpunkt der Eheschließung nachweislich minderjährig war.
Die Einführung eines landesweiten Gesetzes scheint also notwendig und wurde vom pakistanischen Senat auch im Jahr 2020 angegangen. So begann der Ständige Ausschuss zum Schutz von Minderheiten vor Zwangsbekehrungen im Juli 2020, die Angelegenheit näher zu untersuchen. Das Gesetz zum Schutz der Rechte von Minderheiten wurde im August in den Senat eingebracht, vom Ständigen Ausschuss für religiöse Angelegenheiten und interreligiöse Harmonie jedoch einen Monat später mit der Begründung abgelehnt, dass „den Minderheiten in Pakistan bereits mehrere Rechte zugestanden worden“ seien. Im November wurde der Gesetzesentwurf erneut in den Senat eingebracht. Sollte er angenommen werden, würden Zwangskonvertierungen und minderheitenfeindliche Inhalte in Schulbüchern verboten werden. Gegen Zwangskonvertierungen würden eine Geld- und eine siebenjährige Gefängnisstrafe verhängt; im Falle von Zwangsehen mit Angehörigen von Minderheiten läge das Strafmaß sogar bei 14 Jahren Gefängnis.
Im Berichtszeitraum ereigneten sich etliche Vorfälle, die die Religionsfreiheit betreffen. Dabei gab es sowohl positive als auch negative Entwicklungen.
Positiv ist zu vermerken, dass seit der Machtübernahme von Premierminister Imran Khan und seiner Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf im August 2018 einige begrüßenswerte Schritte zugunsten von Minderheiten unternommen wurden.
So stellte sich die Regierung etwa der extremistischen Partei Tehrik-e-Labaik-Pakistan (TLP) entgegen, die eine Rücknahme des im Oktober 2018 ergangenen Freispruchs für Asia Bibi forderte. Stattdessen verhafteten die Behörden Führungsmitglieder der TLP.
Auch für Hindus und Sikhs gab es gute Nachrichten: Wenige Tage vor dem 12. November 2019, der den 550. Jahrestag der Geburt des Gründers des Sikhismus, Guru Nanak, markierte, öffnete die Regierung einen Grenzkorridor nach Kartapur. Damit gestattete sie Pilgern der Sikh, den in der Provinz Punjab gelegenen Gurdwara Darbar Sahib zu besuchen, einen der wichtigsten heiligen Schreine im Sikhismus. Für Pilger der Sikh aus Indien bedeutet die Öffnung des Korridors eine deutliche Verringerung der Reisezeit und des bürokratischen Aufwands an der Grenze.
Trotz solcher Fortschritte bleibt das Leben für Angehörige von Minderheiten in Pakistan schwierig. Das gilt auch für die Gemeinschaft der Schiiten, die als größte Minderheit des Landes immer wieder Ziel von gewalttätigen Angriffen sind. Hervorzuheben sind hier vor allem die schiitischen Hazara-Muslime. Die hauptsächlich in der Stadt Quetta in Belutschistan ansässige Gemeinschaft wurde besonders oft zur Zielscheibe militanter Gruppen. Laut einem Bericht der Nationalen Menschenrechtskommission wurden in den letzten fünf Jahren bei Terroranschlägen in Quetta 509 Hazara-Muslime getötet und 627 weitere verletzt.
Auch die Verfolgung der Ahmadiyya-Bewegung ging in den letzten Jahren weiter. Noch während des Wahlkampfes 2018 hatte sich Premierminister Khan öffentlich für Gesetze gegen die Bewegung ausgesprochen. Nach seiner Wahl berief Khan zwar mit Dr. Atif Mian einen Angehörigen der Ahmadiyya in den Wirtschaftsbeirat (EAC), machte diese Entscheidung jedoch nach Protesten von Mitgliedern und Anhängern seiner eigenen Partei wieder rückgängig.
Auch beim Terrorismus gegen Minderheiten ist kein Rückgang zu beobachten. Pakistan belegte im Global Terrorism Index 2019 den fünften Platz und gehörte zu jenen zehn Ländern, auf die 87 % der terrorismusbedingten Todesfälle im Jahr 2018 entfielen.
Wie oben erwähnt waren insbesondere Hazara-Muslime häufig Ziele von Angriffen. Bei einem Selbstmordanschlag am 12. April 2019 auf einem Gemüsemarkt in Quettas Stadtteil Hazar Gunji wurden 21 Menschen getötet und 50 weitere schwer verletzt. Eine Gruppe des sogenannten Islamischen Staats bekannte sich zu dem Angriff auf den Markt, der stark von Händlern der Hazara genutzt wird.
Anfang September 2020 organisierten sunnitische Extremistengruppen mindestens vier antischiitische Demonstrationen, die es in dieser Form bis dahin nicht gegeben hatte: Vor den Augen offenbar gleichgültiger pakistanischer Behörden wurden Schiiten dabei als „Ketzer“ und „Ungläubige“ bezeichnet.
Im selben Monat fielen mindestens fünf Schiiten in verschiedenen Teilen des Landes sektiererischer Gewalt zum Opfer; über 30 Blasphemieverfahren wurden gleichzeitig gegen Schiiten eingeleitet. Mindestens eine schiitische Gemeinde wurde angegriffen und in den sozialen Medien wurden mehrere Videos verbreitet, in denen zu sehen war, wie Schiiten gezwungen wurden, die sunnitische Geschichtsauffassung der Kalifen zu akzeptieren.
Am 8. Mai 2019, also während des heiligen Monats Ramadan, kam es in der Nähe von Data Darbar, einem wichtigen Sufi-Schrein in Lahore, zu einem Bombenattentat. Der Schrein war zu dem Zeitpunkt mit Hunderten von Pilgern gefüllt; 13 Menschen fielen dem Attentat zum Opfer. Hizbul Ahrar, eine Splittergruppe von Jamaat-ul-Ahrar und der Tehrik-i-Taliban Pakistan, bekannte sich zu dem Anschlag.
Auch Gebetsstätten der Ahmadiyya wurden im Berichtszeitraum wieder zum Ziel von Angriffen. So stürmte am 6. Februar 2018 eine Menschenmenge die 100 Jahre alte Ahmadiyya-Moschee im punjabischen Kasur. Die örtlichen Behörden gaben unter dem Druck der Extremisten nach und übergaben die Moschee. Im Oktober 2019 wurde eine weitere Moschee der Ahmadiyya in der Region Bahawalpur dem Erdboden gleichgemacht. Im Juli 2020 wurde zudem ein Ahmadiyya-Friedhof in Punjab geschändet.
Positiv ist zu vermerken, dass im Berichtszeitraum mehrere Urteile wegen Blasphemie aufgehoben wurden. So wurde auch die im Jahr 2010 der Blasphemie schuldig gesprochene Christin Asia Bibi am 31. Oktober 2018 endlich durch den Obersten Gerichtshof Pakistans freigesprochen. Bis zur erneuten Bestätigung des Freispruchs im Januar 2019 gab es allerdings große Straßenproteste gegen Bibis Freilassung, so dass sie zunächst gezwungen war, an einem unbekannten Ort abzuwarten. Nach dem endgültigen Freispruch emigrierte sie mit ihrer Familie nach Kanada. Mit Sawan Masih wurde am 5. Oktober 2020 ein weiterer Christ vom Vorwurf der Gotteslästerung freigesprochen.
Selbstverständlich macht dies die vielen Jahre nicht ungeschehen, die die beiden Angeklagten im Gefängnis verbringen mussten. Zudem handelt es sich hierbei lediglich um Einzelerfolge: Tatsächlich hat die Zahl der Verfahren wegen Gotteslästerung weiter zugenommen. Allein im August 2020 gab es 42 dieser Fälle.
Am 20. März 2019 wurde Prof. Khalid Hameed, Leiter des Anglistik-Lehrstuhls am Government Sadiq Egerton College in Bahawalpur, von einem seiner Studenten erstochen. Er habe sich angeblich abfällig über den Islam geäußert.
Im September 2019 wurde der Leiter der Sindh Public School in der Stadt Ghotki (Provinz Sindh) wegen angeblich blasphemischer Äußerungen über den Propheten Mohammed festgenommen. In der Folge kam es zu Straßenprotesten und einem Streik. Dabei wurde die Schule beschädigt und ein Hindu-Tempel verwüstet.
Im Dezember 2019 wurde der 33-jährige Hochschuldozent Junaid Hafeez wegen Blasphemie zum Tode verurteilt. Hafeez war im März 2013 festgenommen worden. Ihm wurde zur Last gelegt, abfällige Kommentare über den Propheten Mohammed in den sozialen Medien gepostet zu haben.
Ein weiterer Vorfall ereignete sich am 29. Juli 2020, als der US-Bürger Tahir Ahmad Naseem in einem Gerichtssaal in Peschawar getötet wurde. Er war im April 2018 wegen Gotteslästerung festgenommen worden, nachdem er angeblich behauptet hatte, ein Prophet zu sein. In den sozialen Medien ging wenig später ein Video viral, das den mutmaßlichen Mörder unmittelbar nach der Tat im Gerichtssaal zeigt, wie er erklärt, der Prophet Mohammed habe ihm die Tötung des Gotteslästerers befohlen.
Im August beschuldigte ein muslimischer Führer in Abidabad, Nowshera Virkan, den Christen Sohail Masih, den Islam beleidigt zu haben. Masih wurde am 5. August in Polizeigewahrsam genommen, nachdem er von einem Mob angegriffen worden war. Seine Familie war gezwungen, zu fliehen.
Auch die Gemeinschaft der Hindus ist in Pakistan weiter Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt. Am 30. Juni 2020 erließ Jamia Ashrafia, eine führende religiöse Bildungseinrichtung Pakistans, eine Fatwa gegen den Bau des ersten Hindu-Tempels in Islamabad. Der Bau wurde als „Beihilfe zu einer schlechten Tat“ bezeichnet. Das Oberste Gericht von Islamabad informierte die Baubehörde der Hauptstadt, dass es eine Klage gegen den Tempelbau gebe und dieser nicht im Masterplan für die Stadt zu berücksichtigen sei.
Auch im Hinblick auf die anhaltende Verschleppung christlicher und hinduistischer Mädchen hat sich die Lage weiter verschärft. So weist der Vorsitzende der pakistanischen Menschenrechtskommission, Asad Iqbal Butt, darauf hin, dass sich die Zahl der Opfer seit 2018 auf rund 2.000 Personen pro Jahr verdoppelt habe. Die Entführer werden oft von korrupten Polizisten und Gerichtsbeamten gedeckt und behaupten, dass die Mädchen über 18 seien und aus freien Stücken heirateten. Zahlreiche Eltern brachten Fälle zur Anzeige. Trotz Altersnachweisen mit Ausweispapieren der Mädchen scheiterten jedoch etliche Versuche, Zwangsverheiratungen und -konvertierungen zu verhindern.
Anfang September 2020 wurde die 14-jährige Hinduistin Parsha Kumari in Mori im Distrikt Khairpur (Provinz Sindh) entführt und Berichten zufolge gewaltsam gezwungen, zum Islam zu konvertieren und ihren Entführer Abdul Saboor Shah zu heiraten. Ein ähnlicher Fall hatte sich am 27. August 2018 in der Stadt Nankana Sahib ereignet, als Jagjit Kau mit vorgehaltener Waffe entführt worden war. Nach monatelangen Gerüchten – sowie fälschlichen Behauptungen, sie sei bereits zu ihrer Familie zurückgebracht worden – wurde Jagjit im Frauenhaus Darul Aman in Lahore untergebracht. Am 20. August 2020 entschied ein Gericht, dass sie wieder zu ihrem Ehemann zurückkehren sollte – angeblich auf eigenen Wunsch hin.
Da derartige Verbrechen an christlichen Mädchen extrem zahlreich sind, soll hier nur auf das derzeit noch laufende Verfahren um Huma Younus eingegangen werden. Das damals 15-jährige Mädchen war am 10. Oktober 2019 in Karatschi entführt worden. Ihr Entführer, der Muslim Abdul Jabar, vergewaltigte sie und zwang sie, zum Islam zu konvertieren und ihn zu heiraten. Obwohl ihre Minderjährigkeit durch von den Eltern vorgelegte Dokumente und später auch durch eine medizinische Untersuchung belegt werden konnte, bestätigte das Oberste Gericht von Sindh die Heirat am 3. März 2020. In der Urteilsbegründung gab das Gericht an, das Mädchen habe bereits seine erste Periode gehabt und könne daher eine Ehe eingehen – ungeachtet der Tatsache, dass der Sindh Child Marriage Restraint Act die Heirat unter 18 Jahren verbietet. Laut einem Anwalt der Familie hatte Huma ihren Eltern bei einem Telefonat geschildert, dass sie von ihrem Entführer zum Sex gezwungen und geschwängert worden sei und dass sie in dem Haus, in dem sie festgehalten wird, in einem Einzelzimmer eingesperrt werde. Im November 2020 befand sich Huma Younus noch immer in der Gewalt ihres Entführers. Es gab allerdings auch Fälle, in denen sich die Justiz und andere staatliche Instanzen aktiv um eine Klärung des Rechtsstatus solcher Eheschließungen bemühten, wie das Verfahren um die 13-jährige Christin Arzoo Raza zeigte: Arzoo war entführt und zur Heirat mit einem 44 Jahre alten muslimischen Mann gezwungen worden. Das Oberste Gericht von Sindh folgte zunächst der Argumentation des Entführers und erachtete die Ehe als rechtsgültig. Nach einer medizinischen Untersuchung kam dasselbe Gericht jedoch zu dem Urteil, dass das Mädchen minderjährig sei und daher zurück zu seiner Familie gehöre. Nach einer weiteren Anhörung am 23. November 2020 entschied das Gericht, dass Arzoo bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahres in einem staatlich betriebenen Heim untergebracht werden solle.
Wie bedrückend und schwierig das Leben in Pakistan für solche Mädchen selbst nach einer Befreiung ist, zeigt der Fall von Maira Shahbaz. Das 14-jährige katholische Mädchen wurde am 28. April 2020 im Viertel Madina Town in Faisalabad entführt. Am 4. August wurde die Ehe vom Obersten Gericht von Lahore als gültig anerkannt. Zwei Wochen später floh Maira vor ihrem Entführer. Nachdem sie wiederholt Morddrohungen erhalten hatte, tauchte Maria schließlich mit ihrer Familie unter.
Der pakistanische Kardinal Joseph Coutts betrachtet „das Problem dieser Entführungen, Zwangskonvertierungen und -verheiratungen als etwas, das auf der Basis der grundlegenden Menschenrechte angegangen werden sollte und nicht als Frage der Religion“. In einem Appell rief Coutts dazu auf, Minderheitenrechte stärker zu respektieren: „Es ist die Aufgabe des Staates, Schutz und Gerechtigkeit für alle Bürger zu garantieren, unabhängig von ihrem Glauben, der Kultur, ihrer ethnischen Zugehörigkeit und der sozialen Schicht.“
Wie sich gerade während der ersten Welle der COVID-19-Pandemie zeigte, ist Pakistan davon allerdings noch weit entfernt. Während sich das Virus – von einigen als „Schiiten-Virus“ bezeichnet – im Land ausbreitete, mehrten sich die Berichte, dass Hindus und Christen Nahrungsmittel und Schutzausrüstung verweigert wurden. Im Stadtteil Korangi in Karatschi wurden ansässige Christen angeblich gezwungen, zur Aushändigung von Essensrationen die „Kalima“, das islamische Glaubensbekenntnis, zu rezitieren. Weigerten sie sich, wurde ihnen auch die Versorgung mit dem Nötigsten verwehrt. Im Gegensatz dazu verteilte die Katholische Kirche Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs an alle Bedürftigen ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit.
Auch beim Umgang mit der Pandemie zeigten sich Unterschiede. Während Kirchen und Tempel in Punjab und Sindh nach gestiegenen Infektionszahlen von ihren jeweiligen Führern freiwillig geschlossen wurden, blieben die Moscheen weiterhin geöffnet. Die Regierung, die wohl eine Gegenreaktion fürchtete, entschloss sich, hier nicht einzugreifen.
Premierminister Imran Khan hatte zum Zeitpunkt seiner Wahl ein „Naya Pakistan“, ein neues Pakistan versprochen, in dem die „bürgerlichen, gesellschaftlichen und religiösen Rechte von Minderheiten“ geschützt würden. Tatsächlich muss das Land jedoch noch einen weiten Weg zurücklegen und viele Hindernisse überwinden, bis dieses Versprechen Wirklichkeit werden kann. Khans Vision eines modernen „Staats Medina“ nach dem Vorbild der vor 14 Jahrhunderten entwickelten Ideen des Propheten Mohammed trägt vielmehr dazu bei, dass sich das bereits stark von islamistischem Gedankengut durchdrungene politische System weiter radikalisiert.
Wie die lange, aber keineswegs vollständige Liste der aufgeführten Vorfälle zeigt, kommt es in dem asiatischen Land nach wie vor zu Diskriminierung und der Verweigerung von Rechten aus religiösen Gründen. Es überrascht daher nicht, dass das US-Außenministerium Pakistan 2018 als „Country of Particular Concern“ eingestuft hat.
Der Alltag religiöser Minderheiten ist und bleibt von Diskriminierung, Vorwürfen der Blasphemie, Entführungen von Frauen und Mädchen und Zwangskonvertierungen geprägt. Feindselige Haltungen gegenüber Schiiten und anderen Minderheiten schlagen sich auch in Schulbüchern und Lehrplänen nieder – mit wenig Hoffnung auf eine baldige Besserung.
Außerdem breiten sich islamistische Terrorgruppen immer stärker im Land aus und verüben regelmäßig Anschläge gegen Schiiten und andere religiöse Minderheiten. Die Terrororganisation Tehrik-e-Taliban Pakistan und angeschlossene Gruppen stellen die größte Bedrohung für die innere Sicherheit des Landes dar. Auch der sogenannte Islamische Staat versteht es, die konfessionellen Spannungen im Land für seine Zwecke auszunutzen. So rief die Terrororganisation im Mai 2019 eine eigene Provinz („Wilayat Pakistan“) in Khorasan aus, nachdem sie sich zu mehreren Anschlägen in der Provinz Belutschistan bekannt hatte.
Als Nachbarland Afghanistans ist Pakistan stark in die laufenden Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban sowie in den innerafghanischen Dialog mit einbezogen. Damit werden auch die afghanischen Präsidentschaftswahlen Auswirkungen auf die innere Sicherheit Pakistans haben. Dies wiederum wird weitreichende Folgen für den ohnehin schon besorgniserregenden Status der Religionsfreiheit im Land haben.