In der „Präambel der Verfassung der Argentinischen Nation“ wird „der Schutz Gottes, Quelle jeglicher Vernunft und Gerechtigkeit“ erbeten. Artikel 2 lautet: „Die Bundesregierung stützt den römisch-katholisch-apostolischen Glauben.“ Artikel 14 sieht vor, dass jeder im Land das Recht auf freie Religionsausübung hat. In Artikel 73 heißt es: „Geistliche können keine Mitglieder des Kongresses sein.“ Gemäß Artikel 75, Absatz 22 obliegt es dem Kongress, „Verträge, die mit anderen Staaten und mit internationalen Organisationen geschlossen werden, sowie Konkordate mit dem Heiligen Stuhl zu genehmigen oder abzulehnen.“
Des Weiteren ist in Artikel 93 der Verfassung festgelegt, dass der Staatspräsident und der Vizepräsident bei ihrem Amtsantritt einen Eid ablegen, der mit ihren religiösen Überzeugungen vereinbar ist.
Ein Abkommen zwischen Argentinien und dem Heiligen Stuhl aus dem Jahr 1966 sieht vor, dass der Staat die Katholische Kirche und ihr Wirken im Land anerkennt. Zudem besteht ein Konkordat über die Militärgerichtsbarkeit und die religiöse Seelsorge in den Streitkräften.
Für bestimmte katholische Geistliche stellt der Staat öffentliche Mittel zur Verfügung.
Laut Artikel 126 (b) des argentinischen Bildungsgesetzes ist die Gewissensfreiheit von Schülern und Studenten zu achten. Artikel 128 (c) gesteht Eltern das Recht zu, die Bildungseinrichtung für ihre Kinder ihren religiösen Überzeugungen entsprechend zu wählen.
Nach Artikel 46 (c) des argentinischen Zivil- und Handelsgesetzbuchs ist die Katholische Kirche eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die ihren eigenen rechtlichen Strukturen unterliegt (Art. 147). Andere Kirchen, Glaubensgemeinschaften oder religiöse Organisationen sind gemäß Artikel 148 (e) juristische Personen des privaten Rechts und unterliegen ihren eigenen Regularien und Statuten ebenso wie dem Zivil- und Handelsgesetzbuch.
Mit Ausnahme der Katholischen Kirche müssen sich alle religiösen Organisationen im Nationalen Religionsregister eintragen lassen, um rechtliche Anerkennung zu erlangen.
Das argentinische Gesetz zu Arbeitsverträgen verbietet in Artikel 17 jegliche Diskriminierung von Arbeitnehmern und legt in Artikel 73 fest, dass kein Arbeitgeber das Recht hat, seine Angestellten zu deren religiösen Ansichten zu befragen.
Manche katholische Feste sind in Argentinien gesetzliche Feiertage. Menschen, die sich zu anderen Religionen (z. B. dem Judentum oder dem Islam) bekennen, können ebenfalls beantragen, dass ihre religiösen Feiertage arbeitsfreie Tage sind.
Geistliche haben das Recht, Informationen, von denen sie während der Ausübung ihres religiösen Amts Kenntnis erlangt haben, nicht zu offenbaren.
Gemäß Artikel 80 des argentinischen Strafgesetzbuchs wird Mord auch dann mit lebenslanger Haft geahndet, wenn ein religiöses Tatmotiv vorliegt. Nach Artikel 119 (b) wird in Fällen von sexuellem Missbrauch ein höheres Strafmaß angesetzt, wenn es sich bei dem Täter um ein Mitglied des Klerus handelt.
Nachdem der Senat im August 2018 gegen einen Gesetzesentwurf für den freiwilligen Schwangerschaftsabbruch gestimmt hatte, rief die Coalición Argentina por un Estado Laico (Argentinische Koalition für einen säkularen Staat) die Getauften aktiv zum Kirchenaustritt auf.
Im September 2018 löste in der Stadt Salta ein Seminar über eine Gesetzesinitiative zur Religionsfreiheit Widerstand unter Feministinnen aus. Im Gesetzesentwurf war vorgesehen, der Verweigerung aus Gewissensgründen mehr Spielraum zu geben. Die Kritikerinnen befürchteten, dass ein solches Gesetz neue Möglichkeiten zur Diskriminierung schaffe. So könnten beispielsweise Schulen mit Berufung auf dieses Gesetz künftig nur noch Schüler aufnehmen, deren Lebenswandel mit der religiösen Überzeugung des Trägers übereinstimmt .
Ebenfalls im September 2018 riefen Studenten auf einer Versammlung in Mendoza dazu auf, religiöse Symbole zu entfernen. Dadurch solle die Trennung von Kirche und Staat vorangetrieben werden. Als Konsequenz des Aufrufs wurde eine Marienstatue zerstört.
Im Oktober 2018 verbot die Regierung der Provinz Mendoza alle religiösen Aktivitäten und Feierlichkeiten in öffentlichen Bildungseinrichtungen.
Im selben Monat wurde ein Gesetzesentwurf vorgelegt, mit dem Straftatbestände gegen die Religions- und Kultusfreiheit in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden sollen.
Ebenfalls im Oktober 2018 einigte sich die argentinische Regierung mit der Katholischen Kirche auf einen Plan zur Einstellung der staatlichen finanziellen „Unterstützung des katholischen Kultus“. In einem „neuen Ansatz zur Gestaltung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat“ wird geregelt, dass die Gehälter des katholischen Klerus ab 2020 nicht mehr wie bisher mit 7 Prozent bezuschusst werden. Dieser Zuschuss betrug zuletzt 130 Millionen US-Dollar und muss künftig durch Kirchengelder aufgebracht werden. Die Katholische Kirche erhält jedoch weiterhin staatliche Zuwendungen für ihr soziales und erzieherisches Engagement.
Im November 2018 stimmte der Stadtrat von Rosario einem Antrag zur Entfernung von religiösen Bildnissen aus Schulen und Krankenhäuser zu.
Die Delegación de Asociaciones Israelitas Argentinas (DAIA; Delegation der argentinischen jüdischen Verbände) meldete für das Jahr 2018 834 Beschwerden über Antisemitismus – ein Anstieg um 107 % im Vergleich zum Vorjahr (404 Vorfälle). Die meisten Beschwerden betrafen antisemitische Beleidigungen im Internet.
Am 25. Februar 2019 wurde der Oberrabbiner Gabriel Davidovich in seinem Haus in Buenos Aires von fünf Personen überfallen und krankenhausreif geschlagen.
Im selben Monat verwüsteten Unbekannte einen jüdischen Friedhof in der Stadt San Luis und zerstörten dabei unter anderem Grabsteine aus Marmor und Bronzetafeln.
Im April 2019 entschied ein Gericht, dass Abtreibungsbefürworter eine künstlerisch verfremdete Marienstatue nur unter erheblichen Auflagen ausstellen dürfen. Die sogenannte „Abtreibungs-Jungfrau” sollte in einem öffentlichen Kulturzentrum gezeigt werden. Um die verfassungsmäßigen Rechte der Gläubigen zu schützen, ordnete das Gericht zunächst an, dass die Statue nur in einem geschlossenen Raum ausgestellt werden dürfe und dass an der Tür eine Warnung mit dem Hinweis angebracht werden müsse, das Bild könne religiöse Gefühle verletzen. Später ordnete das Gericht die völlige Entfernung des Bildnisses aus der Ausstellung an.
Im Mai 2019 organisierte die argentinische Botschaft am Heiligen Stuhl zusammen mit der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika einen runden Tisch zum Thema „Religiöser und kultureller Pluralismus in Lateinamerika: Herausforderungen und Chancen“. Dabei wurden die Möglichkeiten zur Förderung des interreligiösen Dialogs erörtert.
Im Juli 2019 jährte sich der Anschlag auf den Sitz des jüdischen Gemeindezentrums AMIA (Asociación Mutual Israelita Argentina) in Buenos Aires zum 25. Mal. Bei dem Attentat waren 85 Menschen getötet worden. Die jüdische Gemeinde und die Angehörigen der Opfer beklagten, dass es bis dato keine Verurteilung und daher keine Gerechtigkeit gegeben habe.
Am 29. September 2019 zerstörten nahe Buenos Aires Vandalen wenige Stunden vor Beginn des jüdischen Neujahrsfestes Rosch ha-Schana mehrere Gräber und einen Abschnitt der Mauer von La Tablada, dem größten jüdischen Friedhof des Landes.
Im Oktober 2019 verabschiedete die Abgeordnetenkammer der Provinz Santa Fe ein Gesetz, nach dem Ärzte und andere im Gesundheitswesen Tätige sich persönlich in einem Register eintragen müssen, sobald sie eine medizinische Tätigkeit aus Gewissensgründen verweigern. Die betreffenden Personen müssen ihre Personalien angeben und eine eidesstattliche Erklärung gegenüber den Behörden leisten.
Ebenfalls im Oktober 2019 versuchten Demonstrantinnen, die während des 34. Nationalen Frauentreffens gegen die Haltung der Katholischen Kirche zur Abtreibung protestierten, die Kathedrale in La Plata in Brand zu setzen. Dabei warfen einige Aktivistinnen zudem Steine auf Polizisten und Kirchenbesucher.
Im November 2019 wurden die Ergebnisse der „zweiten landesweiten Umfrage zu religiösen Überzeugungen und Einstellungen“ veröffentlicht. Demzufolge glauben acht von zehn Argentiniern an Gott; die Zahl der Religionslosen ist im Vergleich zur ersten Umfrage dennoch gestiegen: 2008 waren noch neun von zehn Argentiniern gläubig.
Ebenfalls im November 2019 wurde ein Gesetzesentwurf zur festen Einführung eines „Tages der Religionsfreiheit“ vorangebracht.
Im selben Monat fand die „Nacht der Tempel“ in Buenos Aires statt. Zu diesem Anlass öffneten die Gotteshäuser verschiedener Religionen ihre Türen, um interessierten Besuchern ihre Bräuche und Traditionen vorzustellen.
Gleichzeitig wurde der Consejo Argentino de Diálogo Interreligioso (Argentinischer Rat für interreligiösen Dialog) ins Leben gerufen, in dem die Katholische Kirche, die jüdische Gemeinschaft, das islamische Zentrum und der Bund der evangelischen Kirchen vertreten sind.
Im Dezember 2019 trat ein Protokoll in Kraft, dem zufolge Abtreibungen straffrei bleiben, wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist oder eine Gefahr für das Leben der Frau darstellt. Das Protokoll, das den Rang eines Praxisleitfadens hat, sieht unter anderem vor, dass ein Mediziner, der eine Abtreibung aus Gewissensgründen nicht vornehmen will, als „Verweigerer“ erfasst wird. Falls es ihm nicht gelingt, rechtzeitig einen Fachkollegen zu finden, der den Schwangerschaftsabbruch durchführen kann, ist er dazu verpflichtet, diesen selbst vorzunehmen. Der Gesundheitsminister betonte in diesem Zusammenhang: „Wir respektieren die Verweigerung aus Gewissensgründen, aber sie darf nicht als institutionelles Alibi für die Nichteinhaltung des Gesetzes herhalten.“
Im Januar 2020 wurde bekannt, dass die kommende Volkszählung auch eine Frage zur Religionszugehörigkeit enthalten werde. Dies war in den vergangenen 60 Jahren nicht der Fall.
Im November 2020 legte die Regierung unter Alberto Fernández einen neuen Gesetzesentwurf zur Legalisierung von Abtreibungen vor. Die Debatte dazu im Nationalkongress begann im Dezember. In dem neuen Gesetz ist die Möglichkeit vorgesehen, bis zur 14. Schwangerschaftswoche eine Abtreibung ohne Angabe von Gründen vornehmen zu können. Ein Schwangerschaftsabbruch wäre auch über diesen Zeitpunkt hinaus möglich, wenn die Schwangerschaft mit einem Gesundheitsrisiko für die Frau verbunden ist. Aus dem bereits erwähnten Protokoll behält der Gesetzesentwurf bei, dass eine Verweigerung aus Gewissensgründen möglich ist, der betroffene Mediziner jedoch in der Pflicht steht, einen Fachkollegen zu finden, der den Abbruch umgehend vornimmt.
Im November 2020 wurde die katholische Kathedrale Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz in Moreno mit grüner Farbe (in Argentinien die Symbolfarbe der Abtreibungsbefürworter) verunstaltet. Dies geschah am Vortag einer großen Demonstration der Pro-Life-Bewegung.
Nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie im März 2020 verhängte die argentinische Regierung präventiv eine strikte Ausgangssperre. Auch religiöse Veranstaltungen wurden verboten. Geistliche durften sich jedoch weiter frei bewegen, um geistlichen Beistand zu leisten. Im Mai 2020 durften Einzelpersonen Gotteshäuser wieder besuchen; Zeremonien, bei denen sich mehrere Menschen versammeln, blieben jedoch untersagt.
Die Katholische Kirche setzte Heilige Messen und die Kreuzweg-Prozession am Karfreitag aus. Abgesagt wurde 2020 auch die traditionelle Wallfahrt zur Jungfrau von Luján. Im Juni 2020 protestierte eine evangelische Kirche in der Provinz Santa Fe gegen die Entscheidung des Gouverneurs, dass bei Gottesdiensten höchstens zehn Personen anwesend sein dürften.
Im September 2020 wurden infolge eines Beschlusses auf Bundes- und Provinzebene die Standesämter im Land mehrheitlich geschlossen und alle religiösen Trauungen verboten. Der argentinische Rat für Religionsfreiheit äußerte sich besorgt über dieses Verbot geistlicher Eheschließungen. Dies sei ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit.
Im Allgemeinen wird die Religionsfreiheit in Argentinien anerkannt und respektiert. So wurde beispielsweise ein Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Aufnahme von Straftatbeständen gegen die Religions- und Kultusfreiheit in das Strafgesetzbuch vorsieht.
Im Berichtszeitraum war jedoch ein bedeutender Anstieg von durch Hass motivierter Kriminalität im Land zu verzeichnen. Vor allem tätliche Angriffen auf religiöse Oberhäupter und Gläubige sowie Vandalismus an religiösen Gebäuden, Gegenständen und Symbolen nahmen stark zu. Besonders betroffen von diesen Vorfällen waren die jüdischen und christlichen Glaubensgemeinschaften.
Zunehmend werden in Argentinien Forderungen laut, Kirche und Staat grundlegend zu trennen. Die Frage, welchen Raum Religion in der Öffentlichkeit einnehmen darf, wird kontrovers diskutiert und entschieden. Es häufen sich Fälle, in denen regionale Behörden religiöse Aktivitäten und Feiern in öffentlichen Bildungseinrichtungen verbieten. Auch werden auf entsprechende Anträge hin immer mehr religiöse Bildnisse aus Schulen und Krankenhäusern entfernt.
Während der Covid-19-Pandemie haben die Behörden den Infektionsschutz größtenteils über das Grundrecht auf Religionsfreiheit gestellt.
Die Zukunftsaussichten für die Religionsfreiheit in Argentinien sind daher, obwohl weiterhin von der Verfassung garantiert, schwer vorherzusagen. Fest steht, dass das religiöse Bekenntnis im öffentlichen Raum stark unter Druck geraten ist und persönliche Gewissensentscheidungen nicht in jedem Fall respektiert werden.