Sunnitische Muslime machen zwischen 84,7 % und 89,7 % der afghanischen Bevölkerung aus. Der Rest sind zumeist Schiiten (10 bis 15 %), darunter vor allem Mitglieder der ethnischen Gruppe der Hazara. Die Verfassung des Landes erkennt offiziell 14 Ethnien an, darunter Paschtunen, Tadschiken, Hazara und andere. Die Paschtunen leben vorwiegend im Süden und Südosten des Landes und machen mit ungefähr 42 % der Bevölkerung die größte Gruppe aus, gefolgt von den im Norden und Nordosten lebenden Tadschiken mit ungefähr 27 %, den Hazara mit 9 %, den Usbeken mit 9 %, den Turkmenen mit 3 % und den Belutschen mit 2 %. Andere Bevölkerungsgruppen machen zusammen etwa 8 % aus.
Insgesamt leben schätzungsweise 550 Sikhs und Hindus im Land; 2018 waren es noch 900. Dieser zahlenmäßige Abwärtstrend setzt sich fort, da sich die Migranten vom Staat nicht ausreichend geschützt fühlen und daher zumeist nach Indien auswandern. Über die Zahl von Mitgliedern anderer Glaubensrichtungen, wie Christen und Bahai, gibt es keine zuverlässigen Angaben, da sie ihre Religion nicht offen praktizieren. Nach einer großen, durch mangelnde Sicherheit getriebenen Auswanderungswelle nach Israel Ende des 20. Jahrhunderts ist lediglich ein Jude im Land verblieben.
In der Präambel der afghanischen Verfassung heißt es: „Wir, das Volk von Afghanistan,“ glauben fest „an den heiligen Gott, den Allmächtigen, und vertrauen auf den Willen des erhabenen Gottes und an die heilige Religion des Islam“, und würdigen „die Opfer, die historischen Kämpfe, den Heiligen Krieg (Dschihad) und den gerechten Widerstand aller Menschen Afghanistans und respektieren die hohe Stellung der Märtyrer zur Befreiung des Landes“.
Artikel 1 stellt fest: „Afghanistan ist eine Islamische Republik, ein unabhängiger, unitarischer und unteilbarer Staat.“ Weiter heißt es in Artikel 2: „Die Religion des Staates der Islamischen Republik Afghanistan ist die heilige Religion des Islam.“ Artikel 3 bekräftigt, dass „in Afghanistan kein Gesetz dem Glauben und den Bestimmungen der heiligen Religion des Islam widersprechen darf.“ Artikel 62 legt fest, dass der Präsident Muslim sein muss.
Artikel 2 besagt außerdem, dass „die Anhänger anderer Religionen frei sind, ihrem Glauben zu folgen und ihre religiösen Riten im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen auszuüben.“ Einige Gesetze und lokale Traditionen beschränken jedoch die Freiheit von religiösen Minderheiten, angefangen mit dem Islamischen Recht (Scharia) als Rechtsquelle. Beispielweise steht in Artikel 1 des Strafgesetzbuches von 1976: „Wer ein Hudud-, Qisas- oder Diat-Verbrechen begeht, wird entsprechend den Regeln des islamischen Religionsrechts bestraft (Hanafi-Rechtsschule).“
Da Apostasie und Blasphemie in Afghanistan unter die sieben Hudud-Verbrechen fallen, werden sie durch die Scharia geregelt und entsprechend mit der Todesstrafe geahndet. Für Apostasie empfiehlt die Hanafi-Rechtsschule drei Tage Gefängnis vor der Hinrichtung, obgleich der Aufschub der Hinrichtung des muslimischen Apostaten nicht zwingend vorgeschrieben wird. Männliche Apostaten sind zu töten, während weibliche in Isolationshaft gehalten und alle drei Tage geschlagen werden müssen, bis sie ihre Abkehr vom Islam widerrufen und zum Islam zurückkehren. Blasphemie umfasst in Afghanistan auch anti-islamische Schriften oder Reden und kann mit der Todesstrafe bestraft werden, wenn der Angeklagte seine Entscheidung nicht innerhalb von drei Tagen zurücknimmt. Jeder Muslim, der zu einer anderen Religion konvertiert, kann gemäß der sunnitischen Hanafi-Rechtsschule getötet, eingesperrt oder enteignet werden.
Islamischer Religionsunterricht ist an staatlichen wie an privaten Schulen Pflicht. In Artikel 17 der Verfassung heißt es: „Der Staat ergreift notwendige Maßnahmen zur Förderung von Bildung und Erziehung auf allen Ebenen, zur Entwicklung von religiöser Bildung, zur Regelung und zur Verbesserung der Lage der Moscheen, der religiösen Schulen (madaris) sowie der religiösen Zentren.“ In Artikel 45 heißt es weiter: „Der Staat entwickelt und verwirklicht einen einheitlichen, auf den Vorschriften der heiligen Religion des Islam […] beruhenden Lehrplan.”
Schiiten, vorwiegend ethnische Hazara, werden in Afghanistan am stärksten diskriminiert. Sie sind mit gesellschaftlicher Diskriminierung aufgrund von Schicht, Ethnie und religiösen Grenzen konfrontiert. Diese kann sich in illegaler Besteuerung, Zwangsrekrutierung und -arbeit, körperlichem Missbrauch oder Inhaftierung äußern. Eine Studie der Asia Foundation (Asien-Stiftung) hat 2019 herausgefunden, dass die Hazara Sicherheitsbedenken eher als Grund für das Verlassen Afghanistans anführen als andere ethnische Gruppen im Land (81,7 % der Befragten).
Der Anschlag vom 25. März 2020 auf einen Sikh-Tempel (Gurdwara) in Kabul lenkte die Aufmerksamkeit der Welt auf die Notlage der indigenen Sikh- und Hindu-Minderheiten, die sich darüber beklagen, dass sie Ziel sowohl lokaler Krimineller als auch religiöser Extremisten würden. Zwar dürfen Hindus und Sikhs seit 2016 im afghanischen Parlament vertreten sein und ihren Glauben in öffentlichen Gebetsstätten praktizieren. Angesichts anhaltender Diskriminierung und fortdauernder Anschläge verlassen viele jedoch das Land. Diejenigen, die geblieben sind, beklagen den Verlust von Gebetsstätten. Nach Angaben des Sikh and Hindu Council (Rat der Sikh und Hindus) gibt es noch elf Gurdwaras (Sikh-Tempel) und zwei Mandirs (Hindutempel) im Land; in der Vergangenheit waren es noch insgesamt 64.
Obgleich es keine expliziten Einschränkungen für religiöse Minderheitengruppen in Bezug auf die Einrichtung von Gebetsstätten oder die Ausbildung von Geistlichen gibt, sind ihre Möglichkeiten in der Praxis begrenzt. Einige Botschaften stellen Nicht-Afghanen Gebetsstätten zur Verfügung. Die von den USA geführte Militärkoalition besitzt Räumlichkeiten, in denen nicht-muslimische Gottesdienste abgehalten werden können. Öffentliche Kirchen gibt es nicht; die einzige katholische Gebetsstätte befindet sich in der italienischen Botschaft.
Das Christentum wird als westliche Religion angesehen, die Afghanistan fremd ist. Ein Jahrzehnt internationaler Militärpräsenz hat das allgemeine Misstrauen gegenüber Christen noch verstärkt. In der Öffentlichkeit herrscht offene Feindseligkeit gegenüber Christen, die Muslime bekehren. Afghanische Christen beten alleine oder in kleinen Gruppen in Privatwohnungen. Nach Angaben christlicher Missionsgemeinschaften gibt es kleine Untergrund-Hauskirchen im ganzen Land, jede mit weniger als zehn Mitgliedern. Trotz einer Verfassungsklausel, die religiöse Toleranz garantiert, sind diejenigen, die offen ihren christlichen Glauben praktizieren oder vom Islam zum Christentum konvertieren, weiterhin gefährdet.
Die Katholische Kirche ist in Afghanistan in Form einer Mission sui juris präsent; diese ist bei der italienischen Botschaft in Kabul angesiedelt. Ihr erster Superior, der italienische Barnabitenpriester Pater Giuseppe Moretti, schied im November 2014 aus dem Amt. Die Amtseinführung seines Nachfolgers, des italienischen Barnabitenpriesters Pater Giovanni Scalese, fand im Januar 2015 statt. 2019 kehrte Pater Giuseppe Moretti für kurze Zeit nach Kabul zurück und berichtete, dass lediglich zehn Personen die Messe in der italienischen Botschaft besuchten.
Im Hinblick auf religiöse Orden gibt es drei Ordensschwestern der Kleinen Schwestern Jesu, die in der öffentlichen Gesundheitsversorgung arbeiten, fünf Schwestern aus dem von Mutter Teresa gegründeten Orden Missionarinnen der Nächstenliebe, die sich um Waisen, behinderte Kinder und alleingelassene Mädchen kümmern und die 240 armen Familien Hilfe zuteilwerden lassen, sowie drei Schwestern der interkonfessionellen Gemeinschaft Pro Bambini di Kabul (PBK), die sich um ungefähr 40 behinderte Kinder kümmern.
Die Gemeinde der Ahmadi-Muslime zählt heute noch ungefähr 450 Mitglieder im Vergleich zu 600 im Jahr 2017. Über die afghanische Gemeinschaft der Bahai gibt es nur wenige Daten. Ihre Mitglieder leben im Untergrund, seit die General Directorate of Fatwas and Accounts (Generaldirektion für Fatwas und Finanzen) des Obersten Gerichtshofs von Afghanistan im Jahr 2007 entschieden hatte, dass ihr Glaube blasphemisch und ihre Anhänger Ungläubige seien.
Die schiitischen Hazara leben mehrheitlich in den zentralen und westlichen Provinzen sowie in Kabul. Die muslimischen Ismailiten leben überwiegend in Kabul und den zentralen und westlichen Provinzen. Die Ahmadi-Muslime findet man, wie auch die Bahai, hauptsächlich in Kabul. Die Bahai haben jedoch auch eine kleine Gemeinde in Kandahar.
Der Berichtszeitraum begann mit den kompliziertesten Parlamentswahlen in der jüngeren Geschichte Afghanistans. Begleitet von Anschlägen fand die Stimmabgabe am 20., 21. und 27. Oktober 2018 statt. Beginnend mit der Wählerregistrierung am 14. April und während des gesamten Wahlkampfzeitraums bestätigte die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) 152 wahlbezogene Sicherheitsvorfälle, die zu 496 zivilen Opfern (156 Tote und 340 Verletzte) sowie zur Entführung von 245 Zivilisten führten. Schulen und Moscheen, die für die Registrierung von Wählern genutzt wurden, waren das Ziel dutzender Anschläge. Die Aktionen der Taliban zwangen viele Afghanen dazu, sich zwischen ihrem Recht auf die Teilnahme am politischen Wahlprozess und ihrer eigenen Sicherheit zu entscheiden.
Nach den Wahlen ging die Zahl der zivilen Opfer erstmals zurück. 2018 war mit 3.804 zivilen Opfern das schlimmste Jahr in dieser Beziehung in Afghanistan, im Jahr 2019 waren es 3.403 und in den ersten neun Monaten des Jahres 2020 waren es 2.117 zivile Opfer. Die lang ersehnten afghanischen Friedensgespräche haben jedoch noch nicht zu den erwarteten durchschlagenden Erfolgen geführt. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die den Taliban angelastet wird, ist allein in den ersten neun Monaten des Jahres 2020 um sechs Prozent gestiegen.
Anschläge auf Gebetsstätten, religiöse Oberhäupter und Gläubige sind nicht wesentlich zurückgegangen. 2019 hat die UNAMA 20 solcher Anschläge dokumentiert – im Vergleich zu 22 im Jahr 2018. Diese führten zu 236 zivilen Opfern (80 Tote und 156 Verletzte), verglichen mit 453 Opfern (156 Tote und 297 Verletzte) im Jahr 2018.
Die Anschläge setzten sich 2020 fort, offizielle Daten dafür liegen aber noch nicht vor. Daher bleibt die Gewalt gegen religiöse Minderheiten und religiöse Oberhäupter – insbesondere verübt durch Anti-Regierungskräfte wie die Taliban und den Islamischen Staat in der Khorsan Provinz (ISKP) – Grund zur Sorge. Zwei positive Ereignisse sollten dennoch erwähnt werden: Am 29. Februar 2020 unterzeichneten die USA und die Taliban in Doha das Agreement for Bringing Peace to Afghanistan (Friedensabkommen für Afghanistan). Die Bestimmungen beinhalten a) einen vollständigen Abzug der US-amerikanischen und NATO-Truppen aus Afghanistan; b) die Verpflichtung der Taliban, zu verhindern, dass Al-Qaida in von den Taliban kontrollierten Gebieten operiert und c) Gespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung. Letztere wurden zwar am 12. September 2020 in Doha eröffnet, dennoch setzten sich die Anschläge im Land fort.
Die schiitischen Muslime sind nach wie vor das Hauptziel der Anschläge. Terroranschläge gegen die schiitische Gemeinschaft, ihre Führung, Wohngegenden, Festivals und Gebetsstätten haben sich in den letzten Jahren intensiviert. Am 3. August 2018 haben zwei Männer bei einem Anschlag auf eine schiitische Moschee in der Stadt Gardez, Provinz Paktia, 29 Menschen getötet und mehr als 80 verletzt. Am 15. August und 5. September 2018 trafen zwei Anschläge die schiitische Gemeinde in Dashte Barchi, ein vorwiegend von Hazara bewohntes Stadtviertel im westlichen Kabul. Der erste Anschlag galt einem Gebäude, in dem Abiturienten gerade ihre Aufnahmeprüfungen für die Universität ablegten. 48 Menschen, darunter 34 Studenten, kamen ums Leben, 67 wurden verletzt. Der zweite Anschlag war ein zweifaches Selbstmordattentat auf den Maiwand-Ringerklub in Qala-e-Nazer, bei dem mindestens 26 Menschen getötet und 91 verletzt wurden. Für beide Anschläge übernahm der ISKP die Verantwortung, dessen Ziel die Errichtung eines globalen „Kalifats“ ist. Zur Erreichung dieses Ziels müssten all diejenigen getötet werden, die sich nicht der extremistischen Auslegung des Islam anschließen, einschließlich jener Muslime, die nach Meinung der Fanatiker eine „korrupte Form“ des Islam praktizieren. Dies betrifft insbesondere die Schiiten.
Der Selbstmordanschlag auf eine Hochzeitsfeier in Kabul am 17. August 2019 ging ebenfalls auf das Konto des ISKP. Mindestens 92 Menschen wurden getötet, mehr als 140 verletzt. In einer Stellungnahme auf der Messaging-App Telegram schrieb die Dschihadisten-Gruppe, dass sich einer ihrer Kämpfer auf die Hochzeitsfeier eingeschleust und eine Bombe inmitten einer Ansammlung von „Ungläubigen“ gezündet hätte.
Seit 2017 hat es im vorwiegend von Hazara bewohnten Stadtviertel Dashte Barchi zahlreiche Anschläge auf Zivilisten gegeben. Am 6. März 2020 stürmte ein Amokschütze eine Gedenkfeier für Abdul Ali Mazari, den Anführer der Hazara-Minderheit in Afghanistan, der 1995 von den Taliban umgebracht worden war. Dies war der erste schwerwiegende Zwischenfall in der afghanischen Hauptstadt seit der Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban; mindestens 29 Menschen kamen dabei ums Leben.
Am 12. Mai 2020 geschah ein weiterer Anschlag im selben Wohnviertel. Dieses Mal war das Ziel die Entbindungsstation des Krankenhauses in Dashte Barchi. Ein Amokschütze tötete 15 Menschen, darunter zahlreiche Krankenschwestern, Mütter und Neugeborene. Während in Doha die afghanischen Friedensgespräche stattfanden, wurde ein weiterer massiver Selbstmordanschlag auf die schiitische Hazara-Gemeinschaft in Kabul verübt. Bei einer Explosion am 24. Oktober 2020 vor dem Bildungszentrum Kawsar-e Danish kamen 30 Menschen ums Leben und 70 wurden verletzt, unter ihnen vor allem Schüler und Studenten im Alter von 15 bis 26 Jahren, die gerade Unterricht hatten.
Sunnitische Gebetsstätten sind ebenfalls Ziel zahlreicher Anschläge gewesen, wie beispielsweise am 12. Juni 2020 die Sher-Shah-Suri-Moschee bei einer Attacke während der Freitagsgebete. Der bekannte Religionslehrer und Imam Mawlawi Azizullah Mofleh wurde dort zusammen mit drei Gläubigen getötet. Selbst die Taliban verurteilten diesen Gewaltakt.
Die Taliban ihrerseits setzten die Ermordung von Religionsführern fort und drohten ihnen mit dem Tod, falls sie Botschaften predigen, die der Auslegung des Islam durch die Taliban oder ihrer politischen Agenda widersprachen. Am 26. Mai 2019 wurde der prominente Religionsführer Mawlavi Shabir Ahmad Kamawi in Kabul erschossen. Er hatte zuvor als Rechtsberater für die International Legal Foundation for Afghanistan (Internationale Rechtsstiftung für Afghanistan) in Kabul gearbeitet und die Taliban aufgerufen, die Kämpfe einzustellen.
Berichten zufolge sollen die Taliban Mullahs immer wieder davor warnen, Trauerfeiern mit Gebeten für staatliche Sicherheitsbeamte abzuhalten. Nach Angaben des Ministry of Hajj and Religious Affairs (Ministerium für Hadsch und Religiöse Angelegenheiten, MOHRA) haben Imame darum tatsächlich Angst davor, Bestattungsrituale für Staatsbedienstete auszuführen. Im August 2020 berichteten die Medien davon, dass die Taliban Druck auf einheimische Imame ausüben würden. Diese sollten ihre Beziehung zur Regierung abbrechen und sich zugunsten der Taliban positionieren, andernfalls müssten sie mit Vergeltung durch die Taliban rechnen.
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Religionsfreiheit waren erheblich. Da die italienische Botschaft in Kabul am 23. März 2020 geschlossen wurde, war auch der Zugang zur Katholischen Kirche, die sich innerhalb der Botschaft befindet, versperrt. Die meisten Katholiken haben Afghanistan kurz nach dem Ausbruch der Pandemie verlassen.
COVID-19 hat sich in 30 der 34 Provinzen des Landes ausgebreitet und der am 28. März 2020 verhängte Lockdown hatte auch auf die religiöse Praxis der Muslime Auswirkungen, insbesondere auf die Ramadanfeiern. Das MOHRA hat festgelegt, dass die Menschen in den Gebieten, die vom Lockdown betroffen sind, zu Hause beten sollen und nicht in die Moscheen gehen dürfen. Minister Abdul Hakim Munib sagte hingegen, dass Menschen, die in der Moschee beten möchten, dies unter Beachtung der behördlichen Gesundheitsrichtlinien auch tun könnten. In Herat allein wurden Ende März 2020 ungefähr 500 Moscheen geschlossen, während religiöse Geistliche Fatwas erteilten und die Menschen aufriefen, zum Beten nicht in die Moscheen zu gehen. Am 22. Mai erklärte das MOHRA, dass Personen mit COVID-19-Symptomen Menschenansammlungen am Eid-al-Fitr (Fest des Fastenbrechens) meiden sollten.
Der Beginn der Pandemie fiel mit einem der blutigsten Anschläge auf die Sikh-Minderheit zusammen. Am 25. März 2020 stürmten drei bewaffnete Attentäter die Guru-Har-Rai-Gurdwara-Gebetsstätte im Bezirk Shor Bazar in Kabul. Bei dem Anschlag wurden 25 Menschen getötet und 15 verletzt. Ungefähr 150 Personen hielten sich zu dem Zeitpunkt im Tempel auf und die Angreifer lieferten sich ein sechsstündiges Feuergefecht mit den Sicherheitskräften. Der ISKP bekannte sich zu dem Anschlag. Nach diesem tödlichen Zwischenfall drückten viele Sikhs und Hindus ihren Wunsch aus, das Land zu verlassen und baten die amerikanische Regierung um Asyl. Der amerikanische Kongress reagierte mit der Verabschiedung einer Resolution, nach der sich die afghanischen Sikhs und Hindus gemäß dem US Refugee Admissions Program (US Programm für die Aufnahme von Flüchtlingen) im Rahmen des Immigration and Nationality Act (Einwanderungsgesetz) in den USA niederlassen dürften. Indien bot ebenfalls an, die afghanischen Sikhs und Hindus aufzunehmen.
Im Berichtszeitraum hat es historische positive Schritte in Afghanistan gegeben: Das US-Taliban-Abkommen, die inner-afghanischen Friedensgespräche sowie das Abkommen über die Machtaufteilung zwischen Präsident Ashraf Ghani und seinem Widersacher, Abdullah Abdullah. Dennoch ist die Zahl der Anschläge im Land nicht zurückgegangen.
Besondere Sorge bereitet, neben den Taliban, die Anwesenheit des ISKP. Dieser wächst weiter, insbesondere nach der Niederlage des IS in Syrien und im Irak. Im Gegensatz zu den Taliban schließen sich dem ISKP immer mehr junge Afghanen aus der Mittelschicht an. Der ISKP vergrößert sich außerdem durch aus Syrien kommende Dschihadisten sowie durch eine neue Welle von Überläufern der Taliban und von Dshihadisten-Gruppen mit Verbindungen zu Al-Qaida. Diese Überläufer sind bedeutsam, da mit ihnen Hunderte erfahrene Kämpfer den ISKP verstärken. Zudem glauben die ISKP-Anführer, dass es großes Potenzial zur Anwerbung vieler weiterer Kämpfer gibt, da sich auch unter den Taliban breiter Widerstand gegen die Friedensgespräche regt.
Hinzu kommen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie in einem Land, in dem 14 Millionen Menschen beschränkten Zugang zu Nahrungsmitteln haben. Aus gesundheitlicher Sicht ist die Situation ebenfalls besorgniserregend. Bis Oktober 2020 gab es in Afghanistan 41.975 Corona-Fälle; ein weiterer Anstieg würde das gesamte Gesundheitssystem des Landes in Gefahr bringen. Nach Angaben des Global Health Security Index, der den Vorbereitungsstand zum Umgang mit Epidemien und Pandemien misst, gehört Afghanistan zu den am schlechtesten auf die Pandemie vorbereiteten Ländern der Welt.
Angesichts dessen und mit Blick auf das extrem niedrige Sicherheitsniveau im Land gibt es momentan wenig Hoffnung darauf, dass sich die Lage der Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf Religionsfreiheit, in Afghanistan bald verbessern wird.