Myanmar braucht die prophetische Stimme und die Zivilcourage der Religionsführer beim Aufbau von Frieden und Gerechtigkeit

Religions for Peace hat einen Aufruf herausgegeben, der von religiösen Führern Myanmars im Hinblick auf die für November geplanten Wahlen unterzeichnet wurde. Das Dokument trägt den Titel „Seize the opportunity!“ („Nutzt die Gelegenheit!“) und wurde am 13. Juli 2020 veröffentlicht. Aid to the Church in Need (ACN) interviewte Bischof John Saw Yaw Han, Generalsekretär der Katholischen Bischofskonferenz von Myanmar, um die Bedeutung dieses Dokuments zu ergründen und mehr Erkenntnisse über den interreligiösen Dialog im Land zu gewinnen. Insbesondere will das Dokument auch herausstellen, was die Zukunft bereithält – ausgehend von der Tatsache, dass die Führungspersönlichkeiten der verschiedenen Religionen dabei eine wichtige Rolle spielen. Es will klären, inwiefern es auch in der Verantwortung der Religionsführer Myanmars liegt, dafür zu sorgen, dass eine friedliche Koexistenz unter Beachtung der Menschenrechte besser etabliert werden kann. Das Interview führte Maria Lozano

Alle burmesischen katholischen Bischöfe und die religiösen Oberhäupter der Buddhisten, Muslime und Hindus haben den Text unterzeichnet. Warum ist dieses Dokument so wichtig?

Religion ist ein heikles Thema in Myanmar. In Myanmar hat politisch motivierte religiöse Gewalt sehr alte Wurzeln und weitreichende Folgen. Religiöse Intoleranz äußert sich im Land oft in feindseligen Handlungen, darin, dass religiöse Werte einer bestimmten Religion verunglimpft oder lächerlich gemacht werden. Dieses Land hat im Zusammenhang mit religiösen Fragen schon extreme Gewalt erlebt, die dazu führte, dass viele ums Leben kamen oder heimatlos wurden. Die wachsende Zahl der Fälle von religiösem Fanatismus und negativer Indoktrination hierzulande sind beunruhigend. Mitunter wird Religion von einer kleinen Gruppe von Individuen benutzt, um ihre gesellschaftliche Vorherrschaft zu fördern und ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen zu schützen. Für sie sind Konflikte und Gewalt notwendig, um das Land zu destabilisieren und Investoren von außen abzuschrecken. Diese Einzelnen kontrollieren mit wenig Konkurrenz die Wirtschaft; die Folge sind unzureichende Entwicklung und Armut. Tatsächlich ist es am einfachsten, mit „religiösem Glauben“ Spannungen zu erzeugen.

Religions for Peace hat einen Aufruf herausgegeben, der von religiösen Führern Myanmars

Deswegen ist das Dokument für das Volk von Myanmar so wichtig. Die Menschen brauchen ein harmonisches Zusammenleben, friedliche Koexistenz. Noch wichtiger ist der „Geist des Dokumentes“ selbst – er ist deswegen so wertvoll und wichtig, weil sich darin zeigt, was unsere Religionsführer für die Bevölkerung von Myanmar wollen und wünschen. Das Dokument wird einen echten Einfluss auf die Bevölkerung haben und zum Abbau von Spannungen führen. Das Licht siegt über die Dunkelheit!

Was ist, Ihrer Meinung nach, der wichtigste Punkt in dem Dokument?

Die religiösen Oberhäupter haben mit Recht darauf hingewiesen, dass „die Religionsführer im Protest gegen Ungerechtigkeit zu zaghaft sind“. Das ist der markanteste und wichtigste Punkt. Über viele Jahrzehnte hinweg standen einige Religionsführer auf der Seite der Mächtigen und haben die Unterdrückten ignoriert. Die Religionsführer brauchen eine prophetische Stimme und Zivilcourage, um gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen und Frieden aufzubauen. Die bevorstehende Wahl ist sehr wichtig, weil immer noch zwischen dem alten System (ausschließende Kultur, vor 2015) und dem Föderalismus (inklusive Kultur) gewählt wird. Jetzt vollzieht sich gerade Myanmars Übergang zur Demokratie und dieser bringt eine Reihe gewaltsamer Konflikte verbunden mit Heimatlosigkeit mit sich; Myanmar steht an der Schwelle zu großen Reformen. Wir sind immer noch dabei, das alte System zu entwurzeln. In diesem Prozess der Entwurzelung müssen unsere religiösen Führungspersönlichkeiten eine entscheidende Rolle übernehmen: beim Aufbau einer Nation und bei der Erziehung der Bevölkerung hin zu mehr Bewusstheit, besonders in den kommenden Wahlen.

Über viele Jahrzehnte hinweg standen einige Religionsführer auf der Seite der Mächtigen und haben die Unterdrückten ignoriert

In diesen Jahren im Vorfeld wichtiger Reformen gab es tatsächlich viele Veränderungen und positive Anzeichen, die auch beachtet wurden. Mit einer vernünftigen Führung und dem klaren Formulieren einer demokratisch klugen Vision, die religiöse, kulturelle und ethnische Vielfalt ermöglicht und Umerziehung und Neuorientierung auf allen Ebenen zulässt, könnte Myanmar zu einem Leuchtfeuer der religiösen und ethnischen Integration werden.

Was ist der Beitrag der Katholischen Kirche zum interreligiösen Dialog in Myanmar?

Jeder Einzelne kann etwas bewirken! Alle Katholiken sind als Bürger Myanmars auch für das Land Myanmar verantwortlich. Unserer Überzeugung nach ist es wirklich unsere herausfordernde Aufgabe und Pflicht als Bürger, daran zu arbeiten, dass das Land sich weiterentwickelt. Es wäre falsch, wenn wir es als Katholiken und Bürger Myanmars versäumten, uns für die bedeutendste Nationenbildung unserer Zeit einzusetzen. In kritischen Zeiten wird es zur Pflicht aller Bürger, die Stimme für das allgemeine Wohl des Landes zu erheben. Denn schließlich gilt: Wenn alle Menschen Rechte haben, gilt dasselbe auch für die Pflichten. Obwohl Katholiken in Myanmar eine Minderheit sind, spielt die Catholic Bishops‘ Conference of Myanmar (CBCM; Katholische Bischofskonferenz von Myanmar) unter der Führung und Anleitung Seiner Eminenz Charles Kardinal Bo eine wichtige Rolle bei der Nationenbildung. Seit den Wahlen von 2015 hat die CBCM einen strategischen Fünfjahresplan für den Aufbau der Nation ausgearbeitet, mit besonderem Schwerpunkt auf Bildung und ganzheitlicher menschlicher Entwicklung, indigenen Rechten und Umweltgerechtigkeit, Frauenrechten und der Zusammenarbeit mit anderen Konfessionen und Religionen für Frieden und menschliche Entwicklung.

Die Episcopal Commission for Interreligious Dialogue and Ecumenism: . Seine Eminenz Charles Kardinal Bo und Bischof John Hsane Hgyi von der Diözese Pathein sind für die Kommission des interreligiösen Dialogs verantwortlich

Die Episcopal Commission for Interreligious Dialogue and Ecumenism (Bischöfliche Kommission für interreligiösen Dialog und Ökumene) ist eine Kommission der CBCM, die es sich zum Ziel gesetzt hat, mit Völkerschaften jeglichen Glaubens, aus verschiedenen Religionen und Konfessionen, für Frieden und einvernehmliche Koexistenz zusammenzuarbeiten. Die Kommission spielt eine wichtige Rolle an der Basis der Bevölkerung und Religions for Peace (RfP) spielt eine Rolle auf internationaler Ebene. Seine Eminenz Charles Kardinal Bo und Bischof John Hsane Hgyi von der Diözese Pathein sind für die Kommission des interreligiösen Dialogs verantwortlich und haben eine führende Rolle in der Organisation Religions for Peace inne, die national und international anerkannt ist.

Welchen weiteren Herausforderungen muss sich Ihr Land im Zusammenhang mit dem interreligiösen Dialog stellen, welche müssen angegangen werden?

Das beliebteste soziale Netzwerk in Myanmar ist Facebook. Es gibt sogar Regierungsseiten, auf denen offizielle Mitteilungen veröffentlicht werden, denn so können die Menschen sehr leicht und auch schneller als auf anderen Wegen erreicht werden. Andererseits gibt es auf Facebook immer noch viele Fake-Accounts mit gefälschten Profilen, hinter denen die Absicht steht, Fake-News, Hass- und Aufstachelungsbotschaften zu verbreiten und religiöse Konflikte und Gewalt zu schüren. Ausschließlich zu solchen Zwecken – also nicht für das Wohl der Menschen – agieren manche auf diese Weise als Privatpersonen und wieder andere als Team. Dahinter dürften politische Gründe und wirtschaftliche Interessen stehen.

Das Facebook-Team und das Informationsministerium kümmern sich darum, dass Fake-Konten und -Posts, die Hassreden verbreiten und auf diese Weise Falschnachrichten und religiöse Konflikte auslösen, entfernt und unterbunden werden. Sie müssen dabei aber noch effektiver vorgehen.

Ein weiteres historisches Ereignis war 2017 der Besuch von Papst Franziskus in Myanmar. Was hat dieser Besuch dem Land gebracht?

Wir können sagen, dass die Katholische Kirche im Vergleich zu den sonstigen christlichen Konfessionen durch den Papstbesuch ein anderes Profil gewonnen hat. Der Katholischen Kirche wird mehr Respekt entgegengebracht als früher, auch wurden ihr einige Rechte zugestanden. Mit Buddhisten und Vertretern anderer Religionen konnten wir eine engere Zusammenarbeit bei der Friedenskonsolidierung aufbauen. Liebe, Frieden und Harmonie waren die Schlüsselbotschaften des Papstbesuchs. Der Besuch war sehr ermutigend für die burmesischen Katholiken und ihr Glaube wurde gestärkt. Die Katholische Kirche erhebt ihre Stimme für diejenigen, die keine Stimme haben; für Frieden und Gerechtigkeit.

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