Die Verfassung von Nicaragua beruft sich in ihrer Präambel auf das nicaraguanische Volk und (unter anderem) „jene Christen, die sich – inspiriert von ihrem Glauben an Gott – dem Kampf für die Befreiung der Unterdrückten angeschlossen und verpflichtet haben.“
Gemäß Artikel 4 obliegt es dem Staat, „die menschliche Entwicklung eines jeden Nicaraguaners zu fördern, inspiriert von christlichen Werten.“
In seiner Außenpolitik lehnt Nicaragua „alle Formen politischer, militärischer, wirtschaftlicher, kultureller oder religiöser Aggression“ ab; daher ist auch die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten verboten (Art. 5).
Des Weiteren gehören die Anerkennung der indigenen Völker und der Nicaraguaner afrikanischer Abstammung sowie die Achtung der Menschenwürde und christlicher Werte zu den Prinzipien der Nation.
Eine Staatsreligion gibt es in Nicaragua nicht (Art. 14). Gemäß Artikel 27 sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich und niemand darf aus religiösen oder anderen Gründen diskriminiert werden.
In Artikel 29 heißt es: „Jeder hat das Recht auf Gewissens- und Gedankenfreiheit und darauf, sich zu einer Religion zu bekennen oder auch nicht. Niemand darf Gegenstand von Zwangsmaßnahmen sein, die diese Rechte schmälern, oder genötigt werden, sein Glaubensbekenntnis, seine Weltanschauung oder seine Überzeugungen zu offenbaren.”
Unter verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen haben auch „religiöse Menschen“ gemäß Artikel 49 das Recht, Organisationen zu gründen, „mit dem Ziel, ihr Streben zu verwirklichen“.
Artikel 69 besagt: „Alle Personen haben das Recht, ihren religiösen Überzeugungen entweder einzeln oder innerhalb einer Gruppe, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Gottesverehrung, Praxis und Lehre Ausdruck zu verleihen.“
Artikel 124 legt fest: „Das Bildungswesen in Nicaragua ist säkular. Der Staat erkennt das Recht privater Bildungsstätten mit religiöser Ausrichtung an, Religion als außerschulisches Fach zu unterrichten.”
Mitglieder des Klerus können nicht für das Amt des Präsidenten, des Vizepräsidenten oder für das Parlament kandidieren, es sei denn, sie legen ihr geistliches Amt mindestens zwölf Monate vor der Wahl nieder (Art. 134).
Den Minderheitengemeinschaften an der Karibikküste wird ein hohes Maß an Autonomie garantiert, damit sie sich in Übereinstimmung mit ihren eigenen historischen und kulturellen Traditionen entwickeln können. Artikel 180 der Verfassung gewährt ihnen zudem das Recht, „ihre Kulturen und Sprachen, Religionen und Bräuche“ zu bewahren.
Im April 2018 stürzte Nicaragua in eine tiefe politische und wirtschaftliche Krise, nachdem regierungsnahe „Stoßtrupps“ eine kleine Kundgebung gegen die geplante Reform des Rentensystems gewaltsam niedergeschlagen hatten. Infolgedessen gewannen einerseits die Demonstrationen für demokratische Reformen immer mehr Zulauf. Andererseits verstärkte die Regierung ihre Bemühungen, diese Proteste zu unterdrücken. Seitdem wurden Hunderte Menschen getötet, Tausende verletzt und mehr als 100.000 flohen vor den Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land.
Im Berichtszeitraum waren auch Kirchen, Geistliche, Ordensschwestern und einfache Gläubige in Nicaragua das Ziel von Angriffen, vor allem in der Zeit, da das Land besonders heftig von den politischen und wirtschaftlichen Unruhen erschüttert wurde.
Das Ausmaß der Krise veranlasste die Katholische Kirche und andere Organisationen, öffentlich ihre Besorgnis angesichts der Situation zu äußern und die repressive Politik der Regierung zu kritisieren.
Am 25. Februar 2019 reiste Kardinal Leopoldo Brenes, Erzbischof von Managua, nach Rom, um den Heiligen Vater über die „gesellschaftspolitische Krise“ in Nicaragua zu informieren.
Am 27. Februar nahm Kardinal Brenes als Beobachter am ersten Tag der Verhandlungen zwischen der Regierung von Präsident Daniel Ortega und der oppositionellen Alianza Cívica por la Justicia y la Democracia (Bürgerallianz für Gerechtigkeit und Demokratie) teil. Da die Bischöfe jedoch keine Einladung zu den folgenden drei Treffen erhielten, gaben sie im März schließlich ihre Entscheidung bekannt, nicht weiter an den Verhandlungen teilzunehmen. Der Apostolische Nuntius Waldemar Stanislaw war bei allen Gesprächen als „Zeuge“ zugegen.
Im Juli 2019 äußerte die Comisión Interamericana de Derechos Humanos (Interamerikanische Kommission für Menschenrechte) ihre Besorgnis über die schwerwiegenden Einschränkungen der staatsbürgerlichen Freiheiten und das weiterhin gewaltsame Vorgehen regierungsnaher Gruppen und der Bereitschaftspolizei, ganz zu schweigen von deren Angriffen auf Gottesdienste.
Im Oktober 2020 nahmen die nicaraguanischen Bischöfe besorgt zu Gesetzesvorlagen der Regierung zur Einschränkung der Meinungsfreiheit Stellung. In einem dieser Entwürfe ist vorgesehen, dass Personen, die Gelder aus dem Ausland erhalten, sich beim Innenministerium registrieren und sich Finanzprüfungen unterziehen müssen, was auch den gemeinnützigen Auftrag der Kirche beeinträchtigen könnte.
Das Europäische Parlament verabschiedete eine Entschließung, in der es Nicaraguas Gesetze zu ausländischen Agenten, Cyberkriminalität und Hassverbrechen verurteilt, die im Falle ihrer Verabschiedung zu weiteren Menschenrechtsverletzungen führen und der Regierung von Präsident Ortega neue Mittel zur Unterdrückung an die Hand geben würden.
Im Berichtszeitraum gerieten religiöse Einrichtungen und Gläubige zunehmend in Bedrängnis und waren das Ziel von Hasskriminalität in Form von Anschlägen auf religiöses Eigentum und offenkundig religiöse Menschen. Auch mehrten sich Einschüchterungsversuche gegenüber Menschen, die ihren Glauben zum Ausdruck brachten oder praktizierten, indem sie Opfern von Gewalt beistanden.
Im Juni 2018 verbrannten ein evangelikaler Pastor und seine Familie in ihrem Haus in der Hauptstadt Managua bei einem Brandanschlag, für den Polizisten verantwortlich gemacht wurden. Im Januar 2019 behinderten die Behörden die katholische Friedensprozession, die traditionell am ersten Tag des Jahres stattfindet, durch Drohungen in den sozialen Medien und die Präsenz von Bereitschaftspolizisten entlang des Prozessionswegs.
Im April 2019 nutzten Demonstranten die traditionellen Prozessionen während der Karwoche, um ein Jahr nach Beginn der durch die Reformierung der Sozialversicherung ausgelösten gesellschaftspolitischen Unruhen gegen die Regierung von Präsident Ortega zu protestieren. Als die Bereitschaftspolizei eingriff, um die Demonstranten zu zerstreuen, suchten einige von ihnen Zuflucht in der Kathedrale von Managua. Der Apostolische Nuntius vermittelte „zwischen den Behörden und der Opposition, damit die Demonstranten die Kathedrale in Sicherheit verlassen konnten”.
Im November 2019 trat eine Gruppe von Menschen in einer Kirche in den Hungerstreik, um die Freilassung politischer Gefangener zu fordern. Die Behörden riegelten die Kirche ab und verhinderten so, dass die Hungerstreikenden mit Wasser und Medikamenten versorgt werden konnten.
Nachdem ein weiterer Hungerstreik in der Kathedrale von Managua begonnen hatte, umstellte die Polizei das Gotteshaus und ermöglichte es Anhängern der Regierung, ins Innere zu gelangen. Diese griffen im Anschluss einen Priester und eine Ordensschwester an, die die Demonstranten beschützten. Die Katholische Kirche in Nicaragua verurteilte diese Schändung der Kathedrale.
Insgesamt wurden im Berichtszeitraum mehrere Vorfälle von Vandalismus und Kirchenschändung in Nicaragua bekannt. Eine Nichtregierungsorganisation zählte 22 Angriffe im Zeitraum Dezember 2018 bis Juli 2020. Darunter waren ein Vorfall im April 2020 in der Pfarrgemeinde Nuestra Señora de la Merced (Unsere Liebe Frau der Barmherzigkeit) in Managua sowie unter weiteren zwei Angriffe im Juli 2020 auf die Pfarrgemeinde Nuestro Señor de Veracruz (Unser Herr vom Heiligen Kreuz) und die Kapelle Nuestra Señora del Perpetuo Socorro (Unsere Liebe Frau der ewigen Hilfe). Auch die Kathedrale der Hauptstadt wurde im Juli 2020 erneut Ziel eines Anschlags: Ein unbekannter Täter schleuderte eine Brandbombe in das Gebäude, die im Kircheninneren ein Feuer entfachte.
Im September 2020 begann die Regierung, Visa von ausländischen Priestern zu annullieren, die zum Teil bereits seit mehreren Jahren in Nicaragua aktiv waren. Im selben Monat wurde auch die Pfarrei Cristo Rey angegriffen und die Kapelle Santo Domingo geschändet.
Als die ersten Fälle von Covid-19 in Nicaragua auftraten, beachtete die Regierung die Anzeichen für eine Pandemie zunächst nicht. So arbeiteten zum Beispiel auch die staatlichen Einrichtungen normal weiter, wodurch sich das Virus ausbreiten konnte. Die Vizepräsidentin sprach sich für Gottesdienstveranstaltungen während der Karwoche aus, die Nicaraguanische Bischofskonferenz hingegen schränkte die Aktivitäten aus eigener Initiative ein und ergriff Maßnahmen zur Vermeidung von Infektionen, indem sie z. B. die traditionelle Fastenwallfahrt zum Heiligtum Jesús del Rescate absagte.
Vor dem Hintergrund einer tiefen gesellschaftspolitischen Krise, die sich unter der Präsidentschaft von Daniel Ortega entwickelte, wurden im Berichtszeitraum ein evangelikaler Pastor und seine Familie ermordet. Geistliche wurden angegriffen, schikaniert und verfolgt. Ausländischen Priestern wurden ihre Visa entzogen.
Unter diesen brisanten Bedingungen war die Katholische Kirche bemüht, zwischen Regierung und Opposition zu vermitteln, was letztlich ohne Erfolg blieb. In der Folge wurde sie selbst das Ziel von Angriffen und Repressalien, weil sie Demonstranten, die die Freilassung politischer Gefangener forderten, in ihren Gotteshäusern Zuflucht gewährt hatte.
Die Kirche und internationale Organisationen haben dieses Klima der Angst und Gewalt in Nicaragua immer wieder verurteilt und eindringlich auf Verletzungen der Menschenrechte – einschließlich der Religionsfreiheit – aufmerksam gemacht. Der Stand der Religionsfreiheit hat sich im Berichtszeitraum merklich verschlechtert und derzeit sind auch die Aussichten für die Zukunft düster.