Die wichtigsten Ergebnisse
Verstöße gegen die Religionsfreiheit sind in nahezu einem Drittel der Länder der Erde (31,6 %), in denen wiederum zwei Drittel der Weltbevölkerung leben, an der Tagesordnung. In 62 von insgesamt 196 Ländern wird die Religionsfreiheit schwerwiegend verletzt. In diesen Ländern leben fast 5,2 Mrd. Menschen, denn zu den schlimmsten Rechtsverletzern gehören einige der bevölkerungsreichsten Staaten der Erde (China, Indien, Pakistan, Bangladesch und Nigeria). Hinweise zur Klassifizierung:
- Die Kategorie „Rot“ weist auf Verfolgung hin; sie umfasst 26 Länder, in denen 3,9 Mrd. Menschen leben – etwas mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung (51 %). Darunter sind zwölf afrikanische Staaten sowie mit China und Myanmar (Birma) zwei Länder, gegen die wegen möglichen Völkermordes ermittelt wird:
- Die Kategorie „Orange“ weist auf Diskriminierung hin; sie umfasst 36 Länder, in denen 1,24 Mrd. Menschen leben. In neun dieser Länder konnten leichte Verbesserungen der Situation festgestellt werden, in 20 Ländern allerdings eine Verschlechterung.
- Als „unter Beobachtung“ klassifiziert sind Länder, in denen neu auftretende Faktoren beobachtet wurden, die das Potenzial haben, einen grundlegenden Zusammenbruch der Religionsfreiheit zu verursachen. In den Karten der Regionalen Analyse sind sie mit dem Symbol einer Lupe gekennzeichnet.
- In allen zuvor genannten Kategorien tritt Hasskriminalität auf (vorurteilsgeleitete Angriffe auf religiöse Menschen bzw. religiöses Eigentum).
- Alle übrigen Länder wurden nicht klassifiziert, was aber nicht unbedingt bedeutet, dass dort im Hinblick auf das Grundrecht der Religionsfreiheit ideale Bedingungen herrschen.
In den Hauptkategorien hat das Ausmaß an Verfolgung und Unterdrückung im Berichtszeitraum deutlich zugenommen.
- Transnationale dschihadistische Netzwerke, die sich über den Äquator ausdehnen, streben die Errichtung transkontinentaler „Kalifate“ an. Der sogenannte Islamische Staat (IS) und al-Qaida schließen sich – mit ideologischer und materieller Unterstützung aus dem Nahen Osten – mit einheimischen bewaffneten Milizen zusammen und treiben deren Radikalisierung voran, um entlang des Äquators „Provinzen des Kalifats“ zu errichten; ein Halbmond dschihadistischer Gewalt erstreckt sich mittlerweile in Subsahara-Afrika von Mali bis Mosambik und weiter über die Komoren im Indischen Ozean bis hin zu den Philippinen im Südchinesischen Meer.
- Ein global expandierendes „Cyber-Kalifat“ ist nunmehr ein gängiges Instrument der Online-Rekrutierung und Radikalisierung im Westen. Islamistische Terroristen nutzen ausgefeilte digitale Technologien, um zu rekrutieren, zu radikalisieren und Anschläge zu verüben. Terrorismusbekämpfungsstellen ist es zwar bisher nicht gelungen, die Online-Kommunikation der Terroristen auszuschalten, doch konnten sie Attentate in mehreren westlichen Ländern vereiteln.
- Religiöse Minderheiten werden für die Pandemie verantwortlich gemacht. Bereits bestehende gesellschaftliche Vorurteile gegenüber religiösen Minderheiten in Ländern wie China, Niger, der Türkei, Ägypten und Pakistan führten während der Covid-19-Pandemie zu verstärkter Diskriminierung, die sich z. B. in der Verweigerung des Zugangs zu Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung äußerte.
- Verschärfung religiöser Verfolgung durch autoritäre Regierungen und fundamentalistische Gruppen. In einigen asiatischen Ländern mit überwiegend hinduistischer oder buddhistischer Bevölkerung haben mehrheitsgesellschaftliche Grundströmungen eines religiösen Nationalismus – manipuliert von Regierungen und religiösen Oberhäuptern, die sich entsprechend vereinnahmen lassen – dazu geführt, dass sich eine ethnoreligiöse Vorherrschaft etabliert hat. Dadurch werden Angehörige religiöser Minderheiten zunehmend unterdrückt und de facto zu Bürgern zweiter Klasse degradiert.
- Sexuelle Gewalt wird als Waffe gegen religiöse Minderheiten eingesetzt. In immer mehr Ländern sind Verbrechen gegen Mädchen und Frauen zu verzeichnen, die entführt, vergewaltigt und durch Zwangskonversion zum Glaubenswechsel gezwungen werden. Angesichts der wachsenden Zahl derartiger Rechtsverletzungen, die häufig straffrei begangen werden, mehren sich Hinweise, dass es sich um eine fundamentalistische Strategie handeln könnte, mit der letzten Endes das „Verschwinden“ bestimmter Religionsgemeinschaften beschleunigt werden soll.
- Repressive Überwachungstechnologien nehmen zunehmend Glaubensgemeinschaften ins Visier. In China sorgen 626 Mio. KI-gestützte Überwachungskameras und Smartphone-Scanner an wichtigen Fußgängerkontrollpunkten, die mit Analyseplattformen verbunden und an ein integriertes Sozialkreditsystem gekoppelt sind, dafür, dass religiöse Oberhäupter und Gläubige sich an die Verordnungen der Kommunistischen Partei halten.
- 30,4 Mio. Muslime in China und Myanmar (darunter Uiguren und Rohingya) sind schwerwiegender Verfolgung ausgesetzt. Die internationale Gemeinschaft hat gerade erst damit begonnen, das Völkerrecht anzuwenden, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten.
- Im Westen werden Instrumente, mit denen sich Radikalisierung vorbeugen lässt, über Bord geworfen. Obwohl Regierungen anerkennen, dass die Behandlung der Weltreligionen in der Schule Radikalisierungstendenzen verringert und das interreligiöse Verständnis bei Jugendlichen fördert, schaffen immer mehr Länder den Religionsunterricht ab.
- Höfliche Verfolgung. Dieser Begriff spiegelt den Siegeszug neuer „Rechte“ bzw. kultureller Normen wider, die darauf abzielen, die Religionen „zum Schweigen zu bringen und auf die Verborgenheit des Gewissens jedes Einzelnen zu beschränken oder sie ins Randdasein des geschlossenen, eingefriedeten Raums der Kirchen, Synagogen oder Moscheen zu verbannen“, wie Papst Franziskus es ausgedrückt hat. Diese neuen – gesetzlich verankerten – Normen führen dazu, dass die Rechte des Einzelnen auf Gewissens- und Religionsfreiheit in einen tiefen Konflikt mit der Verpflichtung zur Einhaltung dieser Gesetze geraten.
- Interreligiöser Dialog – neue Impulse aus dem Vatikan. Papst Franziskus hat zusammen mit Ahmad al-Tayyib, Großimam von al-Azhar und Oberhaupt der sunnitisch-muslimischen Welt, eine Erklärung über die „Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“ unterzeichnet; er hat als erster Papst überhaupt eine katholische Messe auf der Arabischen Halbinsel gefeiert; und gegen Ende des Berichtszeitraums sollte er den Irak besuchen (sein erster Besuch in einem Land mit schiitischer Mehrheit), um den interreligiösen Dialog zu vertiefen.