Artikel 1 der chilenischen Verfassung besagt, dass jede Person als freier Mensch geboren wird und die gleiche Menschenwürde sowie die gleichen Rechte genießt. Der Staat erkennt die Familie als „Fundament der Gesellschaft“ an und schützt „Gruppen, durch die die Gesellschaft organisiert und strukturiert wird“. Auch wird in Artikel 1 festgelegt, dass der Staat „im Dienste des Menschen” steht und jedem Einzelnen zur „größtmöglichen geistigen und materiellen Erfüllung“ verhelfen muss.
In Artikel 9 (6) wird „Gewissensfreiheit, Glaubensfreiheit und das Recht auf freie Ausübung aller Religionen garantiert, sofern diese nicht gegen ethische Grundsätze, gegen die guten Sitten oder gegen die öffentliche Ordnung verstoßen“. Auch wird darin festgeschrieben, dass es religiösen Organisationen gestattet ist, „Gotteshäuser zu errichten, soweit diese die Rechtsvorschriften in Bezug auf Gesundheitsschutz und Sicherheit erfüllen“. Des Weiteren wird garantiert, dass Gotteshäuser von der Steuer befreit sind, sofern sie ausschließlich für die angegebenen Zwecke genutzt werden.
„Eltern haben das Vorrecht und die Pflicht, Ihre Kinder zu erziehen“ (Artikel 19, 10), während die „Bildungsfreiheit das Recht einschließt, Bildungsstätten zu eröffnen, zu organisieren und zu betreiben“ (Artikel 19, 11).
Seit September 2017 sind Schwangerschaftsabbrüche unter drei Bedingungen legal. Sowohl Einzelpersonen, die einen medizinischen Beruf ausüben als auch Institutionen haben das Recht, aus Gewissensgründen die Durchführung von Abtreibungen abzulehnen.
In Chile genießen mehr als 4.000 anerkannte Glaubensgemeinschaften den Schutz der Verfassung und entsprechender Gesetze. Gemäß Gesetz Nr. 19.638 über die Rechtsstellung von Kirchen und religiösen Organisationen aus dem Jahr 1999 kann jede Glaubensgemeinschaft die Anerkennung als gemeinnützige Organisation beantragen. Das Justizministerium muss einem Antrag grundsätzlich zustimmen, kann aber innerhalb von 90 Tagen Mängel beanstanden, wenn die rechtlichen Vorgaben nicht erfüllt werden. Der Antragsteller hat dann 60 Tage Zeit, Widerspruch einzulegen oder gegen die Beanstandung zu klagen. Eine einmal erteilte Zulassung als gemeinnützige Organisation kann vom Staat nicht zurückgezogen werden. Die Katholische Kirche ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts und muss sich gemäß dem oben genannten Gesetz registrieren lassen.
Im Gesetz Nr. 19.638 wird auch festgeschrieben, dass niemand aufgrund seiner religiösen Überzeugungen diskriminiert werden darf. Die Religionsfreiheit und das Recht auf freie autonome Religionsausübung frei von Zwang sind hier verankert. Jeder hat das Recht, seinen freigewählten Glauben durch individuelle oder gemeinschaftliche gottesdienstliche Handlungen privat oder öffentlich zu bekennen, religiöse Feste zu begehen und religiöse Riten zu vollziehen oder dies zu unterlassen. Die Religionsfreiheit beinhaltet auch das Recht, den Glauben abzulegen. Anerkannte Glaubensgemeinschaften genießen im Bildungsbereich Autonomie und haben das Recht, eigene Schulen, Vereine und Organisationen zu gründen.
Gesetz Nr. 20.609 untersagt neben willkürlicher Diskriminierung auch jegliche Form der ungerechtfertigten Ausschließung oder Einschränkung, die Belastungen oder Beeinträchtigungen mit sich bringt oder aber die Ausübung der Grundrechte bedroht. Das gilt insbesondere, wenn die Diskriminierung auf die ethnische Herkunft oder Religion zurückzuführen ist.
Eine ungleiche Behandlung gilt jedoch als zumutbar, wenn andere legitime Grundrechte wie das Recht auf Gewissensfreiheit, Glaubensfreiheit oder freie Religionsausübung betroffen sind.
Wie schon im vergangenen Berichtszeitraum wurden in der konfliktgeplagten Region Araucanía mehrere Brandanschläge gemeldet. Von einer Reihe von Anschlägen im Juli und August 2018 waren insbesondere evangelische Kirchen betroffen.
Im Oktober 2019 kam es zu gesellschaftlichen Unruhen, die Teil einer breiteren Bürgerbewegung waren. Begleitetet wurde der soziale Aktivismus von gewalttätigen Protesten, die zur Zerstörung von öffentlichem und privatem Eigentum führten. Auch von wiederholten Angriffen und Vandalismus in Kirchen wurde berichtet. Aus einem Bericht der Nichtregierungsorganisation Comunidad y Justicia, die für die Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte (Inter-American Commission on Human Rights) vor Ort war, ging hervor, dass seit Oktober 2019 mindestens 57 Kirchen (51 Katholische und sechs Evangelische) Opfer von Vandalismus waren.
Somit war Religion in diesem Kontext weiterhin ein wichtiges Thema. Im November 2019 wurde im chilenischen Nationalkongress ein Gesetzesentwurf vorgelegt mit dem Ziel, härtere Strafen für kriminelle Handlungen gegen Gotteshäuser zu verhängen.
Im Dezember 2019 wurde Kardinal Francisco Javier Errázuriz Ossa, emeritierter Erzbischof von Santiago de Chile, in der Hauptstadt Santiago verbal dafür angegriffen, angeblich an der Vertuschung sexueller Missbrauchsfälle beteiligt gewesen zu sein. Im Januar 2020 ging ein Video viral, das eine Gruppe von Vermummten zeigte, die einen als Priester gekleideten Mann überfielen und aus einer Kirche zerrten; offiziellen Quellen zufolge handelte es sich bei dem Vorfall jedoch um eine Inszenierung.
Im selben Monat wurde die Heilige Messe zur Amtseinführung des neuen Erzbischofs von Santiago von einer Gruppe Demonstranten gestört, die während der Kommunion mit Tränengaskanistern um sich warfen. Im Süden Chiles wies das Berufungsgericht der Stadt Concepción eine Klage der örtlichen Erzdiözese gegen die Feierlichkeiten zum 8. Dezember (Tag der Unbefleckten Empfängnis) ab, aus Angst diese könnten zu Vandalismus führen . Am selben Tag fanden in mehreren Teilen des Landes Proteste statt, während derer es immer wieder zu Schmähungen gegen die Jungfrau Maria kam.
Als sich im Oktober 2020 die aktuellen sozialen Unruhen zum ersten Mal jährten, kam es zu weiteren Fällen von Vandalismus an Gotteshäusern. Unter anderem wurden auch bedeutende Kirchen wie die Pfarrkirche von La Asunción im Zentrum Santiagos, deren Kuppel „in Flammen zusammenbrach“, und die Kirche der Carabineros (Kirche der chilenischen Nationalpolizei) in Brand gesetzt.
Daraufhin kam es zu Treffen der Regierung mit unterschiedlichen Religionsgruppen. Gemeinsame Arbeitskommissionen und eine Beratungsgruppe für religiöse Angelegenheiten wurden ins Leben gerufen. Neben einem Beratungsgremium zum Religionsgesetz wurde auch ein interreligiöses Gremium zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie geschaffen. Noch ist allerdings unklar, wie viel damit bisher erreicht werden konnte. Im April 2019 wurde der muslimischen und jüdischen Gemeinde Land zur Errichtung eines Kulturzentrums und eines Holocaust-Museums zur Verfügung gestellt.
In den vergangenen zwei Jahren beschäftigten sich die Gerichte häufig mit Fragen der Religionsfreiheit. Ein Fernsehsender wurde im September 2019 zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Sender hatte einen Sketch gezeigt, in dem die Jungfrau Maria beleidigt wurde. Chiles Oberster Gerichtshof bestätigte das Urteil.
Im September 2019 gab der Oberste Gerichtshof dem Schutzantrag (recurso de protección) einer Pfarrei statt. Der Nachbar der Pfarrei hatte zuvor den Zugang zur Kapelle der Jungfrau Maria versperrt. Bezüglich der von den Zeugen Jehovas abgelehnten Bluttransfusionen wurde in einem Krankenhaus gerichtlich angeordnet, Transfusionen durchzuführen. In einem anderen Fall wurde eine Operation ohne Bluttransfusionen angeordnet.
In nur wenigen Jahren hat sich die Zahl ausländischer Glaubensgemeinschaften in Chile durch Einwanderung verdoppelt.
Vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie wurden beliebte religiöse Feste und Feiertage weiterhin gefeiert.
Nach Ausbruch der Pandemie rief die Regierung den Notstand aus, zu religiösen Angelegenheiten wurden keine besonderen Regulierungen bekannt gegeben. Versammlungen von mehr als 50 Personen wurden verboten. Einige regionale Behörden erließen Verordnungen, die ausschließlich religiöse Angelegenheiten betrafen und somit die Religionsfreiheit einschränkten. Diese Verordnungen wurden jedoch später wieder aufgehoben. Währenddessen wurden mehrere Anträge auf Rechtsschutz eingereicht, aber in zwei Fällen entschieden die Gerichte, ohne das Recht auf Religionsfreiheit zu berücksichtigen. In einem anderen Fall wurden die behördlichen Regulierungen als verfassungswidrig eingestuft, weswegen die Versammlungsfreiheit zur Religionsausübung aufrecht erhalten werden konnte.
Religiöse Organisationen trugen auf unterschiedliche Arten zum Kampf gegen die Pandemie bei. Sie unterstützen die Behörden bei ihren Entscheidungen und verzichteten auf das Feiern der Liturgien und Sakramente. Zur Bewältigung der Notlage stellten sie Einrichtungen wie beispielsweise Wohnungen und Unterkünfte für Erkrankte, aber auch Lebensmittel, religiösen Beistand, Unterstützung für Migranten etc. zur Verfügung.
Im Zeitraum 2018-2020 stieg die Zahl der Angriffe auf Kirchen. In der Vergangenheit konzentrierten sich diese auf jene Regionen des Landes, die von Konflikten mit den Mapuche geprägt sind. Seit Oktober 2019 kommt es jedoch in mehreren Städten zu einem Anstieg von Vandalismus und Gewalt gegen Kirchen. Dabei handelt es sich um ein Symptom der Intoleranz gegenüber Religion und um ein Zeichen dafür, dass der Staat unfähig ist, religiöse Einrichtungen zu schützen. Auch die Gerichte haben aufgrund ihres mangelnden Verständnisses für dieses Grundrecht versäumt, das Recht auf Religionsfreiheit aufrechtzuhalten. Die Perspektive für die nähere Zukunft ist dementsprechend negativ und gibt Grund zur Sorge.