In der irakischen Verfassung aus dem Jahr 2005 wird der Islam als offizielle Staatsreligion und als eine „Quelle der Gesetzgebung“ bezeichnet. Gemäß Artikel 2.1 darf kein Gesetz verabschiedet werden, das den Vorschriften des Islams, den Grundsätzen der Demokratie oder den verfassungsmäßigen Rechten und Freiheiten widerspricht. Laut Artikel 2.2 sind die islamische Identität der Mehrheit der Iraker und die religiösen Rechte von Christen, Jesiden und sabäischen Mandäern gleichermaßen geschützt.
Nach Artikel 4 hat jeder Bürger das Recht, „seine Kinder in ihrer Muttersprache, unter anderem Turkmenisch, Syrisch und Armenisch, zu erziehen“. In staatlichen Bildungseinrichtungen wird dieses Recht im Einklang mit den Lehrplänen und Bildungsrichtlinien gewährleistet. Andere Sprachen können in privaten Bildungseinrichtungen angeboten werden.
Rassismus, Terrorismus und Takfirismus (die Praxis, einen anderen Muslim der Apostasie zu bezichtigen) sind gemäß Artikel 7 verboten. Der Staat hat laut Artikel 10 die Pflicht, „Heiligtümer und heilige Stätten“ sowie „den freien Vollzug von Ritualen in ihnen“ zu schützen.
Artikel 14 gewährleistet die Gleichbehandlung vor dem Gesetz „ohne jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Nationalität, der geografischen Herkunft, der Hautfarbe, der Religion, der Sektenzugehörigkeit, des Glaubens, der Überzeugung, der wirtschaftlichen oder der sozialen Stellung“. Der Staat ist laut Artikel 37 verpflichtet, seine Bürger vor „geistiger, politischer und religiöser Nötigung“ zu schützen.
Artikel 41 sieht vor, dass Personenstandsangelegenheiten für die unterschiedlichen „Religionen, Sekten, Überzeugungen und Entscheidungen“ per Gesetz zu regeln sind. Die „Gedanken-, Gewissens- und Glaubensfreiheit“ sind in Artikel 42 verankert.
Den Irakern steht es gemäß Artikel 43.1 unter „Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften“ frei, ihre religiösen Riten zu vollziehen, ihre religiösen Angelegenheiten zu regeln und religiöse Institutionen und Stiftungen (waqf) zu verwalten. Darüber hinaus werden Gebetsstätten laut Artikel 43.2 durch den Staat geschützt.
Muslimen ist es nicht gestattet, zu einem anderen Glauben zu konvertieren. Nach Paragraf 372 des irakischen Strafgesetzbuchs von 1969 können die Beleidigung von religiösen Gefühlen und von Personen, die als heilig gelten oder angebetet oder verehrt werden, das Verunglimpfen religiöser Praktiken und das Schänden von religiösen Symbolen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe geahndet werden.
Neun von 329 Sitzen im Repräsentantenrat (Parlament) sind laut Gesetz Mitgliedern von Minderheitengruppen vorbehalten. Die Städte Bagdad, Ninive, Kirkuk, Erbil und Dohuk entsenden jeweils einen christlichen Abgeordneten. Des Weiteren entfällt jeweils ein Sitz auf einen Jesiden, einen sabäischen Mandäer und einen Schabak. Das Gouvernement Wasit hat zudem einen Sitz für einen Faili-Kurden vorgesehen.
Am 2. Juni 2018 sprach sich der schiitische Geistliche Muqtada al-Sadr für die Rückkehr der Juden aus, die vor einem halben Jahrhundert aus dem Irak vertrieben worden waren. „Wenn ihre Treue dem Irak gilt, sind sie willkommen“, antwortete Sadr auf die Frage eines seiner Anhänger, ob irakische Juden das Recht hätten, in das Land zurückzukehren, in dem sie einst gelebt und Eigentum besessen haben.
Im Juli 2018 kündigte US-Vizepräsident Pence eine neue Initiative der USA zur Unterstützung jener Menschen an, die den Gewalttaten des Daesh, des sogenannten Islamischen Staates (IS) zum Opfer gefallen sind. Das Genocide Recovery and Persecution Response Program der Hilfsorganisation USAID verdoppelte die Hilfe für verfolgte ethnische und religiöse Minderheiten im Irak auf mehr als 239 Millionen US-Dollar.
Ebenfalls im Juli 2018 setzte der Rat des Gouvernements Ninive die Umsiedlung von 450 sunnitisch-arabischen Familien in die Ninive-Ebene nördlich von Mossul aus, obwohl diese bereits von der Zentralregierung genehmigt worden war. Der Rat forderte stattdessen, dass sie in Gebiete südlich und östlich von Mossul umgesiedelt werden. Mit der Maßnahme sollte Berichten zufolge verhindert werden, dass die demografischen Strukturen in der Ninive-Ebene, die traditionell von irakischen Christen, Jesiden und Schabak bewohnt wird, aus dem Gleichgewicht geraten.
Am 2. August 2018 unterzeichnete der damalige irakische Ministerpräsident Abadi Verfügung Nr. 1388 über den Abzug der Volksmobilisierungskräfte (PMF) aus der Stadt Mossul und der Ninive-Ebene und unterstellte diese der Verwaltung des militärischen Ninive-Einsatzkommandos.
Ende 2018 kamen Medienberichte über die Enteignung von Christen auf. Agenzia Fides verwies auf Berichte eines irakischen Fernsehsenders, wonach in mindestens 350 Fällen Christen [...] während ihrer Abwesenheit ihr rechtmäßiges Wohneigentum verloren hätten und aufgrund gefälschter Papiere kaum eine Chance hätten, ihre Häuser zurückzubekommen. Mindestens 50 Versuche des unerlaubten Verkaufs von Häusern, die eigentlich Christen gehören, konnten durch das Einschreiten der Behörden vereitelt werden.
In einer Ansprache vor den katholischen Patriarchen im Rat der Kirchen des Nahen Ostens (MECC) ging der irakische Staatspräsident Barham Salih im November 2018 in Bagdad auf die Grundsätze der Staatsbürgerschaft ein. Nach seinen Worten sollte sie für „alle Menschen“ in einer Nation gelten, deren Bürger alle das Recht auf Gleichbehandlung haben und nicht aus kulturellen, ethnischen oder religiösen Gründen diskriminiert werden dürfen. Staatspräsident Salih kam auch auf sein Treffen mit Papst Franziskus zu sprechen, das Anfang November im Vatikan stattgefunden hatte. Anlässlich der Begegnung hatte er den Heiligen Vater in den Irak eingeladen, um im Gebet mit anderen Religionsführern des Stammvaters der Religionen, Abraham, zu gedenken.
Der stellvertretende irakische Justizminister Hussein al-Zuhairi wurde in dem Nachrichtenportal Al-Monitor mit den Worten zitiert, der Bahaismus sei keine Religion oder Glaubensrichtung. Zuhairi erklärte, die irakische Regierung bekräftige das Gesetz über das Verbot des Bahaismus aus dem Jahr 1970. Es könne keine Religion geben, die über dem Islam stehe, da die irakische Verfassung die Lehren des Islams als eine Rechtsquelle anerkennt. Nach Zuhairis Ansicht ist die irakische Gesellschaft muslimisch geprägt, daher könnten die Grundsätze des Islams in der Gesetzgebung nicht außer Acht gelassen werden.
Im Dezember 2018 unterzeichnete US-Präsident Trump das Gesetz über Hilfsmaßnahmen für die Völkermord-Opfer im Irak und Syrien und die Strafverfolgung der Täter. Mit dem Gesetz soll die US-Hilfe für Christen und Jesiden, die unter den Gewalttaten der IS-Terroristen leiden, verbessert werden.
Anfang 2019 führte Ayatollah Ali al-Sistani, das religiöse Oberhaupt der Schiiten im Irak, Gespräche mit einer UN-Delegation, die ins Land gekommen war, um Beweise für die Verbrechen des IS zu sammeln. Er drängte darauf, dass die Gewalt- und Straftaten der militanten Gruppe unbedingt untersucht werden müssten. Insbesondere empfahl er die Untersuchung der „abscheulichen Verbrechen“, die gegen die Jesiden in Sindschar, die Christen in Mossul, die Turkmenen in Tal Afar und andere gesellschaftliche Gruppen im Irak verübt wurden. Besonders sollten die Fälle von „Entführung, Versklavung und sexuellem Missbrauch“ von Frauen untersucht werden.
Wie Al-Monitor berichtete, besuchte eine hochrangige Delegation von schiitischen Geistlichen aus Nadschaf im März 2019 die heilige Stätte der Jesiden in Lalisch im Nordirak. Kurz zuvor hatten hochrangige Vertreter der Christen, Muslime und Jesiden den Imam-Hussein-Schrein, die heilige Stätte der Schiiten in Kerbala, besucht.
In einem Schreiben an den irakischen Ministerpräsidenten Adel Abdul Mahdi äußerte sich der syrisch-katholische Erzbischof von Mossul, Yohanna Petros Moshe, besorgt darüber, dass sich die religiösen und demografischen Verhältnisse in der Ninive-Ebene durch die Pläne zum Wiederaufbau nach der Besatzung durch den IS grundlegend verschieben könnten. So fürchten etwa die Christen im Ort Bartella eine zunehmende Einflussnahme der schiitischen Schabak, die vom Iran unterstützt werden.
Zahlreiche Christen, die im Sommer 2014 während der Besatzung durch den IS nach Kanada, in die USA und nach Europa geflüchtet waren, kehrten zur Feier des Osterfestes 2019 nach Mossul und in die Ninive-Ebene zurück. Dies bestätigte ein chaldäischer Geistlicher gegenüber der Nachrichtenplattform AsiaNews.
Nachdem im Mai 2019 zwei ältere Christinnen in ihren Häusern in der Ninive-Ebene ausgeraubt und verletzt worden waren, vermuteten Christen religiöse Motive hinter den Angriffen. Die Rechtsprofessorin Muna Yaku von der Salahaddin-Universität in Erbil sah einen Zusammenhang zwischen den gegen die beiden Frauen verübten Gewalttaten und weiteren Taten, die darauf ausgerichtet waren, christliche Familien einzuschüchtern, um sie aus ihren Heimatdörfern zu vertreiben oder sie von einer Rückkehr abzuhalten.
Vertreter des Gouvernements Diyala erklärten gegenüber den Medien, vereinzelte religiös motivierte Angriffe von Mitgliedern pro-iranischer Milizen hätten den Frieden in den betroffenen Orten gefährdet und Vergeltungsangriffe provoziert. Nach Ansicht des örtlich zuständigen Parlamentsabgeordneten, Raad al-Dahlaki, „untergraben die Milizen die Sicherheit“ und beschwören so die Rückkehr von „Tod, Flucht und Vertreibung“ herauf.
Im Juni 2019 wurde die chaldäische Kathedrale unserer lieben Frau in Basra nach aufwändiger Restaurierung wiedereröffnet. Die Finanzmittel wurden von der irakischen Zentralbank und dem Verband der irakischen Privatbanken bereitgestellt.
Die in Bagdad ansässige gemeinnützige Organisation Masarat, die sich für den Schutz von Minderheiten, für die Bewahrung des kollektiven Gedächtnisses und für den interreligiösen Dialog einsetzt, weihte im Juli 2019 in der irakischen Hauptstadt das Institut für Religiöse Vielfalt ein, das in Kooperation mit mehreren Hochschulen und Bürgerrechtsgruppen gegründet wurde. Das Oberhaupt der Chaldäisch-Katholischen Kirche, Louis Raphaël I. Kardinal Sako, der die christlichen Teile der Lehrpläne des Instituts verfasst hat, erklärte: „Indem es Muslimen den christlichen Glauben und andere Religionen näherbringt, trägt das Institut dazu bei, Sektierertum und mangelnden Kenntnissen über andere Glaubensrichtungen zu begegnen.“ Ein solches Vorhaben verdiene Unterstützung, weil es den Anhängern der einzelnen Glaubensrichtungen die Möglichkeit gebe, an den religiösen Lehrplänen mitzuarbeiten und Wissen zu vermitteln.
In einem Schreiben an den Präsidenten des irakischen Parlaments rief Kardinal Sako die Abgeordneten dazu auf, die Quote der Sitze beizubehalten, die in den Räten der Gouvernements Christen und weiteren ethnisch-religiösen Minderheiten vorbehalten sind, damit eine angemessene Vertretung dieser Gruppen gewährleistet ist.
Am 10. Juni 2019 gab Papst Franziskus bekannt, dass er 2020 in den Irak reisen werde. Eine solche Reise würde die Christen und Muslime zusammenführen, wie der chaldäische Patriarch, Kardinal Sako, gegenüber AsiaNews erklärte. Der irakische Minister für Kultur, Tourismus und Kulturdenkmäler, Abdul Amir al Hamdani, ließ verlauten, dass die irakische Regierung bereits Mittel für den Papstbesuch bereitgestellt habe.
Die Syrisch-Katholische Kirche hat in der autonomen Region Kurdistan wieder eine Diözese errichtet. Der neuen Diözese Hadiab-Erbil und ganz Kurdistan steht Erzbischof Nathaniel Nizar Semaan vor. Zuvor stand die Region unter der Verwaltung der Erzdiözese Mossul. Semaan empfing am 7. Juni 2019 die Bischofsweihe und wurde zum Weihbischof von Mossul ernannt. Als die neue Diözese am 28. Juni errichtet wurde, übernahm er dort das Amt des Erzbischofs.
Das Parlament der autonomen Region Kurdistan erklärte den 3. August zum offiziellen Gedenktag zur Erinnerung an den Völkermord an den Jesiden im jesidischen Kernland Sindschar, der sich 2019 zum fünften Mal jährte. Am folgenden Tag nahmen Vertreter der kurdischen Regionalregierung an einer Gedenkfeier teil.
Etwa 3.000 Mandäer leben noch im Irak, mehrheitlich im südlichen Gouvernement Basra. Der Vorsitzende des Rates der sabäischen Mandäer in Basra, Ghazi Laibi, erklärte gegenüber Al-Monitor, dass die Mandäer aufgrund ihres vergleichsweise hohen Bevölkerungsanteils in Basra das Recht auf einen Sitz im Rat des Gouvernements hätten.
Der chaldäische Patriarch Kardinal Sako vertrat im Dezember 2019 gegenüber AsiaNews die Ansicht, dass Christen eine eigene Partei gründen sollten, damit eine bessere Vertretung ihrer Interessen in den politischen Institutionen des Iraks gewährleistet ist. „Vielleicht ist es jetzt erforderlich, über eine gemeinsame christliche Strategie nachzudenken, bevor es zu spät ist“, schrieb er.
Im Januar 2020 empfing Papst Franziskus den irakischen Präsidenten Barham Salih im Vatikan.
Im Februar 2020 wurden Pläne zum Wiederaufbau der syrisch-katholischen Thomaskirche in Mossul bekannt gegeben, der im April beginnen sollte. Das Gotteshaus war vom IS zerstört worden. Die Wiederaufbauarbeiten werden mit umfassenden Finanzhilfen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und von der UNESCO unterstützt.
Im März 2020 veröffentlichten führende Vertreter der Muslime, Jesiden und Christen im Irak eine gemeinsame Erklärung, in der sie sich für Frieden einsetzten und ihre Solidarität mit den Opfern der Gewalttaten des IS bekundeten. Es war das erste Mal, dass religiöse Oberhäupter des Landes mit einer Stimme Gerechtigkeit für die Opfer des IS forderten. Die Vereinten Nationen begrüßten die Erklärung als die „Einleitung eines Prozesses, der weitere religiöse Oberhäupter des Iraks einbinden sollte“.
Ebenfalls im März 2020 verurteilte die irakische Menschenrechtskommission einen Angriff auf einen Friedhof der Glaubensgemeinschaft der Kakai in Gwer, einem Gebiet, auf das sowohl die kurdische Regionalregierung als auch die irakische Zentralregierung Anspruch erheben.
Am 26. März verbreiteten französische Behörden die Nachricht über die Freilassung von vier Helfern der christlichen französischen Organisation SOS Chrétiens d’Orient. Sie waren seit dem 20. Januar vermisst worden.
Die prekäre Lage jener christlichen und jesidischen Flüchtlinge, die nach wie vor in der autonomen Region Kurdistan ausharren, stand im Mittelpunkt der Gespräche, die die Bundesministerin für Migration und Flüchtlinge, Evan Faeq Yakoub Jabro, eine chaldäische Christin, im Juli 2020 in Erbil mit dem Präsidenten der Region Kurdistan, Nechirvan Idris Barzani, führte. Ministerin Jabro wurde im Juni 2020 durch das irakische Parlament im Amt bestätigt.
Im September 2020 stürmten vermutlich IS-Terroristen ein Dorf an der irakisch-iranischen Grenze. Bei dem Angriff kamen mindestens sieben Menschen ums Leben, vier weitere wurden verletzt.
Bei einem Besuch in Mossul und im Gouvernement Ninive erklärte der irakische Ministerpräsident Mustafa al Kadhimi kurz nach seinem Amtsantritt am 6. Mai 2020: „Die Christen sind eine der ursprünglichsten Bevölkerungsgruppen des Iraks und es betrübt uns, dass sie das Land verlassen.“
Im Juni 2020 griff die türkische Luftwaffe PKK-Stellungen nahe der Stadt Zakho an, die von Kurden und Christen bewohnt wird. Der aus Zakho stammende chaldäische Patriarch Kardinal Sako beschrieb die Situation als „angespannt und verworren“. Es war die Rede von mindestens fünf zivilen Todesopfern und von vielen Vertriebenen.
Im Juli 2020 forderte Kardinal Sako die irakische Regierung auf, für den rechtlichen Status von Christen und anderen Minderheiten im Land eine Lösung zu finden. Der Patriarch zeigte sich kritisch angesichts der Tatsache, dass die Personenstandsangelegenheiten aller Bürger des Iraks Gesetzen unterliegen, die auf traditionellem islamischem Recht basieren, das sich wiederum unmittelbar oder mittelbar auf die Scharia bezieht. Er schlug der Regierung vor, das Rechtssystem nach dem Modell des Libanon zu gestalten, wo das Zivilrecht nicht auf religiösen Rechtsschulen basiert und für alle gilt. Geistliche oder religiöse Gerichte haben dort zugleich die Möglichkeit, Eheschließungen, Sorgerechtsfragen und Erbschaftsangelegenheiten für einzelne Glaubensgemeinschaften selbst zu regeln.
Des Weiteren forderte Kardinal Sako eine Änderung des Apostasie-Gesetzes. „Wir glauben, dass es an der Zeit ist“, schrieb der irakische Kardinal, „ein Gesetz zu erlassen, das das Recht auf Gewissensfreiheit gewährleistet, welches auch das Recht einschließt, ohne Druck den Glauben und die Religionszugehörigkeit zu ändern, und den Beispielen Libanons, Tunesiens, Marokkos und des Sudan zu folgen, die das Apostasie-Gesetz abgeschafft haben”.
Tausende schiitische Pilger, die aufgrund der Vorschriften zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie Masken trugen, versammelten sich im August 2020 in der Heiligen Stadt Kerbala zu Trauerzeremonien anlässlich des Aschurafestes. Aufgrund der Pandemie waren deutlich weniger Pilger aus dem Ausland angereist.
Ministerpräsident Al Khadimi ernannte die chaldäische Christin Suha Daoud Elias al Najjar zur Leiterin der nationalen Behörde für Investitionen im Irak, die unter anderem die Verwendung ausländischer Finanzmittel für den Wiederaufbau zerstörter Gebiete beaufsichtigt.
Im Sommer 2020 wurde mit dem Wiederaufbau der katholischen Al-Tahira-Kirche in Mossul begonnen, die von IS-Terroristen zerstört worden war. Die Finanzmittel für den Wiederaufbau dieser und weiterer religiöser Stätten – auch der berühmten Al-Nuri-Moschee mit dem schiefen Minarett – kommen Medienberichten zufolge aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Im Sindschargebirge im Nordirak wurden bei türkischen Luftangriffen religiöse Stätten der Jesiden zerstört. Der Pfarrer Samir Al-Khoury der chaldäischen Gemeinde in Enishke erklärte gegenüber der italienischen Nachrichtenagentur SIR: „Die Türken haben fertiggebracht, was selbst den IS-Terroristen nicht gelungen war. Sie haben das Sheikh-Chilmira-Heiligtum der Jesiden auf dem höchsten Gipfel des Höhenzugs getroffen.“
Bei weiteren Angriffen der türkischen Luftwaffe auf PKK-Stellungen im Norden des Irak wurden auch die von Christen bewohnten Dörfer Chalik, Bersiveh und Sharanish nördlich der Stadt Dohuk getroffen. Seit Anfang 2020 haben Christen im Nordirak mindestens 25 Dörfer aufgegeben.
Auch Dörfer im Distrikt Chanaqin, Gouvernement Diyala, die von der Minderheit der Kakai bewohnt wurden, sind lokalen Medienberichten zufolge nach wiederholten Angriffen des IS entvölkert. Der IS hat die schlechte Sicherheitslage in der Region ausgenutzt, die wegen der Konflikte zwischen den kurdischen Behörden und der irakischen Zentralregierung entstanden sind. Der aus Chanaqin stammende Abgeordnete des irakischen Parlaments, Sherko Mirways, erklärte gegenüber Rudaw, dass mehr als 10 Kakai-Dörfer in Chanaqin nach Angriffen von IS-Terroristen und „nicht identifizierten Bewaffneten“ verlassen wurden.
Zum ersten Mal gab die irakische Postgesellschaft eine Briefmarkenserie mit Motiven der Kirchen des Landes heraus.
Die Jesiden betrauerten den Verlust ihres geistlichen Führers Baba Sheikh Khurto Hajji Ismail, der am 1. Oktober 2020 im Alter von 87 Jahren verstarb.
Das Präsidialamt der autonomen Region Kurdistan beauftragte die Regionalregierung mit der Einrichtung einer Ad-hoc-Kommission, die die systematische, rechtswidrige Enteignung von Grundbesitz der Christen insbesondere im Gouvernement Dahuk untersuchen, dokumentieren und verfolgen soll.
Bei einem Gespräch mit dem irakischen Präsidenten Barham Salih am 19. Oktober 2020 regte der chaldäische Patriarch, Kardinal Sako, an, Weihnachten für alle Bürger des Iraks zu einem nationalen Feiertag zu machen.
Im November 2020 kehrten etwa 200 christliche Familien, die vor dem IS geflohen waren, nach Mossul und in die Ninive-Ebene zurück.
Ebenfalls im November 2020 gab ein Berufungsgericht in Dohuk in der autonomen Republik Kurdistan dem Antrag von mehr als 100 christlichen Familien statt, die sich gegen die widerrechtliche Beschlagnahme ihres Grundbesitzes zur Wehr gesetzt hatten. Es hob damit die Entscheidung eines untergeordneten Gerichts auf.
Am 16. Dezember sprach sich das irakische Parlament einstimmig dafür aus, Weihnachten zu einem nationalen Feiertag zu erklären. Zuvor war der 25. Dezember zwar ein christlicher, aber kein nationaler Feiertag gewesen.
Anfang Januar 2021 kündigte der schiitische Geistliche und Führer des Sairun-Bündnisses, Muqtada al-Sadr, die Einrichtung eines Ausschusses an, der „Informationen und Beschwerden über Fälle von widerrechtlicher Enteignung christlichen Eigentums im gesamten Irak sammeln und prüfen soll.
Am Sonntag, den 3. Januar 2021, besuchte eine von Sheikh Salah al-Obaidi geführte Delegation des Sairun-Bündnisses das Oberhaupt der Chaldäischen Kirche, Louis Raphaël I. Kardinal Sako, um ihm Weihnachtsgrüße zu übermitteln und eine Kopie des Dokuments zu überreichen, das die Einrichtung des oben genannten Ausschusses bestätigt.
Mit der militärischen Niederlage des IS ist die größte Bedrohung für die Religionsfreiheit, die der Irak in seiner modernen Geschichte erlebt hat, zunächst einmal überwunden. Die allgemeine Situation der Gläubigen hat sich daher deutlich verbessert. Aber die Gefahr ist noch nicht gebannt. Viele IS-Kämpfer, die nicht festgenommen werden konnten, gingen in den Untergrund. Sie gehen weiterhin gegen religiöse Minderheiten vor.
Gleichzeitig bahnen sich neue Konflikte an. Im Nordirak leiden die verschiedenen religiösen Minderheiten, vor allem Christen und Jesiden, unter den türkischen Interventionen in der Region. Trotz beträchtlicher Bemühungen, die Christen zur Rückkehr in die Niniveebene zu bewegen, sind bislang nur rund 45 Prozent von ihnen wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Derweil entwickeln sich neue Konflikte mit der ethnischen Minderheit der Schabak, die überwiegend aus Schiiten besteht. Die Schabak haben eine eigene Miliz gegründet, die eine Rückkehr weiterer christlicher Familien verhindern will. Zusätzlich wird die Wiederansiedlung der rückkehrwilligen Minderheiten durch die schlechte allgemeine Wirtschafts- und Sicherheitslage erschwert. Auch die Coronavirus-Pandemie trägt ihren Teil dazu bei.
Positiv zu bewerten sind die verschiedenen Initiativen von religiösen und politischen Führern der Muslime, die darauf abzielen, Brücken zu bauen und für einen multireligiösen Irak sowie für ein friedliches Miteinander zu werben. Von der kürzlichen Ankündigung, Weihnachten zu einem nationalen Feiertag zu erheben, und von der Einrichtung des Ausschusses zur Prüfung der widerrechtlichen Enteignungen von Christen gingen starke Signale aus. Ziel sei es, „den ‚christlichen Brüdern‘ zu Gerechtigkeit zu verhelfen und den Verstößen gegen ihre Eigentumsrechte ein Ende zu setzen“.
Ende 2019 protestierten Vertreter verschiedener Glaubensgemeinschaften gemeinsam gegen Korruption und Misswirtschaft. Auch das deutet auf ein mögliches Ende der religiösen Polarisierung hin, die das Land mehr als ein Jahrzehnt lang verheert hat. Der chaldäische Erzbischof von Erbil, Bashar Warda, erklärte, Christen, Jesiden und andere Minderheiten seien in den Reihen der Protestbewegung mit offenen Armen empfangen worden.
Trotzdem ist der Kirchenvertreter alles andere als optimistisch, was die Zukunft der irakischen Christen anbelangt. „Die christlichen Kirchen im Irak, die zu den ältesten überhaupt gehören, stehen kurz vor der Auslöschung“, erklärte er. „In den Jahren vor 2003 lag die Zahl der Christen im Irak noch bei eineinhalb Millionen – sechs Prozent der Gesamtbevölkerung. Heute mögen es noch 250.000 sein. Vielleicht weniger. Diejenigen, die bleiben, müssen mit dem Märtyrertod rechnen.“